Schweitzer Fachinformationen
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Schon lange besteht kein Zweifel mehr an der Bedeutung der populären Kultur oder, zurückhaltender ausgedrückt, an ihrer Allgegenwart. Die aktuellen Hits, die am Morgen im Radio laufen, die Werbeplakate, die man von der Straßenbahn aus sieht, Zeitungsschlagzeilen, die man im Vorübergehen liest, Produkte und Marken, die jeder kennt, die Programme großer Fernsehsender, Meinungsumfragen zur Beliebtheit allgemeiner Einstellungen oder einzelner Politiker, die Art und Weise, wie die meisten ihre Wohnung dekorieren – das alles trägt zum Leben in der westlichen Welt entscheidend bei. Zumindest als Zuschauer kann man sich dem kaum entziehen, selbst wenn man die Gegenstände und Techniken der populären Kultur strikt ablehnt.
Wenn die Frage beantwortet werden soll, was »Pop-Kultur« ist, wird man sich schnell auf einige Musterobjekte einigen können: Marilyn Monroe, McDonalds, Beatles, Ronald Reagan, Punk, Olympia, TV-Unterhaltungsshows ... Unklar bleibt bei solchen Angaben jedoch, was die Gemeinsamkeiten oder Ähnlichkeiten dieser populären Dinge sind. Die vorliegende Arbeit will diese Frage in drei Abschnitten zu beantworten versuchen. Die ersten beiden Kapitel bieten eine kleine Begriffs- und Problemgeschichte wichtiger geläufiger Bestimmungen der Populärkultur: Zuerst wird die häufig avantgardistisch geprägte Fassung von »Pop« nachgezeichnet. In einem zweiten Durchlauf geht es um die Geschichte der »Populärkultur« als Ableitung und Ausdruck solcher Konzepte wie »Volk«, »Masse«, »niedere Schicht«, »nivellierte Mittelstandsgesellschaft«, »Subkultur«. Im dritten Teil wird schließlich ein eigener Bestimmungsversuch vorgestellt: Dort wird populäre Kultur als Verfahren beschrieben, mit der Bilanzierung von Wahlakten in Ranglisten festzustellen, was beliebt ist und was nicht.
Dieser Ansatz ist keineswegs originell. Fast alle der in den ersten beiden Kapiteln angeführten Bestimmungen verlassen sich bei ihren Erläuterungen, worin Populärkultur besteht, wie selbstverständlich auf Daten aus Bestsellerlisten und empirischen Erhebungen oder Alltagskenntnissen. Es ist aber bislang noch nicht der Versuch unternommen worden, einmal konsequent diesen Ansatz zu verfolgen. Deshalb wird im dritten, essayistisch gehaltenen Kapitel mit einiger Penetranz der Frage nachgegangen, welche Bereiche, Voraussetzungen und Grenzen innerhalb der demokratisch-kapitalistischen Länder westlichen Typs eine derart bestimmte Populärkultur ausmachen. Ob diese Beobachtungsleitlinie zu interessanten, wissenschaftlich brauchbaren Ergebnissen führt, muss sich erst noch erweisen. Um Missverständnissen vorzubeugen, sei hier bereits angemerkt, dass anderen Beschreibungsansätzen der populären Kultur damit keineswegs die Berechtigung abgesprochen werden soll.
Das kleine (manchmal größere) Problem nicht weniger Bestimmungen der Populärkultur besteht darin, dass sie immer einige (oder viele) Bereiche oder Gegenstände ausblenden, die ebenfalls beliebt sind. Orientiert man sich bei Betrachtungen der populären Kultur dagegen an Verkaufszahlen, Bekanntheitsgraden und Meinungsumfragen, ist das Bild eindeutig; dann gehört Virginia Woolf gleichermaßen zur Populärkultur wie Blondie, John Updike ebenso wie eine momentan viel beachtete Krimireihe, Günter Grass wie Stephen King. Darum ist es zu einseitig, wenn man behauptet, dass nur einfache Muster, Schlüsselreize und kindischer Humor die Produkte der populären Kultur prägen, so häufig eine solche Beschreibung (bislang) auch zutrifft.
Zumeist versucht man, maximale Eindeutigkeit dadurch zu erzielen, dass man Merkmale, die man der populären Kultur zuschreibt – z.B. Oberflächlichkeit und Standardisierung –, sogleich verurteilt und abwertet (oder auch, genau umgekehrt, avantgardistisch hochwertet). Ein großer Teil dieser geläufigen Anschauungen zur populären Kultur entstammt Urteilen über einzelne Kunstwerke und deren Rezipienten, aber auch über ganze Klassen von Werken (Trivialliteratur), Stilrichtungen (Kitsch) oder Veröffentlichungsformen (Heftchenliteratur), über neue Kunstgattungen (Comics), Genres (Western) oder Medien (Film) bzw. über deren Kombinationen (pornographische Videos, Computerspiele). Nach einer lange vorherrschenden Ansicht ist all das – und damit die populäre Kultur insgesamt als Summe solcher Produkte und ihrer Konsumenten – oberflächlich, unoriginell, effekthascherisch.
Im Anhang dieses Buches wird direkt in diese gewohnte substantielle Bestimmung der Populärkultur als oberflächlicher, reizvoller, standardisierter Kultur eingeführt, als deren Sinnbild nicht selten das moderne Girl fungiert. Am Beispiel des Girls kann man sehr gut zeigen, wie die verschiedenen Bestimmungsverfahren es je als populäre Größe entwerfen. Vor allem die traditionellen Bestimmungen sind eng mit Geschlechterbildungen verknüpft. Die wichtigste Methode, Werken, die nicht zur Kunst gerechnet werden sollen, zu begegnen, besteht herkömmlicherweise darin, sich ihre Wirkungen auszumalen und ihr Publikum vorzustellen, nicht, sie eingehend zu beschreiben oder gar zu theoretischen Betrachtungen zu nutzen. Nach der Maßgabe wird die Populärkultur oft als weibliche, triviale und zugleich leicht beeinflussbare Kultur modelliert. Ab den zwanziger Jahren kommt dann aber unter dem Eindruck der neuen hochtechnologischen »Massenkultur« ein weiteres Bild hinzu. Anti-Romantik und ›kühl‹ erotisierte Funktionalität treten seitdem der Auffassung von der süßlich-›femininen‹ populären Kultur zur Seite. Die Frage bleibt dann, ob das Girl (und mit ihm die allgemeineren Einschätzungen der Populärkultur) sich auch von dieser moderneren wesenhaften Bestimmung lösen können – ob das Girl der blassere Oberbegriff unterschiedlichster junger Frauen werden kann und die Populärkultur zum bloßen Verfahren, relative oder absolute Mehrheiten auszuzeichnen.
Auch wenn man diese Wendung mitvollzieht, darf man aber genauso wenig in den umgekehrten Fehler verfallen, aus der Tatsache, dass viele ›reizvolle‹ Werke schnell sang- und klanglos wieder vom Markt verschwinden, zu schließen, der Geschmack breiterer Publikumsschichten sei unberechenbar. Eine Konkurrenz, über die in Charts entschieden wird, bringt nun einmal zwangsläufig wenige Gewinner und viele Verlierer hervor. Nicht alle Horror-, Sex- oder Teenagerfilme können Erfolg haben, erst recht nicht zur gleichen Zeit. Trotzdem handelt es sich bei ihnen allen um erfolgsträchtige Versuche. Nur wenige Themen und Erzählweisen dürfen nämlich – legt man die Erfahrungen der Vergangenheit zugrunde – auf ein größeres Publikum hoffen. Modernistische oder avantgardistische Werke haben nach wie vor fast keinerlei Erfolgschancen (abgesehen von denen der bildenden Kunst, deren Aufnahme nur einen kurzen Blick erfordert). Allein aus Gründen der Abwechslung jedoch sind selbst beim scheinbar Immergleichen mindestens einige Neuheiten geboten. Weil zudem das Publikum, von dessen Wahl die Charts abhängen, nie einen einheitlichen Block bildet und es sich unvermeidlich mit der Zeit ändert, müssen selbst bisherige Außenseiter nicht alles verloren geben.
Die Schwierigkeit, Populärkultur ganz auf einen qualitativ bestimmten Begriff zu bringen, zeigt sich auch daran, dass Innovation und Erwartungsbruch die Werke der modernen Bildungskultur nicht mehr entscheidend prägen. Musterhaftigkeit ist ebenfalls bei ihnen anzutreffen, nicht allein bei den dadurch vermeintlich trennscharf festgelegten populären Produkten. Im Zeitalter der künstlerischen (keineswegs politischen) ›Nachgeschichte‹ sind Innovation und Schock nur noch ein Effekt, der Künstlern bei einem Publikum außerhalb der Kunstwelt gelingen kann.
Innerhalb dieser Kunstwelt war konsequenterweise die letzte Provokationsmöglichkeit, Gegenstände der Populärkultur in Galerien oder Gedichtsammlungen als hohe Kultur anzubieten; danach bleiben einzig modische Irritationen übrig. Weil einige Teile der Populärkultur, besonders in den Bereichen Film und Popmusik, fortlaufend technische Neuentwicklungen nutzen, unterliegen sie sogar mittlerweile insgesamt stärkeren Änderungen als die am Bildungskanon ausgerichteten Vertreter der klassischen Künste.
Begleitet wird die postmoderne, letzte nachhaltige Provokation durch Hochwertungen der Populärkultur in manchem bildungsbürgerlichen Feuilleton und in subkulturell-avantgardistischen Film- und Musikzeitschriften. Solche Hochwertungen sind natürlich nur deshalb bemerkenswert, weil sie von Kritikern vorgenommen werden, deren Vokabular und Begründungsaufwand sich fundamental von dem der allermeisten Jugend- und Fanzeitschriften unterscheidet. Vitale Begeisterung für die neuen Künste und wirkungsvolle Abgrenzungsstrategie gegenüber dem alten Kanon und seinen ranghohen Verfechtern sind bei diesen beredten Freunden der Popkultur ununterscheidbar. Die Distanz zu den zahlreichen Anhängern der Populärkultur, die sich ihre Stars auf ganz andere Art und Weise aneignen, bleibt so oder so erhalten.
Zum avantgardistischen Affront der bildungsbürgerlichen Kultur und damit zur teilweisen intellektuellen Hochschätzung der populären Kultur kommt seit beinahe vierzig Jahren etwas Neues hinzu: Die ungeheure Breite des Angebots im einst unumstritten wichtigsten Bereich der Jugendkultur, der Popmusik....
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