1. KAPITEL
Als sie in die Ankunftshalle des Fiji Nadi Airport kam, stieß Della Wilton einen glücklichen Seufzer aus. Obwohl sie zu einem Arbeitsurlaub hier war, schienen sich ihre Probleme schlagartig aufgelöst zu haben, sobald sie über die Metalltreppe vom Flugzeug auf den glühend heißen Asphalt getreten war.
Della hievte ihren übervollen Koffer auf einen Flughafen-Trolley, wobei sie sich den großen Zeh anstieß. Schmerzlich verzog sie das Gesicht, doch nicht einmal ein geprellter Zeh konnte ihrer guten Stimmung etwas anhaben. Zwei ganze Wochen voller Sonnenschein, Seminaren und Operationen am Pacific Health Hospital auf Viti Levu, der Hauptinsel der Fidschi-Inseln, lagen vor ihr. Genau der richtige Auftrieb, den sie nach der dreieinhalbjährigen Flaute seit ihrer Scheidung brauchte.
Sobald sie all ihre Gepäckstücke sicher verstaut hatte, schob sie den Trolley zum Ausgang, wobei sie bereits vom Schnorcheln an den Korallenriffen im glasklaren Meer und Hängematten zwischen Kokospalmen träumte. Von früheren Ferien mit ihrer Familie, aber auch von ihren unseligen Flitterwochen zu Beginn ihrer dreijährigen Ehe wusste Della, dass sich vor dem Flughafengebäude ein Taxistand befand. Doch schon nach zwei Schritten in diese Richtung kam ihr schwer beladener Trolley unvermittelt zum Stehen, weil seine Rollen blockierten. Da ihr Oberkörper dabei gegen den Griff prallte, schnappte sie einen Moment lang nach Luft. Typisch, dass sie ausgerechnet den miesesten Trolley erwischt hatte. Verärgert zerrte sie den Wagen rückwärts, in der Hoffnung, die Rollen auf diese Weise wieder in Gang zu bekommen. Jedoch vergeblich.
Erneut blieb der Trolley abrupt stehen, wodurch ihr Bordcase mit lautem Getöse herunterfiel. Della bückte sich danach, um ihn aufzuheben. Ihr Nacken fühlte sich bereits verschwitzt an, sowohl von der feuchten Hitze als auch von dem Kampf mit ihrem Gepäck. Entnervt richtete sie sich wieder auf . und sah sich plötzlich der Person gegenüber, die sie zuallerletzt auf Fidschi erwartet hätte: Harvey Ward.
"Della .", meinte er gedehnt, wobei ein belustigtes Lächeln seine Mundwinkel umspielte. Mit einem argwöhnischen Ausdruck musterte er ihren großen Koffer, als wäre dieser voll von Sexspielzeugen, Pralinen und Tequila - die bedauernswerte Überlebensausrüstung einer Single-Frau. "Hat dir noch keiner erklärt, wie man mit leichtem Gepäck reist?"
Ehe Della auch nur ein Wort sagen konnte, drückte Harvey ihr einen Kuss auf die Wange. Sprachlos blieb ihr der Mund offen stehen, während der ungewohnte Kontakt augenblicklich und völlig unpassenderweise erotische Gefühle in ihr auslöste, die ihre Nervenfasern zu elektrisieren schienen. So etwas hatte Harvey noch nie getan. Ihre übliche Begrüßung bestand in einem widerstrebenden Zunicken oder einem knappen "Hallo".
"Was in aller Welt tust du denn hier?", fuhr sie ihn an. Dabei ließ sie die höfliche Gleichgültigkeit fallen, die sie ihm gegenüber sonst zeigte. Er war kein Freund, auch wenn sie sich schon seit vielen Jahren kannten. Aber auch kein wirklicher Feind, obwohl er als der erfahrenere Unfallchirurg Della ihren Traumjob in Melbourne vor der Nase weggeschnappt hatte. Und ganz sicher kein Lover - abgesehen von jener einen unbesonnenen Nacht, nachdem sie vor drei Jahren ihre Scheidungsurkunde erhalten hatte. Weil sie sich beschämt und zurückgewiesen fühlte, hatte sie an dem Abend zu viel Roséwein getrunken und vorübergehend den Verstand verloren.
Wie aufs Stichwort erinnerte sie sich daran, wie es gewesen war, nackt in seinen starken Armen zu liegen. Ein einziges Mal hatte sie mit Harvey Sex gehabt und konnte es noch immer nicht vergessen.
"Freut mich auch, dich zu sehen." Er lachte, bevor er mit aufreizender Gelassenheit an Della vorbeiging, um einen neuen Trolley zu nehmen, der offenbar perfekt funktionierende Rollen besaß.
Diesem blöden Kerl gelang eben einfach alles. Wie konnte er so cool, entspannt und sexy in den legeren Leinenshorts und dem Poloshirt aussehen, die seine Sonnenbräune und seinen schlanken, athletischen Körperbau betonten, wohingegen Della dringend duschen musste. Vorzugsweise möglichst kalt.
"Ich bin hier, um dich abzuholen", meinte Harvey.
Della schob sich das feuchte, lockige Haar aus dem geröteten Gesicht. Ihre Haut kribbelte vor lauter Hitze. "Na, das erklärt ja alles", murmelte sie.
Ihr wurde flau zumute. Der letzte Mensch, dem sie in ihrem Urlaub begegnen wollte, war ihr beruflicher Konkurrent und ewiger Widersacher Harvey. Anscheinend war er extra aus Australien angereist, um sie zu provozieren und auf ihre Unzulänglichkeiten hinzuweisen. Wie immer.
"Das hab ich gehört." Amüsiert zuckte er die Achseln, während er ihre Gepäckstücke mühelos auf seinen besseren Trolley stellte. "Freust du dich etwa nicht, mich zu sehen?"
Mürrisch presste Della den Mund zusammen. Das war auch etwas, was sie ärgerte. Genau wie ihr älterer Bruder Brody, sein bester Freund, war auch Harvey auf Konkurrenzkampf ausgerichtet. Wahrscheinlich fühlte er sich deshalb so wohl in ihrer Familie. Dellas Eltern waren Allgemeinmediziner und Brody einer der besten Nierenspezialisten Australiens. Als Jüngste war Della mit dem Gefühl aufgewachsen, den Ansprüchen ihrer Familie nie wirklich gerecht werden zu können. Dieses Gefühl hatte sich nur noch weiter verstärkt, als der selbstbewusste, arrogante Harvey als Familienmitglied ehrenhalber bei den Wiltons aufgenommen wurde.
Sobald beide Koffer in perfekter Balance auf dem Trolley lagen, lächelte Harvey ihr triumphierend zu und steuerte damit lässig auf den Ausgang zu. Als wäre er vollkommen sicher, dass Della ihm folgen würde.
"Wie ich sehe, hegst du mir gegenüber also immer noch einen Groll." Er warf einen herausfordernden Blick über seine breite Schulter, der wie immer sofort Dellas Angriffslust weckte.
Seit damals, als Brody seinen Freund Harvey als frischgebackenen Arzt zum ersten Mal nach Hause mitgebracht hatte, besaß dieser einen hungrigen Ausdruck in seinen Augen, von dem Della sich immer leicht bedroht fühlte. Als würde er ein Geheimnis kennen, das sie nicht sehen konnte, weil sie zu dumm war. Natürlich war sie als Achtzehnjährige scharf auf ihn gewesen, trotz der Beziehung mit ihrem damaligen Freund, einem angehenden Ingenieur. Harvey war ein attraktiver Mann. Schon damals, mit dreiundzwanzig, bevor er Chirurg geworden war, hatte er eine unglaublich selbstsichere Ausstrahlung gehabt. Doch sobald sie miteinander sprachen, war schon nach wenigen Minuten klar gewesen, dass sie beide niemals gut miteinander auskommen würden. Ihre gegenseitige Verachtung hatte sich geradezu blitzartig gezeigt, und beide hatten einen absolut negativen Eindruck voneinander bekommen.
Brody hatte Della von der armen Frau berichtet, mit der Harvey die vorhergehende Nacht verbracht hatte, aber nie wieder anrufen würde.
Achselzuckend hatte Harvey dies kommentiert mit: "Ich habe ihr gleich gesagt, dass es nichts Ernstes ist."
Della dagegen war traurig darüber, dass sie wegen des Medizinstudiums ihren Freund zurücklassen und eine Fernbeziehung führen musste. Als Brody sie deshalb aufzog, hatte Harvey völlig unsensibel zugestimmt mit der Bemerkung: "Das wird wahrscheinlich sowieso nicht halten."
Della, die zu dem Zeitpunkt noch sehr verliebt gewesen war, hatte sofort Anstoß an Harveys Einstellung zu Beziehungen im Allgemeinen genommen. Er tat so, als wäre der Wunsch nach Liebe und Bindung unter seiner Würde und nur etwas für Dummköpfe.
"Ich hege keinen Groll." Della eilte ihm nach. Mit einem Meter achtundachtzig und seinen langen Schritten war er im Gegensatz zu ihren ein Meter achtundsechzig allerdings klar im Vorteil. "Aber ich möchte doch festhalten, dass du mir tatsächlich meinen Job weggeschnappt hast."
Der verbitterte Jammerton in ihrer Stimme nervte sie. Ja, natürlich grollte sie Harvey. Im Grunde war die Stelle als Chefärztin der Unfallchirurgie am Melbourne Medical Center nicht ihr Job. Sondern Harvey hatte genauso viel Anrecht darauf wie Della. Da sie nur wegen ihres Ex-Mannes aus ihrer Heimatstadt Melbourne nach Sydney gezogen war, hätte sie nach der demütigenden Scheidung diesen beruflichen Erfolg dringend gebraucht, um ihr Selbstvertrauen wieder aufzubauen. Dass sie die Stelle dann ausgerechnet an Harvey verlor - vor allem, nachdem sie gerade mit ihm geschlafen hatte, war eine bittere Pille gewesen. Letztendlich hatte dies dazu geführt, dass Della nach Neuseeland flüchtete, um dort eine Stelle als Oberärztin anzutreten und so von Sydney und Ethan wegzukommen.
"Kann ich was dafür, dass sie den besten Chirurgen für den Job haben wollten?", erwiderte Harvey augenzwinkernd. Er ging durch die Automatiktür, wo durch einen Schwall kühler Luft Della sein sexy Männerduft entgegenwehte.
"Nein, aber du kannst was dafür, dass du ein arroganter Kontrollfreak bist." Sie merkte nicht, dass er stehen geblieben war, bis sie mit ihm zusammenstieß und ihre Brüste seinen Arm streiften. Sie blickte auf, wobei ihr glühende Hitze ins Gesicht schoss und ihren gesamten Körper durchströmte. Er war ihr viel zu nah, viel zu groß und zu sehr . Harvey.
Schnell wich sie zurück, denn statt dem scherzhaften Ausdruck in seinen Augen sah sie nur den intensiven Blick, mit dem er sie in jener Nacht angeschaut hatte, als sie in seinen Armen lag.
"Komm schon, Della." Er warf ihr ein strahlendes...