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«. ich wollte einfach zu den Leuten gehören, die sich politisch ohne jede Einschränkung entscheiden - ohne irgendwelche taktischen Manöver.»
Robert Havemann war - selten in der deutschen Geistesgeschichte - stets ein politisch engagierter Naturwissenschaftler. Was hat diese doppelte Leidenschaft entzündet? Warum wurde Havemann Kommunist und nicht - wie einige seiner Berufskollegen - Liberaler oder Sozialdemokrat. Welche Rolle spielt das im wesentlichen unpolitische Milieu einer naturwissenschaftlichen Laufbahn? Wie formte sich nach Hitlers Machtübernahme 1933 der Widerstand - wie erlebte der junge Naturwissenschaftler die neuen Staatsterroristen in Berlin?
Die Fragen
Wie wuchsen Sie auf?
Wurden Sie durch Ihre Familie oder Ihre Erziehung in irgendeiner Weise auf Ihren Weg zum Kommunismus vorbereitet? Oder begann die «Verhetzung» bereits im Elternhaus?
Wie kam es zu Ihrer Entscheidung, Chemie zu studieren?
Wer politisierte Sie? War nicht die Mehrzahl Ihrer Hochschullehrer und Mitstudenten unpolitisch?
Warum wurden Sie nicht Sozialdemokrat oder Liberaler, sondern Kommunist?
Wie erlebten Sie Hitlers Machtübernahme 1933?
Als ich 1910 geboren wurde, war mein Vater noch Student. Er schrieb in München gerade an seiner philosophischen Doktorarbeit. Meine Mutter, dreizehn Jahre älter als mein Vater, war eine Malerin, die in München Malerei studierte und auf meine ganze Entwicklung einen großen Einfluß genommen hat. Trotzdem kann man nicht sagen, daß mich irgend etwas im Elternhaus auf den Weg zum Kommunismus vorbereitet hätte; ausgenommen vielleicht die schon frühe Auseinandersetzung mit der widerlichen Erscheinung des Antisemitismus in Deutschland. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war ich vier Jahre alt, und meine Eltern steckten meinen Bruder und mich in Spielzeuguniformen. Die Eltern waren also ebenso «national» gesinnt wie die anderen deutschen Bürgerfamilien. Mein Vater war damals Lehrer in Haubinda an einem Landerziehungsheim der Lietz-Stiftung. Er war kein besonders erfolgreicher Lehrer. Aber das war für uns Kinder auch nicht wichtig. Ich entwickelte in dieser ländlichen Umgebung des thüringischen Landerziehungsheimes schon sehr früh ein großes Interesse für die Natur und alle Naturerscheinungen, für Pflanzen und Tiere; und wahrscheinlich hat das zu meiner späteren Entwicklung zum Naturwissenschaftler entscheidend beigetragen.
Im Jahre 1919 zogen wir nach Hannover, wo mein Vater eine Lehrerstelle an einer Oberrealschule antrat. Ich ging in die Sexta des dortigen Realgymnasiums, lernte Latein, Griechisch nicht - Gott sei Dank, obwohl ich nachträglich bedaure, es nicht gelernt zu haben, aber ich mußte mich damals nicht damit abquälen. Meine Interessen waren zu der Zeit schon sehr stark naturwissenschaftlich orientiert. Dazu trug auch mein Großvater bei, ein alter adliger Oberst von Schönfeld, der selber Privatgelehrter war: ein Sammler von Käfern und Diatomeen. Er hatte Mikroskope und Briefmarken und Sammlungen von Schmetterlingen und alle möglichen herrlichen Sachen. Seine Villa in Eisenach war für mich irgendwie ein Haus von unendlichen, phantastischen Wundern.
Als neunjähriger Anfänger im Gymnasium begann ich mich zuerst für Geographie zu interessieren. Zusammen mit Freunden - Kindern eines Brauereiarbeiters - malte ich auf Packpapier riesige Landkarten der ganzen Welt: sämtliche Erdteile mit unendlich vielen Straßen und Flüssen und Bergen. So ging es der Reihe nach durch verschiedene andere Wissenschaften.
Die nächste Hauptwissenschaft, der ich mich mit Leidenschaft widmete, war die Vorgeschichte - die prähistorischen Funde der Urmenschen, die Steinbeile, die großen Gemälde in den Höhlen und Grotten. Ich hatte dicke Bücher dafür bekommen und wurde ein richtiger Fachmann auf dem Gebiet. Ein Dozent für Anthropologie und Vorgeschichte an der Technischen Hochschule in Hannover, den meine Eltern kannten, geriet sogar in Erstaunen über meine Fachkenntnisse, die ich mit zehn oder elf Jahren schon hatte.
In diesem Alter begann ich auch, mich mit der Biologie zu beschäftigen. Von meinem Großvater hatte ich ein altes Mikroskop geschenkt bekommen, mit dem ich den moddrigen Inhalt von Tümpeln nach Kleintieren, Amöben, kleinen Wasserkrebsen und sonstigen Lebewesen aller Art untersuchte. Auf den Fensterbrettern meines Kinderzimmers standen immer mehrere Marmeladen- und Einmachgläser, gefüllt mit Pflanzen und dunkeltrüber Flüssigkeit, die ich aus den Tümpeln der Umgebung geholt hatte und in denen sich eine ungeheure Welt des Lebens und des Wunders tummelte, die ich mit meinem Mikroskop untersuchte. Nachdem ich mich mit dieser Welt eingehend vertraut gemacht hatte, immer unter Zuhilfenahme von Büchern, war die nächste Wissenschaft die Physik, zuerst die Optik. Das hing zusammen mit dem kleinen Projektionsapparat, den wir hatten. Später baute ich einen etwas größeren mit einer alten Lupenlinse als Projektionsobjektiv und malte dazu kleine Diapositive auf Glas.
Dann machten wir alle möglichen Experimente mit Optiken der verschiedensten Art und landeten bei der Elektrizitätslehre. Ich baute mir Widerstände, Regelwiderstände und hatte ein kleines Amperemeter. Für einen Freund, dessen Vater etwas mehr Geld hatte, baute ich einen ersten kleinen Radioapparat, einen Detektorempfänger, weil der das nicht konnte. Und ich baute mir eben diese Regelwiderstände, natürlich nicht mit richtigem Widerstandsdraht, der war zu teuer, sondern mit kleinen Tuschetöpfchen, in die Drähte eintauchten, und der Strom mußte dann durch das Wasser in den Tuschetöpfchen fließen. Das waren meine Widerstände, die gewöhnlich nach kurzem Betrieb schon anfingen zu kochen. Die Schalter machte ich aus alten Konservendosen, deren Blech aufgeschnitten wurde und die dann sehr schöne große Kippschalter abgaben. Ich war überhaupt immer sehr praktisch und erfindungsreich, wenn es galt, Probleme nicht mit üblichen Mitteln, sondern mit Methoden zu lösen, die man in der Not erfindet und entdeckt.
Später zogen wir nach Bielefeld. Mein Vater hatte inzwischen seine Stellung als Lehrer verloren, war gewissermaßen abgebaut worden, und so wurde er Feuilleton-Redakteur bei einer linksbürgerlichen Zeitung in Bielefeld, den «Westfälischen Neuesten Nachrichten». Da ging es uns dann besser. Mit meinem Bruder zusammen hatte ich ein schönes großes Kinderzimmer, in dem gebastelt und gebaut wurde, und da begann auch mein großes Interesse für die Chemie. Das wurde besonders durch einen Freund gefördert, dessen Vater ein reicher Industriemann war, der irgendwas mit Hemden und Kragen zu tun hatte und damit viel Geld verdiente. In dessen großer Villa wurde uns unter dem Dach ein chemisches Laboratorium eingerichtet. Es ist beinahe ein Wunder, daß diese Villa nicht abgebrannt ist, obwohl sie mehrmals in höchster Gefahr schwebte. Meist war ich dann dort oben tätig, denn mein Freund ist zwar später Chemieprofessor geworden wie ich, aber er war eben nicht so versessen auf diese Art von Experimenten. Mich interessierte damals wirklich nichts anderes als die Natur und die Naturwissenschaft.
Dagegen hielt ich von der Politik fast gar nichts. Ich war der Meinung, daß man das, was die Welt im Innersten zusammenhält, am besten durch die Untersuchung der Natur entdeckt. Letzten Endes, dachte ich mir, geht alles von Atomen aus, und wenn man was über die Atome weiß und wie sie sich verhalten, dann weiß man auch alles über die Welt. All das, was Menschen sich so über sich und die Art ihres Zusammenlebens denken, das ist - fand ich damals - mehr oder weniger ungenau, unzuverlässig und phantastisch.
Es dauerte ziemlich lange, bis ich anfing, die politischen Zusammenhänge mit derselben skeptischen Sachlichkeit zu betrachten, mit der ich mich der Naturwissenschaft zugewandt hatte. Dabei spielte die Gefahr des Antisemitismus eine große Rolle. Meine Eltern hatten viele jüdische Freunde. Als Feuilleton-Redakteur lernte mein Vater natürlich die ganze Intelligenz· und Kultursphäre dieser Stadt kennen, und dadurch hatten wir viele interessante Bekannte. Da die Nazizeit ja schon ihre Schatten warf, taucht das Gespenst des Antisemitismus früh in meiner Vorstellungswelt auf. Sehr schnell, sehr früh habe ich begriffen, was für eine ekelhafte, widerliche, unmenschliche Erscheinung der Rassenhaß und die Rassenüberheblichkeit ist, überhaupt die ganze Art von biologischer Geltungssucht des Menschen. Und das war vielleicht das Wichtigste, was mir meine Eltern mitgaben: die vollständige, rücksichtslose und uneingeschränkte Verurteilung dieser entsetzlichen Erscheinung.
Als ich 1929 in München mit dem Studium der Chemie begann, war ich immer noch beinahe vollständig unpolitisch. Ich interessierte mich nur für meine Wissenschaft und war ein ziemlich ahnungsloser junger Mann von neunzehn Jahren. Allerdings hatte ich dort wieder genug Gelegenheit, den anwachsenden Antisemitismus kennenzulernen. Der von mir am meisten bewunderte Hochschullehrer war Kasimir Fajans, ein jüdischer Physikochemiker, denn längst war mein wissenschaftliches Hauptinteresse die physikalische Chemie geworden. Ich verkehrte in der Familie des Professors, denn der Sohn - Edgar Fajans - studierte mit mir im gleichen Semester Chemie. Auch andere Chemiestudenten, mit denen ich mich mehr und mehr befreundete, waren Juden. Ich hab mir die zwar nicht deswegen ausgesucht, weil sie Juden waren, aber wahrscheinlich wandte ich...
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