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Der grüne Bulli rappelte fürchterlich, das linke Seitenfenster schloss nicht richtig, und es war nur gut, dass es nicht regnen würde, weil die Gummiblätter der Scheibenwischer aussahen wie von Ratten angenagt. Aber der Dieselmotor röhrte ruhig und brachte mich Kilometer für Kilometer voran. Neben mir auf dem Beifahrersitz lagen aufgeschlagen eine Landkarte und ein Zettel. Ich hielt zwischen staubigen Olivenbäumen, weil ich mich schon wieder verfahren hatte. Inzwischen hatte ich die Klapperkiste gründlich satt, die Hitze sowieso und die Sucherei erst recht. Zum ungefähr hundertsten Mal las ich den Zettel, der mir den Weg durch die knochentrockene Landschaft weisen sollte. Ein brauner Hügel glich dem anderen, ein Feld sah aus wie das nächste. Überall Olivenbäume und Eichen und immer wieder gelbliche Feldwege. Einer war der richtige, aber welcher? Wo war der blöde alte Schuppen, bei dem ich abbiegen sollte? Ich hatte das Gefühl, schon seit Stunden durch die Pampa zu irren und fühlte mich ausgelaugt wie ein alter Lappen. Der Schweiß lief mir über Stirn und Rücken, mein T-Shirt war klatschnass und klebte an meiner Haut. Ein Himmelreich für die Klimaanlage aus dem Landrover! Derartigen Luxus hatte mein alter VW-Bus, den ich für 1500 Euro erstanden hatte, natürlich nicht. Genau, jener grüne Bus, dem ich einen blauen Fleck an der Schulter zu verdanken hatte. Am Tag der spontanen Entscheidungen hatte ich nicht nur Dr. Schneider gefunden, sondern auch den Wagen gekauft. Auf dem Rücksitz hechelte Tom, als ginge es demnächst mit ihm zu Ende. Verdurstet im Alentejo. Ich gab ihm vom lauwarmen Wasser aus meiner Flasche. »Okay, Tom, auf ein Neues, wir haben's bestimmt bald geschafft.«
Der nächste und der übernächste Feldweg. Endlich stand an einer Ecke ein größerer Steinhaufen, der zur Not als alter Stall durchgehen konnte. Und richtig, da war das grün lackierte Tor zwischen weiß verputzten Pfosten und im rechten Pfosten die Kachel mit dem aufgemalten Namen: »Quinta Pereira«. Das Tor quietschte in den Angeln, als ich es aufschob. Vor mir lag der Weg zu meinem neuen Zuhause - eine schmale, trockene Piste mit Schlaglöchern und lose herumliegenden Steinen, die einen Hügel hinaufführte. Hoffentlich schaffte der Bulli das. Ich fuhr den Wagen durch die Einfahrt, ließ den Motor laufen und drückte das Tor in seine alten Angeln zurück. Dann holperten wir langsam und vorsichtig den Hügel aufwärts, und ich versuchte, den größten Steinen und tiefsten Löchern auszuweichen.
Auf der Kuppe machte der Weg eine Biegung und führte zu einem am Rand des Hügels gelegenen Häuschen. Es war ein typisches kleines Bauernhaus, mit ehemals weiß gekalkten und jetzt schmutzig grauen Wänden. Dafür leuchteten in hellem Rot neue Ziegel auf dem Dach. Die zwei kleinen Fenster und die niedrige Tür in der Mitte waren mit einem breiten Streifen verblichener gelber Farbe umrandet. Ich hatte irgendwann gelesen, dass diese Sitte noch von den Mauren stammte, die vor einigen hundert Jahren in Portugal geherrscht haben. Das Gelb sollte böse Geister fernhalten. Der Gedanke gefiel mir. Noch mehr böse Geister konnte ich nicht brauchen, und wenn die alten auch draußen blieben - umso besser! Ich parkte den Bus neben dem Haus und walzte dabei kniehohe trockene Kräuter und Gräser nieder. Tom sprang aus dem Wagen, streckte mit hochgestellten Ohren die Vorderbeine weit nach vorn und den Hintern gen Himmel, ehe er schnüffelnd die Hütte und den davor stehenden Olivenbaum umkreiste, der aussah, als wäre er über hundert Jahre alt. Sein Stamm war dick und knorrig und etwas verdreht, die dunkelgrüne Krone trug Millionen kleiner Blätter. Aber für botanische Betrachtungen war jetzt nicht der Augenblick, ich war total erledigt.
In meiner Handtasche kramte ich nach dem Schlüssel zur Hütte. Die Vorbesitzer hatten ihn Dr. Schneider zugeschickt, nachdem ich die Anzahlung auf die Quinta geleistet hatte. Ich durfte hier schon wohnen, obwohl es noch Wochen oder Monate dauern würde, bis ich den Rest zahlen konnte. Dr. Schneider hatte alles geregelt. Der hielt mich garantiert für verrückt, weil er ein Haus für mich kaufen sollte, das ich noch nie gesehen hatte und auch nicht besichtigen wollte. Vermutlich war ich verrückt.
Die alte Holztür knarrte jämmerlich, als ich sie aufzog. Mir war mulmig, und ich traute mich kaum, in das Zwielicht zu blinzeln, das mich im Inneren der Hütte erwartete.
Hoffentlich gab es hier keine Ratten oder sogar Schlangen. Ich habe mich nie entscheiden können, was davon ich widerlicher finde. Allein der Gedanke an große Nager und zischelnde Kriechtiere jagte mir Schauer über den schweißnassen Rücken. Ganz, ganz zaghaft ging ich hinein. Ich konnte kaum etwas erkennen. Durch die kleinen, schmutzigen Fenster drang nur wenig Licht, und Staub flirrte im Sonnenstrahl, der hinter mir durch die Tür fiel. Ich musste niesen. Es roch ein bisschen abgestanden, aber zum Glück nicht moderig-feucht. Und es war einigermaßen kühl hier. Ich tastete mich zu einem der Fenster vor. Als es offen war, offenbarte sich mein neues Heim in seiner ganzen Herrlichkeit.
Vor mir stand ein blau lackierter, wackeliger Holztisch mit vier Stühlen. Darüber hing eine nackte Glühbirne. Ich fand den Lichtschalter. Die Birne brannte. Die hintere Wand zierte ein gemauertes Regal, in dem ein paar Teller, Tassen, Töpfe, Schüsseln und eine Kaffeekanne aus Aluminium standen. Aus einem angeschlagenen Keramikkrug ragte Besteck. In der Ecke stand eine alte Spüle mit einem vorsintflutlichen Wasserhahn, daneben ein fettverschmierter Gasherd, der nicht viel jünger aussah als der Olivenbaum. Hoffentlich funktionierte er noch. Die Einrichtung sei sehr schlicht, hatten die Verkäufer, ein österreichisches Ehepaar, am Telefon gesagt. Da hatten sie nicht gelogen. Und es war anzunehmen, dass sie schon seit Tagen Champagner tranken, weil sie mit mir das Geschäft ihres Lebens gemacht hatten. Immerhin war eine Gasflasche da, ich fand sie in einem Schränkchen hinter dem geblümten Vorhang neben dem Herd. Als ich sie anhob, war sie relativ schwer, also zumindest nicht ganz leer. Gut.
In der Wand rechts von mir war ein Durchgang zum nächsten Raum. Ich zog automatisch den Kopf ein, als ich durchging. Ein Bettgestell aus Eisen mit ungehobelten losen Latten als Rost nahm den meisten Platz ein. Die andere Seite des Zimmerchens, das etwas größer war als die Küche, wurde von einer offenen Feuerstelle beherrscht. Die Wände aus dickem Stein waren grob verputzt und anscheinend vor langer Zeit zum letzten Mal gekalkt worden, an manchen Stellen war der Putz abgebröckelt und lag in kleinen Haufen auf dem Boden. Aber bislang hatte ich nicht mal die allerkleinste Kakerlake gesichtet, geschweige denn Rattendreck oder leere Schlangenhäute. Zwischen Bett und Wand stand eine breite dunkle Kommode mit drei Schubladen, vor dem Bett lag ein Flickenteppich. Das war alles. Ich dachte seufzend an meinen schönen dicken Berber - ich konnte nicht anders. Aber nur kurz, dann verbot ich mir solche Gedanken. Schluss damit. Keine Klimaanlage, kein Berber. Tom war mir nachgetrottet und ließ sich auf dem Flickenteppich nieder. »Na, guck mal«, sagte ich zu ihm, »du kannst also auch auf dicke Teppiche verzichten.« Er sah mich aus großen braunen Augen an - vorwurfsvoll? - und rollte sich zusammen.
Irgendwo musste es noch ein Bad geben. Die Hütte habe Wasser aus eigenem Brunnen und Strom und ein Bad, hatte es geheißen. Aber hier war kein Bad. Ich ging wieder nach draußen und um das Haus herum. Das Bad entpuppte sich als kleiner Anbau mit Dusche, Waschbecken samt einem angelaufenen Spiegel darüber und Klo, alles einigermaßen sauber. Warmes Wasser gab es keins. Aber eine Waschmaschine, die sogar funktionierte. Ich ging wieder ins Haus zu Tom. »Na, mein Hund, da haben wir ja ein echtes Schnäppchen gemacht, aber besser kaltes Wasser als gar keines.« Es begann zu dämmern. Ich musste noch auspacken.
Zwei Stunden später hatte ich die Matratze, die ich noch in Carvoeiro gekauft hatte, aus dem Bus und auf das Bett gezerrt und mein Bett bezogen. Die mitgebrachten Lebensmittel waren im Küchenregal verstaut. Ein Koffer war noch halbvoll, die anderen Sachen hatte ich mit Mühe in der Kommode untergebracht. Auf der Kommode stand Arizona, davor lagen ein paar Bücher. Die Schuhkartons waren an der Wand neben der Tür gestapelt. Ich hatte geduscht, Brot und Käse gegessen, Tom gefüttert und mir Wein aufgemacht. In der Küche hatte ich Kerzen gefunden und drei davon in den Kamin gestellt, die jetzt ihren flackernden Schein in den Raum schickten. Am ersten Abend in meinem Schlupfloch hockte ich im Jogginganzug neben Tom auf dem Bett, rauchte, starrte in die Kerzenflammen und fühlte mich gar nicht so schlecht. Eine Untertasse war mein Aschenbecher. Morgen würde ich noch ein paar Sachen besorgen müssen, einen Besen, eine Lampe für das Schlafzimmer, einen Aschenbecher. Oder übermorgen. Ich war so entsetzlich müde.
Die Ruhe weckte mich. Ich lag Rücken an Rücken mit meinem schnarchenden Hund. Die letzten Bilder eines wirren Traums hingen in meinem Bewusstsein wie sich auflösende Nebelfetzen. Einen Moment lang wusste ich nicht, wo ich war. Von draußen drangen jetzt Vogelstimmen durch...