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Gerade einmal dreißig Mark hatte der junge Philosophiestudent und Literat René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke in der Tasche, als er am 17. März 1897 um 21 Uhr in München den Nachtzug Richtung Italien bestieg. Die Fahrt stand unter einem besonderen Motto: Aussöhnung mit seiner Mutter. Sophia (Phia) RilkeRilke, Sophia (Phia) war nach der Trennung von ihrem EhemannRilke, Josef 1891 allein nach Wien gezogen und hatte sich kaum um ihren Sohn gekümmert, der in Internaten und bei Verwandten des Vaters in PragPrag aufwuchs. Schließlich brach der Kontakt für mehrere Jahre vollständig ab. Über die Gründe kann man nur spekulieren, aber seit Ende 1896 kam es zu einer Wiederannäherung, und jetzt also diese Reise im Frühling. In den Süden sollte es gehen, in ein milderes Klima, denn wie so oft kränkelte die Mutter, litt an Magenschmerzen oder Migräne, Depressionen oder Erkältungen.
In RoveretoRovereto stieg Rilke am nächsten Morgen in einen Lokalzug um, der über mehrere Stationen bis zum GardaseeGardasee fuhr. Erst wenige Jahre zuvor war diese Bahnlinie für die steigende Touristenzahl aus den Großstädten eröffnet worden. Eine kurze, aber schwierige Strecke von rund vierundzwanzig Kilometern. Um von Norden an den Gardasee zu gelangen, muss ein Felsengebirge überwunden werden. Mit der kleinen Schmalspurbahn dauerte es neunzig Minuten - kaum mehr als heute auf der fast immer überlasteten Autostraße, die seit vielen Jahren den Schienenverkehr ersetzt.
Für die Kurgäste wurde 1891 die Lokalbahn Mori-Arco-Riva eröffnet
Hat man erst einmal den 287 Meter hohen Pass San GiovanniArcoPass San Giovanni erreicht, bietet sich eine wundervolle Aussicht auf eine Landschaft mit Zypressen und Olivenhainen, die Luft wird milder und das Licht strahlt wärmer. Die Bergwelt der Alpen mit ihren schneebedeckten Gipfeln tritt zurück und bildet nun eine beeindruckende Kulisse. In der Sonne glitzern die Wasser des Gardasees verheißungsvoll in der Ferne. Schon VergilVergil rühmte den »Benacus«, wie der See bei den Römern hieß, in der Divina Commedia schilderte DanteDante seine landschaftlichen Schönheiten mit beredten Worten. Viele durchreisende Künstler des Nordens verspürten hier das erste Mal die Faszination des Südens.
GoetheGoethe, Johann Wolfgang hatte 1786 auf seinem Weg nach Rom extra einen Umweg eingeschlagen und wurde belohnt. Hochbeglückt konnte er auf dem Pass ein »köstliches Schauspiel [den] Gardasee« genießen. Danach fuhr er mit der Postkutsche weiter zum kleinen Hafen TorboleTorbole. Bereits in Rovereto hatte der Dichter mit Freude bemerkt, dass die italienische Sprache das Deutsche ablöste. Doch fühlte er sich erst in dem Dorf am See »wirklich in einem neuen Land, in einer ganz fremden Umgebung« mit einer anderen Lebensart: »Die Menschen leben ein nachlässiges Schlaraffenleben.«
Wo der Süden beginnt: Blick auf den Gardasee
Vielleicht kein Zufall, dass der aufstrebende Autor Rilke seiner Mutter bei der Planung ihres Aufenthalts »eines der kleinen Künstlernester am Ufer des Gardasees« vorgeschlagen hatte - »Z.??B. Tórbolé, das herrliche!«. Rilke kämpfte sehr darum, von der Mutter anerkannt zu werden, und dabei spielte seine Berufung als Literat eine große Rolle. Er prahlte nicht nur mit »glänzender Ablegung der Matura«, sondern präsentierte sich als Schriftsteller, der erste Erfolge feiern konnte. Das habe ihn reifen lassen: »Ich bin in der Zeit meines Fernseins um zwei Körperjahre, geistig wohl um 10 ältergeworden.«
Doch Rilke kam nicht bis zum Gardasee. Die Mutter, die seine Reise und seinen Aufenthalt bezahlte, hatte sich anders entschieden und das damals österreichische ArcoArco gewählt, das mehrere Kilometer nördlich vom See im Tal des Flüsschens Sarca liegt. Auch das ist ein schöner Ort. Das mittelalterliche Dorf klebt an einem pittoresken Felsen, der an einer Seite steil abfällt. Von oben grüßen die Reste einer imposanten Burg inmitten hoher Zypressen. Rundherum breiten sich jahrhundertealte Olivenhaine aus. Unten verleihen üppige Magnolien, Lorbeerbäume und hohe Palmen einem später entstandenen Quartier südliches Flair.
Atmosphärisch lagen damals allerdings Welten zwischen Arco und dem »Schlaraffenleben« am Gardasee. Denn Arco war der vornehmste Ferienort der österreichischen Monarchie. Statt Laisser-faire und entspannter Lebensart galt das Hofzeremoniell der Habsburger. Der ultrakonservative Erzherzog Albert von ÖsterreichAlbert von Österreich, Erzherzog, höchster Militär und »graue Eminenz« am Hofe von Kaiser Franz JosephFranz Joseph, Kaiser, hatte das Städtchen als Urlaubsdomizil entdeckt. Mit seinem milden Klima bot es ideale Bedingungen für ein ungewöhnliches Hobby seiner Exzellenz: das Sammeln exotischer Pflanzen. Aus allen Erdteilen ließ er Sträucher, Blumen und Bäume herbeischaffen, mit denen er nicht nur den Garten seiner palastähnlichen Ferienvilla schmückte, sondern auch öffentliche Grünflächen und Alleen anlegen ließ. Viele der Pflanzen wie zum Beispiel die Magnolien, die den besonderen Charme Arcos ausmachen, wurden erst im 19. Jahrhundert importiert.
Innerhalb weniger Jahre folgten Hofbeamte, Aristokraten und Unternehmer dem Beispiel des Erzherzogs und bauten herrschaftliche Ferienhäuser, natürlich ebenfalls mit prächtigen Gärten. So entstand in der Ebene ein vom alten Ortskern völlig unabhängiges Viertel mit großstädtischen Villen und Hotels, breiten palmenbestandenen Straßen und Parks mit üppiger südländischer Vegetation. Ökonomisch wie kulturell war die »Kurstadt« eine Art deutsch-österreichischer Ferienkolonie, in der Einheimische nur als Wirtinnen, Hoteliers und Kaffeehausbesitzer vorkamen. Im späten Winter begann die Kursaison. Dann wurde der kleine Ort an der Peripherie des Reiches mondäner Treffpunkt für die Upperclass der K.-u.-k.-Monarchie, für Höflinge, schneidige Militärs und vor allem Angehörige des hohen Adels.
Genau das machte den Ort so attraktiv für Rilkes Mutter, die zeitlebens große gesellschaftliche Ambitionen hatte. Daran war ihre Ehe gescheitert. Statt als Offizier geadelt zu werden, musste ihr Gatte Josef den Militärdienst verlassen und hatte eine Laufbahn als Eisenbahninspektor eingeschlagen. Dem Leben als Beamtengattin zog die ehrgeizige Frau aus einer reichen Prager Unternehmerfamilie das Alleinsein vor. Viele Monate im Jahr war sie auf Reisen, meist ohne Begleitung, was ungewöhnlich für eine Frau ihrer Zeit war. Gebildet und literarisch interessiert, dabei erzkatholisch und konservativ, muss sie eine imposante Erscheinung gewesen sein. Seit ihr erstes Kind, eine kleine Tochter, kurz nach der Geburt gestorben war, trug sie nur schwarze Kleider von ausgewählter Eleganz, mit denen sie einer verwitweten Erzherzogin ähnelte. Und stets war sie auf Kontakt zur guten Gesellschaft bedacht, je adliger, desto besser.
Rilkes Mutter Sophie (Phia) Rilke
Insgesamt viermal wird Rilke seine Mutter in der Zeit von 1897 bis 1901 in Arco besuchen, meist zehn bis vierzehn Tage im März, und dabei verschiedene Unterkünfte bewohnen, die heute nicht mehr existieren: die Villa MantovaniArcoVilla Mantovani, die mondäne Villa FloridaArcoVilla Florida, die schon früh über elektrisches Licht verfügte, und die Villa BrianzaArcoVilla Brianza. Bei der zweiten Reise wird er sich die Vormittagsstunden zum Arbeiten ausbedingen; einmal plante er sogar, sich in Torbole einzumieten. Dazu kam es aber nicht. Die Aufenthalte in Arco blieben von der Mutter geprägt, ihren Vorlieben, ihren Wünschen, denen sich der Sohn anpasste. Die Tage verliefen ähnlich: Mittagessen im Hotel KaiserkroneArcoHotel Kaiserkrone oder im Hotel StrasserArcoHotel Strasser, wo die Mutter eine Art Stammtisch mit alten und neuen...
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