Schweitzer Fachinformationen
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Achtsames Essen
Achtsames Essen ist die Voraussetzung, die Ganzheit der Nahrung wahrzunehmen. Zunehmend essen Kinder und Erwachsene jedoch vor dem Fernseher oder dem Computer. Die Nahrungsaufnahme verläuft dabei so schnell und unaufmerksam, dass kein Bewusstsein für die Nahrung und die Verdauung entstehen kann. Der Zucker, der uns überschwemmt, oder das Salz, das unseren Blutdruck in die Höhe treibt, bleiben dabei unbewusst. Im Gegensatz dazu haben Kane Takana, Schwester André und Oma Anna langsam, konzentriert und in vollem Bewusstsein gegessen, um genau zu spüren, was bei der Ernährung mit ihrem Körper geschieht. Ein wichtiger Vorteil des achtsamen Essens zeigt sich etwa darin, dass Geschmacks- und Geruchssinn, die im Alter eher abnehmen, erhalten bleiben. Gemäß jüngster Forschung sind genau diese Sinne für ein langes Leben maßgebend. Eine Studie untersuchte die Aroma-Wahrnehmung von 3000 Menschen im Alter von 57 bis 85 Jahren mit Rosen-, Leder-, Fisch-, Orangen- und Pfefferminzdüften.6 Die untersuchten Personen, die Mühe hatten, diese Düfte zu erkennen, starben in den folgenden fünf Jahren viermal so häufig wie jene, welche die Düfte korrekt erkannten. Das heißt, die Unfähigkeit, die Nahrung richtig wahrzunehmen, verkürzte die Lebensdauer mehr als schwere Krankheiten wie Herzinfarkt, Hirnschlag und Krebs. Auch andere Studien belegen den ausgesprochen guten Geschmackssinn von Menschen, die älter als 100 Jahre alt werden.7 Dass Frauen im Durchschnitt länger leben, sich gesünder ernähren und mehr soziale Kontakte im Alter haben als Männer, geht zu einem wichtigen Teil auf ihre bessere Aroma-Wahrnehmung zurück. Oma Annas Behauptung, sie könne verschiedene Mineralwasser geschmacklich voneinander unterscheiden, war also vermutlich kein Bluff, sondern der Schlüssel zu ihrem langen Leben.
Warum ist die Wahrnehmung von Aromen so wichtig? Sie hilft uns, sowohl zwischen verschmutzter und guter Luft als auch zwischen gesunden und ungesunden Nahrungsmitteln zu unterscheiden und Krankheitserreger aufzuspüren. Zudem motiviert sie uns, nährstoffreiche Nahrung zu essen, aber auch versteckte Kalorien und verstecktes Salz zu erkennen und diese Nährstoffe nicht unbewusst zu uns zu nehmen. Außer für die Wahl der Umgebung und der Nahrung ist die Aroma-Wahrnehmung auch psychisch von großer Bedeutung. Angenehme Aromen heben die Stimmung und vermitteln ein Gefühl der Verbundenheit. Zudem ist die Aroma-Wahrnehmung bedeutsam für das Zusammenleben und die spirituelle Verankerung in einem größeren Lebenskontext, wie ich im vierten Kapitel über die Essgemeinschaft aufzeigen werde.
Umgekehrt gesagt: Menschen mit einer schwachen Aroma-Wahrnehmung essen eher ungesund, wenig vielfältig, genießen seltener die Natur und haben weniger Kontakte und ein geringeres Interesse an Spiritualität. Menschen mit Hirnkrankheiten wie Parkinson ernähren sich in der Regel schlecht und leiden an einer niedrigen Lebensqualität, weil ihr Aroma-Sinn durch die Krankheit eingeschränkt ist. Menschen, die Zucker nicht wahrnehmen, essen deutlich mehr davon, um zumindest etwas Süße zu erleben, laufen dadurch aber Gefahr, an Diabetes zu erkranken. Zum Glück können wir den Aroma-Sinn wie einen Muskel trainieren. Das sieht man schon daran, dass fast alle älteren Menschen Kaffee am Geruch erkennen, eine Rose aber nicht. Dies hat nichts mit Genetik oder Hirnalterung zu tun, sondern mit dem Umstand, dass man praktisch täglich die Gelegenheit hat, Kaffee zu riechen, was auf Rosen leider weniger zutrifft. Regelmäßiges Schnuppern an Rosenblüten ist daher ein wirksames Mittel, Rosenaromen bis ins hohe Alter wahrnehmen zu können. Das Training jedoch, das für ein genussvolles, langes Leben wirklich bedeutsam ist, ist das achtsame Essen.
Entwicklung von Ess-Achtsamkeit
Wir sollten jeden Tag so planen, dass es genügend Zeit für achtsames Essen gibt. Viel Aufwand bedarf es dazu nicht. Eine gewisse Entspannung und eine Unterbrechung der Arbeit schafft gute Voraussetzungen für Achtsamkeit beim Essen. 20 Minuten genügen, aber auch schon zehn Minuten sind viel besser, als am Telefon, am Computer oder im Gehen zu essen. Die Tragödie der Ablenkung besteht in dem Irrglauben, dass sich die interessanten Dinge außerhalb von uns vollziehen. Dabei geschieht das Spannendste in uns selbst.
Ein guter Anfang ist, das Essen zunächst für einige Momente in Ruhe zu betrachten und zu riechen. So gerät es ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit und gewinnt an Präsenz. Gelegentlich denke ich an die Mineralien, den Boden, den Regen, die Pflanzen und die Arbeit vieler Menschen, die notwendig waren, damit diese Nahrung nun vor mir auf dem Teller liegt. Um Achtsamkeit beim Essen zu entwickeln, sollten wir ganz normal essen, jedoch mit dem Wissen, dass wir essen. Wenn ich ein Sandwich achtsam esse, denke ich: »Ich esse jetzt ein Sandwich.« Das ist ungewöhnlich, denn normalerweise denke ich beim Essen nicht ans Essen, sondern an meine To-do-Liste, oder ich verspüre eine leichte Unruhe, weil mir einfällt, dass ich eine E-Mail noch nicht beantwortet habe. Meine persönliche Motivation, beim Essen bewusst ans Essen zu denken, ist nicht primär meine Gesundheit, die ich damit fördere, sondern der Genuss, den es bereithält. Das Essen, selbst wenn es fade ist, beinhaltet zudem immer eine direkte und intensive Körpererfahrung. Das ist es, was es symbolisch so reich und bedeutungsvoll macht. Deshalb wiegt das unbewusste Essen so schwer. Es beraubt uns des intensivsten Kontakts mit der Welt. Zwischen den Bissen lenke ich die Aufmerksamkeit immer wieder auf meine Atmung. Das hilft, einen Rhythmus zu finden. Der Rhythmus ist ein Mittelweg zwischen totaler Kontrolle und Zügellosigkeit. Wenn ich mit anderen Menschen unterwegs bin, versuche ich, meine Aufmerksamkeit zwischen dem Essen und meinen Begleitern zu teilen, und nehme die Gelegenheit wahr, über das Essen zu sprechen, um die Achtsamkeit zu vertiefen.
Achtsames Essen kann fast jede ungesunde Speise in eine gesunde verwandeln, weil die Menge und die Geschwindigkeit der Aufnahme wesentlich die Gesundheit einer Nahrung ausmachen. Selbst reiner Zucker in ganz kleinen Mengen, sehr langsam und entspannt eingenommen, verliert seine krank machende Potenz, da der Körper durchaus in der Lage ist, diese Portion aufzunehmen und zu verdauen, ohne dass ein Zuckeranstieg im Blut und eine Insulinreaktion mit all ihren nachteiligen Folgen eintreten.
Das Gegenteil von achtsamem Essen ist unbewusstes Essen, Stress-Essen und emotionales Essen. Bei ihnen steht nicht die Nahrungsaufnahme im Zentrum des wachen Interesses, sondern eine Ablenkung, Stress oder ein starkes Gefühl, das stört. So fehlt die Kontrolle über das Essen und damit über die Auswahl, die Menge und die Essgeschwindigkeit. Fast immer führt dies zu einer übermäßig großen und genusslosen Kalorieneinnahme und einer Missachtung von Sättigungsreizen. Noch schwerwiegender ist aber der Teufelskreis, der daraus entsteht: Emotionales und unbewusstes Essen führt zu spürbaren oder unterschwelligen Scham- und Schuldgefühlen, die wiederum das emotionale und unbewusste Essen fördern.
Genussesser sind im Vorteil
Als ich als junger Erwachsener ein paar Jahre in den USA lebte und arbeitete, begann ich, mich ungesund zu ernähren. Dass die USA keine Blaue Zone sind, in der über Jahrhunderte entwickelte Esstraditionen und Essrituale die Menschen vor Krankheiten schützen, erlebte ich dadurch am eigenen Leib. Im zweiten Jahr meines Aufenthalts ließen meine europäischen Essrituale nach und ich trank bereits am Morgen zuckerige Limonaden, aß Sandwiches mit einem Pfund Erdnussbutter und ultrasüßer Traubenkonfitüre und am Nachmittag, wenn ich mich etwas müde fühlte, einen Donut. Wegen dieser industriellen Ernährung schämte ich mich - was hätte wohl meine Mutter dazu gesagt? - und das führte dazu, dass ich immer mehr Angst vor natürlichen Lebensmitteln hatte, sodass ich unorganisch rechteckige Fischstäbchen einem ganzen Fisch vorzog. Dadurch geriet ich in einen Teufelskreis, in dem ich meine Scham und meine Angst vor ganzen Lebensmitteln mit dem wahllosen und übermäßigen Verschlingen von Kalorien betäubte. Meine Haut wurde schlecht und ich nahm über zehn Kilo zu.
Zurück in der Schweiz, wo Bekannten und Freunden mein schlechter körperlicher Zustand auffiel, fand ich die Motivation, dieses ungesunde Verhältnis zum Essen zu stoppen. Am meisten half mir dabei das langsame, achtsame Essen. So kaufte ich mir beispielsweise einen Donut, nahm ein kleines Stück davon in den Mund und spürte, wie viel Zucker und Fett sich zuerst auf meiner Zunge und dann in meinem ganzen Körper ausbreitete. Ich machte die Beobachtung, dass ich den Donut nicht ganz essen musste, um mich gut zu fühlen, denn durch die wiederholte Achtsamkeitsübung wurden selbst kleinste Donut-Stücke so aufregend und erfüllend, dass ich mich viel schneller gesättigt fühlte.
Das kurzfristige Veränderungsziel des achtsamen Essens ist also, dass wir langsamer und mit mehr Genuss essen und dass wir weniger Kalorien, Fleisch und Fast Food brauchen, um erfüllt und gesättigt zu sein. Achtsamkeit beinhaltet aber noch viel mehr. Sie kann psychische Prozesse wie Anhaftungen, Abneigungen und Illusionen als Quelle von Leid und Krankheiten erkennen, auflösen und heilsame Geistesqualitäten wie Dankbarkeit, Bescheidenheit und Güte kultivieren. In meinem...
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