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«Ich weiß nicht, ob etwas dran ist, doch habe ich gehört, Sie sollten der Hauptankläger gegen Ihre eigene Politik sein, der als erster öffentlich Zustimmung zu dem Eingreifen äußert, das diese Politik verhindern sollte.
Ich denke, daß Sie so etwas um keinen Preis tun dürfen. Schon lange nämlich geht es nicht mehr nur um Ihre persönliche Ehre, Ihren Stolz und Ihre Würde. Es geht heute um viel mehr: um die Ehre und den Stolz all derer, die Ihrer Politik Vertrauen schenken und die heute - zum Schweigen gebracht - sich Ihnen als Ihrer letzten Chance zuwenden, in der Hoffnung, daß Sie - und Sie als einziger haben dazu die Möglichkeit - dem tschechoslowakischen Versuch das einzige erhalten, was offenbar noch zu erhalten ist: die Selbstachtung.»
Sehr geehrter Herr Dubcek,
ich weiß nicht, ob Sie sich an mich erinnern (wir haben nur einmal miteinander gesprochen: vor einem Jahr bei einem engeren Treffen von Politikern mit Schriftstellern); ich weiß nicht, ob Sie mich als Schriftsteller kennen, und ich weiß natürlich auch nicht, ob Sie meinen Brief so auffassen werden, wie er gedacht ist, nämlich als den aufrichtigen Ausdruck einer aufrichtigen Überzeugung. Trotz allem habe ich mich nach längerer Überlegung entschlossen, Ihnen zu schreiben, weil ich zu der Ansicht gelangt bin, daß dies in diesem Augenblick wohl die einzige Art ist, wie ich - im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten - etwas für die Sache tun kann, die ich für schicksalhaft wichtig für das Land halte, in dem ich lebe und in dessen Sprache ich schaffe. Im übrigen haben Sie den Leuten eher geglaubt als nicht geglaubt (manchmal haben Sie ihnen sogar mehr geglaubt, als angemessen war), und so habe ich wohl zumindest die Hoffnung, daß Sie meine Überlegungen nicht mit dem voreingenommenen Widerwillen betrachten werden, mit dem heute alles betrachtet wird, was nicht die offizielle politische Linie lobt.
Man muß kein allzu erfahrener politischer Beobachter sein (und ich bin es entschieden nicht), um zu begreifen, daß die Zustimmung zur sowjetischen Intervention und das vorbehaltlose Akzeptieren der sowjetischen Erläuterung der tschechoslowakischen Ereignisse des Jahres 1968 durch die höchsten Partei- und damit auch Staatsorgane die Frage einiger Wochen, wenn nicht Tage ist, und daß die gegenwärtige offizielle Propaganda nichts anderes ist als die ideologische Vorbereitung dieses Schrittes, der definitiv die tschechoslowakische Politik nach dem August in eine politische, ideologische und moralische Kapitulation verwandeln soll. Und je geringer die Hoffnung ist, daß es dem Druck der Volksschichten, der Intelligenz oder bestimmter Kräfte in der politischen Führung doch noch gelingt, diesen beschämenden Schritt abzuwenden, desto mehr fällt der Blick aller Tschechen und Slowaken (und mit ihnen zusammen auch der der Weltöffentlichkeit) auf Sie und einige Ihrer Freunde in der gespannten Erwartung, wie Sie sich - vor die Notwendigkeit gestellt, zu der ganzen Sache einen Standpunkt einzunehmen - verhalten werden.
Ihre Situation ist wahrscheinlich sehr schwierig - und vom menschlichen Standpunkt aus ist es wohl nicht gerecht, daß eine so ernste Entscheidung auf die Schultern eines einzigen Mannes gelegt wird -, und doch ist es unendlich wichtig, daß gerade Sie sich gerade jetzt so verhalten, wie immer noch die Mehrheit von uns hofft, daß Sie es tun werden. Vielleicht klingt das übertrieben, doch von welcher Seite auch immer ich es betrachte, mit wem auch immer ich darüber spreche, immer wieder muß ich mir klarmachen, daß in gewisser Hinsicht jetzt die Hoffnung auf eine sinnvolle Zukunft für uns alle gerade von Ihrer Haltung abhängt. Das Bewußtsein dieser Bedeutung ist auch der unmittelbare Beweggrund für diesen meinen Brief, mit dem ich mit aller Dringlichkeit, deren ich fähig bin, an Sie appellieren will, nicht die letzte Hoffnung zu enttäuschen, die die Menschen heute haben und die sich gerade in Ihnen konzentriert. Ich maße mir hierbei nicht das Recht an, Sie zu belehren, noch habe ich die Absicht, mich zum «Gewissen der Nation» aufzuspielen - meine Absicht ist nichts anderes, als in die Überlegungen, die Sie wahrscheinlich in dieser Zeit beschäftigen, etwas andere Ansichten und Argumente hineinzutragen als jene, von denen Sie in Ihrer unmittelbaren Umgebung überschwemmt werden, und Ihre inneren Gewißheiten zu stärken, die wohl heute den stärksten äußeren Angriffen und inneren Zweifeln ausgesetzt sind. Mein Appell ist also nicht ein Ausdruck des Mißtrauens, sondern im Gegenteil des Vertrauens: ohne das Vertrauen in Ihre Urteilsfähigkeit und Ehrenhaftigkeit hätte ich mich nie zu einem solchen Brief entschlossen.
Für unsere beiden Völker sind Sie das Symbol aller Hoffnungen auf ein besseres, würdigeres und freieres Leben, mit denen die erste Hälfte des Jahres 1968 verbunden war; für die Weltöffentlichkeit sind Sie das Symbol des tschechoslowakischen Versuchs eines «Sozialismus mit menschlichem Antlitz». Die Menschen sehen in Ihnen den ehrenhaften, aufrichtigen und mutigen Menschen; Sie sind für sie ein für die gerechte Sache entbrannter Politiker; sie haben Ihren aufrichtigen Blick und das menschliche Lächeln gern; sie glauben, daß Sie des Verrats nicht fähig sind. Das wissen selbstverständlich auch diejenigen gut, die heute unter dem Schutz der sowjetischen Kanonen in unserem Land die alten Ordnungen erneuern und allmählich alles liquidieren, was der tschechoslowakische Frühling 1968 gebracht hat. Deshalb ist es heute wahrscheinlich eines ihrer Hauptziele, nicht nur Sie dazu zu zwingen, sich ihrer Ideologie unterzuordnen, sondern auch zu erreichen, daß gerade Sie es sind, der das entscheidende Wort zugunsten ihrer Politik sagt. Ich weiß nicht, ob etwas dran ist, doch habe ich sogar gehört, Sie sollten der Hauptankläger gegen Ihre eigene Politik sein, der als erster öffentlich Zustimmung zu dem Eingreifen äußert, das diese Politik verhindern sollte.
Ich denke, daß Sie so etwas um keinen Preis tun dürfen. Schon lange nämlich geht es nicht mehr nur um Ihre persönliche Ehre, Ihren Stolz und Ihre Würde. Es geht heute um viel mehr: um die Ehre und den Stolz all derer, die Ihrer Politik Vertrauen schenkten und die heute - zum Schweigen gebracht - sich Ihnen als ihrer letzten Chance zuwenden, in der Hoffnung, daß Sie - und Sie als einziger haben dazu die Möglichkeit - dem tschechoslowakischen Versuch das einzige erhalten, was offenbar noch zu erhalten ist: die Selbstachtung.
Die Gründe, die Ihre Widersacher dazu führen, sich um Ihre Stimme zu bemühen, sind durchsichtig: die eigene unsaubere Arbeit wollen sie hinter Ihrem sauberen Namen verbergen, und etwas, was nur von Unfähigkeit und Ohnmacht herkommt, wollen sie durch Ihre Vermittlung den Schein einer Art verborgenen politischen Voraussicht geben; zugleich jedoch - und gerade dadurch - wollen sie Sie öffentlich diskreditieren, erniedrigen und um das bringen, was sie an Ihnen am meisten stört und wodurch Sie sich von ihnen am meisten unterscheiden: nämlich um das Vertrauen der Menschen. Ihrem Sehnen, Sie auf die Knie zu zwingen, kann es nicht genügen, daß Sie die Macht verloren haben; es verlangt nach mehr: Sie sollen das Gesicht verlieren - erst so kann es wirklich befriedigt werden. Alle diese Anstrengungen sind freilich mit etwas noch Schlimmerem verbunden: mit dem gänzlich kaltblütigen Bemühen, den Menschen die letzte Hoffnung zu nehmen und in ihnen tiefe Depression, Gleichgültigkeit und Skepsis hervorzurufen - also genau das, was Ihre Nachfolger zur ungestörten Machtausübung benötigen. Die Ziele sind klar: sich an Ihnen für all das zu rächen, wodurch Sie über sie hinausragen; Sie aus dem Denken der Menschen zu tilgen; durch Sie das Volk zu manipulieren. (Und auf diese Weise natürlich - unter anderem - allmählich auch die Bedingungen zu Ihrer endgültigen und durch nichts mehr gestörten Verurteilung vorzubereiten.)
Die Argumentation Ihrer Widersacher kann ich mir lebhaft vorstellen: vor allem mißbrauchen sie wohl Ihren kommunistischen Glauben - sie betonen das Interesse der Partei, der Bewegung, das Interesse des Sozialismus; sie appellieren an Ihre Parteidisziplin; und das, was sie von Ihnen fordern, fordern sie als Dienst an der Sache, die Ihnen die teuerste ist und der Sie Ihr Leben geweiht haben (wie auffällig erinnert das an die Art und Weise, in der in den Jahren der Prozesse von disziplinierten Kommunisten im Namen der Partei selbstbeschuldigende Aussagen erpreßt wurden, die zur Verwirrung der Öffentlichkeit und zur leichteren Verurteilung bestimmt waren!). Zugleich bemühen sich Ihre Widersacher sicherlich auch, Ihre verantwortungsbewußte Beziehung zu den Interessen unserer Völker auszunutzen: sie betonen, falls Sie nicht das tun, was Sie tun sollen, werden Sie eine neue Krise hervorrufen; Sie machen die Konsolidierung der Verhältnisse unmöglich; Sie bringen das Land erneut ins Chaos, wenn nicht gar an den Rand eines Bürgerkriegs; Sie rufen eine neue Intervention hervor, Massendeportationen und eine eventuelle Anbindung an die UdSSR; Sie spielen Hasard mit der Existenz und dem Leben von Millionen von Menschen, die auf Ihre Geste nicht neugierig sind und in Ruhe arbeiten wollen. Sie werden sich wohl nicht einmal schämen, den Anspruch auf Ihre Unterstützung darauf zu stützen, daß sie auch Sie unterstützt hätten (es war eine sehr schöne Unterstützung, die unter dem Mantel der äußeren Zustimmung lange vor der Intervention eine Bauern- und Arbeiterregierung und ein Revolutionstribunal gegen Sie organisiert hat!).
Wie schwer auch...
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