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Musikalische Novelle
Tobias Lautenkamp stand vor seinem alten, geliebten Spinett und schlug mit muskulösen Fingern die wunderbarsten Akkorde an. Die Saiten surrten und summten, als ob ein Schwarm Wespen aufgeschreckt würde - sie waren an eine solche Behandlung nicht gewöhnt. Und von der alten Tapete an der Wand blickte Vater Bach vorwurfsvoll auf seinen treuen Apostel herab, auf die lärmenden Hände und das rote, schwarz bedruckte Papier, das auf dem Instrument lag. Einen solchen Hexensabbat, wie ihn Tobias Lautenkamp heute vorstellte, hatte man in diesem musikalischen Heiligtum noch nie gehört.
Die Jalousien an den beiden Fenstern waren noch nicht zurückgeschlagen; nur einer war halb offen, und durch dieses Guckloch lugte die Morgensonne. Tobias Lautenkamp, der sich sonst über das kleinste Staubkorn ärgern würde, bemerkte die Staubwolke nicht, die im Gold der Sonne vibrierte.
Zu dieser ungewöhnlichen Störung des Hausfriedens trug nichts als das rote Papier bei, das so ruhig auf dem zornigen alten Spinett lag. Darin hieß es in klaren, fettgedruckten Buchstaben:
Samstag, 13. Februar
Konzert des Lautenkamp-Orchesters, unter der persönlichen Leitung des Kapellmeisters Lukas Lautenkamp.
"Es ist nicht zu glauben!" rief der alte Herr und schlug mit der flachen Hand auf den unverschämten roten Zettel. "Es ist unglaublich! Ist die Welt nicht groß genug für ihn? Nein! Er muß mich noch hindern, alter Mann! Er wagt es, mich noch einmal anzusehen - Herr Kapellmeister! Mit seinem erbärmlichen Spiel! Ein tolles Programm, muss ich sagen! Und du (das war Vater Bach) kannst sie bei all deiner himmlischen Herrlichkeit nicht verhindern, dass sie dir ins Gesicht spotten? Selbst wenn du den ganzen jungen Menschen in deinen Palmengarten rufst, so laufen sie doch wieder hinaus, in die schreckliche Wildnis, weil sie sich einbilden, dort nochmehr zu finden. Selbst wenn du dich im Grab umdrehst, gibt die Menschheit keinen Deut dafür!"
Er war ein wunderbarer Kerl, der alte Tobias Lautenkamp, und das stille Heidestädtchen Lubing mit seinen hohen Giebelhäusern, dem schlafenden Brunnen auf dem Marktplatz und den wenigen altmodischen Einwohnern, die so schläfrig waren wie die Stadt, paßte vorzüglich zu dem alten Herrn. Er lebte seit undenklichen Zeiten in dem Häuschen neben der Kirche, in das nur wenig Leben einzog, als die süße, sanfte Elske, das einzige Kind des Vaters, einzog.
Das dauerte fünf ruhige, glückselige Jahre. Sie gebar ihrem Mann ein Mädchen; sie nannten sie Cecilia.
Als aber drei Jahre später ein munterer, schwarzäugiger Knabe das Licht der Welt erblickte, schlossen sich die sanften Augen der blonden Mutter für immer, und Tobias fand sich allein mit den kleinen Geschöpfen wieder, selbst hilfloser als ein Kind.
Der resolute Wirt von der "Goldenen Gans" stand ihm schließlich mit Rat und Tat zur Seite. Tobias schloß die Tür seines Heiligtums fest hinter sich, nickte seinem guten alten Freunde über das Klavier hinweg mit einem glücklichen Lächeln zu und vertiefte sich mit ganzer Aufmerksamkeit in die Partituren auf dem Schreibtisch.
Durch die stillen Räume hallten die majestätischen Akkorde eines Chorals von Johan Sebastian oder das homerische Lachen des Paradieses Mozarts, des Lieblings der Götter, oder Papa Haydn nickte und lächelte von den rostigen Saiten. Da vergaß Tobias Lautenkamp die ganze Welt und wurde sehr zornig, wenn eine weinende Kinderstimme die hohe Klage eines Kirchenliedes störte.
Mit vierzig Jahren wurde Vater Tobias schon "der alte Lautenkamp" genannt, und niemand konnte sich daran erinnern, dass er jemals jung gewesen war. Seine Eltern hatten auf dem Kirchhofe gegenüber seiner Hütte geschlafen, seit er sechs Jahre alt war, und für ihn, der immer unter Fremden war, nie erlebt hatte, was es heißt, ein Kind zu sein, waren die sonnigen Augen seiner Kinder wie unlösbare Rätsel.
Cäcilie war ein vernünftiges Kind, und schon mit vierzehn Jahren war sie eine gute Hausfrau für ihren Vater. Sie war sehr aufmerksam und lernte bald, den Haushalt zu führen, aber der helle Glanz ihrer Augen wurde schwächer undschwächer. Nur um den weichen, jugendlichen Mund war ein Hauch stiller Sehnsucht; aber der alte Lautenkamp merkte das nicht.
Er hatte genug mit seinem Jungen zu tun, über den er sich Tag für Tag halb zu Tode ärgerte. Kein Graben war ihm zu breit, keine Mauer zu hoch. Und das Feuer in Lukas' tiefen, dunklen Augen funkelte immer triumphierender, als hätte er die Maisonne, die am Tage seiner Geburt lachte, in seinem warmen, jungen Herzen aufgefangen. Er vermied sorgfältig Vaters Studierzimmer; eines Tages aber wurde er am Kragen gepackt und hineingestopft; er war gerade vom Drachensteigen gekommen, müde und warm. So erhielt er seinen ersten Klavierunterricht.
Er benahm sich sehr lehrreich; nur zeigte er eine Vorliebe für furiose Tempi. Der alte Lautenkamp schlug mit beiden Händen auf das Maß und stieß endlich den Knaben von seinem Stuhl herunter, um ihm den Ernst der Sache zu erklären. Lange Zeit spielte der alte Herr, in sich versunken, alle seine Lieblingsstücke. Er war erstaunt und freute sich so leise, dass der Junge hinter ihm zuhörte.
Mit einem kräftigen Ton schloß er und drehte sich um, und Lukas lag auf dem Boden, so groß er war, und schlief den Schlaf der Gerechten, ein Lächeln auf seinem schelmischen Gesicht. Lautenkamp erhob in stummer Verzweiflung die Augen über das Porträt - aber Vater Bach war klüger als sein eifriger Freund; er freute sich über den Halsstarrigen.
Und Schwester Cecilia?
Es war sie, des Vaters Trost und des Bruders Idol.
Sie heilte nicht nur schweigend alle Löcher und Haken, sondern hatte auch ein offenes Ohr für die wütenden Worte des Jungen, als sein Vater ihn einmal in die Hand genommen hatte. Sie hatte so gute, kühle Hände, so unendlich wohltuend für heiße, pochende Schläfen. Niemand ahnte, was das einsame Mädchen durchmachte; niemand wußte, was sie litt, als an einem lauen Frühlingsabend ihr bleichgesichtiger Bruder in ihr Kämmerlein trat. Verwirrte, aufgeregte Worte drangen an ihr Ohr, und sie blickte mit trockenen Augen auf den lockigen Kopf hinab, der sich in den Falten ihres Kleides verbarg.
"Gott helfe dir, Liebling!" flüsterte sie.
Unten knallte eine Tür ins Schloss, und sie wusste, dass Lukas das Elternhaus verlassen hatte und nie wieder zurückkehren würde. Gegen die kleinen Fensterscheiben schlugen die Regentropfen wie große, warme Tränen.
Die Jahre vergingen, eintönig und langweilig. Die Stadt hatte sich nicht merklich verändert. Manches Haus war so schwach geworden, daß es nur aus alter Gewohnheit stehen blieb, oder weil es nicht wußte, ob es nach rechts oder links umfallen würde.
Aber heute! Was für ein Leben und was für eine Bewegung auf der Straße. Was für ein Gelaufe, Treppen rauf, Treppen runter hinter den hohen Fassaden. Ganz Lubing roch nach Seife und Bügeleisen. Im "Saal" der "Goldenen Gans" standen alle Fenster offen, und die Vorhänge flatterten im sanften Nachmittagswind. Es wurde geschrubbt und gespült, so dass sie in den Pfützen vor dem Haus hätten segeln können.
Cecilia war ausgegangen, um Besorgungen zu machen. Sie ging die Straße hinunter mit dem Gefühl, als ob die Leute sie ansähen. "Seine Schwester!"
Unangenehm fand sie das aber keineswegs. Im Gegenteil! Ihr noch jugendliches, weiches Gesicht war heute stolz auf seinen Ausdruck; sie nickte den großen roten Zetteln an den Straßenecken zu wie gute alte Bekannte. Es sang in ihr, fremd und doch vertraut - kein Ton aus den Partituren ihres Vaters; eine Melodie, die seit jenem Tag geschlummert hatte, einem Vorfrühlingstag wie heute, an dem Lukas von ihr Abschied genommen hatte.
Der alte Lautenkamp hatte gemurrt und leicht genickt, als sie ihm mit zitternder Hand die beiden Karten zeigte, auf denen dieselben Worte standen wie auf dem roten Zettel. Die glühenden Wangen seiner Tochter trieben ihn aus dem Haus in die Kirche. Er stieg die knarrende Treppe zu seiner geliebten Orgel hinauf und begann zu spielen, ein anschwellendes Trio, wehmütig und ein wenig bitter.
Und er beklagte sich bei den Geistern der alten Meister über seine Not über die junge Generation mit ihrer "modernen" Musik, die sie ihren himmlischen Liedern vorzog. Er zermalmte diese Jungen unter seinen Flüchen und Akkorden. Er wollte ihre erbärmliche Musik in den Sumpf der Sünde zurücktreiben, wo sie hingehörte.
Eine Pause.
"Da saß der unverschämte Kerl - Gott, daß ich das erleben mußte! - Beethoven und Richard Wagner auf einem Programm. Verzeih ihm, großer Ludwig!"
Und die Prometheus-Musik erwachte in der Orgel. Er lacht über das Leben. Spott, Verachtung und ein Meer von Bitterkeit brachen aus der Seele des tauben Maestros hervor.
"Kümmere dich nicht darum, alter Beethoven. Du stirbst, und die Menschen leben . . ."
Der König ist...
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