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Das Schloss, das schon bald eine so dramatische Rolle in Jack Lees Leben spielen sollte, lag rund zwanzig Kilometer südwestlich der Kreuzung, an der der junge Offizier entspannt auf seinem Panzer saß. Schloss Itter thront auf einem langgestreckten Bergsporn über dem Eingang zum Tiroler Brixental. Der Bau erhebt sich über einer Schlucht, und eine kurze Brücke verbindet das Schloss mit der Bergflanke. Östlich davon, auf rund 700 Meter Seehöhe, schmiegt sich das Dorf Itter an die Westhänge der 1828 Meter aufragenden Hohen Salve, die zu den Kitzbüheler Alpen gehört.
Zwar dürfte das Lee und seinen Männern in den Stunden, die vor ihnen lagen, ziemlich egal gewesen sein, doch Schloss Itter verfügt über eine lange, reiche und nicht selten von Gewalt geprägte Geschichte. Die umliegende Gegend ist mindestens seit der Mittleren Bronzezeit (1800 bis 1300 v. Chr.) besiedelt, und die Tatsache, dass die Täler des Inns und der Brixentaler Ache eine recht flache und direkte Route zwischen Mitteleuropa und der italienischen Halbinsel darstellen, sorgte dafür, dass Tirol überdurchschnittlich viele Konflikte erlebte. Nachdem die Region im Jahre 15 v. Chr. von den Römern erobert worden war, drangen nacheinander die Ostgoten, verschiedene Germanenstämme und die Franken Karls des Großen nach Tirol ein. Im 9. Jahrhundert geriet es unter bayerische Herrschaft, und in dieser Zeit wurden auf dem Felssporn, der später Schloss Itter beheimaten sollte, zwei robuste Steintürme mit einer Mauer drum herum errichtet. Im Jahr 902 überließ ein Graf Radolt die Befestigungsanlage als Schenkung den Bischöfen von Regensburg.1
Um seine expandierenden Tiroler Besitzungen besser zu schützen - und natürlich auch, um besser Steuern fürs Bistum eintreiben zu können -, befahl Bischof Totu (der von 893 bis 930 amtierte), die Türme und die Mauer durch eine dauerhaftere Festungsanlage zu ersetzen. Bis daraus eine wirkliche Burg wurde, dauerte es jedoch mehr als ein Jahrhundert, denn der Bauprozess schritt recht gemächlich und mit vielen Unterbrechungen voran. Im Jahr 1239 besetzte der bayerische Pfalzgraf2 Rapoto III. von Sponheim-Ortenburg infolge seiner heftigen Fehde mit dem damaligen Regensburger Bischof Siegfried die Burg. Letzterer nahm Rapoto im Jahr darauf gefangen, und um seine Freiheit wiederzuerlangen, war der besiegte Adelsmann gezwungen, viele seiner Besitzungen in Bayern und Tirol an das Stift Regensburg abzutreten. Zu diesen gehörten auch die Burg Itter sowie das Dorf, das vor ihren Mauern entstanden war. Erstmals urkundlich erwähnt werden Burg wie Dorf im Jahr 1241.3
Schloss Itter wurde über die Jahrhunderte beschädigt, wiederaufgebaut und erweitert, bevor es 1941 in ein Gefängnis für sogenannte »Ehrenhäftlinge« umgewandelt wurde. (Sammlung des Autors)
Die Bischöfe von Regensburg waren freilich nicht nur Männer Gottes und des Friedens, sondern auch Fürsten des Heiligen Römischen Reiches. Als weltliche Herrscher waren die Bischöfe oft unbarmherzig und unnötig streng, und Schloss Itter diente häufig als Ausgangspunkt für Strafexpeditionen, mit denen die Bischöfe ihre schwer geknechteten Untertanen überzogen. Als Tirol 1363 unter habsburgische Herrschaft geriet, blieben Schloss und Dorf Itter weiter unter kirchlicher Kontrolle des Bistums Regensburg. Erst 1380 verkaufte Bischof Konrad VI. von Haimberg sie für 26.000 ungarische Gulden an Pilgrim II. von Puchheim, den Erzbischof von Salzburg.
Nachdem das Schloss während des Tiroler Bauernaufstands (1515 bis 1526) geplündert und teilweise zerstört worden war4, wurde es ab 1532 wiederaufgebaut. In den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts beherbergte es ein kirchliches Gericht, das das Hexenunwesen in der Region bekämpfen sollte, und die Legende will es, dass die letzte in Tirol verbrannte Hexe 1590 auf einem Scheiterhaufen im Haupthof des Schlosses ihr trauriges Ende fand.5 Etwa um diese Zeit muss es auch gewesen sein - und vermutlich geschah es auf Anweisung derjenigen, in deren Auftrag die Hexenverbrennung stattfand -, dass über dem Tor, das zum gewölbten Schlosszugang führt, der berühmte Vers aus Dantes Göttlicher Komödie auf Deutsch in Stein gemeißelt wurde: »Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!«
In den folgenden zweieinhalb Jahrhunderten wechselte das Schloss mehrmals den Besitzer, und 1782 gehörte es schließlich zu den persönlichen Ländereien von Joseph II., der seit 1765 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches war und seit dem Tod seiner Mutter, Kaiserin Maria Theresia, 1780 auch den Titel eines Königs von Böhmen, Kroatien und Ungarn trug. Joseph liebte seine Tiroler Burg so sehr, dass er Papst Pius VI., der kurz nach Josephs Thronbesteigung durch Österreich reiste, drängte, den Altar in der kleinen, aber feinen Schlosskapelle persönlich zu segnen. Der Papst tat, wie ihm geheißen - nicht zuletzt, weil ihm sehr daran gelegen war, ein Zerwürfnis zwischen Joseph und der Kirche aus der Welt zu schaffen -, und ließ im Schloss überdies ein reich verziertes gotisches Kruzifix sowie andere Kirchenschätze zurück.
Doch bei aller Vernarrtheit in Schloss Itter lebte Joseph II. - wie schon die meisten Vorbesitzer - lieber anderswo. Ende Dezember 1805 trat ein anderer, zugegebenermaßen noch weitaus bedeutenderer abwesender Schlossherr an Josephs Stelle, nämlich Napoléon Bonaparte. Dem kleingewachsenen Kaiser der Franzosen war die Besitzung infolge des Friedens von Pressburg zugefallen, der nach seinen Siegen über Österreich bei Ulm Mitte Oktober und in der Dreikaiserschlacht von Austerlitz Anfang Dezember 1805 geschlossen worden war. Bonaparte behielt das Schloss freilich nicht lange, denn 1809 überließ er es seinem treuen Verbündeten König Maximilian I. von Bayern.6 Dieser tat wenig, um die Burganlage in Schuss zu halten, und als die Dorfvorsteher von Itter Maximilian 1812 die relativ läppische Summe von fünfzehn österreichisch-ungarischen Gulden für das gesamte Gebäude boten, nahm der König dieses Angebot eilfertig an. Tatsächlich hatten die Dorfbewohner keineswegs die Absicht, das Schloss wieder instand zu setzen, sondern sie wollten es lediglich als Quelle für Baumaterial nutzen. Und so wurden in den folgenden Jahrzehnten Steine aus den Schlossmauern und Holzbalken aus dem Inneren für den Bau des Dorfgasthauses und verschiedener anderer Gebäude verwendet.
Doch auch nachdem Tirol im Gefolge des Wiener Kongresses 1814/15 wieder unter österreichische Herrschaft zurückgekehrt war, blieb das Schloss weiter in einem Zustand des Verfalls. 1878 schließlich verkaufte die offenbar in Geldnöten befindliche Gemeinde das Schloss - das damals nur noch eine idyllisch gelegene Ruine war - für stolze 3000 Gulden an einen Münchner Unternehmer namens Paul Spieß, der ein großes und vermutlich recht exklusives Hotel daraus machen wollte. Und so nahm der angehende Hotelier eine umfassende Renovierung in Angriff, in deren Zuge Schloss Itter einen zentralen, mehrstöckigen Wohnflügel mit fünfzig Gästezimmern bekam, dazu einen größeren, bergfriedähnlichen Turm sowie kleinere Seitenflügel, in denen Küchen, Lagerräume und die Unterkünfte für das Personal untergebracht waren. Zudem ließ Spieß die Schlossmauer wieder instand setzen, baute das verfallene Torhaus wieder auf und ließ die schmale, knapp 150 Meter lange Straße zwischen Schloss und Dorf neu pflastern. Doch trotz aller Investitionen scheiterte das Hotelprojekt, und so verkaufte der enttäuschte Geschäftsmann die Anlage 1884 an eine der berühmtesten - und schönsten - Musikerinnen Europas, nämlich die gefeierte Klaviervirtuosin und Komponistin Sophie Menter.
Die 1846 in München geborene Menter war so etwas wie ein Wunderkind. Die Tochter begabter Musiker - ihr Vater war Cellist, ihre Mutter Sängerin - gab schon als Teenager ihr erstes öffentliches Konzert. Im Alter von 23 Jahren wurde sie Schülerin von Franz Liszt, der sie als seine »einzig legitime Klaviertochter« bezeichnete und schließlich zur weltweit bedeutendsten lebenden Pianistin erklärte. 1872 heiratete sie den böhmischen Cellisten David Popper, mit dem sie mehrere Jahre auf Tournee ging. Mit dem Kauf von Schloss Itter7 erfüllte sie sich den schon lange gehegten Wunsch nach einem stattlichen Zuhause, das sowohl als privater Rückzugsort vor den Unbilden des Berufslebens als auch als Salon für andere Musiker dienen sollte, und so ließ sie mehrere Räume im Erdgeschoss renovieren, um sie zum Üben und für kleinere Auftritte nutzen zu können.
In den achtzehn Jahren, in denen Sophie Menter Herrin von Schloss Itter war, beherbergte sie so berühmte Gäste wie Richard Wagner und Pjotr Iljitsch Tschaikowskij, und auch ihr Freund und Mentor Franz Liszt kam natürlich oft und gerne zu Besuch. Er war so sehr willkommen, dass er des Öfteren mit feierlichen Salutschüssen begrüßt wurde, und sein Weg zum Schloss führte ihn durch blumengeschmückte Triumphbögen hindurch. Liszt genoss diese pompösen Gesten durchaus, doch seine Aufenthalte als Menters Gast nutzte er in erster Linie zum Arbeiten. So stand er beispielsweise während eines Besuchs im November 1885 jeden Tag um vier Uhr in der Früh auf, arbeitete konzentriert drei Stunden lang, legte eine kurze Pause ein, um in der Schlosskapelle den Gottesdienst zu besuchen, und setzte dann sein Schaffen bis in den Nachmittag hinein fort.8 In seinen Briefen an Sophie Menter schwärmte er in höchsten Tönen von den Aufenthalten auf ihrem »bezauberungsvollen« Schloss (oder auch »Zauberschlosse«) und beschwor die »bezauberte Erinnerung« an seine Zeit dort oben.9
Sophie Menter lebte auch nach dem Ende ihrer Ehe mit...
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