Schweitzer Fachinformationen
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Als Falk und Carmen nach ein paar Stunden eine Pause einlegten, war es taghell, und die Stadt lag weit hinter ihnen. Sie standen am Straßenrand und reckten sich. Wolken warfen Schatten auf die Weiden. Die Gegend war dünn besiedelt. Ein Pick-up mit landwirtschaftlichem Gerät auf der Ladefläche donnerte vorbei, das einzige Fahrzeug auf den letzten dreißig Kilometern. Der Lärm erschreckte einen Schwarm Rosakakadus, die kreischend von einem nahen Baum aufstiegen.
«Weiter geht's», sagte Falk. Carmen gab ihm den Autoschlüssel, und er setzte sich ans Steuer ihres zerbeulten weinroten Wagens. Als er den Motor anließ, überkam ihn sofort ein vertrautes Gefühl.
«Ich hatte auch mal so einen Wagen.»
«Warst aber so vernünftig, ihn rechtzeitig abzustoßen?» Carmen streckte die Beine auf der Beifahrerseite aus.
«Nicht freiwillig. Er ist vor einigen Monaten demoliert worden, in dem Ort, wo ich aufgewachsen bin. Ein Willkommen-zu-Hause-Gruß von ein paar Einheimischen.»
Sie sah zu ihm herüber, ein winziges Schmunzeln. «Ach ja. Ich hab davon gehört. ist eine ziemlich harmlose Umschreibung, finde ich.»
Falk strich mit einer gewissen Wehmut über das Lenkrad. Sein neuer Wagen war okay, aber er vermisste den alten.
«Außerdem ist das Jamies Auto», sagte Carmen, als er anfuhr. «Eignet sich für lange Strecken besser als meiner.»
«Ach so. Wie geht's Jamie?»
«Gut. Wie immer.»
Falk wusste eigentlich nicht, was das hieß. Er hatte Carmens Verlobten nur ein einziges Mal gesehen. Jamie war ein muskulöser Typ in Jeans und T-Shirt, der bei irgendeiner Sportgetränke-Firma im Marketing arbeitete. Er hatte Falk die Hand geschüttelt und ihm eine Flasche mit einer blauen, sprudelnden Flüssigkeit gegeben, die angeblich seine Leistungsfähigkeit steigern würde. Das Lächeln des Mannes wirkte echt, aber es lag auch noch etwas anderes in seinem Blick, als er Falks große, dünne Gestalt musterte, seine blasse Haut, das weißblonde Haar und die verbrannte Hand. Wenn Falk hätte raten müssen, hätte er gesagt, es war so etwas wie Erleichterung.
Falks Handy summte in der Mittelkonsole. Er wandte den Blick kurz von der leeren Straße auf das Display und reichte Carmen das Telefon. «Dieser Sergeant hat was geschickt.»
Carmen öffnete die Mail. «Also, er sagt, an dieser Trekkingtour haben zwei Teams teilgenommen. Eine Männer- und eine Frauengruppe mit jeweils unterschiedlichen Routen. Er schickt uns die Namen der anderen Frauen.»
«Sind beide Teams von BaileyTennants?»
«Sieht ganz so aus.» Carmen holte ihr eigenes Smartphone hervor und öffnete die Website von BaileyTennants. Aus dem Augenwinkel konnte Falk den schwarz-silbernen Firmenschriftzug der kleinen, aber feinen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft auf dem Display sehen.
«Okay. Breanna McKenzie und Bethany McKenzie», las sie laut von seinem Handy ab. «Breanna ist doch Alice' Assistentin, oder?» Carmen tippte auf ihr eigenes Display. «Ja, da ist sie. Mein Gott, die sieht aus, als könnte sie Reklame für Vitamine machen.»
Sie hielt Falk ihr Handy hin, und er warf einen Blick auf das glänzende Mitarbeiterfoto einer Frau von Mitte zwanzig. Er verstand, was Carmen meinte. Selbst in dem wenig schmeichelhaften Bürolicht besaß Breanna McKenzie die vor Gesundheit strotzende Ausstrahlung einer Frau, die jeden Morgen joggen ging, regelmäßig Yoga praktizierte und ihrem schimmernden schwarzen Pferdeschwanz gewissenhaft jeden Sonntag eine Pflegepackung verpasste.
Carmen tippte wieder aufs Display. «Über die andere finde ich hier nichts. Bethany. Meinst du, die beiden sind Schwestern?»
«Möglich.» Vielleicht sogar Zwillinge, dachte Falk. Breanna und Bethany. Bree und Beth. Er ließ sich die Namen auf der Zunge zergehen. Sie hörten sich an, als würden sie zusammengehören.
«Wir können später noch rausfinden, warum sie dabei war», sagte Carmen. «Die Nächste ist Lauren Shaw.»
«Der Name ist uns doch auch schon mal begegnet, oder?», sagte Falk. «Irgendwas im mittleren Management?»
«Genau, sie ist - ach ja, stimmt, Strategische Leiterin der Unternehmensplanung.» Carmen hielt ihm wieder das Handy hin. «Keine Ahnung, was das heißen soll.»
Was auch immer sie machte, Laurens schmales Gesicht gab nichts preis. Ihr Alter war schwierig zu schätzen, aber Falk vermutete irgendwas zwischen Mitte bis Ende vierzig. Ihr Haar war mittelbraun, ihre hellgrauen Augen blickten direkt in die Kamera, und ihre Miene war so ausdruckslos wie ein Passfoto.
Carmen blickte wieder auf die Liste mit den Namen. «Wow.»
«Was ist?»
«Hier steht, dass Jill Bailey auch dabei war», sagte sie.
«Im Ernst?» Falk blickte weiter geradeaus auf die Straße, doch der besorgte Druck, den er seit letzter Nacht in der Brust spürte, pulsierte und wurde stärker.
Carmen rief Jills Foto gar nicht erst auf. Sie beide kannten die fülligen Gesichtszüge der Vorstandschefin. Ihr fünfzigster Geburtstag stand bevor, und weder teure Kleidung noch Friseurbesuche konnten verhindern, dass man ihr jedes Jahr ansah.
«Jill Bailey», sagte Carmen, während sie die Mail des Sergeant weiter runterscrollte. Plötzlich verharrte ihr Daumen. «Scheiße. Und ihr Bruder war in der Männergruppe.»
«Ganz sicher?»
«Ja. Daniel Bailey, Geschäftsführer. Steht hier schwarz auf weiß.»
«Das gefällt mir überhaupt nicht», sagte er.
«Nee, mir auch nicht.»
Carmen klickte leise mit den Fingernägeln auf ihr Handy, während sie nachdachte. «Also gut. Wir wissen nicht genug, um irgendwelche Schlüsse zu ziehen», sagte sie schließlich. «Diese Mailbox-Nachricht liefert überhaupt keinen Kontext. Es ist in jeder Hinsicht - realistisch, statistisch - am wahrscheinlichsten, dass Alice Russell sich irgendwie verlaufen hat.»
«Ja, das ist am wahrscheinlichsten», sagte Falk. Er fand, dass sie sich beide wenig überzeugt anhörten.
Sie fuhren weiter, und die Radiosender verklangen im Nichts, während die Landschaft vorbeiflog. Carmen fummelte an dem Knopf herum, bis sie einen knisternden Mittelwellensender fand. Die Nachrichten zur vollen Stunde wurden mal lauter, mal leiser. Die Wanderin aus Melbourne wurde noch immer vermisst. Die Straße schwang in weitem Bogen nach Norden, und plötzlich konnte Falk die Berge des Giralang-Massivs am Horizont sehen.
«Warst du schon mal da?», fragte er, und Carmen schüttelte den Kopf.
«Nein. Du?»
«Nie.» Das stimmte, aber er war in einer Gegend aufgewachsen, die dieser nicht unähnlich war. Eine einsame Landschaft, wo Bäume dick und dicht auf einem Boden wuchsen, der nichts gern hergab.
«Die jüngere Geschichte hier verleidet mir die Gegend irgendwie», sagte Carmen. «Ich weiß, es ist albern, aber .» Sie zuckte die Schultern.
«Was ist eigentlich aus Martin Kovac geworden?», fragte Falk. «Sitzt er immer noch?»
«Keine Ahnung.» Carmen tippte wieder auf ihrem Smartphone. «Nein. Er ist tot. Ist vor drei Jahren im Gefängnis gestorben. Mit zweiundsechzig. Ach ja, jetzt fällt's mir wieder ein. Er hatte eine Schlägerei mit einem Mitinsassen, ist mit dem Kopf auf den Boden geknallt und nicht wieder aufgewacht. Kann nicht behaupten, dass mir das besonders leidtut.»
Falk ging es ebenso. Die erste Leiche war die einer vierundzwanzigjährigen Lehramtsreferendarin aus Melbourne gewesen, die ein Wochenende in der freien Natur verbringen wollte. Eine Gruppe von Campern hatte sie gefunden, Tage später. Der Reißverschluss ihrer Shorts war aufgerissen worden, der Rucksack mit ihrer Trekking-Ausrüstung fehlte. Sie war barfuß, erwürgt mit ihren eigenen Schnürsenkeln.
Im Laufe der folgenden drei Jahre waren noch zwei weitere Frauenleichen und eine Vermisste nötig gewesen, bis erstmals der Name des Wanderarbeiters Martin Kovac in Zusammenhang mit den Morden gebracht wurde. Doch da war der Schaden schon längst angerichtet. Ein langer und anhaltender Schatten war auf die friedlichen Berge des Giralang-Massivs gefallen, und Falk gehörte zu einer ganzen Generation, die damit aufgewachsen war, jedes Mal zu frösteln, wenn der Name fiel.
«Kovac hat bis zu seinem Tod nicht gestanden, die drei Frauen ermordet zu haben», las Carmen laut von ihrem Handy ab. «Auch nicht die vierte, die Vermisste, die nie gefunden wurde. Sarah Sondenberg. Das war besonders traurig. Sie war erst achtzehn. Erinnerst du dich an die Appelle der Eltern im Fernsehen?»
Und wie er sich erinnerte. Zwei Jahrzehnte später sah er noch immer die Verzweiflung in den Augen der Eltern vor sich.
Carmen versuchte weiterzuscrollen, seufzte dann. «Mist. Nichts geht mehr. Das Netz ist weg.»
Falk war nicht überrascht. Die Bäume auf beiden Seiten der Straße warfen Schatten, die kein Morgenlicht durchließen.
Keiner sagte noch etwas, bis sie vom Highway abfuhren. Carmen faltete die Landkarte auseinander und gab Anweisungen, als die Straße immer schmaler wurde und die Berge dunkel vor der Windschutzscheibe aufragten. Sie kamen an einer kleinen Reihe von Läden vorbei, die Ansichtskarten und Trekking-Zubehör verkauften. An einem Ende war ein kleiner Supermarkt und am anderen eine einsame Tankstelle.
Falk schaute auf die Tankanzeige und setzte den Blinker. Auch Carmen stieg aus, während er tankte. Sie mussten beide gähnen, das frühe Aufstehen forderte seinen Tribut. Hier draußen war es kühler, und die Luft fühlte sich frostig an. Carmen reckte sich ächzend, und er ging hinein, um zu bezahlen.
Der Typ hinter der Theke trug eine Beanie-Mütze und einen Siebentagebart. Er nahm Haltung...
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