Schweitzer Fachinformationen
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Eine Auszeit vom Alltag, das ist es, was Amy Byler, alleinerziehende Mutter, sich am sehnlichsten wünscht. Als plötzlich der reuige Ex-Mann vor der Tür steht und ihr anbietet, sich den Sommer über um die Kinder zu kümmern, nimmt sie gerne an und zieht nach New York. Endlich hat sie Gelegenheit, all das zu tun, was sie immer hat aufschieben müssen ... sogar auf eine Liebelei mit dem charmanten Bibliothekar Daniel lässt sie sich ein. Doch als der Herbst kommt, muss sie sich fragen: Kann man das, was man hat, lieben und trotzdem mehr wollen?
Drei Monate zuvor
Bei manchen Menschen rechnet man überhaupt nicht damit, ihnen in einer Kleinstadt in Pennsylvania zu begegnen. Manchen dagegen läuft man ständig über den Weg. Meine beste Freundin Lena beispielsweise sehe ich fast täglich. Sie unterrichtet an derselben Schule wie ich, und selbst wenn wir einander aus dem Weg gehen wollten, würden unsere Wege sich zwangsläufig kreuzen: auf dem Schulflur oder im Lehrerzimmer oder eben auf dem Parkplatz, wo wir selbst Ende April noch die Autoscheiben freikratzen müssen.
Oder Trinity, die beste Freundin meiner Tochter. Ein Tag ohne Trinity scheint ein Ding der Unmöglichkeit. Trinity in der Schule, Trinity bei uns zu Hause, Trinity, die schon mit ihrem Auto bereitsteht, um meine Tochter vom Schwimmtraining abzuholen und dann mit ihr in die Stadt zu fahren und Jungs zu gucken.
Oder meine Dentalhygienikerin. Ich sehe sie jeden Samstag auf dem Markt, wo sie mit den Frauen ihrer Kirchengruppe handgeschöpfte Seifen und Kerzen verkauft. Wenn ich mal nicht an ihrem Stand vorbeischaue, bekomme ich umgehend Post von ihr, und weil ich weiß, wie geizig sie ist, muss ihr das wirklich ein Anliegen sein. Liebe Amy, schreibt sie dann, ich mache mir Sorgen um dich und hoffe, dir und den Kindern geht es gut. In Gottes Liebe, Miriam.
Und natürlich die Leute, mit denen man erst gar nicht rechnet. Jamie aus Outlander zum Beispiel. Nach dem kann ich mir noch so sehr die Augen ausgucken, der lässt sich partout nicht blicken, weder auf dem Markt noch in der Schule noch bei den Kreativwettbewerben meines Sohnes.
Oder Oprah Winfrey. Mit Oprah würde ich mich gern mal über Bücher unterhalten, das stelle ich mir sehr nett vor.
Oder meinen Mann.
Nur dass genau der doch jetzt vor mir steht. Der Mann, mit dem ich seit achtzehn Jahren verheiratet bin und den ich zuletzt vor drei Jahren gesehen habe, als meine Tochter zwölf war und mein Sohn gerade noch acht, und er sich zwei von mir gebügelte Hemden und zwei von mir gekaufte Krawatten, seine Laufschuhe, Sportklamotten, Rasierzeug sowie sechs verschiedene angstlösende Medikamente in sein Handgepäck packte und zu einer Geschäftsreise nach Hongkong aufbrach, von der er nie zurückgekehrt ist.
Bis jetzt.
Denn er ist es, definitiv. Auch nach drei Jahren würde ich ihn überall erkennen, selbst wenn er wie jetzt vor dem Pflasterregal in unserer Drogerie steht. Er schaut zu mir herüber und ringt sich ein Lächeln ab. Mir ist sofort klar, was er hier will, und mir hat seit Jahren vor genau diesem Moment gegraut.
Dabei war es bloß eine Frage der Zeit.
Er will sein altes Leben zurück.
Wie jede erwachsene, mit beiden Beinen im Leben stehende Frau es in Anbetracht der Situation machen würde, ziehe ich erst mal den Kopf ein und verstecke mich hinter den Wattestäbchen.
Ein zweckloses Manöver. John ist vielleicht fünf Meter von mir entfernt und hat mich längst gesehen. Er hat ja extra dieses verlegene Lächeln für mich aufgesetzt, an das ich mich noch bestens erinnere. Es wird stets von einem entschuldigenden Schulterzucken begleitet und soll so viel heißen wie »Tut mir leid, dass ich vergessen habe, auf dem Heimweg noch Milch zu besorgen, aber es war ein langer Tag, und ich bin müde, und können die Kinder morgen nicht einfach trockenes Müsli zum Frühstück essen?« Meine Schüler haben eine ähnliche Variante, bei ihnen ist es das »Kann ich auch für meine Mühe eine Eins haben?«-Lächeln.
Das Problem ist, dass John nicht einfach vergessen hat, auf dem Nachhauseweg Milch zu besorgen, sondern gar nicht erst nach Hause gekommen ist. Drei Jahre hat er sich nicht blicken lassen, hat sich nicht um seine Kinder gekümmert, keine Rechnungen bezahlt, hat vergessen, dass er eine Frau hat, für die er da sein sollte. Und da kann man schon eine andere Miene erwarten, finde ich. Eine Miene zum Beispiel, die ein gewisses Schuldbewusstsein ausdrückt. Oder die Ahnung, dass deine Ex gleich mit einem stumpfen Gegenstand auf dich eindreschen wird.
Aus meiner geduckten Haltung am Ende des Erste-Hilfe- Regals schaute ich mich nach stumpfen Gegenständen um.
Alles, was ich sehe, sind neonpinke Hula-Hoop-Reifen. Es dürfte schwer sein, einen Mann mit einem rosa glitzernden Plastikreif k. o. zu schlagen, doch allein die Vorstellung erfüllt mich mit süßer Genugtuung.
»Amy?«, höre ich John fragen. »Amy, bist du das?«
Er weiß, dass ich es bin. Ich weiß, dass er es ist. Ich würde ihn überall erkennen. Im ersten Jahr nach seinem Verschwinden habe ich ihn dauernd irgendwo gesehen. Manchmal, wenn ich in der Stadt unterwegs war, meinte ich ihn in einem vorbeifahrenden Auto zu erspähen. Und jedes Mal machte mein Herz einen Satz, nur um im nächsten Moment in sich zusammenzufallen, wenn ich merkte, dass es mal wieder falscher Alarm war. Einmal, wenige Wochen, nachdem er uns verlassen hatte, sah ich einen Mann, der aus der Ferne wie John wirkte, in einem Mietwagen in unsere Straße einbiegen. Plötzlich war ich von einer solchen Gewissheit erfüllt, dass mir das Blut heiß in den Ohren rauschte und ich mich fühlte wie, keine Ahnung, wie jemand, der in einer einsamen Schlucht feststeckt, ohne Wasser und Verpflegung, und plötzlich kommt jemand und lässt eine Strickleiter herab. Ich fuhr rechts ran und wartete ab, ob der Wagen vor unserem Haus halten würde, aber er fuhr einfach weiter. Ich schaute ihm im Rückspiegel hinterher und brauchte bestimmt zwanzig Minuten, um mich davon zu erholen.
Aber das jetzt ist etwas anderes. Das ist keine Übung. Diesmal ist es wirklich John. Er ist wieder da, und lieber würde ich verhungern und verdursten, als nach dem rettenden Seil zu greifen.
»John«, sage ich mit gespielter Verwunderung und richte mich langsam auf. Dann gehe ich um die Ecke in seinen Gang, zu den Kühlpacks und Mullbinden und Wundsalben. Alles da, um ihn zu verarzten, nachdem ich ihm mit Plastikspielzeug und Vorratspackungen Vitamin D eins übergezogen habe.
»Ich glaub's ja nicht, dass ich dich hier treffe«, sagt er, und da weiß ich auch nicht mehr, was ich sagen soll. Er glaubt es nicht, mich hier zu treffen? Hier in dieser Stadt, wo wir fast zwanzig Jahre zusammengelebt haben? Wo unsere Kinder die ersten Worte gesprochen und ihre ersten Schritte gemacht haben und jetzt darauf warten, dass ich nach Hause komme mit - ich muss in den Einkaufskorb schauen, weil ich ganz vergessen habe, was ich eigentlich besorgen wollte - mit Mikrowellenpopcorn, Tampons und Clearasil? »Also, ich dachte natürlich, ich würde bei euch vorbeikommen, und hatte mich schon gefragt, wie du es aufnehmen würdest und wie ich es anstellen sollte, erst unter vier Augen mit dir zu reden, bevor ich dann die Kinder wiedersehe. Aber so ist es ja viel besser, oder was meinst du? Dann rücke ich euch nicht gleich so auf die Pelle.«
Ich starre ihn bloß an und bin sprachlos. Ich könnte schreien. Oder heulen. Was gäbe ich jetzt darum, eine dieser Frauen zu sein, die so eine richtige Szene machen und dem anderen die Fingernägel ins Gesicht krallen können. Aber so bin ich nicht. Außerdem stehen wir ja mitten in der Drogerie, also starre ich einfach bloß.
»Amy?«, fragt er. »Ist alles in Ordnung, Amy?«
»Verschwinde«, höre ich mich sagen. »Ich weiß nicht, was du hier willst, aber wir brauchen dich nicht. Verschwinde einfach wieder, am besten sofort.« Ich setze den Einkaufskorb ab, der plötzlich unerträglich schwer ist, und scheuche ihn mit der Hand weg wie einen Vogel, der sich im Park zu dicht neben mir niedergelassen hat.
»Es tut mir leid«, entgegnet er da. »Ich meine, tut mir leid, aber ich habe nicht vor, so bald wieder zu verschwinden.«
Gehhilfen, schießt es mir durch den Kopf. Verkaufen sie hier nicht auch Gehhilfen? Damit ließe sich einiger Schaden anrichten, vor allem mit den dreibeinigen, die extrastarken Halt bieten.
»Amy?«, kommt es erneut von ihm, und ich frage mich, ob man mir meine Gedanken ansieht. Hat sich ein Lächeln in mein Gesicht geschlichen, ein Grinsen gar? Ich spüre ein Lachen in mir aufsteigen und kann es mir selbst nicht erklären. »Möchtest du dich setzen?«, fragt John nun.
Und dann geht er zu weit. Er tut, was er nicht hätte tun sollen, was in Anbetracht der Umstände eine solche Anmaßung ist, dass es mir fast egal ist, was die Leute denken und ich aus vollem Hals hätte schreien können, nur damit er aufhört.
Er streckt die Hand nach mir aus.
Ich reiße meinen Arm weg. »Oh nein«, protestiere ich, und damit scheint der Bann gebrochen, die Gefahr gebannt, die im Grunde gar keine war - kein Übergriff, kein Grund zu schreien oder sich zu verstecken -, und endlich bin ich wieder klar im Kopf und in der Realität dieses Augenblicks angekommen. Ich atme tief durch. »Ich weiß wirklich nicht, was du hier willst, John. Aber es ist jetzt drei Jahre her, seit du mit mir und den Kindern unter einem Dach gelebt hast, seit wir Tisch und Bett und unseren Alltag geteilt haben, tagein, tagaus. Drei Jahre. Das sind mehr als tausend Tage. Du kannst nicht einfach zurückkommen und so tun, als ob nichts wäre. Kannst nicht hier in meiner Drogerie auftauchen und dich bei den Pflastern und den Mullbinden herumdrücken und, keine Ahnung, einfach nach meinem Arm greifen, als wäre ich alt und gebrechlich. Das kannst du einfach nicht bringen. Nicht nach all den Tagen und Nächten und den unbezahlten Rechnungen und dem Kredit, den wir umschichten mussten, und dann die Besuche beim Zahnarzt! Das kannst du nicht machen. Das geht einfach nicht.«
John ist immer kleiner geworden. Sein betretenes Lächeln ist einem Schmerz gewichen, der...
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