Schweitzer Fachinformationen
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Vater erschien auf dem Maskenball als er selbst. Seine kamishimo-Weste unterstrich noch die Breite seiner Schultern. Sein katana und das tanto waren so gründlich poliert, dass sie glänzten. Das nach hinten gekämmte Haar wurde von einer schwarzen Schleife gehalten. Auch sein Gewand war schwarz und von goldenen Fäden durchzogen, die die Symbole des Hauses von Date Masamune darstellten - die Burg Sendai, ein Schwert, einen aufsteigenden Kranich. Die einzigen venezianischen Elemente seiner Kleidung waren ein Paar Samtpantoffeln und eine schwarze, ebenfalls samtene Harlekinmaske mit dem typischen Teufelshorn. Er hatte den Kanal in einem sàndolo da barcariòl überquert, das von einem Ruderer in Diensten von Paolo Sarpi gesteuert wurde.
Die Feiernden versammelten sich auf der großen Terrasse in einem der oberen Stockwerke mit Blick auf den Kanal. In den Ecken brannten Fackeln, und ein kleines Orchester spielte zarte Weisen von Gioseffo Zarlino und Giovanni Croce. Nach und nach trafen die Gäste ein. Vater erzählte, der Palazzo sei vom Kanal aus wie ein Tempel beleuchtet gewesen. Später, in meiner Jugend, ließ ich ihn immer wieder die Gedanken wiederholen, die ihm in diesem Moment durch den Kopf gegangen waren. Als ihm klar geworden war, dass sein Kind sich in diesem Palazzo aufhielt, Fleisch von seinem Fleisch. Das kleine Mädchen, in dessen Adern Blut aus Sendai und Sevilla floss, das Blut japanischer Kriegsherren und spanischer Könige. Er erinnerte sich daran, dass er mehr als dreißig Männer getötet hatte, um hierherzukommen. Und dass er notfalls bereit war, zu meiner Rettung weiteren sechzig das Leben zu nehmen.
Caitríona hat mir erzählt, dass sein Kostüm bewundernde Blicke auf sich zog, vor allem von den signorinas, die im Flüsterton darüber spekulierten, wer der geheimnisvolle Fremde sein mochte. Reich an materiellen Gütern, aber povere an Fantasie, hatten sich viele der jungen Damen als die Prinzessinnen verkleidet, für die sie sich ohnehin hielten. Ihre Kleider waren aus dickem Seidenstoff genäht, laubgrün und pflaumenblau, zwei auch in feurigem Rot. Ihre gepuderten und gepolsterten Alabasterbrüste hoben und senkten sich zur allgemeinen Würdigung. In den mit Spitze oder winzigen Perlen geschmückten Säumen fing sich der Widerschein von Fackeln und Kerzen. Langes Haar war hochgetürmt, und behandschuhte Hände hielten an elfenbeinernen Stäben gefiederte Colombinamasken - Masken, die an Vögel aus den Tropen erinnern sollten, an Vögel aus den Salzmarschen der Lagune, an Raubvögel. Die Herren stolzierten mit gockelhafter Eitelkeit in seidenen Hosen und Dreispitzhüten umher, offenbar voll kindlicher Begeisterung über ihre vorstehenden Bauta- und Zannimasken, maschere, die in Anspielung auf die männliche Erektion gestaltet waren. Laut Caitríona kam einer als Caesar verkleidet, ein anderer - mit spindeldürren Beinen unter einem skandalös kurzen Rock - als Alexander der Große.
Als der Abend voranschritt und immer mehr Wein floss, tanzten Frauen mit Frauen, Männer mit Männern, Ehefrauen mit den Ehemännern anderer Frauen. Vater beteiligte sich nicht. Mehrere Grüppchen der etwas Mutigeren und Neugierigeren traten auf ihn zu und versuchten ihn auszufragen, darunter Maria Elena persönlich. Doch stets erklärte er nur, er sei ein Gast von Paolo Sarpi. Da dessen strahlender Intellekt, die Kontroversen mit der Kirche und seine unerschütterliche Loyalität zur Serenissima Repubblica di Venezia weithin bekannt waren, verstärkte Vaters Antwort nur die Faszination des Fremden in ihrer Mitte. Dass er ein Ausländer war, war wegen seines Akzents kaum zu überhören - doch woher er kam, blieb ein Gegenstand ausführlicher Spekulationen. »Von weither«, war die einzige Antwort, zu der er sich herabließ.
Jack Ward, der Piratenkapitän, war an jenem Abend im Haus. Er spielte in einem der unteren Stockwerke mit einigen seiner Männer Karten. Vater entdeckte uns schließlich in einem Salon, dessen Wände mit rosafarbener Seide behängt waren und der von Wandleuchtern erhellt wurde. Caitríona und ich trugen zueinander passende transparente Togen und aufwendig gestaltete Flügel mit Federn, die von überkreuz verlaufenden Gurten gehalten wurden. Wir saßen neben Signora Barbara, Maria Elenas Mutter, die Caitríona als elegant und streng in Erinnerung hat. Eine ältere Frau, die den Tollheiten des Abends mit Gleichgültigkeit begegnete. Vater trat auf uns zu, die Maske immer noch vor dem Gesicht. Da er bei der Witwe einen Mangel an Englischkenntnissen vermutete, sprach er Caitríona in ihrer Muttersprache an.
»Wir sind uns schon einmal begegnet«, sagte er.
»Davon weiß ich nichts«, sagte sie in der Annahme, einen der dekadenten Freunde ihrer Herrin vor sich zu haben. »Und Euer Gesicht ist verborgen.«
»Mit gutem Grund«, erwiderte er. »Erschrick nicht über das, was ich dir sagen werde. Und hör nicht auf, zu lächeln.«
»Worüber sollte ich erschrecken, mein Herr?«
»Wir sind uns auf See begegnet.«
»Auf See.«
»Nun aber Schluss«, mischte sich die Witwe auf Italienisch ein. »Ich will nicht, dass Ihr mit der jungen Dame in einer derart groben Sprache redet.«
Ich schaute zu ihm auf, ganz fasziniert von seiner Maske. Angeblich soll ich sogar die Hand ausgestreckt haben, um sie zu berühren.
»Was sagt diese Frau?«, fragte Vater Caitríona.
»Dass es nicht anständig ist, mit mir in einer Sprache zu reden, die sie nicht versteht.«
Er wandte sich an die ältere Frau und versuchte es auf Spanisch. »Es tut mir leid, gnädige Frau. Mein Italienisch ist nicht so gut, wie es sein sollte. Aber vielleicht versteht Ihr mich jetzt.«
»Das tue ich«, bestätigte sie nickend.
»Ich auch«, sagte Caitríona, immer noch verwirrt über das, was Vater ihr gerade offenbart hatte.
»Wie kommt das?«, fragte er sie.
»Meine Familie stammt aus Galway in Irland, und mein Vater trieb Handel mit Spanien.«
»Und Ihr seid auch in Spanien an Bord gegangen, nicht wahr?«, sagte er.
Ihr Lächeln verschwand.
»Was für ein Schiff?«, fragte Maria Elenas Mutter und öffnete einen Fächer, um sich Abkühlung zu verschaffen. In diesem Moment begann ich, an den Federn von Caitríonas Flügeln zu zupfen.
»Hör sofort auf damit, junge Dame«, sagte die Witwe und zog meine Hand fort.
»Ein Schiff, das Jack Ward überfallen und ausgeplündert hat«, sagte Vater zu der Frau. »Er hat den Vater dieser jungen Dame ermordet, ihre Mutter in die Sklaverei verkauft und sie zusammen mit diesem Kind auf widerliche Weise entführt.«
Caitríona begann, leise zu weinen. Verängstigt und flehend schaute sie ihm in die Augen. Die ältere Frau betrachtete ihn wie einen Verrückten.
»Wer seid Ihr, mein Herr? Wie habt Ihr Euch Zutritt zu diesem Haus verschafft? Was sind das für Lügen und Verleumdungen, die Ihr da von Euch gebt?«
Noch einmal zupfte ich an Caitríonas Flügeln. Diesmal schloss Signora Barbara wütend ihren Fächer und schlug mir damit aufs Handgelenk. Ich schaute auf die zurückgebliebene Strieme und begann, zu weinen. Vater riss ihr den Fächer aus der Hand. Vergeblich versuchte sie, ihn wieder zu packen zu bekommen. Die Leute ringsum begannen, neugierig zu uns herüberzuschauen.
»Versucht so etwas noch einmal«, sagte Vater, »und ich werde Euch diese Hand abtrennen und sie fortwerfen.«
»Das ist unerhört!«, entgegnete sie, nun wieder auf Italienisch.
Vater reichte Caitríona einen Arm. »Soll ich Euch und das Kind von hier fortbegleiten?« Sie hat mir erzählt, sie habe für einen winzigen Augenblick gezögert, ehe sie ihm ihr Vertrauen schenkte, sich erhob und mich auf den Arm nahm.
»Hier entlang«, sagte sie.
Die alte Frau erhob sich taumelnd und schien jeden Moment in Ohnmacht fallen zu wollen. Daraufhin eilten ihr die umstehenden Gäste zu Hilfe. Vater, Caitríona und ich flüchteten zwei dunkle Treppen hinab, die ansonsten den Dienstboten vorbehalten waren. Die Nachricht verbreitete sich durch die diversen Salons und erreichte schließlich Maria Elena, die auf der Veranda tanzte. Ihre Schreie ließen das Orchester innehalten, und offenbar hatte auch Jack Ward sie gehört, denn als wir den Anleger erreichten und in das sàndolo da barcariòl stiegen, waren er und einige seiner Männer bereits hinter uns her. Der betrunkene Schurke spannte eine Pistole und legte auf uns an. Dank des Alkohols in seinem Blut, der Aufregung und seines nachlassenden Sehvermögens traf der Schuss nicht uns, sondern Paolo Sarpis Ruderer. Zwar erreichten Ward und seine betrunkenen Männer nun den Anleger, doch besaß keiner von ihnen eine weitere Feuerwaffe, sodass unser Boot unbehelligt entkommen konnte. In diesem Augenblick entdeckte Vater den Dolch in Caitríonas Hand, ein Stilett, das sie bereits kurz nach unserer Ankunft im Haus gestohlen und all die Monate versteckt gehalten hatte. Er nahm ihr die Waffe ab und schleuderte sie mit aller Kraft nach Ward. Später hörte ich, sie sei mitten in die Kehle des Piraten gedrungen, der daraufhin ins Wasser gestürzt sei. Caitríona bezeugte, sie habe ihn voller Befriedigung ertrinken sehen.
Vaters Plan hatte vorgesehen, dass wir uns ein paar Tage lang im jüdischen Viertel verstecken würden, einem Gebiet, das vom Rest der Stadt abgetrennt war. Doch wegen des verwundeten Ruderers kehrten wir zu Paolo Sarpis Kloster zurück. Er wartete dort mit mehreren Dienern. Sie kümmerten sich um den Verletzten, und Vater entschuldigte sich dafür, den großmütigen Rechtsgelehrten in das Drama dieses Abends hineingezogen zu haben. Der venezianische Gelehrte reagierte mit offensichtlicher Verblüffung.
»Ich habe für...
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