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Rudolf Virchow, der berühmte Arzt, Anatom und Pathologe, lebte zwischen 1821 und 1902 und verbrachte die meiste Zeit seines Berufslebens an der Charité in Berlin. Er hat einmal gesagt, er habe so viele Leichen in seinem Leben seziert, aber noch nie eine Seele gefunden. Gibt es sie vielleicht gar nicht? Oder hätte der Zellforscher Virchow sich mehr mit dem lebendigen Menschen als mit Leichen beschäftigen sollen, wenn er die Seele finden wollte? Wenn es sie gar nicht gibt, wie ist es dann zu erklären, dass sie in so vielen Redensarten eine Rolle spielt und in so vielen Facetten in unserer Sprache vorkommt?
Wir lassen unsere Seele baumeln, wenn es uns gut geht, manchmal brennt uns aber auch etwas auf der Seele. Wenn das der Fall ist, reden wir es uns von der Seele, und dann endlich hat die liebe Seele Ruh. Wir versprechen etwas aus tiefster Seele, und wenn wir es trotzdem nicht halten können, lastet es uns schwer auf der Seele. Manchmal möchten wir uns dann am liebsten die Seele aus dem Hals schreien. Der Ort, in dem ich lebe, hat ungefähr 12.000 Seelen, und nachts ist keine Seele mehr unterwegs. Nicht von allen, die dann brav zuhause sind, kann man aber auch sagen, sie seien eine brave Seele oder gar eine Seele von Mensch.
Überhaupt verträgt die Seele viele Adjektive. Sie kann nicht nur brav, sondern auch ehrlich sein, treu natürlich, aber auch schlicht. Schließlich gibt es auch schöne Seelen und slawische. Die sind meistens etwas melancholisch ausgestattet, aber mit sehr viel Gefühl, mit Seele eben. Wenn wir uns später etwas mit der Ideengeschichte der Seele beschäftigen werden, wird vielleicht der eine oder andere von Ihnen sagen: Meiner Seel', ist das kompliziert!
Die Seele ist nicht selten bedroht. Nicht nur, weil manchmal jemand wie der Teufel hinter der armen Seele her ist. Vielmehr möchte man meinen, dass die Seele nicht selten mit einem Ach! verbunden ist. Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, sagt Faust und es kommt dann sogar noch schlimmer, denn die eine will sich von der anderen trennen. Und Friedrich Schiller klagt in einem Distichon aus den «Xenien»: Spricht die Seele, so spricht ach! schon die Seele nicht mehr.
Das Ach! hat aber nicht nur eine klagend abstrakte Bedeutung in der Dichtung, die mit der Seele verbunden ist. Die alten Ägypter kannten auch schon ein Ach. Sie stellten es sich als ein mehr oder weniger reales Wesen vor, in Bildern oft als Ibis dargestellt. Der Mensch wird von Geburt an von einem Ka und einem Ba bewohnt. Das Ach kommt im Laufe des Lebens dazu. Alle drei sind im Leben eng verbunden, leben im Körper und bilden wohl das, was später als Seele bezeichnet wurde. Es gab für die alten Ägypter also eine dreigeteilte Seele. Der Sinn dieser Dreiteilung wird nach dem Tod eines Menschen deutlich. Erst dann entfalten Ka, Ba und Ach einen getrennten Einfluss und verlassen zunächst einmal den Körper. Das Ba kehrt immer wieder zum Körper zurück und ist so etwas wie der direkte Beschützer. Das Ka stellten sich die Ägypter als die Lebenskraft vor, die ihren Einfluss in Bildern und Statuen entfaltet, vielleicht am ehesten so etwas wie das Weiterleben in der Erinnerung der anderen. Wenn Ba und Ka nach dem Tode zusammenwirken und wenn durch gute Lebensführung ein Ach ausgebildet wurde, wird dieses nach dem Tod eines Menschen in den Himmel aufsteigen und dort zu einem Stern werden. Eine schöne Ursprungsvorstellung des Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. Die Geschichte zeigt, wie alt die Auseinandersetzung mit der Seele ist. Sie ist immer eigentlich eine Auseinandersetzung mit dem Menschen, und es gibt darüber wohl Diskussionen, solange es Menschen gibt.
Über den Aufenthaltsort der Seele gab es seit griechischen Tagen viele Vermutungen. Der Kopf, das Herz, aber auch die Leber wurden als Wohnort der Seele gesehen. Nicht nur der Sitz der Seele hat aber die Menschen seit alters beschäftigt, sondern überhaupt das Problem des Verhältnisses von Körper und Seele, heute spricht man vom Leib-Seele-Problem. Die Gedanken darüber, wie sich die beiden zueinander verhalten, sind schon sehr alt. Ein schönes Sinnbild stammt von einem der ersten Philosophen im alten Griechenland. Heraklit hat das so veranschaulicht:
«Wie die Spinne, die in der Mitte ihres Gewebes sitzt, es merkt, sobald eine Fliege einen Faden ihres Gewebes zerstört, und daher schnell dorthin läuft, als wenn sie sich über die Zerstörung ihres Fadens grämte, so eilt die Seele des Menschen, wenn ein Teil seines Körpers verletzt ist, schnell dorthin, als ob sie durch die Verletzung des Körpers gekränkt sei, mit dem sie fest in einem bestimmten Verhältnis verbunden ist.»
Die Seele ist also mit dem Körper in einem bestimmten Verhältnis verbunden. Aber in welchem? Auch für die Philosophen nach Heraklit waren diese Fragen rund um die Seele bedeutsam. Platon hat wie später auch Descartes eine sogenannte substanz-dualistische Auffassung vertreten. Die Seele muss nach Platon unabhängig vom Körper gedacht werden, mit diesem nur in der kurzen irdischen Lebenszeit verbunden. Sie macht das eigentliche Selbst eines Menschen aus. Sie ist für Erkenntnisse zuständig, für Wahrnehmungen und ihre Interpretation. Die Seele ist damit so etwas wie der Charakter des Menschen. Der Körper ist eher behindernd, eine Art Gefängnis der Seele, die sich erst nach dessen Tod richtig entfalten kann. Wenn Platon sich an die letzten Lebensstunden von Sokrates erinnert, hat dieser keine Angst vor dem Tod, sondern empfindet ihn als eine Befreiung, die Befreiung seiner Seele (psyche) vom hinderlichen Körper (soma). Die Seele dagegen ist unsterblich. Das war eine Erklärung, die christliche Vorstellungen des Leib-Seele-Verhältnisses bis heute wesentlich beeinflusst hat.
Eine andere Vorstellung von der Seele und ihrem Verhältnis zum Körper findet sich in der Hebräischen Bibel. In einem sehr plastischen Bild wird dieses veranschaulicht. Gott schafft den Menschen aus Erde. Dann bläst er ihm Lebensatem durch die Nasenlöcher. Erst dadurch wird der Mensch zu einem lebendigen Wesen, genannt nefesh, was mit Seele übersetzt werden kann. Der Mensch erhält dabei nicht nefesh, sondern er wird zu nefesh. Luther übersetzt das so: «und also ward der Mensch eine lebendige Seele». Die Seele ist also nicht getrennt vom Körper und kommt irgendwie in ihn hinein, sondern der ganze Mensch ist Seele, wenn er denn einen belebten Körper hat, wenn er also Gottes Atem erfahren hat.
Aristoteles hat die Vorstellungen seines Lehrers Platon gut gekannt. Er hat sich aber von dessen Seelenkonzept abgewandt und eine weiterentwickelte Vorstellung der Seele entworfen, die eher dem hebräischen Konzept nahekommt. Nach seiner Ansicht sind Körper und Seele nicht unabhängig voneinander zu denken. Die Seele ist das Wesen des Menschen; die Frage nach einer Dualität von Körper und Seele ist also falsch gestellt. Die Seele ist die Verwirklichung des Körpers - oder besser: des ganzen Menschen. Mit dieser Lehre legte er sich nicht nur mit seinem philosophischen Vorgänger Platon an. Vielmehr entbrannte im Mittelalter ein erbitterter Streit um seine Auffassungen, weil das Christentum mit seinen abweichenden, auf platonischen Vorstellungen beruhenden Lehren immer wirkungsmächtiger wurde. Im 13. Jahrhundert kulminierte der Streit darin, dass von kirchlicher Seite das Studium Aristotelischer Lehrsätze unter Androhung der Exkommunikation verboten wurde. Ausdrücklich gehörte dazu der verbotene Satz, «dass die Seele vom Leib nicht getrennt werden kann» und «dass mit der Zerstörung der leiblichen Harmonie die Seele zerstört wird». Wie ...
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