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Eine seichte Brise zieht über die Dünen, als Pedro die Stellung mit dem schweren MG einnimmt. Auf ein Frühstück sollte er verzichten. Jacques, einer seiner Kameraden, hat ihm gesagt, dass er nur kotzen würde, wenn es richtig losgeht.
Pedro hat Stellung an einer erhöhten Position bezogen. Wenn einer herausrennt, soll er draufhalten, damit die anderen sehen, welche Folgen die Flucht hat. Er überblickt die Hütten, die man an zwei Händen abzählen kann. Sie sehen aus wie halbierte Eierschalen aus Lehm, in die man mit der Hand behelfsmäßige Fenster geformt hat. Zwischen den Hütten befindet sich ein Brunnen. Dahinter ist nichts. Nur Wüste.
Pedro ist mit seiner Einheit in der Dunkelheit abgesprungen. Im Flugzeug konnte er die Morgensonne erkennen, die langsam Licht auf die Anhöhe warf. Unter anderen Umständen ein romantischer Anblick, doch Pedro kriecht nun ein Gefühl den Bauch hoch, das er sich zuvor nicht hatte vorstellen können.
Seine Einheit umfasst etwas über zwanzig Mann. Die Hälfte davon sind Deutsche. Aus der Wehrmacht oder Waffen-SS. Einige davon kommen direkt aus Indochina. Pedro ist der jüngste und unerfahrenste der Männer. Deshalb hat ihn ein Deutscher unter die Fittiche genommen, ihn instruiert, was zu tun ist, wenn einer der bougnoules Schwierigkeiten macht. Er hat gefragt, was dieses Wort bedeutet. Der Deutsche hat entgegnet, dass er schon wissen werde, was es heißt, wenn er einen zu Gesicht bekomme.
Pedro liegt keine zwei Minuten in der Mulde am Rand der leichten Anhöhe, als das Konzert beginnt. Jeweils zwei Männer tänzeln im Schatten zu den Hütten. Einer wirft eine Handgranate in den Brunnen. Der Explosion folgen markdurchdringende Schreie aus der Tiefe. Ein Moment der Stille. Die wenigen Männer, die sich in den Hütten befinden, werden vor den Brunnen getrieben, die anderen Soldaten nehmen sich der Frauen und Kindern an, die in den Häusern verblieben sind.
Die Männer, die vor dem Brunnen stehen, sind nackt und versuchen, sich den Schritt zu verdecken, wovon sie die Soldaten immer wieder abhalten. Jeder, der die Hände senkt, bekommt einen Schlag mit dem Gewehrkolben in die Magengrube. Pedro hört das Weinen der Frauen und Kinder bis zur Anhöhe. Er versucht, dem Treiben keine Aufmerksamkeit zu schenken, und fixiert die Gegend dahinter. Falls sich einer aus dem Staub macht, ist er gefragt. Er legt das Gesicht auf den Kolben des schweren Maschinengewehrs und kneift das Auge zusammen.
Er schwenkt den Lauf hin und her, der erste Kopf rollt Richtung Brunnen. Er ist sehr klein und kaum behaart. Einem der Männer kommen die Tränen, er fällt schreiend auf die Knie und hält den Kopf in den Armen, als ob er ihn nie wieder loslassen würde. Er ignoriert die Schläge, die ihn am Rücken treffen, bis er bewusstlos zusammensinkt.
Ein Soldat führt das Kommando des Sergeanten aus und erlöst ihn von seinem Leid mit einem Schuss in den Hinterkopf. Pedro kämpft mit der Fassung und der hochkommenden Galle.
Er denkt an Jacques’ Rat und ist dankbar, dass er nichts im Magen hat. Nachdem er sich erleichtert hat, nimmt er das Dorf wieder ins Visier. Es sieht aus wie auf einem Schlachtfeld. Abgetrennte Gliedmaßen, Köpfe von Frauen und Kindern, begleitet von den Schreien des Gefangenenchors. Der Sergeant wandert vor der Linie der Algerier entlang. Die Arme hält er hinter dem Rücken verschränkt. Er bleibt stehen, stellt einem der Männer eine Frage und schießt ihm in dem Kopf, wenn die Antwort zu seinem Missfallen ausfällt. Das Ganze macht er, bis nur mehr zwei übrig sind. Er gibt den beiden ein Zeichen, dass sie laufen sollen. Pedro erfüllt seine Aufgabe. Er lädt durch und schießt sie mit einer gezielten Salve nieder.
Stille kehrt ein. Er sieht nur die Zeichen des Sergeanten, der sichtlich nicht mit Pedros Ausführung einverstanden ist. Er nimmt das schwere Maschinengewehr, Typ AA-52, das die Soldaten liebevoll cinquante-deux nennen, schultert es und geht die Anhöhe hinab. Bis er die Worte verstehen kann, die ihm der Sergeant zu sagen hat.
»Nur wenn sie flüchten, verdammt. Man muss welche übrig lassen, sonst lernen sie nie dazu.«
Das Brummen des Matford-Lkw, der über den Wüstenboden holpert, brennt sich in Pedros Gehirn. Er sieht zu Jacques hinüber, der ihm ein Lächeln schenkt und dann weiter auf die Ladefläche starrt. Ihm fällt Jacques’ Blässe auf. Er ist still geworden. Pedro reißt ein paar Witze über die getöteten Algerier, beobachtet Jacques’ knabenhafte Erscheinung aus dem Augenwinkel, die sich am Gewehr festhält und komplett in Gedanken versunken scheint.
Es dauert keine halbe Stunde, bis das Holpern des Matford aufhört. Pedro springt ab, versorgt das cinquante-deux und geht etwas essen.
Eine herbe Note hat sich unter das Couscous gemischt. Es ist nicht das erste Essen, das der Koch verdorben hat. Fleisch ist eine Rarität und wenn, dann eher von mäßiger Qualität. Dazu kommt die Hitze, die Pedro zu schaffen macht. Er fragt sich, warum sein Vater noch immer begeistert vom Indochinakrieg spricht. Den einzigen Unterschied sieht er in der Art der Hitze, mit der die Soldaten zu kämpfen haben. Er weiß nicht, ob die Trockenheit zu bevorzugen wäre.
Er würgt ein paar Bissen hinunter und verlässt das Zelt, als ihn Jacques anspricht. Er hat Schwierigkeiten, Pedro in die Augen zu sehen, als er mit zittriger Stimme beginnt:
»Ich muss mit dir reden.«
Pedro zieht die Mundwinkel nach oben. Er legt Jacques die Hand auf die Schulter und geht ein paar Schritte weg vom Zelt.
»Du wirst doch nicht etwa weich?«, flüstert Pedro in sein Ohr.
Pedro hält Jacques’ Genick in der Ellenbeuge. Er erhöht den Druck und hält ihm das Ohr vors Gesicht, um die Antwort abzuwarten.
Jacques’ Stimme ist gedämpft. »Ich frage mich nur, was das alles für einen Sinn hat.«
»Hat man dir das im Rekrutierungsbüro nicht gesagt?«
»Das meine ich nicht.«
Pedro sieht ihn fragend an.
»Sind wir wirklich hierhergekommen, um uns an Bauern, Frauen und Kindern zu vergehen?«
Pedro stellt sich ihm gegenüber und legt die Hände auf Jacques’ Schultern. Er setzt ein Grinsen auf. »Du hast Mitleid. Das brauchst du nicht. Jeder dieser Turbanschädel bekommt das, was er verdient.«
Jacques sieht ihn ungläubig an. Die Schultern hängen kraftlos herab.
»Was haben die Wehrlosen damit zu tun?«
Pedro sieht ihm in die Augen. Das Grinsen ist verschwunden. Die Falten unter der Nase und der Mund formen ein Dreieck, von dessen Bedrohlichkeit allein die Pupillen ablenken, die aus den Schlitzen stechen.
»Alles. Und nichts. Es kommt nur darauf an, auf welcher Seite man steht.«
Jacques hat diesen Blick aufgesetzt: Die Augen aufgerissen, darüber hat sich eine glasige Schicht gelegt. Pedro nimmt ihn in den Arm und streichelt ihm über den Kopf.
»Das wird schon, Kamerad. Das wird schon.« Er zieht die Augenbrauen immer mehr zusammen und überlegt, ihm einfach das Genick zu brechen.
Es ist nicht nur der Vollmond, der Pedro nicht zur Ruhe kommen lässt. Die Sache mit Jacques geht ihm an die Nieren. Gewissensbisse und Mitleid bringen niemandem etwas. Er hat sich von der Furcht und Unterwürfigkeit gelöst, die ihm im Leben ständig abverlangt wurden. Er wird nicht als Verlierer nach Hause zurückkehren. Sie werden nicht scheitern, da ist er sich gewiss. Nicht in Algerien. Pedro zieht seine Runde im Camp, geht zur Umzäunung und sieht in die Nacht. Nichts ist zu hören außer dem Wind, der über die Ebene zieht. Nirgends auf der Welt ist es so dunkel wie in der Wüste. Jedes Ziel liegt hinter endlosen Haufen Sand und Steinen. Pedro erkennt die Absicht dahinter. Wo keine Berge sind, gibt es auch keinen Hinterhalt der FLN-Widerständler. Trotzdem werden die Wachen in der Dunkelheit verstärkt. Das ist die Zeit der Unabhängigkeit. Tagsüber wüten die Franzosen, in der Nacht die FLN. Jeder, den sie tagsüber liquidieren, hat keine Möglichkeit mehr, einen von ihnen zu töten. Pedro ist zufrieden mit dem heutigen Ergebnis. Dennoch ist ihm keine Minute Schlaf vergönnt. Er schließt die Augen, Yves trifft am Zaun ein. Er hat jemanden mitgebracht, den Pedro nicht kennt und auf dessen Bekanntschaft er auch keinen Wert legt. Wichtiger ist die gemeinsame Sache. Je oberflächlicher die Beziehung, desto besser. Früher oder später kann jeder Kamerad von den Turbanen getötet werden. Sie sprechen sich ab, es folgt ein bestätigendes Nicken. Sie stehlen sich im Mondlicht um das Zelt, der Hüne ohne Namen steht Schmiere, Pedro und Yves schleichen hinein. Sie kontrollieren jedes Feldbett. Pedro nimmt die linke, Yves die rechte Seite. Yves bleibt stehen. Er gibt ein Schnalzen mit der Zunge von sich, um Pedro zu signalisieren, dass er zu ihm kommen und in Stellung gehen soll. Pedro sieht Yves in die Augen und nickt. Er steht vor Jacques. In der rechten Hand hält er ein Handtuch mit einem Stück Seife darin. Yves spannt die Arme an und zieht Jacques, der vor Schreck fast aus dem Feldbett fällt, einen Sack über den Kopf. Er will schreien, doch Yves’ Griff wird nur fester. Pedro holt aus. Einmal, zweimal. Er will einen möglichst kraftvollen Schwung erzeugen. Das Handtuch fährt auf Jacques nieder, der nur ein Wimmern von sich gibt. Wieder und wieder schwingt Pedro das Handtuch. In die Rippen, in den Bauch, auf die Beine. Bis er das Gefühl hat, dass es keine Stelle mehr unter der Uniform gibt, an der kein blauer Fleck entstehen wird. Während der Prozedur droht Jacques mehrmals die Luft auszugehen, aber genau das ist die Aufgabe von Yves. Immer wieder lockert er den...
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