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Mein mörderischer Kopfschmerz wollte einfach nicht weichen. Natürlich half es wenig, dass das Gezänk am Tisch mit jeder Meinungsverschiedenheit lauter wurde.
»Damit verschwenden wir unsere Zeit.« Hohn troff von Staines' Lippen.
Ob ich als Vorsitzende des Rats, der Endor das Handwerk legen sollte, den WerBären zu einem Charme-Lehrgang zwingen konnte? Vielleicht in der Schweiz, mit einem Haufen Teenager aus reichem Hause? Oder in Timbuktu?
»Es ist kaum unsere Schuld, dass er letzte Woche nicht auf unsere Ebene zurückgekehrt ist. Nicht alles lässt sich vorhersehen. Schließlich sind wir nicht Gott.«
Ich beschloss, ihn mit der kompletten Magierdelegation auf den Lehrgang zu schicken. Sie würden nach all den Jahren, die sie an der Akademie Zauberei studiert hatten, gewiss gute Schüler sein und dort bestens reinpassen.
»Selbstverständlich nicht«, sagte Staines verschnupft.
»Ihre ungemein beredte und gnädige Majestät die Sommerkönigin ist der Ansicht, wir sollten endlich untersuchen, auf welchen Ebenen sich dieser Abschaum verbirgt.«
»Und dafür meldet ihr euch freiwillig? Und beginnt mit den ersten paar Hunderttausend?«
Beltran warf Lucy einen vernichtenden Blick zu. »Zum Glück können wir die Auswahl auf eine kurze Liste möglicher Bereiche beschränken und euch als Schlägertrupp und nicht etwa Hirn der Operation die Untersuchung überlassen. Höchste Zeit, dass auch die Bruderschaft sich der Herausforderung stellt.«
Um der Fairness willen würde ich die Elfen in ein militärisches Ertüchtigungslager schicken, vorzugsweise in Sibirien. Nicht dass sie nicht zu kämpfen wussten, aber manchmal musste man sie nötigen, Befehle auszuführen und sich ihrerseits der Herausforderung zu stellen.
An Staines' Schläfe trat eine pulsierende Ader hervor. Ich beobachtete sie fasziniert.
»Willst du damit andeuten, wir wären dumm? Was denkt ihr denn, wo ihr ohne unsere Hilfe jetzt wärt? Unsere Strategie und Taktik haben die einzige Möglichkeit eröffnet, Endor zur Strecke zu bringen.«
»Strategie und Taktik, die wir dem Drako Wyr verdanken, nicht euch«, stellte der Elf mit wohlüberlegter Nonchalance fest. »Außerdem habt ihr damals versagt. Ist euch das etwa entfallen?«
Aus Lucys Kehle drang ein tiefes Knurren. »Wenigstens waren wir da. Während ihr euch in den Wäldern versteckt hattet.«
»Versteckt haben wir uns wohl kaum. Wenn wir uns nicht eingemischt und die Menschen mitgebracht hätten, wäre alles viel schlimmer geworden. Ich denke eher, wir haben gerettet, was zu retten war. Wir müssten nicht hier sein, sondern könnten stillvergnügt in Tir Na Nog bleiben und euch die Jagd auf Endor überlassen. Aber wir sind nicht so herzlos, euch jede Hoffnung auf einen Sieg über ihn zu rauben.«
»Nicht so herzlos? Warte mal kurz«, unterbrach Larkin ihn. »Wann hat euch das Schicksal anderer Gattungen je geschert? Ihr seid doch nur hier, weil ihr etwas von ihr wollt.« Er wies mit dem Kopf auf mich. »Ihr seid die unbeständigsten, unzuverlässigsten, seelenlosesten Geschöpfe überhaupt!«
»Noch seelenloser als der Totenbeschwörer, dessentwegen wir alle hier sind?«
»Rede nicht so mit ihm!«
»Ich spreche mit ihm und dir und jedem anderen, wie es mir passt. Welchen Nutzen bietet ihr Magier denn?«
Max stieß seinen Stuhl zurück. »Sag das noch mal.«
»Welchen Nutzen bietet ihr Magier .«, begann der Elf.
Blaues Licht flackerte auf Max' Haut. »Ich werde dich vernichten.«
»Mich vernichten? Du kannst nicht mal den einfachsten Verfolgungszauber schaffen - geschweige denn etwas, das mir schaden könnte.« Er lächelte hämisch. »Oder doch?«
»Ist der Papst Katholik? Scheißen Bären in den Wald?«
Larkin legte Max begütigend eine Hand auf den Arm.
»Was denn?« Max sah seinen Freund kurz an, dessen Blick zum WerBären Staines zuckte. Als Max begriff, was er gesagt hatte, besaß er immerhin den Anstand, leicht zu erröten.
Staines verzog angewidert das Gesicht. »Der Elf hat nicht unrecht. Was die Bruderschaft betrifft: Wir helfen nur aus.« Er sah die beiden Magier an. »Machen wir uns nichts vor: Als Totenbeschwörer fällt Endor allein in eure Zuständigkeit - ihr solltet euch glücklich schätzen, dass wir bereit sind, euch zu helfen.«
Plötzlich stand mir ein Bild von Staines vor Augen, der vorsichtig mit einem auf dem Kopf balancierten Buch durch ein Zimmer ging, während Max und Larkin in einer Ecke Blumen arrangierten. Ich schnaufte vernehmlich. Alle drehten sich um und starrten mich an. Also verdrängte ich das Bild, starrte zurück und beschloss, nun sei es Zeit, mich in den Streit einzumischen.
»Wer gehen will, tut das bitte jetzt. Niemand wird zur Verantwortung gezogen, falls seine Organisation sich aus dieser .«, - Zeitverschwendung? Katastrophe? Zerstörung dessen, was der Rest meines glücklichen Lebens hätte sein können? - ». aus dieser Ratsrunde zurückzieht«, beendete ich den Satz und beglückwünschte mich zu meinem ruhigen Ton.
Alle schauten mich nur an. Ich wies nach links. »Da ist die Tür.«
Keiner rührte sich.
»Gut. Also kein Gejammer mehr darüber, wer hier sein sollte und wer nicht. Keine fiesen Kommentare mehr. Kein Gezänk. Ihr sagt nur dann etwas, wenn es uns dabei helfen kann, Endor zu finden und zu vernichten.«
Ergebenes Schweigen. Doch mir fiel auf, dass Staines' Schläfenader schon wieder pulsierte. Na, egal.
»Wie sieht es mit den Baumnymphen aus?«
Max und Lucy antworteten gleichzeitig. Mit erhobener Hand hieß ich sie schweigen. Hätte ich bloß daran gedacht, Schmerztabletten mitzunehmen.
»Max?«
»Wir haben Schutzzauber um all ihre großen Habitate gelegt. Sie werden durch eine erhebliche Macht verteidigt, die allerdings zur Erschöpfung unserer .«
»Maximal fünf Worte, Max.«
Er sackte leicht in sich zusammen. »Keine Aktivität an den Bannkreisen«, murmelte er.
»Lucy?«
Sie antwortete mit betont ausdrucksloser Miene. Die Gestaltwandler betrachteten mich demnach wohl nicht mehr als Freundin. Ich mühte mich, dies nicht als ärgerlich anzusehen. Nein, es ärgerte mich nicht. Überhaupt nicht. Nicht im Geringsten. Der plötzliche Schmerz in der Brust rührte eindeutig von einer Magenverstimmung, nicht von der Tränenflut, die ich zurückhalten musste.
»Keine Hinweise auf Scheusale.«
»Und bei dir, Beltran?«
»Auch nicht.«
»Gab es Meldungen von anderen Gattungen der Anderwelt? Irgendwas Widerspenstiges?«
Alle schüttelten den Kopf.
»Wurde jeder gewarnt?«
Staines räusperte sich. Ich nickte ihm zu. Wenigstens war der Hierarchie-Mist der Bruderschaft mal zu was gut.
»Alle Anführer, Lords, Ladys und Ratsmitglieder wurden über die Lage informiert. Auch im Andernetz stehen Warnungen - mit Nummern, die man anrufen soll, falls es Hinweise auf das Wiederauftauchen des Totenbeschwörers gibt.«
»Gut. Leitet alle erfolgversprechenden Anrufe an mich weiter.« Ich sah Beltran kurz an. »Wie würdest du die Zahl von Ebenen eingrenzen, auf denen Endor sich aufhalten könnte?«
»Das hängt davon ab, wer schon da ist und wo er sich wohlfühlt. Zugegeben, es ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, aber wir müssen irgendwo anfangen.«
Ich schürzte die Lippen. »Einverstanden. Sobald du eine brauchbare Liste hast, teile sie zwischen euch, den Magiern und den Gestaltwandlern auf und beginnt mit der Suche.« Ich warf ihnen allen einen entschlossenen Blick zu. »Besucht die Ebenen immer zu dritt, wobei jede Gruppe einen Vertreter schickt. Bei Sicherheitsbedenken entscheidet selbst, ob ihr mehr Leute mitnehmt. Aber falls ich auch nur von einem Übergriff, einer Streiterei oder einem bösen Blick zwischen euch höre, nehme ich mir die Beteiligten persönlich vor. Und das wird ihnen nicht gefallen. Wir müssen zusammenarbeiten, wenn wir Endor aufspüren und erledigen wollen.«
Alle wirkten unfroh über diese Ankündigung, widersprachen aber nicht.
»Haltet den Verfolgungszauber aufrecht - für den Fall, dass Endor plötzlich wieder hier auftaucht«, wies ich die Magier an, und sie nickten.
»Sollte es keine neuen Entwicklungen geben, treffen wir uns in einer Woche hier wieder.«
Einen Moment lang rührte sich keiner. Ich funkelte alle verärgert an, und sie standen auf und machten sich auf den Weg. Als Larkin Beltran auf den Fuß trat und der Elf das Gesicht verzog, dachte ich kurz, die Streitereien würden wieder losbrechen. Aber der Magier entschuldigte sich ungelenk, und Beltran machte nur eine gereizte Handbewegung. Lucy nahm für ihren Abgang den langen Weg um den Tisch herum und hielt bloß kurz inne, um mir einen Zettel hinzulegen. Im Zimmer stand nur noch der Rasierwasserduft der Magier, die ihr Aftershave wahrscheinlich nur so ausgiebig aufgetragen hatten, um die feinen Nasen der Gestaltwandler zu düpieren. Ich genoss die selige Stille, doch dann fiel mir Lucys Zettel ins Auge.
Das zusammengefaltete Stück Papier musste von Corrigan stammen. Erst vor drei Tagen hatte in diesem Zimmer die furchtbare Besprechung stattgefunden, während der ich ihn vor der Hälfte der Anderwelt-Größen praktisch fallen gelassen hatte. Trotz der unmittelbaren und sehr realen Gefahr durch Endor hatte ich seither eigentlich nur an den Ausdruck in seinen Augen denken können, als er begriffen hatte, was geschah. Immer wieder hatte ich überlegt, ob es richtig von mir...