Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Ich stelle mir vor, wie sie vor dem Spiegel steht und sich fertig macht - für mich. Das Badezimmer dampft nach der heißen Dusche, und sie wischt mit der Hand über den beschlagenen Spiegel. Dann dreht sie den Deckel der Puderdose auf, greift nach dem dicken, kurzen Pinsel und pudert dezent ihr Gesicht. Sie weiß, dass der Puder sich nicht in die feinen Fältchen legen darf, denn das ließe sie älter aussehen, als sie ist. Sie legt Rouge auf, lässt es über den Wangenknochen verlaufen. Die Konsistenz der Schminke hat sich über die Jahre ebenso geändert wie die Farben. Die Modezeitschriften empfehlen ein jugendliches Pink oder Apricot, ich bevorzuge ein gedecktes Braun, einen Bronzeton. Sie beugt sich zum Spiegel vor, trägt entlang des Amorbogens eine fettige Schicht Lippenstift auf und verteilt ihn, indem sie die Lippen aufeinanderpresst. Dabei kneift sie die Augen leicht zusammen. Sie braucht eine Lesebrille, ist jedoch noch nicht so weit, dass sie sich eine Gleitsichtbrille verordnen ließe. So alt fühlt sie sich nun auch wieder nicht. Als Letztes kommt die Wimperntusche. Sie darf nicht klumpen, jede Wimper muss sich voll entfalten können. Es ist eine Kunst, Mascara perfekt aufzutragen - das weiß ich von mir selber.
Ich glaube, sie hält die Luft an, als sie ihre Hose anzieht. Sie fragt sich, ob die durchsichtige Spitzenbluse zu viel des Guten ist, zu verführerisch für ein erstes Treffen. Schließlich knöpft sie den Blazer zu und fährt sich durch die Haare, reißt die Augen auf, spitzt den Mund und lächelt vorsichtig ihr Spiegelbild an, probeweise.
Sie schaltet das Licht aus, ein Fenster nach dem anderen wird dunkel. Dann greift sie nach ihrem Mantel und einem großen Wolltuch, und einen Moment, einen kurzen Moment nur, überlegt sie, ob sie die Wollmütze aufsetzen soll, doch die Eitelkeit siegt.
Ich ziehe mich ganz in die Toreinfahrt zurück, als ich sie aus der Haustür treten sehe. Sorgfältig schließt sie die Tür, es soll kein Fremder ins Haus kommen. Sie fingert an ihrem Tuch herum, bindet es fester um den Hals und geht mit kleinen, schnellen Schritten die Straße entlang. Auf einmal fällt mir auf, dass ihre Größe nicht stimmt. Sie ist zu klein, sie kann unmöglich einen Meter fünfundsiebzig sein, wie sie behauptet hat. Ärger steigt in mir auf. Einen kurzen Augenblick ziehe ich in Betracht, den ganzen Plan aufzugeben, doch dann macht sie eine Bewegung, die so anmutig ist, dass ich sofort wieder Feuer und Flamme bin. Sie eilt die Straße entlang, so schnell das bei dem Matsch möglich ist. Es scheint ihr wichtig zu sein, dass sie sich vor unserem Treffen nicht schmutzig macht, weshalb sie beinahe trippelt. Ich lasse sie nicht aus den Augen. Ich genieße dieses kleine Ich-sehe-dich-Spiel. Sie ist die Beute, ich bin das Raubtier, und sie hat nicht die geringste Ahnung davon.
In den Straßen der Stadt liegt der Schnee hoch, er dämpft alle Geräusche - dämpft unsere Schritte. Die Leute behaupten, die Winter würden immer kälter und niederschlagsreicher. Dem stimme ich nicht zu. Die Winter sind genauso, wie ich sie aus meiner Kindheit kenne: kalt, dunkel und endlos, mit nackten, schwarzen Bäumen, die sich sehnsüchtig der bleichen Wintersonne entgegenstrecken, mit gelber Hundepisse im grauweißen Schnee und einer schneidenden Kälte, die den Körper noch gefühlloser macht, als er ohnehin schon ist.
Bald werden wir uns treffen. Sie wird mich interessiert ansehen. Nach ein paar Drinks werde ich ihr vorschlagen, zu mir nach Hause zu fahren. Ihr wird schwindelig, sie wird nicht sie selbst sein, und für einen Moment wird ihr Blick vor Unsicherheit flackern, doch ich werde ihr ein überzeugendes Lächeln schenken, ein Lächeln, von dem die Leute weiche Knie bekommen. Schon meine Mutter hat gesagt: »Mit diesem Lächeln bekommst du alles von den Leuten, mein Junge. Einfach alles.«
»Verdammt!«
Rebekka stieß einen lauten Fluch aus, während sie sich bemühte, zwischen den Schneehügeln zu parken, die sich wie eine Gebirgskette entlang des Straßenrands vor ihrer Parterrewohnung im Valbygårdsvej türmten. Die heftigen Niederschläge in diesem Monat hatten die Schneeberge steinhart und zu einer täglichen Herausforderung für die Autofahrer werden lassen. Nach einigen Minuten gelang es ihr schließlich, das Auto so nahe wie möglich an der derzeit unsichtbaren Bordsteinkante zu parken. Um aus dem Wagen zu steigen, musste sie auf den Beifahrersitz hinüberklettern, und als sie endlich auf der spiegelglatten Straße stand, wäre sie in ihren Stiefeletten beinahe ausgerutscht.
Die Dunkelheit lastete schwer auf dem Haus, und einen kurzen Moment machten die schwarzen, viereckigen Fenster sie melancholisch. Mit kalten, steifen Fingern hob sie ein paar Einkaufstaschen aus dem Kofferraum und ging zitternd vor Kälte auf den Hauseingang zu. Sie hatte den ganzen Tag gefroren, und wie viele Lagen sie auch anzog, ihr war nicht warm geworden. Aber morgen ...
Sie stellte die Tüten in der Diele ab und betätigte den Lichtschalter. Der weiß gestrichene Flur offenbarte sich vor ihr, und sie seufzte erleichtert auf. Es war niemand da. Natürlich nicht. Trotzdem musste sie die Wohnung Quadratmeter für Quadratmeter abgehen und sämtliche Lampen und das Radio anschalten, um sich entspannen zu können. Sie begann im Esszimmer. Nein, niemand versteckte sich unter dem Esstisch, auch im Wohnzimmer mit dem weißen Sofa war kein Mensch - ebenso wenig wie im unmöblierten Arbeitszimmer. Ihr Rundgang endete im Schlafraum, der zum Garten hinausging. Sie stützte sich mit der Hand gegen die Schrankwand und öffnete schnell erst die eine und dann die anderen Schranktüren, bis schließlich alle offen standen. Kein Gewaltverbrecher versteckte sich zwischen den Kleidern und wartete auf sie. Sie atmete tief durch, bückte sich schnell und vergewisserte sich, dass auch unter dem Doppelbett nur Wollmäuse herumlungerten.
Zurück in der Diele, griff sie nach den Einkaufstüten, stieß die Tür zum Badezimmer auf - auch dort versteckte sich niemand - und ging in die hellgraue Küche. Das helle Licht und die Stimmen aus dem Radio verdrängten die Unruhe aus ihrem Körper. Mit routinierten Handgriffen packte sie die Lebensmittel aus und inspizierte ihren Einkauf: drei Flaschen guter Rotwein, ein knuspriges Landbrot, einige Stücke Käse, ein Glas Oliven und ein paar gesalzene Mandeln. Sie räumte alles ein und wärmte sich an dem Gedanken an Niclas, der bald von Stockholm nach Kopenhagen fliegen würde, um ein verlängertes Wochenende mit ihr zu verbringen. Wenn Niclas bei ihr war, fühlte sich alles sicher an, warm und geborgen, wie eine mollige Decke, die sie über ihre Angst ziehen und damit verschwinden lassen konnte.
Rebekka fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Sie war sich sehr wohl bewusst, dass ihre Angst eine Reaktion auf das erschütternde Erlebnis vor einigen Monaten war, als sie in ihrem Sommerhaus um Haaresbreite von ihrem Mentor ermordet worden wäre. Dieses traumatische Geschehen hatte mit großer Wahrscheinlichkeit auch zu der Fehlgeburt geführt, bei der sie ihr ungeborenes Kind verloren hatte. Obwohl sie zunächst geglaubt hatte, die brutalen Vorfälle so gut wie möglich verarbeitet zu haben, musste sie nun feststellen, dass die Angst sich langsam bei ihr eingenistet und sich ihrer Abende und Nächte bemächtigt hatte. Sie musste nicht nur ihre Wohnung durchsuchen, um abschalten zu können, sondern sie brauchte außerdem jeden Abend ein paar Gläser Wein, und wenn es sehr schlimm war, konnte nur die Gesellschaft anderer Menschen ihre Angst eindämmen. Meistens kamen ihre Freundin Dorte oder ihr Kollege Reza vorbei. Insbesondere mit Reza konnte sie gut reden, wenn sie Angst hatte. Reza hatte ihr an jenem Morgen das Leben gerettet, und seitdem bestand ein enges Band zwischen ihnen.
Einen kurzen Augenblick erwog sie, ihn anzurufen, ihn zum Essen und zu einem Glas Rotwein einzuladen, doch dann verwarf sie den Gedanken. Sie musste lernen, alleine klarzukommen, verdammt noch mal. Als Ermittlerin bei der Mordkommission war sie doch diejenige, bei der man Schutz suchte.
Sie sollte sich etwas zu essen machen, dachte sie, öffnete den Kühlschrank und starrte in das halb leere Innere. Pasta mit Pesto und geriebenem Parmesan als Hauptgericht. Sie rümpfte die Nase und konnte sich nicht einmal dazu aufraffen, Teewasser aufzusetzen.
Ihr Handy klingelte. Sie war ein ganz klein wenig enttäuscht, als sie sah, dass es Dorte war. Sie meldete sich und bemühte sich darum, unbeschwert zu klingen. Dorte war trotz allem ihre engste Freundin, oder genau genommen ihre einzige, und in den fünfzehn Jahren, die sie sich kannten, hatten sie so gut wie alles miteinander geteilt. Das letzte halbe Jahr war für ihre Freundin wirklich hart gewesen. Dorte und ihr Mann Hans-David hatten sich entschlossen, in ihrer zehn Jahre langen Beziehung eine Pause einzulegen - eine Entscheidung, auf die ihre beiden kleinen Kinder, Alma und Anton, heftig reagiert hatten. Auch Dorte hatten angesichts ihres Entschlusses Zweifel befallen, und Rebekka hatte viele Stunden mit ihr geredet und alle anstehenden Fragen mit ihr erörtert.
»Sag mal, Bekka, bist du allein, oder ist Niclas schon da?«
»Er kommt erst morgen. Warum?« Rebekka kramte in ihrem Sekretär im Esszimmer herum und entdeckte schließlich eine halb zerknüllte Zigarettenpackung, aus der sie sich eine herauszog und anzündete - eine weitere schlechte Angewohnheit, die sie seit Jahren abzulegen versuchte. Sie sah sich als Gesellschaftsraucherin, das Problem war nur, dass in diesem Fall auch ihre eigene Gesellschaft zählte, weshalb sie mehrmals in der Woche allein rauchte. Genüsslich inhalierte sie den Rauch...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.