Schweitzer Fachinformationen
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Es war fast zwölf in der Nacht vor dem Thomastag, dem kürzesten Tag im Jahr. Ein unfreundlicher Wind blies von Norden her über den Hügel, wo Oak den gelben Wagen samt Fahrgast ein paar Tage zuvor im Sonnenlicht gesehen hatte.
Norcombe Hill, nicht weit von der einsamen Tollerhöhe gelegen, ist einer von jenen Flecken, die auf einen Wanderer den Eindruck eines Landschaftsbildes machen, das dem Unzerstörbaren so nahe kommt wie kaum etwas anderes auf dieser Welt. Es handelte sich um einen unauffälligen Buckel aus Kalkstein und Erde - ein geläufiges Beispiel für jene glattgeschliffenen Aufwölbungen, die auch am Tag eines ganz großen Aufruhrs unberührt bleiben, wenn viel großartigere Gipfel und schwindelerregende Abgründe in sich zusammenstürzen.
Der Hügel war auf der Nordseite von einem alten, ziemlich verkommenen Buchenwald bedeckt, dessen oberer Rand über die Kuppe reichte und ihre Rundung gegen den Himmel wie mit einer Mähne säumte. In dieser Nacht schützten die Bäume den Südhang vor den heftigsten Windstößen, die gegen den Wald anfuhren, wie nörgelnd in ihm wühlten oder mit leiserem Seufzen über seine Wipfel fegten. Das dürre Laub im Graben brodelte und kochte unter dem Ansturm, und manchmal sog es ein paar Blätter heraus und wirbelte sie über das Gras. Einige wenige Spätlinge unter all dem Abgestorbenen, die noch bis in den Winter hinein an ihren Zweigen gehangen hatten, lösten sich nun und raspelten trocken gegen die Stämme.
Zwischen diesem halb bewaldeten, halb kahlen Hügel und dem verschwimmenden, stillen Horizont, der sich ohne scharfe Grenzen von der Kuppe aus eröffnete, gab es eine geheimnisvolle Zone von dichten Schatten - nur die Geräusche, die von dort kamen, ließen ahnen, daß sie ungefähr Ähnliches verbargen wie das Sichtbare hier. Die dünnen Gräser, die da und dort auf dem Hügel wuchsen, wurden vom Wind einmal heftiger, dann wieder sanfter bewegt, als seien es ganz verschiedene Winde: Der eine rieb sich an ihnen, ein anderer kämmte sie bis auf den Grund, ein dritter bürstete wie ein weicher Besen über sie hin. Das instinktive menschliche Verhalten war, stehenzubleiben und zu lauschen, wie die Bäume zur Rechten und zur Linken, wechselnd wie in den Antiphonen eines Kirchengesanges, klagten und einander riefen; wie die Büsche und anderen Gebilde im Windschatten hierauf die Melodie übernahmen und zu kaum hörbarem Schluchzen dämpften; und wie die weitereilenden Lüfte hierauf südwärts untertauchten, bis nichts mehr zu vernehmen war.
Der Himmel war klar - erstaunlich klar - und das Funkeln all der Sterne schien wie der Rhythmus eines einzigen Körpers, im Takt eines allumfassenden Pulsschlags. Der Polarstern war genau dort, wo der Wind herkam, und seit Einbruch der Dunkelheit hatte sich der Große Bär nach außen gegen Osten gedreht, bis er in rechtem Winkel zur Erdachse stand. Der Unterschied in den Farben der Sterne, von dem man in England mehr aus Büchern als aus Erfahrung weiß, war hier tatsächlich feststellbar. Das machtvolle Feuer des Sirius blendete das Auge mit stählernem Glitzern, Capella war gelb, Aldebaran und Beteigeuze leuchteten in glühendem Rot.
Für jemanden, der in solch einer klaren Mitternacht allein auf einem Hügel steht, wird die Rotation des Erdballs zu einem fast greifbaren Erlebnis. Vielleicht wird dieses Gefühl von dem Panorama der Sterne hervorgerufen, die über das Irdische wandern, vielleicht hängt es auch mit dem weiten Blick zusammen, der sich von einem Hügel aus bietet, mit dem Wind oder mit der Einsamkeit; der Eindruck, daß man dahingetragen wird, ist jedenfalls, was immer die Ursache sein mag, sehr lebendig und unabweislich. Man spricht gern vom Rausch der Geschwindigkeit: Um dieses Vergnügen in epischer Breite auszukosten, muß man zu fortgeschrittener Nachtstunde auf einem Hügel stehen, sich seiner Größe, abgesetzt von der Vielzahl der zivilisierten Menschheit, die eben jetzt in Träumen befangen liegt und diese Fülle an Geschehen versäumt, bewußt sein, sich lange und still dem majestätischen Ziehen durch die Sternenräume hingeben. Es ist schwer, nach so einer nächtlichen Erkundungsfahrt wieder zur Erde zurückzukehren und zu glauben, daß das Bewußtsein solch grandiosen Dahineilens aus einem winzigen Menschenkörper kommt.
Plötzlich war an diesem Ort, vor diesem Himmel, eine unerwartete Lautfolge zu vernehmen. Die Töne waren von einer Klarheit, wie sie der Wind nie hervorbringt, und in einer Sequenz, die es in der Natur nicht gibt. Sie stammte aus Farmer Oaks Flöte.
Die Melodie schwang sich nicht frei durch den Äther, sie hörte sich irgendwie gedämpft an und war überhaupt viel zu schwach, um die Weite zu füllen. Sie kam von einem kleinen, dunklen Objekt unter der Buchenhecke - von einer Schäferhütte, deren nun sichtbare Kontur einem nicht näher Vertrauten kaum etwas über ihren Sinn und Zweck verraten hätte.
Insgesamt erinnerte das Bild an eine kleine Arche auf einem kleinen Ararat, wenn man sich an den Umriß und Bau der Archen in den Spielzeugläden hält - solche Bilder sind ja den Menschen besonders dauerhaft, weil schon sehr früh eingeprägt - und dieses Muster als ungefähr zutreffend hinnimmt. Die Hütte stand auf kleinen Rädern, die ihren Boden etwa fußhoch über die Erde hoben. Solche Schäferhütten werden auf die Weide mitgeführt, wenn die Lammzeit beginnt, und bieten dem Schäfer, wenn er auch nachts zugegen sein muß, einen Unterstand.
Erst seit kurzem hieß Gabriel bei den Leuten >Farmer< Oak. In den zwölf Monaten, die dieser Nacht vorangegangen waren, hatten ihn geduldiger Fleiß und ein nicht weniger beständiger Optimismus so weit gebracht, daß er eine kleine Schaffarm, zu der Norcombe Hill gehörte, pachten und mit zweihundert Schafen bestücken konnte. Vorher war er für eine kurze Zeit Verwalter gewesen, und noch weiter zurück einfach ein Schäfer, der von Kindheit an seinem Vater geholfen hatte, die Herden von Gutsherren zu hüten, bis der alte Gabriel ins Grab gesunken war.
Das Wagnis, ganz allein und ohne Hilfe als sein eigener Herr, nicht als Lohnempfänger, und mit einem noch nicht bezahlten Vorschuß an Schafen zu wirtschaften, gab seinem Leben eine schicksalhafte Wendung, und Gabriel war sich seiner Situation deutlich bewußt. Der erste Fortschritt in dieser neuen Richtung war das Lammen seiner Schafe, und da er sich von Jugend auf mit Schafen auskannte, hatte er sich gehütet, in diesen Tagen die Sorge um sie einem Mietling oder einem Grünschnabel anzuvertrauen.
Der Wind fuhr fort, an den Ecken der Hütte zu rütteln, aber das Flötenspiel verstummte. Ein helles Rechteck erschien in der Seitenwand der Hütte, und in der Öffnung zeigte sich die Gestalt von Farmer Oak. Er trug eine Laterne in der Hand, schloß die Türe hinter sich und war hierauf fast zwanzig Minuten lang in dieser Ecke des Feldes sehr beschäftigt; da und dort tauchte der Laternenschein auf und wieder unter, beleuchtete oder verdunkelte ihn je nach seinem Standort vor oder hinter der Lichtquelle.
Oaks Bewegungen waren von ruhigem Nachdruck, aber langsam, und ihre Überlegtheit paßte gut zu seinem Geschäft. Da Zweckmäßigkeit aller Schönheit zugrunde liegt, hätte niemand seinem stetigen Hin und Her, das wie ein Tanz mit der Herde war, eine gewisse Anmut absprechen können. Obwohl er, wenn es darauf ankam, so blitzartig rasch denken und handeln konnte wie irgendeiner aus der Stadt, dem dies eher angeboren ist, so war seine Stärke im Moralischen, Physischen und Geistigen doch eine statische, die von Anstößen im Grund wenig oder gar nicht abhing.
Sogar in dem ungewissen Mondlicht hätte man bei genauerer Umschau gemerkt, wie Farmer Oak einen Teil dessen, was man etwa als wildwüchsigen Hang bezeichnen konnte, in diesem Winter für seine hochfliegenden Pläne hergerichtet hatte. Verstreut an verschiedenen Stellen wuchsen strohgedeckte Hürden aus dem Boden, zwischen und unter denen sich die weißlichen Formen der braven Mutterschafe raschelnd bewegten. Die Glöckchen, die während seiner Abwesenheit geschwiegen hatten, begannen wieder zu läuten, wegen des rundum dichteren Wuchses der Wolle mehr gedämpft als hell. Dies dauerte so lange, bis sich Oak von der Herde zurückzog. Er ging zu der Hütte, in den Armen ein neugeborenes Lamm, das aus vier Beinen bestand, lang wie von einem ausgewachsenen Schaf, verbunden durch ein schrumpeliges Häutchen, an Substanz etwa die Hälfte der Beine, das fürs erste den ganzen Körper des Tiers darstellte.
Das Bündelchen Leben legte er auf eine Handvoll Heu vor den kleinen Ofen, auf dem eine Kanne mit Milch warmgestellt war. Oak blies in die Laterne und drückte den Docht aus. Seine Lagerstatt war von einer Kerze erhellt, die an einem zurechtgebogenen Draht hing. Ein ziemlich hartes Lager aus ein paar achtlos hingebreiteten Kornsäcken bedeckte zur Hälfte den Boden dieser kleinen Behausung, und auf ihm streckte sich der junge Mann aus, lockerte sein wollenes Halstuch und schloß die Augen. Etwa nach der Zeitspanne, die ein an körperliche Arbeit nicht gewöhnter Mensch für die Entscheidung braucht, auf welche Seite er sich drehen soll, schlief Farmer Oak bereits.
Das Innere der Hütte, wie es sich nun zeigte, war heimelig und einladend; neben der Kerze spiegelte auch das Häufchen roter Glut sein freundliches Licht, soweit es reichte, und selbst Gerät und Werkzeug schien sich darin wohl zu fühlen. In der Ecke lehnte der Schäferstock, und auf einem Bord an der einen Seite standen in Flaschen und Büchsen die einfachen Mittel, mit denen man Schafe verarztet: Weingeist, Terpentin, Teer, Magnesium, Ingwer und Kastoröl waren das Wichtigste. Übereck auf...
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