Schweitzer Fachinformationen
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Christine betrachtete sich im Spiegel. «Macht mich dieser Daunenparka nicht sehr dick?»
«Du siehst wunderbar aus. Und draußen wirst du froh sein, was Warmes anzuhaben. Die Temperatur ist garantiert weit unter null, dazu der eisige Wind, das ist verdammt kalt, sag ich dir.» Richard nahm noch einen Schluck von dem Tee mit Rum. «Ich wärm mich lieber von innen», fügte er mit einem Lächeln hinzu.
«Ich bin schon ein bisschen aufgeregt», sagte Christine und überprüfte nochmals den Sitz der Kapuze. «Robben, Rentiere und Walrosse. Was haben wir nicht alles gesehen in den letzten Tagen. Und all die Wasservögel. Vögel, Vögel und noch mehr Vögel. Ich hab die ganzen Namen schon wieder vergessen, so viele. Vögel haben wir zu Hause ja auch - aber heute sehen wir endlich mal einen echten Eisbären in freier Wildbahn!»
«Ja, ich bin auch froh, dass wir uns nicht für die Tour zu den Eisbergen entschieden haben. Da versprechen Eisbären schon etwas mehr Action. Aber hoffentlich bekommen wir so ein Viech überhaupt vor die Linse - wenn man bedenkt, was dieser Ausflug kostet.» Ihr Ehemann holte seine Fotokamera aus dem Schrank. «Und so was nennt sich all-inclusive.»
Christine zuckte die Schultern. «Ich fand die Eisberge auch schön. Wofür haben wir denn sonst diese Schiffsreise in die Arktis unternommen?»
«Na, um uns zu erholen und Eisbären zu sehen.» Ihr Mann nahm noch einen Schluck.
«Das kannst du zu Hause auf dem Sofa auch», antwortete sie. Sie hatten sich die Luxuskreuzfahrt Letzte Geheimnisse in den Norden gegönnt, raus aus dem Vorort von München, etwas machen, was sich nicht jeder leisten konnte. «Jetzt mecker nicht, die geben sich hier echt Mühe. Sogar Bio-Eier und Sojamilch gibt es zum Frühstück und frisches Obst, so viel man will.»
«Nicht zu vergessen die fünf verschiedenen Biersorten .» Richard grinste. «Das muss ich denen lassen - die Bar ist spitze.»
Ein Krächzen ertönte aus dem Lautsprecher. «Die Gäste, die die Tour gebucht haben, bitte bereit machen. Treffpunkt in fünf Minuten an Deck. Ich wiederhole: in fünf Minuten an Deck.»
«Na, dann los.» Richard erhob sich.
«Moment, ich brauch noch was für unterwegs.» Christine steckte zwei Schokoriegel ein und sah ihn verschmitzt an. «Wer weiß, wann wir wieder zurückkommen.»
An Deck der Nordic Adventure blies ein unangenehmer Wind. Die Sonne war hinter blassgrauen Wolken verschwunden. Christine zog ihre Kapuze zu.
«Blaue, rote und gelbe Gäste, bitte aufpassen!» Der Expeditionsleiter, ein Mann in den Dreißigern mit Vollbart und verspiegelter Brille, hob die Hand. Er war kein Einheimischer, sondern tatsächlich Deutscher, sah aber aus, als hätte er schon viele Expeditionen geleitet. Christine war erleichtert. Ihr Englisch war sehr eingerostet, bei Richard sah es noch schlechter aus.
«Bitte finden Sie sich zu Ihrer Gruppe zusammen. Die Farbe steht auf Ihrem Ticket für den Ausflug. Wir werden gleich in drei Zodiac-Schlauchboote einsteigen. Jeweils acht Passagiere pro Einheit. Sie erkennen Ihr Boot anhand der Flaggenfarbe Blau, Rot oder Gelb an Bord. Bitte nur in das Zodiac einsteigen, das Ihre Farbe hat.» Seine Stimme ging beinahe im allgemeinen Geplauder der Teilnehmer unter. «Hallo, bitte aufpassen!» Der Bärtige klatschte in die Hände. «Bitte zuhören, das ist wichtig!» Es folgte ein zehnminütiger Sicherheitsvortrag, gespickt mit Hinweisen und Warnungen. «Und bitte denken Sie daran: Das, was Sie gleich sehen werden, ist unberührte Natur. Im Sinne des nachhaltigen Tourismus bitte nichts von der Insel mitnehmen, keine Abfälle wegwerfen, immer zusammen in der Gruppe bleiben!»
«Sehen wir denn garantiert einen Eisbären?», fragte ein Mann mit Fellmütze.
«Die Chancen stehen sehr gut», antwortete der Expeditionsleiter. «Um diese Jahreszeit halten sich die Tiere für gewöhnlich in Strandnähe auf. Falls es Sie beruhigt: Auf unseren letzten Ausflügen kamen unsere Gäste immer auf ihre Kosten.» Er sah jeden einzelnen seiner Gäste an. «Eisbären sind eine seltene Spezies geworden, sie stehen auf der Liste der gefährdeten Arten. Daher haben Sie bitte Respekt vor diesen prächtigen Tieren. Wenn wir gleich ein Exemplar sehen, genießen Sie das Schauspiel. Selbst für mich ist das jedes Mal ein erhebender Moment. So einen Ausflug vergisst man sein Leben lang nicht.» Er zeigte auf die Treppe. «Und nun bitte in die Boote.»
Ein Begleiter des Expeditionsleiters trug ein Gewehr mit sich. «Wollen Sie uns was zum Abendessen schießen?», sagte Richard grinsend, als er an ihm vorbeiging.
Der Mann verzog keine Miene. «Die Waffe habe ich zu unserem Schutz dabei, ist Vorschrift», erklärte er ebenfalls auf Deutsch. «Eisbären sind Raubtiere. Sie werden sechshundert Kilo schwer und können ganz schön schnell unterwegs sein, wenn sie wollen.» Er sah Richards entgeisterten Gesichtsausdruck und fügte hinzu: «Machen Sie sich keine Sorgen. Wie gesagt, es ist Vorschrift, eine Waffe dabeizuhaben. In all den Jahren, die ich schon Expeditionen begleite, ist noch nie etwas vorgefallen.»
Die Zodiacs fuhren um die Nordic Adventure herum. Vor ihnen tauchte eine Insel auf, die Ellesmere-Insel zwischen Kanada und Grönland. Der Rumpf des Kreuzfahrtschiffs hinter ihnen wirkte wie eine vom Himmel gefallene Kulisse am falschen Platz, ein monströser Fremdkörper vor dem Hintergrund gezackter Eisberge und schier endloser Flächen von Weiß.
Packeisschollen schwammen im Meer. Geschickt wichen die wendigen Zodiac-Schlauchboote aus, Gischt spritzte, Wassertropfen trafen die Gesichter der Gäste wie Eisnadeln.
Alles war still, bis auf die Außenbordmotoren. Kein Vogel, keine Robbe, kein Insekt waren zu sehen, die Touristen schienen hier die einzigen Lebewesen zu sein.
Sie fuhren in eine kleine Bucht. Die Boote landeten an einem flachen Strandabschnitt an. Helfer sicherten die Zodiacs und geleiteten die Gäste an Land. Es dauerte eine Weile, bis sich alle versammelt hatten. Tote Fische lagen überall herum, offenbar angespült.
«Bitte die Tierkadaver nicht berühren», rief der Expeditionsleiter.
«Woran sind die Fische denn gestorben?», fragte jemand.
«Ich weiß es nicht. Das ist das erste Mal, dass ich so etwas sehe - die Natur kann launisch sein», antwortete der Mann und drehte sich um. «Gehen wir weiter.»
Weit und breit kein Eisbär.
«Wir marschieren ein Stück», sagte der Expeditionsleiter. «Bitte folgen Sie mir alle im Gänsemarsch.»
In einiger Entfernung waren Hügel zu sehen. Das Gelände stieg sanft an, das Eis knirschte unter den Füßen.
Christine öffnete den Reißverschluss ihres Parkas. «Es ist ja gar nicht so kalt hier. Obwohl die Sonne nicht scheint.»
«Die Temperaturen hier sind schon seit Jahren um einiges höher als früher», erklärte der Begleiter mit dem Gewehr. «Unsere Gäste sind immer überrascht, wenn sie das merken. Sie haben eine ganz andere Vorstellung von der Arktisregion. Und dann reagieren sie falsch: Sie kommen im T-Shirt vom Schiff und wundern sich, dass der Wind doch ganz schön eisig sein kann.» Er lachte. «Gut, dass Sie warme Jacken dabeihaben.»
«Da. Da ist er!», rief der Expeditionsleiter.
«Was? Wer?»
Der Ausflugsteilnehmer mit der Fellkappe deutete nach vorn. «Ein Eisbär! Dahinten!»
Alle schauten in die Richtung, in die er zeigte. Tatsächlich bewegte sich in der Ferne etwas. Ein Eisbär.
Soweit es für Christine erkennbar war, war es ein einzelner Bär. Er bewegte sich seltsam schleppend, schwankend, kraftlos, als wäre er verletzt. Dann verschwand das Tier hinter einem Hügel.
«War das wirklich ein Eisbär?», fragte jemand aus der Gruppe. «Das war doch eine komische Erscheinung, irgendwie irreal. Ein Gespenst.»
«Wo ist er jetzt hin?», fragte eine Frau.
«Der war viel zu weit weg, wie soll ich da ein vernünftiges Foto hinkriegen?», rief jemand.
«Genau», sagte Richard, «da nützt nicht mal mein Teleobjektiv etwas.»
Andere nickten zustimmend.
Der Expeditionsleiter blickte in die Runde. «Also gut, wir gehen näher ran, bis zum nächsten Hügel. Da haben wir Deckung und können das Tier aus der Nähe beobachten. Aber bitte zusammenbleiben und ruhig verhalten.»
Einige Minuten marschierten sie bis zum Fuß des Hügels. Der Expeditionsleiter stieg hinauf und schaute von dort auf die andere Seite. Nach einer Weile gab er der Gruppe ein Zeichen, zu ihm aufzuschließen.
Hinter dem Hügel sahen sie den Eisbären, vielleicht dreißig Meter entfernt. Das Tier war ausgemergelt, das Fell schmutzig grau, darunter zeichneten sich die Rippen ab. Mit der Schnauze wühlte der Bär im Eis, dazwischen hob er immer wieder den Kopf und stieß Klagelaute aus. Jeder Schritt schien ihm Mühe zu bereiten.
«Der sieht ja ganz anders aus als die Bären im Tierpark Hellabrunn in München», flüsterte Christine enttäuscht.
«Das arme Tier - ist es krank?», fragte eine Frau aus der Gruppe.
«Liebe Teilnehmer, der Anblick hier wird Sie vielleicht schockieren, aber das ist der Lauf der Natur», sagte der Expeditionsleiter mit gedämpfter Stimme. «Bitte denken Sie dran, Eisbären ernähren sich im Wesentlichen von Robben. Die fangen sie, indem sie auf Eisschollen lauern, bis die Robben zum Luftholen auftauchen. Aber durch das wärmere Klima gibt es immer weniger Packeis, daher wird das Jagdrevier für die Eisbären kleiner und kleiner. Und an Land tun sie sich schwer, Nahrung zu finden. Deshalb müssen sie fasten,...
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