Schweitzer Fachinformationen
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Der ganze Trubel begann mit dem Kauf dieses Gemäldes. Dabei war das Bild wirklich witzig: Ein Burschenschafter springt vor einer heranbrausenden Pferdekutsche zur Seite und bemerkt die große Pfütze nicht, in die er patschen wird .
Doch seit ich dieses Bild in meinem Wohnzimmer aufgehängt hatte, spielten sich nachts darin seltsame Dinge ab. Ich glaubte Geräusche zu hören - wenn ich aber aufstand und nach dem Rechten sah, war da niemand. Nur ein seltsamer Geruch hing in der Luft. Es roch nach Terpentin. Veranstaltet hier jemand Schnüffelpartys, fragte ich mich. Aber wieso in meiner Wohnung? Terpentin schnüffeln kann man doch überall? Oder ging von diesem Gemälde eine besondere Wirkung aus, die den berauschenden Effekt noch verstärkte? Ich studierte das Bild einige Zeit, konnte aber nichts Außergewöhnliches daran erkennen. Was also hatte es mit den heimlichen Besuchen auf sich?
Um der Sache auf den Grund zu gehen, legte ich mich nachts auf die Lauer. Ich löschte kurz vor Mitternacht im Wohnzimmer das Licht und stellte mich mit einem Baseballschläger bewaffnet hinter eine Zimmerpalme. Da vor dem Fenster eine Straßenlaterne stand, konnte ich gut erkennen, was in meinem Zimmer vor sich ging. Kommt ihr nur, sagte ich mir, bald hat es sich ausgeschnüffelt.
Ich döste eine Weile vor mich hin, da hörte ich ein dumpfes Geräusch hinter der Bücherwand. Ich schreckte hoch und lauschte gespannt, doch das Geräusch verstummte. So sehr ich auch horchte, es war nichts mehr zu hören. Ich musste mich wohl getäuscht haben.
Ich dämmerte wieder vor mich hin, als sich plötzlich eine schmale Tür im Bücherregal öffnete und eine schwarze Gestalt mit einem ungewöhnlichen Mantel das Zimmer betrat. Mir stockte der Atem und ich hätte beinahe vor Schreck den Baseballschläger fallen gelassen. Mit hämmerndem Puls beobachtete ich, wie der nächtliche Besucher langsam auf das Gemälde mit dem Burschenschafter zuging und einen Handscheinwerfer auf einen Beistelltisch stellte. Dann holte er aus seiner Tasche einige Farbtuben hervor. Also doch ein Schnüffeljunkie, sagte ich mir, gleich wird er an den Tuben lutschen. Doch zu meiner großen Überraschung drückte die Gestalt etwas Farbe auf eine Palette und begann am Bild zu malen.
Ich schlich leise hinter der Zimmerpalme hervor und wollte schon mit dem Baseballschläger ausholen - ließ es aber bleiben. Der nächtliche Maler schien mir nicht besonders gefährlich zu sein. So sprang ich ihn einfach von hinten an und warf ihn zu Boden.
Er schrie: »Herr Krohnstadt, sind Sie das?«
»Nein!«, antwortete ich, »ich bin der Nachtwächter.«
»Lassen Sie mich los! Ich hab's nicht gern, wenn man mich überfällt.«
»Verzeihung, Herr Einbrecher«, sagte ich süffisant.
Ich nahm seinen Handscheinwerfer und leuchtete ihm ins Gesicht: Sein Mund war weit aufgerissen und seine Augen waren tiefblau.
Dann stand ich auf und machte das Licht an.
Der Einbrecher saß auf dem Boden und sagte vorwurfsvoll: »Ist das eine Art, einen Gast zu begrüßen?«
»Ein seltsamer Gast«, sagte ich belustigt.
Während er sich aufrappelte, füllte ich zwei Gläser mit Rémy Martin. Als er aufgestanden war, gab ich ihm ein Glas in die Hand und bedeutete ihm, auf dem Sofa Platz zu nehmen.
Ich fragte ihn: »Wie heißen Sie?«
»Lysander Lichtwitz.«
»Meinen Namen kennen Sie ja bereits.«
»Allerdings.«
Ich fragte weiter: »Was machen Sie in meiner Wohnung?«
»Ich male.«
Ich sagte: »Das ist die dümmste Ausrede, die ich jemals gehört habe.«
»Ist aber die Wahrheit.«
»Und wieso mitten in der Nacht?«
Er antwortete: »Dumme Frage, damit Sie mich nicht erwischen.«
»Jetzt habe ich sie aber erwischt.«
Er machte ein verdrießliches Gesicht: »Ja, leider.«
»Also, was hat das Ganze auf sich.«
»Ich stelle das Bild fertig.«
Ich deutete zum Gemälde: »Aber das Bild ist doch ganz bemalt und in sich stimmig.«
Er zog die Stirn kraus: »Wie soll ich Ihnen das erklären? Das ist wie bei Mozarts Vater.«
»Bitte?«
»Der junge Mozart spielte seinem Vater manchmal einen Streich. Wenn er mitten in der Nacht auf die Toilette ging, spielte er eine Kadenz auf dem Cembalo und ließ den letzten, schließenden Akkord zum Grundton weg. Der Vater konnte die unfertige Kadenz nicht ertragen, stand auf und spielte den Schlussakkord. Genauso ergeht es mir.«
Ich blickte ihn unverständig an.
»Verstehen Sie nicht? Ich höre ständig die vielen unvollendeten Akkorde meiner Bilder, und sie machen mich schier verrückt.«
»Aber«, wandte ich ein, »es handelt sich doch um Farbe und nicht um Töne?«
Er verzog sein Gesicht und riss die Hände hoch: »Sie verstehen mich nicht.«
»Dann erklären Sie's mir.«
»Das ist wie beim Wein. Der ist auch noch nicht reif, wenn er in Flaschen gefüllt wird. Und genauso ist es mit meinen Bildern. Sie reifen in meiner Seele. Und wenn sie dann vollkommen sind, muss ich sie physisch vollenden.«
Ich gab mir redlich Mühe, seinem Gedankengang zu folgen. Doch was er mir eigentlich sagen wollte, war mir immer noch nicht klar.
Ich fragte ihn: »Und wieso haben Sie dann das Bild verkauft?«
»Weil ich musste, ich brauchte das Geld.«
Ich sagte: »Sie können doch nicht jedes verkaufte Bild nachträglich ändern?«
»Aber ich muss! Sonst werde ich verrückt!«
»Sind Sie sicher, dass Sie das nicht bereits sind?«
Er lächelte fein. »Diese Frage ergibt doch keinen Sinn .«
Er hatte recht. Einen Wahnsinnigen zeichnet ja aus, dass er seinen Irrsinn nicht erkennen kann.
Ich nahm einen Schluck Cognac und fragte ihn: »Wieso nehmen Sie nicht psychologische Hilfe in Anspruch?«
»Das habe ich schon versucht. Doch es gibt keine Heilung.«
Auf meinen fragenden Blick sagte er: »Der Künstlerseelsorger ist selbst ein armes Schwein. Er muss jeden Abend in die Oper, wegen der Opernsänger. Und da gibt es zumeist Klassikerschändungen, dabei hat er einen konservativen Geschmack. Er bekommt dabei immer Erstickungsanfälle und eilt mit den Worten: >Ich brauche Luft< hinaus. Anschließend trinkt er gewöhnlich einen über den Durst, um dieses schreckliche Erlebnis zu vergessen.«
Ich musste schmunzeln.
Er fuhr fort: »Nein, er braucht selbst Hilfe. Bei den Sitzungen waren plötzlich die Rollen vertauscht, er lag auf der Couch und ich musste zuhören.«
Ich sagte: »Wenn Sie nicht zufrieden sind, dann malen Sie halt ein Neues.«
Er entgegnete: »Wenn ein Kind missraten ist, wollen Sie dann einfach ein Neues machen? Nein, ich muss mit dem Kind, das ich in die Welt gesetzt habe, leben und es so gut gestalten, wie es nur irgend geht.«
Er sah tatsächlich aus wie das Leiden Christi! Eine Künstlerseele in Not.
Ich fragte ihn: »Was stört Sie konkret an diesem Bild?«
»Die Corps-Farben der Burschenschaft Bavaria sind weiß-hellblau-weiß und nicht blau-weiß-schwarz, wie ich herausgefunden habe.«
Ich machte eine einladende Geste: »Dann los!«
Er sprang auf und umarmte mich.
Ich wehrte mit den Händen ab: »Ist ja schon gut.«
»Verzeihen Sie, es hat mich übermannt.«
Der komische Kauz gefiel mir. Das Gemälde selbst bedeutete mir nicht viel. Ich hatte es aus einer Laune heraus gekauft. Und da er nur eine Kleinigkeit ändern wollte, war ich damit einverstanden.
Während er sich am Bild zu schaffen machte, erzählte er von seinem letzten Einsatz: »Ich wollte ein Bild korrigieren, es heißt >Wiener Kongress<. Gekauft hatte es die Gräfin von Hohenstätt in Schwabing. Letzte Woche fand ich heraus, dass sie eine Soiree gab. Ich dachte, bei so einer Gesellschaft ist immer viel Betrieb und ein einzelner fällt nicht auf.
Als ich mich dort einfand, entdeckte ich zu meiner Freude, dass besagtes Bild in einem Nebenraum hing. Wunderbar! Keine Störenfriede, keine lästigen Zeugen. Ich packte also meine Malutensilien aus und machte mich am Haar vom Zar Alexander I. zu schaffen - sein Haar war dunkelblond, nicht schwarz, wie ich in einer Dokumentation gesehen hatte - da stolperte ein Gast zur Tür herein. Er murmelte was von Toilette, dann verschwand er wieder.«
Lysander machte eine Pause und ich sah ihn erwartungsvoll an.
»Dieses Plappermaul hat dann leider geplaudert . So füllte sich der Raum nach und nach mit Gästen. Am Anfang hielten sie es alle für einen Partygag, einen tollen Einfall der Gastgeberin. Einer meinte, ich könnte dann gleich die Tapeten neu gestalten .
Doch dann wurde die Hausherrin auf mich aufmerksam. Sie fiel schier aus dem Häuschen, als sie meine Verbesserungen sah. Sie hat mich...
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