Schweitzer Fachinformationen
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Der Abend trägt den Wind herein. Er reist mit dem Fluss, verstärkt sich, nimmt den Schweiß des Südens mit in die Stadt. Er vermischt sich mit dem der Reichen, um sich dann mit dem der Migranten zu verbinden. Früher war kein Tropfen südländischer Ausdünstung dabei. Das war vor Felix' Zeit. Er kennt es nicht anders, ist damit aufgewachsen und hat sich nie daran gestört. Ist es doch ebenso sein Duft, der einen Teil beiträgt, mit dem Wind nach Norden verschwindet. Hinter der Stadt vergeht, sich über die Ebenen verteilt, über die Grenze nach Deutschland zieht.
Doch trägt er auch den Gestank und den Lärm der Fahrzeuge, die sich in den Abendstunden ineinander verschränken. Von Zeit zu Zeit ein Signalhorn, Blaulichter, die durch die Dunkelheit von Osten nach Westen schneiden. Oben an der Kreuzung biegen sie nach links ab und ihr Horn verliert sich in den Häuserschluchten. Dort bricht sich das Licht und mahnt zur Eile. Meist Rettungsfahrzeuge, manchmal die Polizei und selten die Feuerwehr. Früher oder später müssen sie alle hier vorbei, unter Felix' Balkon. Er ist ein Alibi, einen halben Meter lang und einen Meter breit, nicht viel mehr als die Tür, die hinausführt. Gerade groß genug, um den Rauch der Zigarette draußen zu halten.
Die rußgeschwärzten Häuserfronten wechseln sich mit bunten Fassaden ab, sind verbunden mit den Stromleitungen der Busse, die sich zwischen den Autos durchzwängen. Von Süden her dringen die Glocken der Kirchen, die zahlreicher nicht sein könnten. Ein Erbe, ein Vermächtnis, das an die Macht der Kirchenfürsten erinnert. Eine Sache, die Felix nicht kümmert. Es gibt nur eine orthodoxe Kirche, die er nie besucht. Zwar in der Nähe, doch der Glaube hat ihn nie erreicht in dieser Welt. Er ist verblasst, verloren zwischen den Welten, wie die Menschen, die dorthin gehen.
Die Augen starren in die Leere, vorbei an der Glut, die sich in den Tabak frisst. Das Knistern der Zigarette blendet alles aus, füllt die Lunge mit Rauch. Ein tiefer Zug, der Stummel verglüht im Aschenbecher, Felix geht in die Wohnung. Der Blick trifft das Telefon, eine jähe Störung, die ihm keine Ruhe lässt. Er setzt sich auf die Couch, die nachts als Bett fungiert, schaltet den Fernseher ein.
Salzburg heute. Barbara Weisl erzählt über die Geschehnisse im Bundesland, es ist nicht viel passiert. Sport, Wetter, Ende. Felix drückt die Weisl weg und setzt sich an den Rand der Couch. Er atmet durch, steht auf, geht eine Runde im Zimmer. In die kleine Küche, in der sich nichts außer einer Kaffeemaschine befindet. Er drückt den Knopf, George Clooney drängt sich in die Gedanken, die Mundwinkel wandern nach oben. Wegen ihm hat er die Maschine. Oder eher wegen seines Aussehens.
Ein Blick in den Kühlschrank, ein halb volles Päckchen Milch, Gemüse, ein Karton Eier. Er wäscht eine Tasse ab, platziert sie unter dem Zapfen, mit dem George Clooney in der Werbung die Frauen herumkriegt. Felix drückt den großen der zwei Knöpfe, ein Brummen, der Nasenbär spuckt zwei genormte Espressi in die Tasse. Keine Milch, kein Zucker. Dazu eine Zigarette, immerhin vergeht die Zeit. Felix öffnet die Balkontür, stellt die Tasse auf das Eisengitter. Feuer, Knistern, ein tiefer Zug. Es stinkt nach Essig, dem Abgas der Fahrzeuge. Verdammt, warum lebst du eigentlich noch hier? Wahrscheinlich liegt es an den Immobilienpreisen in den anderen Vierteln. Oder den Alimenten. Oder dem unterbezahlten Job. Oder daran, dass du selten dort bist. Egal, konzentrier' dich auf den Rauch. Ein Brennen, die Bronchien öffnen sich, das Nikotin ist in Sekundenschnelle da, wo es hingehört. Im Belohnungszentrum, direkt im Gehirn.
Nebel zieht auf, lässt den Anblick der Straße vergehen. Allein die Lichter scheinen durch, wie hinter Watte, der Lärm ist weit entfernt. Er will den Zigarettenstummel nach unten schießen, vielleicht bleibt er darauf liegen.
Lass es. Das verursacht nur Brandflecken. Das macht es nicht besser. Das macht den Tag, dein Leben nicht besser. Morgen musst du was tun, raus aus dieser Enge, die dich erdrückt. Vielleicht an den See, unter Menschen. So sehr ihm das widerstrebt. Wenn er sich hängen lässt, wird sie die Überhand gewinnen, ihn ewig mit Enissa erpressen. Du brauchst einen Plan.
Felix geht hinein, zum Kleiderschrank, steckt den Schlüssel in die Kassette und nimmt die Pistole heraus. Eine CZ 75, 9 mm, Baujahr 99. Klein, leicht, zuverlässig. Er zieht das Magazin aus der Pistole, kontrolliert die Patronen. Die Hand gleitet den Schlitten entlang, das linke Auge schließt sich, die Linse des rechten fokussiert einen Punkt hinter dem Ende des Laufs.
Angeln wäre eine Idee. Laut dem Wetterbericht soll es schön werden. Vielleicht hat Suzuki Zeit. Ein Griff zum Telefon, er setzt sich auf die Couch. Die Finger fahren den Oberarm entlang, kreisen um die Ornamente der Tätowierung, die Hand umschließt ihn, streicht nach unten, bis sie am Handrücken hängenbleibt. An der kaum sichtbaren Narbe, die einmal die Zahl Fünf dargestellt hat.
***
Der VW Sharan schiebt sich durch den Nebel. Die Salzach entlang, den Kai hinunter, zwischen den Autos durch. Der Wind hat aufgefrischt, zieht von Süden herein, versucht die Schwaden zu vertreiben. Mit mäßigem Erfolg. Immer wieder taucht ein Auto vor dem Sharan auf, das Blaulicht ignorierend, um gleich wieder hinter ihnen zu verschwinden. Andreas Kollege, der Nowak, hält sich am Griff über dem Autofenster fest, den Blick möglichst nicht nach vorn gerichtet. Es ist die schlechte Sicht, die ihn beunruhigt. Andreas Fuß bleibt am Gaspedal, von Zeit zu Zeit bremst sie auch.
»Wer weiß, was da los ist. Da spinnt sicher nur einer.«
»Ich bin mir da nicht so sicher. Ich habe so ein Gefühl«, antwortet sie lakonisch.
»Kannst du das nicht auch unterdrücken, wie dein Privatleben? Dann kommen wir vielleicht lebend an.«
»Du hast doch nur Schiss, weil du nicht selber fährst.« Und ich eine Frau bin. »Sei nicht so ein Weichei. Dann erzähl ichs auch niemandem.«
Der Nowak widmet die Aufmerksamkeit dem Autofenster, schüttelt den Kopf.
Was weißt er schon von deinem Privatleben? Nur weil er keins hat? Mit seinen fünfzig Jahren, der kahlen Birne und dem Bierbauch. Was hat er für eine Ahnung?
Andrea biegt ab, mit Folgetonhorn über die Kreuzung hinter dem Justizgebäude, mit Volldampf die Alpenstraße hinunter. Es ist nicht mehr weit. Nach einem Kilometer rechts in die Akademiestraße, der Sharan lässt den behelfsmäßigen Kreisverkehr unbeachtet, hundert Meter und rechts.
Vier Fahrzeuge der Freiwilligen Feuerwehr stehen vor dem Gebäude der ehemaligen Germanistik, Andrea stellt den Sharan dahinter ab. Sie springt aus dem Wagen, der Kommandant kommt auf sie zu.
Ein Nicken, sie gehen an der Bierbank vorbei, auf der ein paar Sauerstoffflaschen liegen und ein Freiwilliger Aufzeichnungen macht. Daneben eine Stoppuhr, die anzeigt, welche Gruppe sich wie lange im Gebäude aufhält. Drei Männer mit Atemschutzmasken kommen heraus, drei andere nehmen ihnen die Flaschen ab. Der hinter der Bank notiert. Andrea verharrt einen Moment, der Kommandant tippt ihr auf die Schulter. Sie sollen weitergehen. In das Gebäude, den Taschenlampen hinterher.
Sie folgen den Spuren der Verwüstung, ausgeschlagene Türen, zerbrochene Fenster, Männer in Sandgelb mit Gummimasken im künstlichen Nebel. Sie bleiben stehen, halten inne, als Andrea dem Kommandanten hinterher an ihnen vorbeigeht. Ihr blonder Pferdeschwanz und ihre Proportionen sind ein Blickmagnet. Die Uniformhose betont genau das, was sie eigentlich verbergen soll. Im Dienst etwas nachteilig, in der Regel wird Andrea kaum ernst genommen. Da kommt der Nowak ins Spiel. Vor einem bierbäuchigen alten Mann haben die Leute eher Respekt. Das gefällt dem Nowak. Der einzige Moment, in dem sie seine Brust hat anschwellen sehen. Er ist kein Chauvinist, ein zurückhaltender Typ, ein Normalo eben. Unauffällig und durchschnittlich. Die Leistung hangelt ebenfalls am Mittelmaß entlang. Doch ist er ihr Gegenpol, jemand, der ihren Ehrgeiz im Zaum hält. Manchmal ist sie dankbar dafür.
Heute weniger. Bis er Andrea folgt. Dann ist mit der Gafferei normalerweise Schluss. Dann wird sich das Hecheln unter den Atemschutzmasken auf ein normales Maß einstellen.
Sie folgt dem Kommandanten die Treppe hinab, die Baustellenlichter entlang, durch einen Rahmen ohne Tür. Andrea kann außer dem Nebel nichts erkennen. Eine Baustellenlampe steht an der Wand, der Kommandant sagt ihr, dass sie dorthin gehen solle. Vielleicht hat der Nowak recht. Vielleicht sollte sie die Gefühle unterdrücken, anstatt ihr Leben für eine vage Vorahnung zu gefährden. Es gab keinen Grund, mit Blaulicht und Folgetonhorn in dieser Geschwindigkeit hierherzufahren. Keine Prügelei oder Schießerei, kein Einbruch. Der Nowak wird mindestens einen Kaffee verlangen. Oder eine Jause.
Andrea sieht den Kommandanten an, er drückt den Sprechknopf am Funkgerät, sagt, dass die Feuerwehrleute den Ventilator einschalten sollen. Es dauert keine zehn Sekunden, ein Motor startet, der Rauch beginnt sich aufzulösen.
Wie Watte zieht er durch das Kellerfenster, am Boden zeichnet sich eine Silhouette ab. Ein Mensch in einer Badewanne, umspült von einer braunen Brühe. Beziehungsweise das, was einmal ein Mensch gewesen ist. Eins achtzig groß, achtzig Kilo. Eine Hand hängt über dem Rand, außer den Knien der einzige Körperteil, auf dem sich Haut befindet.
»Rufen Sie den Nowak«, sagt Andrea. Weit entfernt von jeglicher Ruhe. Der Kommandant funkt, eine Minute später nähert sich ein Hecheln. Der Nowak...
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