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Mitte des 6. Jahrhunderts ließ das Herrscherhaus von Konstantinopel im zentralen Balkan auf einem niedrigen Plateau zwischen zwei kleinen Flüssen, der Svinjarica im Westen und der Caricina im Osten, eine neue Stadt errichten. Am nordwestlichen Ende des Plateaus thronte die Akropolis dieser Stadt, von massiven Wallanlagen umgeben. Diese Wallanlagen waren aufgrund der Beschaffenheit des Geländes ganz unregelmäßig. Fünf riesige Türme zierten sie, und es gab nur ein einziges Tor (Abb. 1). Im Inneren befand sich ein riesiger Kirchenkomplex (aus Basilika, Baptisterium und bischöflichem Audienzsaal), gegenüber ein nicht weniger aufwendig gestalteter Palast für die weltliche Macht und dazwischen ein von Säulengängen umgebener Platz. Weiter unten umgaben große Mauern die fünf Hektar große Oberstadt. Hier gab es mehrere Kirchen, von Arkaden gesäumte Straßen und eine große Kornkammer, einige Wohnhäuser für reiche Leute und auch diverse Einrichtungen der Wasserwirtschaft, wie sie im Altertum in den trockeneren Regionen rund ums Mittelmeer üblich waren, unter anderem eine Zisterne und einen Wasserturm. Außerhalb der Mauern erstreckte sich die Unterstadt, auf drei Hektar. Dort haben Ausgrabungen die Standorte weiterer Kirchen zutage gefördert sowie eine weitere riesige Zisterne und zwei große öffentliche Bäder.
Der gewaltige architektonische Aufwand, der beim Bau dieser Stadt betrieben wurde,1 war durch keinerlei wirtschaftliche, administrative, religiöse oder strategische Zwänge gerechtfertigt: Justiniana Prima (das heutige Caricin Grad in Serbien) entstand einzig und allein zu Ehren von Justinian I., der im 6. Jahrhundert römischer Kaiser war und Anfang der 480er-Jahre in eben dieser Gegend des Balkans als Petrus Sabbatius zur Welt gekommen war.
Heute ist Justinian einer der bekannteren römischen Kaiser. Das liegt nicht zuletzt daran, dass er uns eine Reihe markanter Baudenkmäler hinterlassen hat. Dabei muss man sich gar nicht für irgendwelche Ruinen auf dem Balkan interessieren (was ich durchaus tue, wie ich gestehen muss), um sich für sein architektonisches Erbe zu begeistern: Es genügt ein Blick auf die atemberaubende Hagia Sophia im heutigen Istanbul. Oder auf die wunderschönen Mosaiken in San Vitale in Ravenna - das auf der einen Seite zeigt Justinian und seine Höflinge, das auf der anderen seine Frau, die Kaiserin Theodora, und deren Hofstaat (abgebildet auf S. 217). Sie locken jährlich Tausende Besucher in die Kirche. Was das Aussehen des Kaisers betrifft, so existieren in zeitgenössischen Quellen zwei ganz hervorragende Porträt (s. Abb. 8 und 12 a), und sie sind sich in allen wichtigen Punkten einig. Wie der Chronist Malalas es ausdrückt:
Abb. 1 Justiniana Prima. Kaiser Justinian verwandelte seinen Geburtsort, einst ein kleines Dorf, in eine Metropole.
Er war klein mit breiter Brust, guter Nase, heller Haut, lockigem Haar, rundem Gesicht, gutaussehend, mit zurückweichendem Haaransatz, gerötetem Teint; Haar und Bart wurden bereits grau.2
Ich bin allerdings der Ansicht, er wäre heute noch viel bekannter, wenn er schon im 1. Jahrhundert n. Chr. gelebt hätte. Seine Herrschaft war so außergewöhnlich und seine Leistungen so vielfältig, dass ihm ein Platz Seite an Seite mit den »Stars« aus Ich, Claudius - Kaiser und Gott gebührt hätte.
Justinian bestieg den Thron im Jahr 527. Er war von Gott auserkoren als Herrscher eines Römischen Reiches, das sich immer noch nicht ganz daran gewöhnt hatte, dass es im Jahrhundert zuvor die gesamte westliche Hälfte seines Territoriums eingebüßt hatte. Das Römische Reich war das größte, das es im Westen Eurasiens je gegeben hatte, und noch dazu existierte es länger als alle anderen. Nach einem halben Jahrtausend - gegenüber einer solchen Zeitspanne sieht man die europäischen Empires des 19. und 20. Jahrhunderts mit ganz anderen Augen - hatte es nun, im dritten Viertel des 5. Jahrhunderts, erlebt, wie alle seine westlichen Provinzen unter die Kontrolle diverser fremder Militärmächte gerieten: Angeln und Sachsen übernahmen in Britannien das Ruder, Franken und Burgunden in Gallien, Westgoten und Sueben auf der Iberischen Halbinsel und Vandalen und Alanen im Westen Nordafrikas (dem heutigen Libyen, Tunesien und Algerien). Italien, das frühere Herz des Imperiums, und damit natürlich auch die Stadt Rom wurden von einem Exilfürsten der Skiren regiert, der nach Italien geflohen war, nachdem im Jahr 460 das Königreich seines Vaters zerstört worden war: Odoaker. Er hatte in Italien einen Staatsstreich angezettelt, bei dem im Sommer 476 Romulus Augustulus als letzter weströmischer Kaiser gestürzt worden war - Odoaker hatte dann die Insignien des Westkaisers nach Konstantinopel schicken lassen.
Im Laufe des halben Jahrhunderts, bevor Justinian Kaiser wurde, durchlief Europa weitere Veränderungen: Vor allem konsolidierten die merowingischen Franken ihre Macht und expandierten von ihrer ursprünglichen Machtbasis im heutigen Belgien aus nach Süden und Westen, und zwischen 489 und 493 eroberte der Ostgote Theoderich Odoakers Königreich in Italien (Karte 1).
Nicht erst seit der Zeit des großen britischen Historikers Edward Gibbon diskutiert die Fachwelt über die Ursachen dieses erstaunlichen Niedergangs der Hälfte eines Kaiserreichs. In den letzten Jahren wurden die Stimmen der Revisionisten immer lauter: Sie versuchen, bei den Ereignissen des 5. Jahrhunderts sowohl die Rolle fremder Völker als auch das Ausmaß der stattgefundenen Gewalt kleinzureden. Ihrer Ansicht nach waren es verschiedene römische Interessengruppen, die beschlossen hatten, sich nicht mehr an den organisatorischen Strukturen des Imperiums zu beteiligen, und für ihre Ziele teilweise romanisierte Außenstehende einsetzten (wie die Franken und Ostgoten), denen sie somit den Weg zu einer lokalen Autonomie ebneten. Ein Buch über Justinian und seine Zeit bietet leider keinen Platz für eine ausführliche Diskussion dieses umstrittenen Themas. Dennoch werden wir uns in den folgenden Kapiteln ein wenig eingehender insbesondere mit den Vandalen, den Alanen und den Ostgoten beschäftigen, weil sie ins Visier von Justinians Armeen gerieten. Auch wenn der revisionistische Diskurs in bestimmten wissenschaftlichen Kreisen eine beträchtliche Anziehungskraft hat: In einigen wichtigen Punkten lässt er sich nicht in befriedigender Weise in eine Gesamtdarstellung der Zersplitterung des westlichen Imperiums einfügen.
Karte 1 Ostrom und die westlichen Nachfolgestaaten 525 n. Chr.
Weströmische Provinzeliten führten intensive Verhandlungen mit aufstrebenden Mächten (wie den Westgoten und den Vandalen und Alanen), die bereits im dritten Viertel des 5. Jahrhunderts auf römischem Boden Fuß gefasst hatten. Aber das war nur die letzte Stufe eines Prozesses, der mehrere Generationen gedauert hatte und dessen frühe Phasen - als sich diese Gruppen auf römischem Boden etablierten - extrem von Gewalt geprägt gewesen waren. Westgoten und Vandalen/Alanen waren neue Koalitionen, entstanden auf weströmischem Territorium, und sie speisten sich aus zwei beispiellosen Migrationswellen über die Reichsgrenzen hinweg (zwischen 376 und 380 und zwischen 405 und 408). Ursprünglich waren sie Außenseiter des Imperiums; sie zwangen den römischen Staat durch eine ganze Reihe militärischer Siege, ihre dauerhafte Existenz auf römischem Territorium zu akzeptieren - man denke nur an den Sieg der westgotischen Koalition im August 378 in Adrianopel, bei dem an einem einzigen schrecklichen Tag Kaiser Valens den Tod fand und zwei Drittel seiner Armee vernichtet wurden. Dabei war der Tod vieler römischer Soldaten nur das unmittelbarste Problem, das diese Koalitionen von ihrem Entstehen bis zu ihrer Akzeptanz bescherten: Dadurch, dass Westrom ihnen einen Teil seiner Territorien überließ (die Westgoten durften sich in Südwestgallien niederlassen und die Vandalen und Alanen später in Nordafrika), büßte es auch einen Teil seiner regelmäßigen Einnahmen ein, und so wurde es immer schwieriger, in ausreichendem Maße militärische Streitkräfte zu unterhalten, die eine weitere gewaltsame Expansion seitens der neuen aufstrebenden Mächte im römischen Westen vielleicht hätten verhindern können. Und es waren nun nicht mehr nur Westgoten, Vandalen und Alanen, sondern auch Burgunden, Franken und andere, kleinere Gruppen, die sich im Zuge verschiedener politischer Krisen, die mit dem Aufstieg und Fall des Hunnenreichs Mitte des 5. Jahrhunderts zu tun hatten, auf dem Grund und Boden der Römer niederließen.
Die zentralisierte Kontrolle der westlichen Provinzen ging im Zuge dieser Entwicklungen verloren, und die Steuereinnahmen des Weströmischen Reiches wurden geschmälert. Und nicht nur das: Bei dieser neuen politischen Großwetterlage hatten die römischen Provinzeliten keine andere Wahl, als mit den neuen Königen um sie herum Geschäfte zu machen. Der Reichtum dieser Eliten rührte von ihrem Grundbesitz her, und genau das machte sie verwundbar - sie konnten ihre wichtigste Einnahmequelle schlichtweg nirgendwohin mitnehmen. Wenn plötzlich ein fränkischer oder gotischer König der wichtigste Herrscher in der Umgebung war, dann musste man sich wohl oder übel mit ihm arrangieren, oder aber man riskierte, alles zu verlieren. Solche Arrangements brachten so gut wie immer finanzielle Einbußen mit sich, aber solange die Gefahr bestand, dass man alles verlor (wie die römischen Eliten in Britannien und...
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