Kapitel 1
LuxFrágil, Lissabon, Portugal
Der Schein, die Arroganz, das Drama - ich habe das alles so satt.
Der Mann in der Sitznische gegenüber bestellt eine weitere überteuerte Flasche Champagner und legt seine Arme um zwei freizügig gekleidete Frauen. Arroganz. Das Schluchzen der Blondine neben mir am Bartresen wird lauter. Ich kann es sogar über die elektronische Musik hinweghören, die durch den angesagten Club LuxFrágil dröhnt. Drama. Sie wird von einer Freundin getröstet, die giftige Blicke zu dem Mann hinüberwirft. Schein.
Abneigung drückt mir in die Eingeweide wie zu enge Jeans, und ich wende mich ab, um an meinem Cocktail zu nippen. Dabei steche ich mir mit dem Strohhalm fast das rechte Auge aus. Immerhin hätte ich dann einen Grund zu gehen.
»Die neue Gucci-Kollektion ist der absolute Wahnsinn!« Mein Gesprächspartner, sein Name ist Ed, streckt mir unter dem Bartresen seinen Fuß entgegen. Ein prolliger Schuh kommt zum Vorschein, auf dem ein grün-roter Streifen und das goldene Markenemblem prangen. »Oder etwa nicht?«
Zur Antwort lächele ich nur schief. Es könnte mir nichts gleichgültiger sein, als ob der blonde Angeber No-Name-Schuhe oder die einer Luxusmarke trägt.
»Alessandro Michele ist ein alter Freund von mir. Vielleicht nehme ich dich zur Mailänder Fashion Week mal mit auf seine Show.« Er zwinkert mir zu. Fehlt nur noch, dass er sich wie ein Gorilla auf die Brust trommelt.
»Nicht nötig, danke.«
Ich greife nach dem Trinkhalm und leere meinen Cocktail mit einem großen Schluck. Als nur noch die Eiswürfel am Boden des Glases klirren, schnappe ich mir meine Handtasche. Es ist höchste Zeit, diese dämliche Party endlich zu verlassen. Meine Aufgabe ist erledigt. Genau so, wie Papá verlangt hat.
Ich hüpfe vom Barhocker und kehre Ed ohne ein weiteres Wort den Rücken zu.
»Warte! Wo willst du hin?« Eds Stimme kommt kaum gegen den wummernden Bass an, sodass ich mit ruhigem Gewissen so tun kann, als hätte ich ihn nicht gehört. In der nächsten Sekunde bin ich zwischen den Partygästen verschwunden.
Ich dränge mich durch die Menge der Tanzenden und benutze rücksichtslos meine Ellbogen, um zum Ausgang des Clubs zu gelangen. Nur noch wenige Meter trennen mich von der marmornen Treppe, die hinauf in die Eingangshalle und an die frische Luft führt. Die Bässe werden schwächer, je näher ich meiner Freiheit komme. Ich habe es fast geschafft. Fast.
Auf einmal höre ich jemanden hinter mir meinen Namen rufen. Obwohl ich es besser wissen sollte, bleibe ich stehen und drehe mich um. Ich bin viel zu höflich, um ohne eine Erklärung davonzulaufen.
»Du gehst schon?«
Ed kratzt sich im Nacken, und kurz habe ich Mitleid mit ihm. Sicher hat er sich mehr von unserem Gespräch erhofft, mich vielleicht sogar schon auf seinem Hotelzimmer gesehen. Aber dann erinnere ich mich wieder daran, wie er die letzte halbe Stunde von seinen Connections und seinem Geld geprahlt hat. Jetzt habe ich Mitleid mit mir.
»Danke für den Drink, Ed, aber aus uns wird nichts.«
Möglichst würdevoll drehe ich mich um - und pralle mit jemandem zusammen.
Ich hebe den Kopf, und plötzlich dreht sich die Welt ein kleines bisschen langsamer. Meine Knie werden weich, weil ich in die grünsten Augen blicke, die ich jemals gesehen habe.
Ach du Scheiße . Ist das der Cocktail, oder ist der Kerl wirklich so verdammt heiß? Ich blinzele. Dass ich so schnell wie möglich hier wegwollte, rückt völlig in den Hintergrund. Ich kann mich schlichtweg nicht von dem Mann losreißen. Nicht von dem leichten Bartschatten auf seinen Wangen oder den Grübchen, die sich beim Lächeln in seine Mundwinkel graben. Würde mein Herz nicht schon so schnell rasen, würde es spätestens durch die Grübchen beschleunigt.
»Entschuldigung«, murmele ich peinlich berührt auf Englisch, da der Großteil der Gäste im Club Touristen sind.
Das Gesicht meines Gegenübers strahlt, als wäre er nicht soeben von einer schwitzenden, gehetzten Frau umgerannt worden. Er winkt ab und sagt mit amerikanischem Akzent: »Schon gut, das passiert jedem mal. Aber du willst mich doch sicher was fragen, oder?«
Seine Stimme ist kräftig und tief. Sie dringt mir durch Mark und Bein und wirft den irrsingen Wunsch hervor, nie wieder eine andere als seine hören zu wollen. Oh Gott. Das muss definitiv der Cocktail sein.
Erst einen Moment später erfasst mein Gehirn seine Worte, und ich hebe irritiert eine Braue. »Was meinst du?«
»Bekomme ich ein Autogramm?«, antwortet er.
Mein Herz setzt einen Schlag aus, nur um anschließend umso heftiger weiterzupochen.
Nein. Ich weiche vor ihm zurück. Angst ergreift mich und lässt meine Hände zittern.
Die schönen schilfgrünen Augen des jungen Mannes weiten sich, und er macht Anstalten, den Abstand, den ich zwischen uns gebracht habe, zu verringern.
Ich reiße einen Arm hoch. »Bleib bloß weg von mir.«
Meine Gedanken überschlagen sich. Panisch blicke ich mich um. Sind irgendwo Journalisten? Doch bis auf uns ist der schmale Gang leer. Offenbar hat Ed das Interesse an mir verloren und ist zur Party zurückgekehrt.
»Nein, nein, schon gut«, beteuert der Mann.
»Nichts ist gut. Ich sagte, bleib weg!«
»Du nimmst mich auf den Arm, oder?« Seine hohe Stirn kräuselt sich, und ich kämpfe mit dem irrsinnigen Verlangen, sie glatt streichen zu wollen.
Doch obwohl mich alles zu dem Fremden hinzieht, ist meine Angst stärker. »Nein. Ich meine es ernst, komm bloß keinen Schritt näher.«
»Sonst was?« Seine Lippen verziehen sich zu einem breiten Grinsen, und ich erkenne, dass er versucht, witzig zu sein.
Ich schlucke das trockene Gefühl in meinem Hals hinunter. »Sonst schreie ich.« Etwas Besseres fällt mir auf die Schnelle nicht ein.
Er durchschaut meine leere Drohung sofort. »Nur zu, schrei ruhig. Die Musik ist da drinnen so laut, dass dich ohnehin keiner hört.«
Ein Lächeln zupft an meinen Mundwinkeln. Ich muss den Verstand verloren haben, dass ich Gefallen an diesem Geplänkel finde. »Du bist ein kranker Psycho.«
Die Beleidigung prallt vollkommen an ihm ab. »Dir ist schon klar, dass es nicht besonders hilfreich ist, so gemein zu mir zu sein?«
»Ich sehe keinen Grund, warum ich freundlich zu dir sein sollte.«
»Für das Autogramm?«
Ich stöhne. »Jetzt fängst du schon wieder damit an.«
»Ich habe sogar meinen besten Stift dabei.«
Arroganter Mistkerl.
Er klimpert mit den Wimpern.
Hm, vielleicht doch charmant?
»Vergiss das Autogramm«, sage ich.
Er runzelt die Stirn. »Na gut, dann eben kein Autogramm . Wie wäre es mit einem Foto?«
Offenbar hat mein Herz jetzt auch noch den Verstand verloren, denn es hüpft in meiner Brust, ohne sich um meine Angst zu scheren.
»Was verstehst du nicht an einem Nein?«
»Was willst du dann noch von mir?«
Ja, was eigentlich?
Ich starre ihn an, bis das Grün seiner Augen mir wie Feuer in der Seele brennt. Meine Gedanken rasen. Ich sollte zurück ins Hotel gehen, trotzdem bewegen sich meine Füße keinen Schritt von der Stelle, als hätte der Fremde mir unsichtbare Fesseln angelegt. Und er macht ebenfalls keinerlei Anstalten, auf die Party zurückzukehren. So stehen wir einander gegenüber, vollkommen regungslos, während nur der Bass die Stille zwischen uns durchdringt.
Ich komme mir vor wie in einer schlechten Liebeskomödie und reiße mich von seinem Anblick los. »Ich gehe jetzt.«
»Auf Wiedersehen, Fremde.«
Ich schnaube. »Oh, ich hoffe nicht.«
Seine Augen weiten sich, was mir eine seltsame Genugtuung verschafft. Schwungvoll drehe ich mich herum, um einen filmreifen Abgang hinzulegen.
»Hey!«, ruft der Kerl mir nach. »Verrätst du mir deinen Namen?«
Fassungslos halte ich inne. Verarscht er mich? Erst fragt er nach einem Autogramm, und nun gibt er vor, meinen Namen nicht zu kennen?
Ich wirbele herum. Auf meinen hohen Absätzen gar nicht mal so leicht, sodass ich kurz das Gleichgewicht verliere. »Was soll das? Ist das irgendein Trick?«
»Ein Trick?« Er greift in die Tasche seiner Lederjacke und zieht einen Stift hervor. Nach einigem Wühlen folgt ein zerknittertes Kärtchen. »Ich habe keine Ahnung, was du meinst, aber ein Trick ist das nicht. Hier .«
Mit den Lippen zieht er die Kappe vom Stift und kritzelt ein paar Zahlen auf das Kärtchen. Dann streckt er es mir entgegen. Warum ich es annehme, kann ich mir nicht erklären. Weil ich durcheinander bin? Oder zu höflich, um abzulehnen? Ohne einen Blick auf die Visitenkarte zu werfen, lass ich sie in meine Umhängetasche und dort blind in mein Portemonnaie gleiten. Ich nehme mir vor, sie gleich bei meiner Ankunft im Hotel wegzuwerfen.
»Ich würde mich freuen, wenn du anrufst.«
Ich schüttele den Kopf, auf einmal...