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Ich war schon immer eine Attraktion, seit ich gehen und reden konnte.
Cassius Marcellus Clay kam am 17. Januar 1942 im Central Hospital von Louisville als erstes Kind von Odessa Lee Grady und Cassius Marcellus Clay Sr. zur Welt. Der Säugling brachte bei seinem ersten Auftritt solide 2900 Gramm auf die Waage.
Nach dem Überfall der japanischen Luftstreitkräfte auf den amerikanischen Seestützpunkt Pearl Harbor und der Kriegserklärung der faschistischen Achsenmächte gegen die alliierte Anti-Hitler-Koalition vom 11. Dezember 1941 konnte niemand in den USA mehr die Augen vor der Tatsache verschließen, dass aus dem «europäischen Krieg» ein Weltkrieg geworden war.
Cassius Clay wuchs in einer rassisch segregierten Stadt auf. Das schwarze Louisville bestand aus drei Stadtteilen: Der schlimmste ist East End, ein Viertel, das wir nennen; etwas besser ist das Viertel um die California; am dichtesten bevölkert ist West End, wo ich aufwuchs. Hier, weit entfernt vom schwarzen Slum Smoketown, besaß die Familie Clay in der Grand Avenue 3302 ein einstöckiges Haus mit vier Zimmern, das sie für 4500 Dollar erstanden hatte. Hier verlebten Cassius und der zwei Jahre jüngere Bruder Rudolph Arnette («Rudy») ihre Kindheit.
Obwohl Kentucky als Randstaat des alten Südens von dem in Alabama, Georgia oder Mississippi alltäglichen mörderischen Rassismus verschont blieb, herrschte auch hier strikte Rassentrennung. Louisville, eine Stadt mit gut einer viertel Million Einwohner, liegt nahe den Falls of the Ohio. Ihre Geschichte trägt Spuren einer bewegten Siedlungsvergangenheit: Indianer und französische Trapper, spanische Missionare und englische Kolonialbeamte gaben der Stadt ihr Gesicht. Reiseführer halten Louisville in vielfacher Hinsicht für erwähnenswert: als «Welthauptstadt» des Bourbon; als Austragungsort des Kentucky Derbys, das seit 1875 in den Churchill Downs stattfindet; als Heimat der University of Louisville, der ältesten kommunalen Hochschule der USA - und als Geburtsstadt eines der begnadetsten Boxer aller Zeiten.
Alles im Süden war rassisch getrennt. Von der Wiege bis zur Bahre, von der Geburtsstation im Krankenhaus bis zur letzten Ruhestätte auf dem Friedhof: In jeder Facette des Alltags war die Trennung nach Hautfarben sichtbar - eine duale, zerrissene Gesellschaft. Und doch war Kentucky nicht der wirklich tiefe Süden der USA: «Getrennt ja, aber man lebte nicht im Mississippi der 40er oder 50er Jahre. Hier gab es keine oder Mitglieder des Ku-Klux-Klan, die nachts schwarze Menschen aus ihren Häusern zerrten und sie lynchten. [.] Wenn man schwarz war oder, oder, wie man damals sagte, farbig, und schön dort blieb, wo man hingehörte - physisch und psychisch -, dann konnte das Leben durchaus erträglich sein.» Die herrschende Rassendoktrin spaltete die Stadt bis weit in die 1960er Jahre in schwarzes und weißes Territorium, in Freundesland und Feindesland. Er habe, so der schwarze Schriftsteller Blyden Jackson, «die verbotene Stadt, das Louisville, wo die Weißen lebten, nur durch einen Schleier wahrnehmen können. [.] Auf meiner Seite des Schleiers war alles schwarz: die Häuser, die Menschen, die Kirchen, die Schulen, der Negerpark mit der Negerparkpolizei. [.] Ich wusste, dass es zwei Louisvilles gab und in Amerika zwei Amerikas.» Im Zentrum von Louisville durften Schwarze nur in der Walnut Street zwischen der Fifth und der Tenth Street einkaufen; der Chickasaw Park war schwarz, der Shawnee Park gemischt, alle Übrigen weiß. Auch Geschäfte, Hotels und Kinos waren nach Rassen getrennt. In den Schulen begannen erste zaghafte Versuche von Rassenintegration, inspiriert vom legendären Prozess «Brown vs. Board of Education of Topeca» (1954), der die Legalität der «Separate but equal»-Doktrin von 1896 beendete und zur Initialzündung für den Beginn der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in Montgomery wurde.
Auch für die Kinder von Odessa Grady und Cassius Clay Sr. war Rassendiskriminierung durch Segregation Alltag: «Als wir aufwuchsen, waren die einzigen Probleme, die Muhammad und ich mit den Weißen hatten, wenn wir uns in bestimmte Gegenden verirrten. Hielten wir uns an einer falschen Stelle auf, konnte es vorkommen, dass weiße Jungs mit einem Auto aufkreuzten und sagten: » Selbst in den Abzählreimen der Kinder waren die Schwarz-Weiß-Koordinaten des Alltags eingebrannt: «White, you're right/Light, you can fight/Brown, stand around/Black, stand back.»
«Die Welt ist nur für die Weißen da», das war Cassius und seinem Bruder Rudy schon früh klar. Sie wussten, woher sie kamen, wussten, was ihnen zustand und was nicht. Gern wären auch sie im beliebten Fontaine Ferry Park im Westen der Stadt, nahe am Ohio River, mit ihren Freunden herumgetollt, aber hier vergnügten sich aussschließlich die Kinder der Weißen. Fontaine Ferry war ein Symbol der Segregation - für die Kinder aus den schwarzen Bezirken sicher das schmerzhafteste. 1964 wurde die Rassentrennung dort für beendet erklärt - fünf Jahre, bevor der Vergnügungspark geschlossen (und bis 1975 unter anderm Namen weitergeführt) wurde.
Die vielleicht prägendste Erfahrung von rassistischer Gewalt, die Cassius Clay wie viele andere seiner Generation erlebte, war die barbarische Ermordung des vierzehnjährigen Emmett Till im Sommer 1955. Er hatte einer weißen Frau beim Verlassen eines Geschäftes ein übermütiges «Bye, Baby!» hinterhergerufen. Dieser Übermut kostete ihn das Leben. Drei Tage später wurde sein fürchterlich entstellter Leichnam aus den Fluten des Tallahatchie River geborgen. Emmetts Mutter ließ ihn öffentlich aufbahren: Niemand sollte die Chance haben wegzusehen, alle sollten wissen, dass selbst schwarze Kinder im amerikanischen Süden nicht vor Lynchmorden durch weiße Rassisten sicher waren.
In deutlichem Kontrast zu den «Elendsbiographien» vieler schwarzer Boxer wie Floyd Patterson, Sonny Liston, Joe Frazier oder Mike Tyson kam Cassius Clay zwar aus bescheidenen, aber doch behüteten und materiell abgesicherten familiären Verhältnissen. Damit muss man ihn aber nicht zu einem «Mittelschichtskind» stilisieren, wie Toni Morrison zu Recht anmerkt, die Mitte der siebziger Jahre beim New Yorker Verlag Random House Alis Autobiographie als Lektorin betreute: «Denn schwarze Mittelschicht, schwarze Mittelschicht im Süden, das entspricht keineswegs dem, was man anderswo unter Mittelschicht versteht.» Ali selbst drückte sich recht vorsichtig aus: Er habe so etwas wie Armut kennengelernt; zur «schwarzen Mittelschicht» habe seine Familie aber erst gehört, nachdem ich ihr mit meinen Einkünften einen anderen Lebensstil ermöglichen konnte. Odessa legte bei ihren Jungen Wert auf gute Manieren, saubere Kleidung und regelmäßigen sonntäglichen Kirchgang - sie war Baptistin, ihr Mann Methodist.
Odessa besserte die Haushaltskasse auf, indem sie als Köchin und Putzhilfe in reichen Häusern Louisvilles arbeitete. Die eigene Familie kam da schon einmal zu kurz: Am Abend war sie manchmal so müde, dass sie für uns nicht mehr kochen konnte. Dass Clay Sr., genannt «Cash», in Louisville bekannt war wie ein bunter Hund, lag nicht nur an seinem Job als Schildermaler für Reklame- und Werbetafeln (seine lebhaften, knallbunten religiösen Wandgemälde und Fresken zierten so manche Kirche der Stadt). «Der wahre Cash aber war ein (ein Rapper ohne Bühne), sang in Bars, trank viel, machte Witze (immer auf Kosten anderer), war ein Straßenecken-Sokrates, machte Frauen an, und er war ein Narziss. Aber vor allem war er ein frustrierter Künstler.»
Das hart verdiente Geld der Clays reichte meist nur für das Nötigste. Zwar musste niemand hungern, aber am Busgeld für den Schulweg wurde oft ebenso gespart wie an den notwendigen Reparaturen an Haus und Auto. Cassius und Rudy halfen ihrem Vater gelegentlich bei der Erledigung seiner Aufträge und übernahmen kleine Jobs. Schuhe und Kleider kamen hin und wieder von der Wohlfahrt, und neue Jeans waren so lange ein Problem, bis mich ein paar Angehörige unserer Bande in die Geheimnisse des Ladendiebstahls einweihten.
Der tief in der amerikanischen Geschichte wurzelnde Stammbaum der Clays ist durch genealogische Forschungen ziemlich präzise belegt. Als Clay sich nach dem Titelkampf gegen Sonny Liston zu den Black Muslims bekannte und den Namen Muhammad Ali annahm, mühte er sich nach Kräften zu verdrängen, dass die weißen Anteile seiner Ahnenreihe nicht ausschließlich auf Vergewaltigung und Schändung zurückgingen. Die unübersehbare Beimischung von «weißem Blut» in den Adern der Clays war mit seinem ideologisch geprägten schwarzen Selbstbewusstsein dieser Jahre nur schwer zu vereinbaren. Clay Sr. dagegen war auf seinen Familiennamen zeitlebens stolz, ging er doch auf einen bedeutenden Vorfahren zurück, Cassius Marcellus Clay: einen hünenhaften Grundbesitzer aus Kentucky, der eine Farm samt vierzig Sklaven in dem Städtchen Foxtown in Madison County geerbt hatte.
Wir verdanken Jack Olsen nicht nur die genauesten Beschreibungen des Familienlebens der Clays, sondern auch ihrer Vorfahren Henry Clay («eine unglückliche und schwer verständliche Gestalt in der Geschichte Amerikas») und...
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