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Mein Vater war Surfer. Genau genommen war er Soldat, aber als Kind sah ich in ihm immer nur den durchtrainierten Kerl, der unsere Urlaube auf dem Wasser verbracht hat. Mein Vater, sein Surfbrett und die Nordsee. Als Nordlichter fuhren wir immer auf die Insel Römö in Dänemark, wo meine Großeltern einen Saisoncampingplatz hatten. Anfangs reisten meine Eltern mit mir noch im VW-Bus an, später mit dem Wohnwagen. Nach langen Stunden am Strand klangen die Tage immer beim gemeinsamen Grillen aus, wobei es der Qualität des Fleisches nicht schadete, dass Opa Schlachtermeister gewesen war. Auch meine Mutter war in kulinarischer Hinsicht sehr versiert, da sie erst an einer Lebensmitteltheke gearbeitet hatte, bevor sie sich im Versicherungsbereich selbstständig machte und ein eigenes Unternehmen führte. Sie war ohne Zweifel die gute Fee der Familie, die alles am Laufen hielt, gerade auch in den Phasen, in denen mein Vater unterwegs war - und eigentlich ist sie das heute als stolze Oma immer noch.
So verbrachten wir damals unzählige Tage und Nächte am Strand, von dem aus man bei gutem Wetter sogar bis Sylt sehen konnte. Das war eine tolle Zeit, und vor Kurzem habe ich diese Tradition mit unseren drei Kindern wieder aufgenommen. Einmal Römö, immer Römö. Warum auch nicht, ich hatte schließlich eine schöne und behütete Kindheit. Es spricht also nichts dagegen, sich großzügig an dem zu orientieren, was meine Eltern richtig gemacht haben.
Dass ich durch und durch Nordlicht bin, würde beim Blick auf meinen Personalausweis kaum jemand vermuten. «André Hassan Khan» klingt nach allem, nur nicht nach einer Heimat in Schleswig-Holstein. Aus diesem Namen werden immer wieder die verschiedensten Dinge abgeleitet. Ich sei Moslem, ist dabei die populärste Vermutung. Sie ist aber ebenso falsch wie alle anderen.
Tatsächlich ist es kaum möglich, genauer herzuleiten, woher mein Name stammt. Wir wissen nur, wem wir diesen Exotenstatus zu verdanken haben. Meinem britisch-indischen Urgroßvater Noor Hassan Khan, einer fast sagenhaften Gestalt in unserem Stammbaum, deren Weg nach Deutschland weitgehend im Dunkeln liegt. Als er in Indien geboren wurde und aufwuchs, gehörte das Land als sogenannte Kronkolonie noch zum britischen Weltreich. Als junger Mann heuerte er schließlich auf einem Schiff an, das einer Bremer Werft gehörte. So reiste er als Matrose um die Welt und dabei auch mitten hinein in die politischen Stürme und Katastrophen jener Zeit. Was genau ihn letztlich nach Deutschland verschlug, ist nicht klar. Die Indizien sprechen aber dafür, dass die gesamte Besatzung während des Ersten Weltkriegs in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet, nachdem das Schiff entweder von der Marine festgesetzt wurde oder bei Ausbruch der Kampfhandlungen gerade in einem deutschen Hafen lag und nicht mehr auslaufen konnte. Klar ist nur, dass er letztlich auch nach 1918 in Deutschland blieb, als er definitiv kein Gefangener mehr gewesen sein konnte. Und dass er eine Familie hier gründete.
Damit sind die halbwegs gesicherten Fakten auch schon vollständig wiedergegeben. Viel mehr weiß meine Familie nicht über unseren erstaunlichen Vorfahren. Es wurden durchaus erhebliche Mühen in die Ahnenforschung investiert, doch am Ende standen wir eher mit noch mehr Fragezeichen da als zuvor. So könnte unser geheimnisvoller Ahne womöglich Teil der winzigen jüdischen Gemeinde des Subkontinents gewesen sein, aber ebenso gut auch adeliger Abstammung, da dieser Name in Indien auch als Fürstentitel bekannt ist - und mit großer Wahrscheinlichkeit trifft weder das eine noch das andere auf ihn zu.
Im Jahr 1997 hätte ich möglicherweise an einem ganz unerwarteten Ort Neues über diesen Teil meines Erbes erfahren können. Ich war damals für meinen ersten Auslandseinsatz in Sarajevo und lernte dort in einem vom Militär betriebenen Laden, in dem sich die Einsatzkräfte mit allem Nötigen versorgen konnten, zwei indische Soldaten der UN-Truppe kennen. Sie waren ganz begeistert, als sie meinen Namen hörten, und luden mich noch für denselben Abend zum Essen ein. Leider kam es aber nie zu diesem gemeinsamen Abendessen, da mein Vorgesetzter den Ausflug, wohl aus Sicherheitsgründen, untersagte.
Fest steht also weiterhin nur, dass wir einen ganz erstaunlichen Zweig in unserem Stammbaum haben und dass dieser exotische Name in Deutschland regelmäßig falsch geschrieben wird. «Hassan Khan» ist nämlich der Nachname und kommt ganz ohne Bindestrich aus.
So verworren es auf der väterlichen Seite zugeht, so eindeutig stellt sich die Sache auf der mütterlichen dar. Die Familie meiner Mutter stammt aus Skandinavien, was für ein norddeutsches Kind deutlich naheliegender ist als eine Verbindung in den Fernen Osten.
Weniger gern als in Römö war ich übrigens in der Schule. Ich langweilte mich dort, das war nicht meine Welt, und so ging ich nach der neunten Klasse ab. Zwar mit einem Abschluss, aber eigentlich ohne eine Idee, was ich in Zukunft machen wollte. Grafikdesigner, Tierarzt, Goldschmied? Ich konnte mir alles Mögliche vorstellen, weil ich mir eigentlich nichts vorstellen konnte. Darum ging es erst einmal auf eine Berufsfachschule für Wirtschaft, die ich aber ohne Abschluss abbrach. Also stand ich weiterhin nur mit Hauptschulabschluss da und ohne genaue Vorstellung, was aus mir werden sollte. Immerhin wusste ich aber, was jetzt folgen würde: der Grundwehrdienst.
Für mich stand immer fest, dass ich nicht verweigern würde. Das hatte, so bilde ich es mir jedenfalls ein, nichts mit meinem Vater zu tun, obwohl er Berufssoldat war. Das mag im ersten Moment erstaunen, von außen betrachtet scheint die Sache schließlich eindeutig: Der Junge hat sich seinen Vater zum Vorbild genommen und wollte ihm nacheifern. Aber ich sah in ihm weniger einen Soldaten als einen Vater, der früh am Morgen aufsteht und das Haus verlässt und der nach seiner Rückkehr Sanierungsarbeiten an der Garage vornimmt oder andere Aufgaben übernimmt. Er war ziemlich diszipliniert und damit das genaue Gegenteil von mir in jener Zeit. Ich träumte auch nicht davon, zu werden wie er, sondern war von einer Musikrichtung mit dem zeitlos großartigen Namen «Happy Hardcore» begeistert und trat als DJ auf. Ich konnte mir vorstellen, Tierarzt zu werden. Oder Fotograf. Oder, wie schon erwähnt, Goldschmied. In keiner dieser Richtungen konnte ich in Fußabdrücke meines Vaters treten.
Dass ich letztlich Soldat wurde, lag an meinen Erfahrungen im Grundwehrdienst, in dem ich zum ersten Mal in meinem Leben Verantwortung übernommen hatte und übernehmen musste. Dieses Gefühl, für andere da sein zu müssen, die sich auf einen verlassen, hat mich in meiner Entwicklung enorm vorangebracht, und ich merkte, dass mir diese Art zu arbeiten gefallen könnte. Dass ich später in der Bundeswehr immer wieder auf Kameraden meines Vaters stieß, die sich außerordentlich positiv über ihn äußerten und ihm zum Teil ihre Laufbahnen verdankten, freute mich natürlich. Mein Vater war immer einer von denen, die zögernden Kameraden «Mach das doch einfach!» sagten, wenn sie vor einem weiteren Karriereschritt unsicher waren. Aber letztlich muss ich jeden enttäuschen, der hier eine Art Familientradition erkennen will, denn die gibt es nicht. Die gibt es auch von meiner Seite aus nicht, denn ich werde meinen Sohn nicht drängen, sich für den Soldatenberuf zu entscheiden. Ich würde es ihm aber auch nicht ausreden wollen, wenn er sich dafür interessieren sollte. Das wird seine Entscheidung sein, so wie es damals meine Entscheidung war.
Als mein Grundwehrdienst begann, im Jahr 1995, verließ ich erstmals mein Elternhaus und zog von Neumünster nach Lüneburg, wo sich meine Kaserne befand. Beide Orte trennen zwar weniger als hundertfünfzig Kilometer, die über die Autobahn in neunzig Minuten zurückgelegt werden können, doch für junge Menschen ist das «weit weg». Der Grundwehrdienst tat mir gut. Ich musste Verantwortung übernehmen, wie schon erwähnt, und zwar nicht nur für meine Kameraden, sondern auch für mein Land. Überhaupt hat mir diese Zeit geholfen, mich weiterzuentwickeln und von einem unselbstständigen Teenager zu einem jungen Erwachsenen zu werden, der nicht nur die eigenen Interessen im Kopf hat, sondern auch einen größeren gesellschaftlichen Rahmen sieht. Ich erlebte etwas, fühlte mich gebraucht, und zu guter Letzt wurde ich natürlich auch dafür bezahlt, durch den Wald zu rennen, zu schießen und mich zu tarnen. Der berühmte Satz, dass die Armee die «Schule der Nation» ist, traf auf mich definitiv zu. Zum ersten Mal entwickelte ich für etwas wirklich Ehrgeiz.
Kurzum: Ich wollte weitermachen. Aber da war das Problem mit meinem Schulabschluss. Mit Hauptschule allein wäre ich nicht weit gekommen. Das merkte ich schon, als ich mich für eine Unteroffizierausbildung im Panzerbataillon interessierte. Dafür brauchte es Mittlere Reife oder Hauptschule mit abgeschlossener Berufsausbildung. Beides hatte ich bisher nicht, weswegen ich im Nachschubbataillon anfing und parallel in Cuxhaven eine sechsmonatige Ausbildung zum Bürokaufmann machte. Dadurch öffneten sich weitere Türen, und so wurde ich im Laufe der Zeit unter anderem Nachschubbuchführerunteroffizier und später Nachschubunteroffizier (ja, das sind zwei verschiedene Positionen). Damit gehörte ich dem Bereich Logistik an. Wir Logistiker achteten, grob gesagt, darauf, dass Schrauben, Reifen und sonstige Ersatzteile alle da waren, wo sie sein sollten. Und vor allem waren wir dafür verantwortlich, dass der Nachschub möglichst schnell und reibungslos bei den jeweiligen Truppenteilen ankam. Das machte...
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