Schweitzer Fachinformationen
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Kommunalfinanzen prägen unsere Lebensqualität erheblich. Defizitäre Haushalte führen insbesondere zu einem Verschleiß der kommunalen Infrastruktur.
Kommunalfinanzen reflektieren gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen, wie soziale Spaltung, Migrationsbewegungen oder Rezessionen. Die daraus resultierenden Probleme belasten die Kommunalhaushalte immens.
Die Grundzüge der Kommunalfinanzen werden in diesem Buch daher anhand von sieben Problemlagen und auf der Grundlage eines hohen Praxisbezugs analysiert:
1. Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung2. Das Problem der Wirtschaftlichkeit in der Kommunalverwaltung3. Das Problem der Haushaltsdefizite 4. Möglichkeiten und Grenzen der Haushaltskonsolidierung5. Gemeindefinanzreform als "mission impossible"? 6. Probleme im Fiskalföderalismus (einschließlich der regionalen Disparitäten, dem kommunalen Finanzausgleich und der Finanzierung der Landkreise)7. Risiken im "Konzern Stadt"
Es werden nicht nur Probleme analysiert, sondern auch pragmatische und zum Teil weitreichende Lösungsansätze aufgezeigt.
Autor:
Prof. Dr. Marc Hansmann arbeitete nach seiner Promotion mehrere Jahre in einer internationalen Unternehmensberatung mit dem Schwerpunkt Public Management. Anschließend war er zehn Jahre Kämmerer der Stadt Hannover. Aktuell ist er im Vorstand der enercity AG (vormals Stadtwerke Hannover) tätig. Beim Niedersächsischen Studieninstitut lehrt er außerdem als Honorarprofessor und hat zahlreiche Bücher und Artikel veröffentlicht.
1. Einleitung2. Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung3. Das Problem der Wirtschaftlichkeit in der Kommunalverwaltung4. Das Problem der Haushaltsdefizite5. Möglichkeiten und Grenzen der Haushaltskonsolidierung6. Gemeindefinanzreform als Mission Impossible?7. Probleme im Fiskalföderalismus8. Risiken im "Konzern Stadt"9. Handlungsansätze zur Lösung der kommunalen Finanzprobleme
3. DAS PROBLEM DER WIRTSCHAFTLICHKEIT IN DER KOMMUNALVERWALTUNG3.1 ENTSTEHUNGSGESCHICHTE DER LEISTUNGSVERWALTUNG
Die hohen Geburtenzahlen und die Urbanisierung führten dazu, dass sich die städtische Bevölkerung im Kaiserreich vervielfachte. So wuchsen Hannover und Linden104 von zusammen knapp 100.000 im Jahre 1871 auf rund 400.000 Einwohner/innen 40 Jahre später.
Abbildung 15: Entwicklung der Bevölkerungszahlen im Kaiserreich105
Die Bevölkerungsexplosion verursachte große Probleme. Ganz vorne stand die Wohnungsnot. Der kommunale Wohnungsbau und die Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus fingen in Frankfurt bereits ab dem Jahr 1900 an.106 Damit war die Stadt Frankfurt mit ihrem dynamischen und sozial orientierten Oberbürgermeister Franz Adickes Vorreiter. Viele Städte übernahmen die Aufgabe des Wohnungsbaus erst nach dem Ersten Weltkrieg. In der Verfassung der Weimarer Republik war das Staatsziel verankert, "jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern".107 Bereits im Kaiserreich betrieben viele Städte eine aktive Flächenpolitik und nutzten die Bauleitplanung, um Wohnungsbau zu ermöglichen. Die engen und unhaltbaren Wohnverhältnisse in den hoch verdichteten und stark wachsenden Städte führten zwangsläufig zu weiteren Erfordernissen, um nicht Slums mit unhaltbaren hygienischen Bedingungen entstehen zu lassen. Dazu gehörten eine Professionalisierung der Müllabfuhr sowie die Versorgung mit Frischwasser und die Entsorgung des Abwassers. Das erforderte hohe Investitionen in Wasserwerke und Kanalisation. Die unzureichenden Wasserwerke und die daraus resultierende schlechte Qualität des Wassers verursachten einen Typhus-Ausbruch in Hannover im Jahre 1926, bei dem 282 Menschen starben.108 Die verschleppten Investitionen und das schlechte Krisenmanagement waren damals ein großer Skandal.109 18 Jahre später, im vorletzten Kriegsjahr, waren für die hannoversche Stadtführung die getätigten Investitionen in die Infrastruktur und hier vor allem in die Kanalisation ein wichtiger Grund, die weitgehend zerstörte Stadt nicht an anderer Stelle wieder aufzubauen.110
Abbildung 16: Ausweitung der kommunalen Aufgaben als Problemlösung
Die ersten Krankenhäuser modernen Typs entstanden um die Wende zum 19. Jahrhundert. Sie standen ganz in der Tradition der kommunalen Armenfürsorge und waren eine Reaktion auf die zunehmende Verarmung.111 Die zweite Kommunalisierungswelle folgte der Einführung der Krankenversicherung im Jahr 1883.112 In einem regelrechten Bauboom gründeten Städte neue Krankenhäuser, und zwar in der damals modernen Pavillonbauweise. Luft und Licht sollten die Patientinnen und Patienten bekommen. Um Lebensmittelvergiftungen und Krankheiten zu verhindern, entstanden ferner kommunale Schlachthöfe. "Die Kommunalisierung der Fleischversorgung im Zuge des Urbanisierungsprozesses war ein integrierender Teil der städtischen Leistungsverwaltung und der Stadthygiene."113
Die kommunalen Bäder, auch Volks- oder Brausebäder genannt, dienten nicht erster Linie dem Sport und Spaß, wie es heute der Fall ist.114 Sie waren vor allem dafür da, dass Arbeiter/-innen duschen und baden konnten. Das war wichtig, weil die engen Arbeiterwohnungen in der Regel keine Bäder hatten. Zur Jahrhundertwende wurden die Volksbäder ähnlich prächtig gebaut wie die neuen Rathäuser und Stadthallen. Die Gebäude, beispielsweise in Hannover und Zwickau, beeindrucken bis heute. Das Goseriedebad in Hannover wird seit 1997 von einem Kunstverein genutzt, während das Johannisbad in Zwickau seit 1869 ein Hallenbad ist.115
Spätestens in der Frühen Neuzeit begannen viele Städte, sich aktiv um arme Menschen zu sorgen und dies nicht allein der Kirche zu überlassen.116 Das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 beinhaltete die staatliche Verpflichtung zur Armenfürsorge und übertrug diese Aufgabe mit der Städteordnung von 1808 den Kommunen.117 Berühmt wurde das 1852 eingeführte Elberfelder System. Das systematische, individuelle und koordinierte Vorgehen war für damalige Verhältnisse eine Innovation. Waren die Bezirksamtspfleger noch ehrenamtlich unterwegs, so setzte mit dem Straßburger System von 1905/06 ein Professionalisierungsschub ein, der in der Weimarer Republik ausgebaut wurde und die Grundlage der modernen Sozialämter legte.118
Auch die Sparkassen besaßen bei ihrer Gründung vor allem einen sozialpolitischen Zweck. So heißt es in der Satzung der im Jahr 1823 gegründeten Sparkasse Hannover: "Die Spar-Casse ist dazu bestimmt, unbemittelten Personen der hiesigen Stadt, vorzüglich aus der Klasse der Handwerker, Tagelöhner und Dienstboten Gelegenheit zu geben, dasjenige, was sie von ihrem Erwerbe und Lohne zu ersparen im Stande sind, sofort sicher und nutzbar unterzubringen."119 Die Sparkassen sind der älteste Teil des Konzerns Stadt.120 Die erste kommunale Sparkasse wurde 1801 in Göttingen gegründet. Die "Leih-Cassen" finanzierten bereits im Kaiserreich Investitionen mittelständischer Unternehmen und nicht zuletzt der Kommunen. Der Aufbau der städtischen Infrastruktur wäre ohne sie kaum möglich gewesen. Als Folge der Bankenkrise von 1931 wurden die Sparkassen in Preußen organisatorisch selbstständig, was den Einfluss der Kommunen reduzierte. Eine enge Verbundenheit besteht aber bis heute.121
Da das Grundschulwesen im Kaiserreich rein kommunal war, mussten die wachsenden Städte nicht nur neue Schulen bauen, sondern auch in erheblichem Umfang Lehrer/innen einstellen. So gab die Stadt Essen im Jahr 1905 gut 40 Prozent ihres Steueraufkommens für Schulen aus.122 Die Finanzierung der Volksschulen war eines der brisantesten Probleme der kommunalen Finanzpolitik vor dem Ersten Weltkrieg.123 Die "jungen Industriestädte" mit ihrer stark steigenden Anzahl von Arbeiterkindern forderten mit großer Vehemenz einen Lastenausgleich.
Eine ständige Bedrohung mittelalterlicher Städte bestand in großflächigen Bränden. Das war kein Wunder; denn mit Feuer wurde gekocht und geheizt. Gerade Fachwerkgebäude brannten wie Zunder.124 Der große Brand von Hamburg im Jahr 1842, bei der rund 20 Prozent der bebauten Fläche der Stadt abbrannte, verdeutlichte drastisch, wie ineffektiv die traditionelle Feuerbekämpfung in einem verdichteten Stadtgebiet war.125 Insbesondere in Großstädten entwickelte sich daher in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Berufsfeuerwehr. Die erste professionelle Feuerwehr entstand 1851 in Berlin.126 Dem war ein längerer Streit vorausgegangen, ob die Feuerwehr eine kommunale oder staatliche Aufgabe sein sollte.127
Jahrtausende war es üblich, dass Wohnen und Arbeit nahe beieinander lagen. Die Notwendigkeit, mobil zu sein, war daher nicht groß. Das änderte sich mit der Industrialisierung und der Urbanisierung. Fabriken und Wohnquartier waren zum Teil weit voneinander entfernt. Auch die Bürojobs waren häufig nicht mehr fußläufig zu erreichen. Die elektrische Straßenbahn forcierte ihrerseits als erste und seinerzeit einziges Massenverkehrsmittel die zunehmende räumliche Distanz von Wohnen und Arbeit und "leistete . einen entscheidenden Beitrag zur Stadtentwicklung, markierte aber gleichzeitig auch schon den Beginn erster Zersiedlungserscheinungen".128 1904 besaßen bereits alle Großstädte eine Straßenbahn.129 Die meisten Verkehrsunternehmen waren in privatwirtschaftlicher Hand.130 Die Kommunalisierungswelle setzte erst deutlich später ein.
Auch die meisten Versorgungsbetriebe waren auf privater Basis gegründet worden, doch setzte die Kommunalisierungsphase bereits vor 1900 ein.131 Laut Hans-Ulrich Wehler "sticht als besonders auffällige, innovative institutionelle Lösung von schwierigen Problemen der Kommunalbetrieb ins Auge, ... während in anderen westlichen Ländern dieselben Aufgaben seit jeher ... von Privatunternehmen wahrgenommen werden ... Insgesamt haben die Städte manche schwierige Herausforderung der Urbanisierungsepoche mit der breiten Palette ihrer Kommunalunternehmen verblüffend produktiv beantwortet."132
Die enormen Investitionen in die Infrastruktur133 finanzierten die Städte auf drei Wegen:134
1. Seit der Miquelschen Finanzreform verfügten zumindest die preußischen Städte über ein hohes Steueraufkommen.
2. Die Stadtwerke waren bereits im Kaiserreich Cashcow und leisteten hohe Gewinnabführungen.
3. Die Städte hatten keine Bedenken, sich für Infrastrukturinvestitionen hoch zu verschulden. Die kommunale Verschuldung war damals in Relation zum Haushaltsvolumen und zum Bruttoinlandsprodukt deutlich höher als heute.
Die Stadtverwaltungen wandelten sich im Kaiserreich und in der Weimarer Republik grundlegend von einer reinen Ordnungs- zur Leistungsverwaltung.135 Die folgende Abbildung visualisiert diese Entwicklung am Beispiel der Stadt Hannover.
Abbildung...
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