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Kapitel 2
In dem eine Geliebte enttarnt wird
María Luisa Benavides Fernández de Córdoba y de la Cerda war eine direkte Nachfahrin von Isabel de la Cerda und Bernardo Bearne, Conde von Medinaceli. Die Eltern des kleinen Mädchens, Sevillanos mit einem Palast in der Stadt und zahlreichen Landgütern, konnten sich seit der Herrschaft Alfonsos des Weisen auf königliches Blut berufen.
Trotz des energischen Protests des Familiengeistlichen ließ María Luisas Vater Don Rodrigo das Mädchen im stinkenden Wasser des Flusses Guadalquivir taufen. Ihre Mutter, Doña Inmaculada Gúzman de la Cerda, die an der exzentrischen Geste ihres Mannes Gefallen fand, begann ihre Tochter »Guada« zu nennen. Dies führte zu Verwirrung, als das Kind im Alter von zwölf Jahren eine Zeit lang am Hof Philipps III. in Madrid wohnte. Sie verbrachte dort viel Zeit mit ihrer Cousine Guadalupe Medina. Guadalupe, die das kürzere »Lupe« verabscheute, bestand nun darauf, ebenfalls Guada genannt zu werden, und zwang die Höflinge so, die jungen Damen mit ihrem kompletten Namen anzusprechen. Doch hinter deren Rücken nannten sie María Luisa »Guada die Schöne«.
Rodrigos Sohn, ebenfalls Rodrigo genannt, entwickelte schon früh einen Hang zu anderen Jungen. Regelmäßige Schläge und eine von seinem Vater bezahlte Geliebte blieben ohne Wirkung. Als der Junge später fürs Priesteramt zugelassen wurde, fiel Guada die alleinige Verantwortung für die Fortführung der Familie zu, denn Doña Inmaculada weigerte sich, weitere Kinder zu bekommen.
Kurz nach dem Eintritt in ihr fünfzehntes Lebensjahr wurde Guadas Verlobung mit einem entfernten Cousin verkündet, dem Herzog von Denia, dessen Besitz das ohnehin stattliche Familienvermögen verdreifachte. Er hieß Julián und war zwei Jahre älter als sie. Sie fand den Jungen gut aussehend und kultiviert. Ihrer Mutter berichtete sie, dass ihr prometido eine »poetische Veranlagung« besäße. Wenn sie auf den Gartenwegen des Klosters San Geronimo in Madrid unter Kastanienbäumen spazierten, durch die Rosengärten von »La Moratalla« schlenderten, dem Landgut ihrer Großtante bei Palma del Río, oder am Strand von Sanlúcar de Barrameda im Schatten saßen, hielten die beiden Jugendlichen ihre Triebe für Liebe.
Eines Tages begann sich Guada zu fragen, ob sie Kinder haben wollte, und sie vertraute ihre Gedanken der Mutter an. »Ich weiß, wie es abläuft«, sagte Guada. »Ich habe die Hunde an den Mauern des Alcázar beobachtet und unsere eigenen Pferde hier im Gehege. Außerdem habe ich meinen Bruder baden sehen und mich selbst gründlich untersucht.«
»Was kann ich dir dann noch erzählen, Kind?«
Sie saßen im Zimmer ihrer Mutter in einer Finca der Familie in der Nähe von Carmona. Von ihren Plätzen aus konnten sie die wogenden Felder frischen Grüns sehen. Sie waren derart unüberschaubar, dass sie sich in ein weites grünes Meer verwandelten, sobald Guada die Augen ein Stück zusammenkniff. Hinter Doña Inmaculada stand die maurische Frau von der anderen Straßenseite, die ihr jeden Morgen die Haare kämmte und kaum ein Wort castellano sprach.
»Ich weiß, wie es abläuft«, wiederholte Guada. »Aber mir sind die einzelnen Schritte nicht klar. Wie es im Einzelnen vor sich geht.«
»Unter den Augen Gottes«, sagte ihre Mutter und beugte den Kopf bei jedem einzelnen Strich des breiten Elfenbeinkamms, »weiß der Körper, was zu tun ist. Es gibt nichts zu lernen. Es mag unangenehm sein, wie die meisten anderen Körperfunktionen auch, aber es ist eine natürliche Sache.«
»Es ist unangenehm?«
»Nicht, wenn dein Ehemann behutsam vorgeht.«
»War Vater nicht behutsam?«
»Frauen unseres Standes haben keine Freude daran, Kind. Auch wenn es beim niederen Volk angeblich anders ist.«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
»Dein Vater hat viele Eigenschaften, aber Behutsamkeit gehört nicht dazu. Ich war so jung wie du und wusste noch weit weniger. Dein Vater war nervös und trotz seines ganzen Geredes noch unerfahren. Er folgte der Leidenschaft des Verlangens, ich der des Gehorchens.«
»Und dabei blieb es?«
»Wir haben nie darüber gesprochen. Und seit deiner Geburt teilen wir das Bett nicht mehr. Wie wir beide wissen, findet dein Vater diese Art von Gesellschaft anderswo.«
Guada fühlte sich nach diesem Gespräch eher bekümmert als beruhigt. Sie hatte gehofft, ihre Mutter würde ihr gut zureden und ihre Ängste mit dem andalusischen Esprit beschwichtigen, für den sie bekannt war. Stattdessen waren Inmaculadas ansonsten kaum spürbare nördliche Wurzeln mit der Härte kastilischen Stahls zutage getreten.
Zurück in Sevilla, erhielt Doña Inmaculada Besuch von ihrer älteren Tante Doña Soledad Medina y Pérez Guzman de la Cerda, die als Gastgeschenk mit dem neuesten Klatsch aufwartete, der beide Frauen in helle Aufregung versetzte. Am nächsten Morgen, nach der Frühmesse, spürte Inmaculada ihren Ehemann auf, der tags darauf nach Madrid reisen wollte. Er saß in seinem Arbeitszimmer und gönnte sich ein Glas bernsteinfarbenen Manzanilla-Sherry.
»Ich muss mit dir über eine äußerst dringende Angelegenheit sprechen«, sagte sie und schaute ihm direkt ins Gesicht.
»Dann sprich«, sagte Don Rodrigo, der nur halb zuhörte und mit einer Klage über irgendeinen Streit unter den Dienstboten oder ein neues körperliches Leiden seiner Gattin rechnete. Seit dem Ende ihrer ehelichen Beziehungen waren Krankheiten und Unwohlsein bei ihr zu einer Art Besessenheit geworden, die ihn ermüdete. Während sie sprach, betrachtete er den mit seinem Wappen verzierten Ring am Mittelfinger seiner rechten Hand.
Überraschenderweise fragte Inmaculada: »Was hältst du von Don Julián?«
»In welcher Hinsicht?«
»In jeder Hinsicht«, entgegnete sie, was ihn noch mehr überraschte.
»Warum?«
»Ich habe gehört, er hätte eine Geliebte. Der Junge ist siebzehn und hat eine Geliebte, die doppelt so alt und außerdem seine eigene Tante ist.«
»Welche Tante?«, fragte er und löste den Blick vom Ring mit einem Gefühl, als verabschiede er sich gerade von jeglicher Aussicht auf ein glückliches Leben. Denn seine Intuition hatte die Antwort auf die Frage bereits erfasst. Er starrte hinab auf die großen Terrakottafliesen, deren fleckiger, verbrannter Farbton ihn an Sizilien erinnerte.
»Marta Vélez«, erwiderte sie.
»Das kann nicht sein«, sagte er und wusste doch, dass sie recht haben konnte.
»Genauso habe ich auch reagiert, aber Soledad ist sich ihrer Sache sicher.«
»Ich bezweifle es ernsthaft.«
»Martas beide Söhne sind tot. Ihr abscheulicher Ehemann hält sich fern und schlachtet Wild in Asturien. Sie ist noch immer attraktiv. Julián sieht gut aus. Und hinsichtlich des Blutes ist sie nur seine Halbtante. Offenbar übernachtet er oft bei ihr in Madrid, und zwar nicht in getrennten Zimmern.«
Im Bett mit Marta Vélez brachte Rodrigo vier Tage später das Thema zur Sprache.
»Wer um Himmels willen hat dir so etwas erzählt?«, fragte Marta und schloss ihr Negligé vor seinen mit einem Mal unwürdigen Augen.
»Also leugnest du es nicht.«
»Solch schmutzigen Klatsch werde ich erst gar nicht zur Kenntnis nehmen.«
»Weil es wahr ist.«
»Wie kannst du es wagen?«
Am nächsten Tag besuchte Don Rodrigo am Hof seinen Kindheitsfreund Don Francisco Gómez de Sandoval y Rojas, den Herzog von Lerma. Rodrigo war ein spanischer Grande. Die Sandovals, ebenfalls aus Sevilla, aber von niedrigerem Adel, mussten für ihr Geld arbeiten und intrigieren. Der Herzog hatte sich einen Platz im Leben von Philipp III. erobert, als dieser noch ein junger Prinz gewesen war. Nun zog er im Königreich die Fäden, wodurch er für sich und seine Familie ein enormes Vermögen anhäufte. Doch die eine Sache, die er wollte und die er trotz all seiner Macht und all seinem Ehrgeiz nicht haben konnte, war das, was Rodrigo schon durch Geburt in die Wiege gelegt worden war. Die beiden kamen miteinander aus und benutzten sich gegenseitig. Wenige wagten es, Rodrigo in die Quere zu kommen, weil sie fürchteten, den Herzog von Lerma gegen sich aufzubringen. Der Herzog seinerseits warf gern den Namen seines aristokratischen Freundes in die Runde und gab sich den Anschein, selbst zu dessen illustrer Klasse zu zählen.
Sofern der Herzog von Lerma überhaupt über irgendeine maskuline Ausstrahlung verfügte, verdankte sich dieses Charisma seiner Macht. Und doch hielt er sich für attraktiv und kannte viele Frauen, die ihm bereitwillig zustimmten. Seine Räume im Königlichen Palast trennten die Säle und Zimmer, die den Adligen offen standen, von denen, die dem König und seiner Familie vorbehalten waren. Während er seinem Freund zuhörte, betrachtete er sich in einem großen venezianischen Spiegel. Die Krone hatte ihn als Geschenk des Kardinalbischofs von Sabina erhalten, von Scipione Borghese, dem Bruder des Papstes. Sein Schreibtisch, einfach, aber massiv, stammte aus einer geplünderten Synagoge in Toledo. Don Rodrigo stand an einem der Fenster und starrte hinaus auf den umschlossenen Garten, in dessen Mitte ein Priester an einem Springbrunnen in seinem Brevier las.
»Sie leugnet es«, sagte Rodrigo. »Aber ich wusste in dem Moment genau, dass sie lügt.«
»Hast du ihr diese Neuigkeit überbracht, bevor oder nachdem du dich mit ihr amüsiert hattest?«
»Vorher.«
»Was letztlich bedeutet, dass du ohne dein Amüsement auskommen musstest, oder?«
»Es geht um eine ernste Angelegenheit.«
»Unsinn.«
»Der...
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