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Im Nachkriegsmünchen ist er verfemt, und so geht er mit seiner Frau und den drei Töchtern nach Bolivien, der exzentrische Hans Ertl, einst Riefenstahls erster Kameramann und Rommels >Leibphotograph<. Doch auch das neue Leben ist reich an Spannungen, und für seine nächste Expedition, die Suche nach der verlorenen Inkastadt Paititi, muss die ganze Familie einen hohen Preis zahlen. Insbesondere Monika, die älteste Tochter und ihrem Vater frappierend ähnlich, scheint jeden Halt zu verlieren. Was als persönliche Sinnkrise beginnt, wird zu ihrer politischen Radikalisierung führen und sie zu immer extremeren Maßnahmen treiben.
Rodrigo Hasbún hat eine spektakuläre historische Episode zu einem hochexplosiven Kammerspiel verdichtet. Er erzählt von den Hoffnungen und Ernüchterungen einer deutschen Familie im südamerikanischen Exil und von den unentrinnbaren Fliehkräften der Geschichte.
Am Tag seiner Rückkehr vom Nanga Parbat (mit Bildern, die sich in die Seele rammten, so viel Schönheit war unmenschlich) sagte Papa, als wir beim Abendessen saßen, die Bergsteigerei sei zu technisch geworden, das, worauf es ankomme, ginge immer mehr verloren, er werde damit aufhören. Bei diesen Worten begann Mama zu grinsen wie ein Honigkuchenpferd, weil sie wohl glaubte, die Worte enthielten eine Art Versprechen, sagte aber nichts, um ihn nicht zu unterbrechen. Worauf es ankomme, sei doch die Kommunion mit der Natur, fuhr er fort, sein Bart so lang wie nie und dunkel wie seine ein wenig irren Augen, und die Möglichkeit, an Orte zu gelangen, von denen selbst Gott sich abgewandt hat, darauf komme es an. Um Gottes willen, was sage ich, korrigierte er sich, schon an der Schwelle zu einem jener Monologe, die, kaum dass er wieder da war und noch bevor das Schweigen und die Lust auf ein neues Abenteuer in ihm keimten, oft Stunden dauerten, gerade das sind ja die Orte, wo man ihn findet, wo Gott sich von unserer Undankbarkeit und Schäbigkeit erholt.
Monika und Trixi hörten ihm bald schon wie hypnotisiert zu, von Mama ganz zu schweigen. Wir waren sein Clan, die Frauen, die auf ihn warteten, bislang immer in München und jetzt seit anderthalb Jahren in La Paz. Fortgehen, das war, was Papa am besten konnte, fortgehen, aber auch wiederkommen, wie ein Soldat des ewigen Krieges, bis er Kraft geschöpft hatte, um erneut fortzugehen. Das geschah in der Regel nach ein paar Monaten der Ruhe. Diesmal erwähnte er, unmittelbar nachdem er über die Bergsteigerei hergezogen war, den Mund halbvoll, er werde sich nächstens auf die Suche nach Paititi machen, einer versunkenen Inkastadt irgendwo im tiefsten Amazonas. Seit Jahrhunderten habe sie niemand mehr zu Gesicht bekommen, sagte er, und es tat mir weh, Mama anzuschauen, zu sehen, wie kurz ihre Freude gewährt hatte. Sie steckt voller Schätze, die Inkas haben sie dort vor der Gier der Eroberer in Sicherheit gebracht, fügte er hinzu, wobei ihn das noch am wenigsten interessierte, die Wiederentdeckung der Ruinen der Stadt wäre ihm Schatz genug. Jedenfalls hätte er auf dem Rückweg vom Nanga Parbat in São Paulo einen entscheidenden Zwischenstopp eingelegt, und am Ende waren Finanzierung und Ausrüstung gesichert. Man dürfe nicht vergessen, wie lange Machu Picchu unentdeckt geblieben ist, sagte er, jahrhundertelang wusste niemand, dass es da war, wo es ist, bis der kühne Hiram Bingham es gefunden hat.
Papa kannte die Namen von tausend Entdeckern, ich nicht. Ich hatte noch ein Jahr Schule vor mir und andere Sorgen, etwa die Frage, was ich anschließend machen sollte. La Paz war nicht so übel, aber chaotisch, und wir würden hier ewig Fremde bleiben, Zuzügler aus einer anderen Welt, einer gealterten, kalten Welt. Immerhin hatten wir es mittlerweile geschafft, uns einzugewöhnen, nachdem wir monatelang mit allem zu kämpfen hatten, nicht zuletzt mit dem verflixten Spanisch. Mama beherrschte es kaum, meine Schwestern aber immer besser, und ich kam ohne größere Probleme damit zurecht. Meine zweite Wahl war München. Gegen eine Rückkehr dorthin sprach allerdings, dass Monika sich das ebenfalls überlegte und wir in dem Fall am Ende zusammenwohnen würden. Sie war vor kurzem achtzehn geworden, hatte gerade ihr Abitur gemacht und war verwirrter und unbeherrschter denn je. Mit ihren Nervenkrisen hatte sie es geschafft, dass sich noch mehr als früher alles um sie drehte und Trixi und ich uns damit abfinden mussten, die zweite Geige zu spielen, ein bisschen so wie Mama im Verhältnis zu Papa. Es war unschön mit anzusehen, wie sie sich wälzte, das lässt sich nicht leugnen. Wirklich heftig, um nicht zu sagen grauenvoll, beim letzten Mal mussten wir sie sogar festbinden. Wusste Papa davon? Hatte Mama ihm in einem ihrer Briefe davon geschrieben? Oder hatte sie es ihm schon früher erzählt, kaum dass sie in ihrem Zimmer allein waren, vor dem Abendessen? Monika, obwohl Mama sie monatelang bekniet hatte, maß der Sache keinerlei Bedeutung bei (das ist nichts, sagte sie, lasst mich in Ruhe) und weigerte sich kategorisch, einen Psychiater oder Internisten aufzusuchen.
Jedenfalls sollte der innere Aufruhr meiner Schwester zehn Tage nach Papas Ankunft mit jener anderen Sache zusammenfallen: die brasilianischen Archäologen, auf die er wartete, teilten ihm mit, dass sie den Beginn der Expedition verschieben müssten. Papa leuchteten die Gründe nicht ein, und er verstand es als persönlichen Affront, woraufhin zu Hause ein Riesenzirkus losbrach. In den folgenden Tagen hörten wir ihn unendliche Telefonate führen, lautstark Türen schlagen, Drohungen ausstoßen und herumschreien. Zwischendurch saß er dumpf brütend da wie ein Raubtier im Käfig, wie ein Mann, der ganz und gar gescheitert war. Wir hatten Ferien und konnten der Marter nicht entgehen. Eines Nachmittags schließlich, als Monika und ich ihm im Garten halfen, schlug er ihr vor, ihn doch zu begleiten. Meine Schwester wusste weder, ob sie, noch was und wo sie studieren sollte, falls sie es denn täte. Übrigens war sie es, die die Entscheidung, nach Bolivien zu gehen, am heftigsten kritisiert hatte. Noch auf dem Schiff nahmen ihre Vorwürfe kein Ende. Wir können unser altes Leben doch nicht einfach so über den Haufen werfen, sagte sie, bevor das Gezanke losging, so was tut man nicht. Noch mal bei null anfangen ist eine Chance, die nicht viele haben, sagte Papa. Man kann nicht wieder bei null anfangen, unterbrach ihn meine Schwester, abhauen tun nur Feiglinge. Zu solchen Reden schwieg er, und sein Schweigen brachte sie erst recht in Fahrt, bis auch er die Geduld verlor, und dann sagte Mama zu Trixi und mir, wir sollten an Deck spazieren gehen, während die beiden weiter stritten, manchmal stundenlang. Später, als wir in La Paz ankamen, verstand ich die Befürchtungen meiner Schwester besser. Nichts war, wie wir es kannten (es gab bettelnde Kinder, Indios, die riesige Lasten auf dem Rücken trugen, unfertige Häuser allenthalben), und insgesamt wirkte alles marode und schmutzig. Ein paar Monate später, wir waren schon in eine Wohnung im Zentrum gezogen und Papa eben zum Nanga Parbat aufgebrochen, begannen Monikas Nervenkrisen. Über ein Jahr war seitdem vergangen. Zu meiner Überraschung nahm sie jetzt im Garten seinen Vorschlag, ihn zu begleiten, auf Anhieb an.
Offensichtlich wollte Papa zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: sich ihre Unterstützung für die Expedition sichern, die er, wie wir dann erfuhren, keine Sekunde zu verschieben beschlossen hatte, außerdem aber Monika von ihren Dämonen und Selbstzweifeln fortholen. Ich traute meinen Ohren nicht, als ich das hörte, und sagte, dann müsse er mich auch mitnehmen. Du gehst doch noch zur Schule, Dummerchen, schaltete sich meine Schwester ein. Ich kann ein paar Monate fehlen, sagte ich, ohne die Ruhe zu verlieren, und wandte mich dann wieder an Papa. So was könnte für mein Leben wichtig sein, sagte ich, das weißt du besser als jeder andere. Wie es wohl für ihn war, nach Hause zu kommen nach so langer Zeit, umgeben von einer feindlichen Natur und ständig nur in Gesellschaft von Männern wie ihm selbst? Sollte irgendetwas passiert sein, wovon wir nichts mitbekommen hatten, weswegen er nicht mehr bergsteigen wollte? Und das mit Paititi, worum ging es ihm wirklich? Und worum mir? Bloß darum, die Schule zu schwänzen? Mich meinen Mitschülerinnen überlegen zu fühlen, die vor Neid platzen würden, wenn sie davon erführen? Oder darum, nicht hinter Monika zurückzustehen? Als hätte sie alles, einschließlich der Fragen, die ich mir gerade stellte, vorausgesehen, formte sie ein seltsames Lächeln in Richtung Papa, während er nickte. Die Brust schnürte sich mir zusammen, ich schaute meine Schwester an und meine Schwester schaute mich an, und keine wusste so recht, was sie sagen sollte. Ich vermute, es machte uns Angst zu wissen, dass die Sache ernst wurde.
Wir müssen gut vorbereitet sein, sagte er nach einer Weile. Untereinander sprachen wir deutsch, die wenigen Male, wo wir es auf Spanisch tun mussten, fühlte es sich falsch an. Es wurde dunkel, bald würden wir reingehen müssen. Wir waren schon fertig mit Unkrautjäten, man musste nur noch den Jutesack zubinden und draußen in den Müll werfen. Was das Material betrifft, sind wir bestens gerüstet, sagte er, wir haben moskitosichere Kleidung, Funktelegrafen, Aluminiumleitern, spezielle Dosen für Filmmaterial, eine phantastische Kamera, alles, was man braucht, um bis ans Ende der Welt zu gelangen. Die Ausrüstung hatte er sich mit der Unterstützung irgendeines bolivianischen Ministeriums und des brasilianischen Instituts kaufen können, das einverstanden war, wenn er ohne ihre Leute aufbrach. Die Zukunft wird hier stattfinden, hatte ich ihn in den letzten Tagen oft sagen hören, Europa hat seine Chance verpasst, jetzt sind Länder wie dieses an der Reihe. In unserem war er nicht mehr erwünscht, und die Verachtung beruhte auf Gegenseitigkeit, obwohl ihm die deutsche Filmkunst viel zu verdanken hatte. Während der Berliner Olympischen Spiele, der berühmten Produktion von Leni Riefenstahl, war Papa der erste Kameramann, der unter Wasser gefilmt und einige unglaubliche Luftaufnahmen gemacht hatte, der erste auf so vielen Gebieten. Jahrelang hatte er auch mit großem Einsatz beeindruckende Bilder vom Krieg geliefert. Das wussten alle und wir am besten, nicht von ungefähr mussten wir auf einen anderen Kontinent, in ein anderes Leben umziehen. Materiell sind wir vorbereitet, wiederholte er im Garten, während er sich den Jutesack über die Schulter warf, aber planerisch noch nicht, auch körperlich und mental nicht, geistig schon gar nicht. Wusste Mama Bescheid? Hatten sie das schon besprochen? Würden wir ohne ihr Einverständnis gehen? Es wird nicht leicht...
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