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liegt das zimmer an der straßenseite, fragte ich die frau an der rezeption.
nein, sagte sie, es liegt zum hof und ist ganz ruhig. wenn sie das bitte ausfüllen.
ich möchte aber ein straßenseitiges zimmer, sagte ich. und möglichst im dritten oder vierten stock.
sie zog den computer zu rate. aus ihrem kostüm quollen weiße rüschen. da hab ich eins, sagte sie, das ist dann aber schon etwas lauter, das geht zur bockenheimer landstraße hinaus.
großartig, das möchte ich.
sie sah mich an, als habe sie ein sicherheitsrisiko abzuwägen. ich fügte freundlich hinzu: dort habe ich früher gewohnt.
sie drückte ein paar tasten und blickte dabei mit einer ernsthaftigkeit auf den bildschirm, als hätten dort in roter schrift die worte security alert zu blinken begonnen. sie wollte die augen nicht mehr vom bildschirm wenden.
sie sind nicht im computer, sagte sie.
ich habe hier gewohnt, bevor es diesen computer und dieses hotel gab.
sie schien darüber nachzudenken. dann fragte sie, war da vorher auch ein hotel?
nein, ein wohnhaus, sagte ich. es wurde abgerissen.
nun würden erst recht ihre alarmglocken läuten, dachte ich. doch sie war zu jung, um in der hessenschau gesehen zu haben, wie polizisten in kriegsmontur mit kettensägen und äxten in ein haus eindrangen und alle bewohner verhafteten. und ich kam mir plötzlich blöd dabei vor, ihr meine geschichten aufzudrängen. während sie sich hinabbeugte, um eine magnetkarte aus dem fach zu nehmen, kam bewegung in ihr gebüsch aus weißen rüschen.
sie schrieb auf meinen zimmerausweis die nummer 412. das war im vierten stock. damals hatte ich auch im vierten stock gewohnt, in der kleinsten wohnung des hauses. sie bestand aus einem zimmer und einem nebenraum, in dem mein mitbewohner, der biber, ein pissrohr angebracht hatte, das in den abfluss der dusche führte. es funktionierte ganz einfach. man nahm den gummistöpsel vom rohr und versenkte sein ding in die feuchten rückstände der vorbenutzer. die frauen durften in die dusche pissen, oder sie mussten ein halbes stockwerk tiefer auf die toilette gehen. die wurde allerdings von halb frankfurt benutzt und ließ sich nicht abschließen. man musste die tür mit einer schnur zuhalten. dafür wurde man mit vielen sprüchen belohnt. gott ist tot, nietzsche ist tot und mir ist auch schon ganz schlecht.
ein junger mann, dessen gegelte haare an die dachkonstruktion des opernhauses von sydney erinnerten, ließ es sich nicht nehmen, meinen kleinen rollkoffer auf das zimmer zu bringen, auch wenn ich selbst noch in der empfangshalle blieb. ich setzte mich in einen von rosensträuchern umrankten fauteuil. in etwa einer halben stunde sollte der biber kommen. ich hatte ihn mehr als dreißig jahre lang nicht gesehen.
die frau an der rezeption war mit neuen hotelgästen beschäftigt. von der seite betrachtet glichen ihre rüschen einer großen nelke. ich war im hôtel des fleurs. jetzt erst ging mir die bedeutung des namens auf. die lobby war ein gewächshaus. die polstermöbel und glastische waren umschlungen von rosen, tulpen, nelken, orchideen und üppigem grünzeug.
nichts, aber auch schon gar nichts, erinnerte an das haus, in dem ich mit sechzehn jahren gewohnt hatte. der alte, von innen mit balken zugenagelte hauseingang musste etwa dort gewesen sein, wo jetzt die palme stand. dann war da, wo ich jetzt saß, der treppenaufgang, und da vorne beim empfang der eingang zu dimis wohnung. die rüschenfrau stand in der wohnung des fürsten dimitri von tujonov. mindestens im vorzimmer, vielleicht aber auch in dem raum, in dem dimi seine grippemittel, ohrentropfen und abführtabletten gelagert hatte.
seine hoheit dimi, groß und glatzköpfig, war der älteste im haus. er war für die gesundheit zuständig. er hielt sich etwas darauf zugute, der abgefallene spross einer russischen adelsfamilie zu sein. er wolle als arzt nicht dem arbeitszwang dienen, sondern für die revolution leben. seine heilkunst hatte in unserem haus viel gestank verursacht. kack dich aus, war meist sein erster kommentar, ganz gleich was uns fehlte. er hatte in einer klinik einen ganzen karton mit abführtabletten entwendet. im klauen war fürst dimitri von tujonov der beste gewesen.
der biber wiederum war für alles technische zuständig. sein ruf reichte weit über unser haus hinaus. immer wenn irgendwo ein stromzähler zu überbrücken oder auf einem podium eine lautsprecheranlage aufzubauen war, wurde nach dem biber gefragt. er tat alles in ruhe und ließ sich von niemandem hetzen. bei einer kundgebung vor der alten oper musste herbert marcuse mit seiner rede eine halbe stunde warten, weil der biber noch kabel verlegte. stress hatte er nur ein einziges mal. das war beim aufbau der tonanlage für das konzert von deep purple. er kam um sieben uhr in der früh mit der tastatur einer hammondorgel nach hause und schlief dann den ganzen tag. am abend rauchte er mit uns einen shillum. plötzlich stand er auf, nahm die tastatur zur hand und hielt sie wie eine trophäe in die höhe.
das hier ist heilig, sagte er. darauf hat jon lord gespielt.
er drückte das ding wie ein baby an seine brust und tanzte durch den raum. dann gähnte er ein paar mal und ging zu bett. wir legten platten von led zeppelin und black sabbath auf. der biber hielt auch im bett das keyboard umschlungen.
ich war zu ferienbeginn per autostopp nach frankfurt gefahren, in die berüchtigte stadt der gammler und revoluzzer. zuerst ging ich in den grüneburgpark, um eine bleibe für die nacht zu suchen. im gras saß ein langhaariger in grüner hose und offenem hemd.
weißt du zufällig, wo ich hier übernachten kann, fragte ich ihn. er saß im yoga-sitz da und schien so mit der beobachtung des flugs einer frisbee-scheibe beschäftigt zu sein, dass ich unsicher war, ob er meine frage überhaupt mitgekriegt hatte. als ich schon weitergehen wollte, um mich von der abfuhr zu erholen und neue courage zu sammeln, warf er mir doch noch einen blick zu.
hast du es schon in einem studentenheim versucht?
würde ich ja gerne machen, sagte ich, aber es ist mein erster tag in der stadt. ich kenn mich nicht aus.
kommst du aus bayern?
im laufe der zeit sollte ich mich an diese frage gewöhnen, aber damals kam sie überraschend für mich. bei uns hätte kein mensch einen österreicher mit einem bayern verwechselt. um der schwierigen erklärung, wo groß gerungs liegt, auszuweichen, sagte ich wien, und das entlockte meinem ersten frankfurter gammler immerhin ein lächeln.
magst du klassische musik, fragte er, und ich sagte ja, obwohl auch das nicht ganz stimmte. dann meinte er, wie nebenbei: wenn du noch ein wenig wartest, kannst du mitkommen.
ich setzte mich zu ihm ins gras. er drehte sich eine dünne zigarette und gab das päckchen an mich weiter. ich bin der biber, sagte er.
joe, sagte ich und tat so, als würde ich schon ewig zigaretten drehen. es lief doch ganz gut. man musste sich nur trauen, jemanden anzusprechen. und schon hatte ich einen schlafplatz. bei meiner zigarette schauten tabakkrümel aus dem kleberand, aber sie ließ sich rauchen. ich lehnte mich auf meinen schlafsack zurück und sah nun ebenfalls den frisbee-spielern zu. sie waren uns näher gekommen. einer in jeans und mit nacktem oberkörper lief knapp an uns vorbei, um die scheibe aufzufangen. sorry, rief er zurück. um seinen hals tanzte eine kette mit einem metallplättchen. es war mein erster gi.
ein paar tage, nachdem ich beim biber eingezogen war, bekam ich einen job als lagerarbeiter im barsortiment von libri. einer aus unserem haus hatte mir die adresse genannt. bei libri arbeiteten hauptsächlich studenten. ich war vom personalchef dem lager fünf zugeteilt worden und war damit zuständig für die autoren mit den anfangsbuchstaben l bis p. hardcover. auf einem förderband rollten kartons vorbei, an denen die bestellzettel der buchhändler befestigt waren. ich kletterte den ganzen tag die leitern auf und ab, um bücher aus den regalen zu holen. wenn ich eine liste abgearbeitet hatte, schupste ich den karton über eine rutsche auf das förderband des unteren stockwerks hinab. manche kartons traten ihren weg durch das haus noch ein zweites mal an, weil auf den einzelnen etappen bücher nicht nur hineingelegt, sondern auch herausgenommen wurden. einmal kam ein karton hartnäckig immer wieder zurück. und jedes mal fehlte dasselbe buch. adolf holl: jesus in schlechter gesellschaft. solange, bis vom lager vier das buch als nachbestellt gemeldet wurde.
in der mittagspause ging ich gemeinsam mit anderen arbeitskollegen ein stück die mainzer landstrasse hinauf, zum platz der republik. dort war ein würstelstand, an dem viele aus den umliegenden büros ihr mittagessen einnahmen. vor mir stand ein mädchen in jeans. sie roch nach einem duft, den ich damals noch nicht kannte, der mir aber von da an immer häufiger auffiel. es war moschus. die blonden haare reichten ihr bis zur hüfte. sie bestellte currywurst. und so bestellte auch ich meine erste currywurst. um die bude herum standen viele leute. das mädchen setzte sich auf die gehsteigkante, und ich setzte mich zu ihr. sie hieß martina, sie war eine arbeitskollegin bei libri. lager vier, buchstabe a bis k. lager vier war im selben stock wie lager fünf. martina war in meinem alter. noch auf der gehsteigkante bekam ich heraus, dass sie mit ihren eltern probleme hatte. wir passten also gut zusammen. sie wohnte in kronberg. ihr vater war studienrat.
es gab im lager fünf einen notausgang, der hinter den regalen versteckt war und in ein unbenutztes treppenhaus führte. dort trafen wir uns mehrmals am tag, um zigaretten zu rauchen. und dort küssten wir uns. das küssen gehörte bald zum...
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