Schweitzer Fachinformationen
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Reed
»Bitte sag mir, dass das nicht dein Ernst ist, Hazel«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während ich meine Schwester musterte.
Hazel setzte ihr strahlendstes Lächeln auf. Das, bei dem ich ihr nie etwas abschlagen konnte, bei dem ihre haselnussbraunen Augen glänzten.
Verdammt! Sie meinte das wirklich ernst.
Ich stöhnte. »Wir haben doch auch so schon genug zu tun!«
»Komm schon, Reed, ich konnte unmöglich ablehnen.« Hazel lehnte sich auf ihrem Schreibtischstuhl zurück und verschränkte die Arme. Wenn sie das tat, sah sie immer aus wie eine geborene Anführerin. Niemand würde je auf die Idee kommen, mit welchen Zweifeln sie sich tagtäglich herumplagte. Dabei machte sie einen verdammt guten Job als Campleiterin. »Moira Sinclair hat mir persönlich zugesichert, dass sie die komplette Sommersaison sponsern wird - und wir reden hier nicht nur von ein paar Packungen Happy Crush fürs Frühstück, sondern von allem, was die Firma zu bieten hat: Cini Pops, Twerkies, Snizzlers, Caramel Gums, Coco Nuts und so weiter.« Sie riss die Augen auf. »Die Kids werden ausrasten.«
»Die Eltern auch, wenn wir ihre Goldschätze mit Diabetes zurück nach Hause schicken«, murrte ich und rieb mir genervt über das Gesicht. Ich überlegte, mich auf einen der zwei Stühle vor Hazels Schreibtisch zu setzen, blieb aber stehen, weil ich eigentlich gar keine Zeit für dieses Gespräch hatte. Am Anreisetag war immer die Hölle los, und da draußen ging es zu wie in einem Bienenstock.
Insgesamt bestand das Betreuungsteam aus sechs Gruppenbetreuern. Früher hatten wir noch ein oder zwei Springer gehabt, die je nach Bedarf eingesetzt wurden. Allerdings hatten wir in dieser Saison zugunsten einer Ergotherapeutin auf die Zusatzstellen verzichtet, und auch wenn alle neuen Mitarbeiter bereits am Vortag angereist waren und nach einem umfangreichen Briefing wussten, was sie zu tun hatten, wäre ich trotzdem lieber bei ihnen gewesen. Ungeduldig schaute ich auf meine Armbanduhr.
Hazel lachte. »Keine Sorge! Dotty wird aufpassen, dass die Kids auch etwas Gesundes essen. Außerdem könnte der Zeitpunkt gar nicht besser sein. Du weißt selbst, dass uns die Renovierungsmaßnahmen im Frühling eine ganze Stange Geld gekostet haben.«
Das stimmte wohl.
Wir hatten das Camp vor ein paar Jahren von unseren Eltern übernommen, die seither durch Europa tingelten und nur selten nach Hause kamen. Ich freute mich für die beiden. Sie hatten das Camp fast dreißig Jahre erfolgreich geführt, und inzwischen genoss es einen ausgezeichneten Ruf. Aber die Buchungen hätten durchaus zahlreicher sein können. Für den Herbst waren bislang nur ein paar Klassenfahrten hierher geplant. Mehr nicht.
»Mit Sinclairs Angebot können wir neue Kanus kaufen«, fuhr Hazel mit leuchtenden Augen fort.
Ich winkte ab. »Ein frischer Lack tut's auch. Dann halten sie noch für eine Saison.«
Meine Schwester stöhnte. »Es ist doch bloß für zwei Monate, Reed. Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt.«
Ungläubig sah ich sie an. »Du warst aber schon anwesend, als wir uns darauf geeinigt haben, diesen Sommer keine Praktikumsstellen zu vergeben, oder?«
Hazel zuckte mit den Schultern. »Vielleicht war ich diesbezüglich etwas voreilig.«
»Wir hatten in den letzten Monaten vier Praktikanten, die allesamt eine absolute Katastrophe waren.«
Unglücklich verzog Hazel das Gesicht. »Das war bloß Pech.«
»Pech?« Entgeistert schüttelte ich den Kopf. »Muss ich dich wirklich an den Typen aus Oklahoma erinnern? Er hat einen Joint geraucht, während die Kids mit Schnitzmessern herumhantiert haben. Es war pures Glück, dass sich niemand einen Finger abgehackt hat. Oder dieses Mädel, das völlig ausgeflippt ist, weil sie ein paar Mückenstiche an der Stirn hatte.«
Hazel presste die Lippen aufeinander, konnte sich aber ein Kichern nicht verkneifen. »Ihr Abgang war wirklich filmreif.«
Sie war heulend aus dem Camp geflohen und auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Hazel hatte ihr das Gepäck mit der Post nachschicken müssen.
Ich wollte wirklich nicht alle Praktikanten über einen Kamm scheren. Schließlich hatte es in den letzten Jahren immer wieder Lichtblicke gegeben. Aber die meisten Bewerber hatten gedacht, sie würden ein paar Kids im Auge behalten und dafür einen traumhaften Sommerurlaub inmitten der Rockys kriegen. Sobald sie dann jedoch feststellten, dass dieser Job harte Arbeit war, ließen sie jede Verantwortung fahren, wurden leichtsinnig und unzuverlässig. Das konnte ich wirklich nicht gebrauchen. Die nächsten Wochen brachten schon genug Herausforderungen mit sich.
»Wir haben diesen Sommer fünf neue Leute dabei«, sagte ich. »So viele wie noch nie.«
Hazels Wangen wurden tiefrot, und sie senkte den Blick. »Es tut mir leid, okay?«
Das glaubte ich ihr sogar. Streng genommen war es nicht mal ihre Schuld. Hazel hatte einfach etwas an sich, das die Männer faszinierte. Sie war selbstbewusst, immer gut drauf und ließ sich - wenn überhaupt - nur auf lockere Affären ein. Denn für sie gab es nur eine große Liebe: ihre Tochter Maila.
Dummerweise verknallten sich die Kerle trotzdem immer wieder in sie, was im Frühjahr zu einer ganzen Reihe von Dramen und Kündigungen geführt hatte.
»Ich bin ab jetzt ganz brav«, versprach sie verlegen. »Kannst du mir also bitte diesen Gefallen tun?«
Ich schüttelte erneut den Kopf. »Sorry, Schwesterchen. Ich werde schon genug damit zu tun haben, die Neuen anzulernen. Da kann ich wirklich keine Praktikantin gebrauchen, die mir auf den Wecker geht. Wenn du sie nicht mehr loswerden kannst, schick sie zu Dotty. In der Küche wird immer Hilfe gebraucht und den Naschkram kriegen wir trotzdem.«
Schuldbewusst biss Hazel sich auf die Unterlippe.
Ich kannte diesen Gesichtsausdruck - und er verhieß nichts Gutes. »Was verschweigst du mir?«
»Na ja.« Hazel wischte einen imaginären Staubfussel von der Tischplatte. »Die Vereinbarung gilt nur, wenn sich Miss Sinclair aktiv am Campalltag beteiligt.« Sie zögerte. »Und es gibt da noch etwas, das du über Estelle wissen solltest.«
Ein Pochen setzte in meiner Schläfe ein. »Was denn?«
»Praktikantin ist zwar die offizielle Bezeichnung, inoffiziell ist es allerdings eher so, dass sie . dass sie .« Hazel holte tief Luft. ». ein paar Sozialstunden abbrummen muss.«
»Sie ist vorbestraft?« Ich starrte meine Schwester finster an. »Hast du den Verstand verloren?! Wir können keine Straftäterin auf unschuldige Kinder loslassen. Sie könnte ein Drogenproblem haben oder zu Gewaltausbrüchen neigen oder .«
»Es ist nichts dergleichen«, unterbrach Hazel mich schnell. »Es war eine einmalige Sache, für die sie nun geradesteht.«
Eine einmalige Sache.
Mein Magen verkrampfte sich, und ich spürte, wie mir sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich. Ich brauchte mehrere Anläufe, um weiterzureden. »Vor fünf Jahren hat eine einmalige Sache mein ganzes Leben zerstört. Du weißt das. Wie zur Hölle kommst du darauf, dass ich dabei mitspiele?«
Mitgefühl flackerte in Hazels braunen Augen auf. »Das hier hat nichts mit Savannah zu tun, Reed. Estelle ist mit einem Cop aneinandergeraten und ausfällig geworden. Der Typ hat die Sache persönlich genommen und sie verklagt.«
Beamtenbeleidigung? Was für ein Klischee.
»Hör zu«, sagte Hazel in versöhnlichem Tonfall. »Estelle wird ihre Sozialstunden ableisten, obwohl sie sich problemlos hätte freikaufen können, das ist doch gut.«
Ein zynisches Grinsen hob meine Mundwinkel. »Und trotzdem zahlt ihre Mom lieber diese nette, kleine Praktikumsstelle inmitten der Natur, anstatt zuzulassen, dass die Prinzessin sich in einer Großküche oder bei der Straßenreinigung die Hände schmutzig machen muss.«
Beklommen rieb Hazel sich über die Stirn. »Mir ist vollkommen klar, dass dir das nicht gefällt. Wenn du dich absolut nicht in der Lage siehst, dich ihrer anzunehmen, sage ich eben wieder ab. Du bist der Teamleiter dieses Camps. Du entscheidest.«
Ich schnaubte. Es war mir scheißegal, dass diese Frau bereit war, sich ein, zwei Fingernägel abzubrechen. Manche Dinge waren einfach unverzeihlich. Ich öffnete schon den Mund, um meiner Schwester mitzuteilen, dass sich die Prinzessin den Weg hierher sparen konnte, als ein Klopfen an der Tür erklang.
Hazel sprang von ihrem Stuhl auf. »Herein?«
Genervt über die Unterbrechung fuhr ich zur Tür herum.
Eine schlanke Blondine Mitte zwanzig stand darin. Ihr Haar fiel ihr in dicken Wellen über die schmalen Schultern. Einige Strähnen umrahmten ihr herzförmiges Gesicht, ließen es weich erscheinen, obwohl die dunkel geschminkten, tiefblauen Augen eine gewisse Aggressivität ausstrahlten. Ihr kühler Blick wanderte durch Hazels Büro, registrierte in Sekundenschnelle jedes Detail: das alte Bücherregal an der linken Wand, das mit Ordnern und Prospekten bestückt war, den Schreibtisch vor dem Fenster mit einem herrlichen Ausblick auf den Silver Lake, die alte Kommode, die Bilder an den Wänden.
Als sie fertig war, wandte sie sich mit undurchdringlicher Miene an Hazel. »Ich bin Estelle Sinclair.«
Im Geiste stieß ich eine Verwünschung aus, weil Hazel bis zum letzten Moment gewartet hatte, mich über diesen verfluchten Deal zu informieren. Zur Krönung lächelte sie Estelle auch noch freundlich an, während sie hinter ihrem Schreibtisch...
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