Schweitzer Fachinformationen
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Chiara Der Himmel ist bleigrau, Wolken hängen tief und drohen mit Regen, als wollten sie die Anspannung der Menge unter ihnen vorwegnehmen. Transparente tanzen über den Köpfen, über Lautsprecher ruft jemand Parolen, und ein Chor aus vielen Tausend Mündern stimmt mit ein. In der Luft liegt ein Mix aus Abgasen und feuchtem Laub. Ich steige gerade in voller Montur aus dem Einsatzwagen und verschaffe mir einen Überblick. Die Straßen Hamburgs scheinen zu pulsieren unter den vielen Füßen, die ungeduldig darauf warten, endlich loslaufen zu können. Die Demonstrierenden sind laut, bunt und demoerfahren, das gehört dazu bei all diesen Demonstrationen, ob gegen Rassismus, Atomkraft oder Krieg. Sie stammen aus allen Gesellschaftsschichten, Alte und Junge, Männer und Frauen, mit Migrationshintergrund und ohne, Wohlhabendere und weniger Begüterte, obwohl sich Erstere auf solchen Veranstaltungen eher rarmachen.
Ihre lauten Rufe für Gerechtigkeit und Gleichheit hallen über den Platz, vermengen sich zu einem wabernden Rhythmus. Die Stimmung ist aufgeregt, meine Kolleg:innen positionieren sich an den Rändern der Menge, die Gesichter verschlossen, die Körper jederzeit bereit, sich in die Menge zu stürzen. Ihr bedrohlicher Anblick, gepanzert, bewaffnet, uniformiert, reizt die Demonstrierenden, immer wieder sind Rufe zu hören, die uns herausfordern. Sie wollen Abgrenzung demonstrieren zwischen sich und »dem System«.
Ein Demonstrant kommt einem Kollegen zu nah, dieser schubst ihn. Sofort ertönt ein wütender Chor: »Wir sind friedlich, was seid ihr?« Und dann fliegt plötzlich eine Flasche und zerschellt hinter unserer Absperrung auf dem Asphalt. Die Stimmung schlägt um, die Uniformierten drängen nach vorne, gehen rüde gegen die Gruppe vor, aus der die Flasche geflogen kam. »Helm auf!«, brüllt mir ein Kollege zu. Ich kann nicht erkennen, wer es war - er sieht aus wie alle anderen.
Trotz meines Trainings und meiner Einsatzroutine spüre ich, wie ein Adrenalinstoß meine Sinne schärft. Meine Augen suchen nach Anzeichen einer weiteren Eskalation, während die Geräuschkulisse um mich herum in meinen Ohren langsam wieder das Pochen meines Herzens übertönt. Die Aufregung flaut ab, die Demo geht los. Wir lassen unsere Helme auf. Als Führungskraft habe ich eine besondere Verantwortung für viele andere Polizist:innen, ich will nicht, dass jemand verletzt wird.
Unter Pfeifen und Trommeln setzt sich die Menge in Bewegung, Rufe werden skandiert, aus Boxen dröhnt Musik. Seifenblasen fliegen über den Köpfen davon, während ich mich neben immer mehr anderen schwarz gekleideten Kräften am Rand positioniere und die Demonstrierenden beobachte. Es gilt das Vermummungsverbot, trotzdem zieht so mancher den Schal weit ins Gesicht. Es sind diese kleinen Gesten, die für mich wie eine Provokation wirken.
In den Straßen dieses eher alternativen Stadtviertels in Hamburg ist es bei früheren Demonstrationen bereits öfter zu Ausschreitungen gekommen, und auch heute ist damit zu rechnen. Es sind Tage wie diese, die mir alles abverlangen, was mir an mentaler und physischer Kraft zur Verfügung steht. Als Polizistin stehe ich dann einer wütenden Menge gegenüber - laut, aufgebracht, ein Sog der Emotionen. Ich hole tief Luft, der Helm ist schwer und meine Sicht eingeschränkt. Ich fühle mich ein wenig wie eine Astronautin bei der Mondlandung. In meinen behandschuhten Händen halte ich den Einsatzplan, der selten lange Gültigkeit besitzt, aber zumindest Orientierung vermittelt. Zu unberechenbar ist die Dynamik solcher Einsätze. Die Ausrüstung an meinem Körper wirkt wie eine zweite, sperrige Haut, die meine Bewegungen einschränkt - Helm, Schutzweste, der Gürtel schwer vom Gewicht der Dienstwaffe; doppelt gesichert, damit sie mir niemand im Getümmel entwenden kann. Mein Funkgerät ist oft die einzige Verbindung zu meinen und anderen Kräften. Die einzige Möglichkeit, klare Anweisungen auszutauschen oder Unterstützung anzufordern, falls wir angegriffen werden. Oft genug werden die Funksprüche vom lautstarken Durcheinander verschluckt und mit ihnen jede Orientierung. In solchen Momenten steigt Angst in mir auf.
Demonstrierende, die als Gefahr für die Sicherheit und Ordnung identifiziert werden, werden üblicherweise von Einsatzkräften umringt und festgesetzt, »eingekesselt« heißt das im Polizeijargon. Dann können Personalien aufgenommen und gegebenenfalls auch Festnahmen vorgenommen werden, wenn der Verdacht besteht, dass ihr Verhalten strafbar war. Ein weiterer Anlass, der aus einem Zug friedlich Demonstrierender einen wütenden Protestmob machen kann. Seit ich Polizistin bin, habe ich dieses Phänomen schon öfter beobachtet. Wir, die Einsatzkräfte, deutlich in der Unterzahl, die vergangenen Nachtschichten und viele Überstunden in den Knochen, dafür mit Schlagstöcken, Pfefferspray und Dienstwaffen ausgestattet und durch die besondere Schutzausrüstung wie gepanzert. Dennoch habe ich Angst vor Verletzungen. Wenn das Chaos erst einmal ausbricht, ist es nahezu unmöglich, den Überblick zu behalten. In solcher Bedrängnis schaltet der Körper wie automatisch in den »Flucht oder Kampf«-Modus, die Wahrnehmung verengt sich zu einem Tunnelblick, instinkt- und impulsgesteuerte Reaktionen wollen übernehmen, weil das Nachdenken zu lange dauert. Es ist nicht leicht und manchmal illusorisch, diesem natürlichen Antrieb eine antrainierte Gelassenheit entgegenzusetzen.
Ich straffe meine Schultern, fühle, wie belastet mein Rücken vom Gewicht meiner Ausrüstung ist. Meinen Körper zu spüren, entlastet meinen Geist. Ich schaffe es, mir zu signalisieren, dass gerade keine akute Gefahr droht. Einsätze wie dieser werden wohl nie zur Routine werden. Ich kann nur hoffen, dass ab jetzt alles friedlich bleibt in dieser sich rasch verändernden, unvorhersehbaren Lage, die nur allzu schnell außer Kontrolle geraten kann.
Hannah Als ich an diesem Morgen aufwache, spüre ich bereits die latente Unruhe in meinem Inneren. Bis ich das Haus verlasse, hat sie sich zu einem beklemmenden Gefühl in der Brust gesteigert. Ich ignoriere das Gefühl.
Der Himmel hängt voller schwerer Wolken, ein schmutziges Grau, das die Farben der Straßen und Häuser verzehrt. Ich ziehe meine robusten Schuhe an, die mir im Getümmel mehr Standhaftigkeit verleihen, werfe mir meinen Parka über, der mich vor den Wasserwerfern schützen soll, und wickele meinen Schal um den Hals. Wenn die Luft voll Tränengas ist, kann ich ihn über die Augen ziehen. Es wird nicht viel helfen.
Ich steige auf mein Fahrrad und fahre los in Richtung Demo. Der Wind trägt vereinzelte Regentropfen zu mir, als wollte selbst das Wetter heute seine Gleichgültigkeit über unser Anliegen ausdrücken - den Kampf für das Klima und soziale Gerechtigkeit.
Bald schon nähere ich mich dem Versammlungsort. Die Straßen füllen sich allmählich mit Menschen, jeder Schritt, jedes Gesicht, erzählt mir von der Hoffnung auf eine Veränderung und vom gemeinsamen Ringen um einen Wandel. Ich spüre, wie mein Herz ein wenig leichter wird, als ich meine Freundinnen und Freunde erspähe. Ganz unbelastet werden wir wohl alle nie zu einer Demo fahren. Jedes Mal wird unsere Entschlossenheit von einem Schatten begleitet, der dunkler ist als das aufziehende Unwetter: der Angst vor dem langen Arm des Systems - der Angst vor der Polizei.
Die Gewalt der Polizei gegen Aktivist:innen hat eine lange Geschichte. Im Gewirr der Stimmen um mich herum, der ehrlichen, besorgten, wütenden, finden sich Berichte von meinen Freundinnen und Freunden, die aus früheren Protesten die Narben tiefer Wunden davongetragen haben - nicht von fallenden Ästen oder dem rauen Boden, sondern von der unbarmherzigen Härte des Polizeiknüppels.
Ich sehe ihre Augen, wie sie sich verdunkeln, wenn sie von Zerrungen, Prellungen und Knochenbrüchen sprechen, von Verletzungen, die nur durch rohe Gewalt entstanden sein können. Gewalt, für die niemand zur Verantwortung gezogen wird. Weil sich die Verantwortlichen hinter ihrer Uniformität verstecken.
Polizeigewalt und ihre Folgen sind eine reale Bedrohung für mich, all diese tragischen Geschichten ein stetes Mahnen daran, dass unser Protest fatale Konsequenzen für uns haben könnte, die ausgerechnet durch jene herbeigeführt werden, die so etwas verhindern oder verfolgen sollen. Ich spüre, wie Angst und Wut auf mich übergehen und hake mich unter.
Ich fühle mich mit den anderen verbunden, und zusammen rufen wir aus vollem Hals unsere Parolen. »Hejo, leistet Widerstand! Auf die Barrikaden, auf die Barrikaden!« und »Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!«
Manche widersetzen sich dem Vermummungsverbot, ziehen sich ihren Schal trotzdem übers Kinn. Sie wissen, dass sie Probleme bekommen können, wenn sie auf dieser Demo identifiziert werden - von Rechtsextremen, die immer wieder zu solchen Demos kommen, um zu filmen. Um uns zu drohen. Von Polizisten, die manchmal auch Rechtsextreme sind. Eine Zwickmühle, denn wir werden oft als »die Bösen« dargestellt, als würde unsere Vermummung von gefährlichen und kriminellen Absichten zeugen.
Es macht mich müde und traurig, darüber nachzudenken. Zu oft wurde behauptet, wir seien bewaffnet - ein Vorwand, um ihre übertriebene Härte zu rechtfertigen. Wir haben lediglich unsere Stimmen, unsere Transparente und unsere gemeinsamen Ziele, für die wir uns einsetzen. Wir geben uns gegenseitig Kraft, sprechen uns Mut zu, um uns immer wieder aufs Neue der Gewalt der Ordnungsmacht...
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