Schweitzer Fachinformationen
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Sie stand an der Frühstückstheke und sah sich in ihrem Zuhause um, das jetzt so leer war wie noch nie zuvor. Ein weiterer Abschnitt ihres Lebens lag hinter ihr: die Tage, in denen überall kleine Kinder herumkrabbelten, die Tage mit Softballturnieren an jedem Wochenende, die Tage der ersten Dates - sie waren gekommen und wieder gegangen. Jetzt waren die Kinder groß und aus dem Haus, ihr Mann und sie allein im leeren Nest.
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Miss Julie?«, fragte Agnes, die Haushälterin. Sie hatte schon bei ihnen geputzt, als die Kinder noch mit der Trommel um den Weihnachtsbaum gerannt waren, wie ihre Großmutter gesagt hätte.
»Nein, vielen Dank, Aggie. Geh ruhig nach Hause und leg die Füße hoch.«
Mit einem dankbaren Lächeln nahm Agnes den Umschlag entgegen, der ihren letzten Gehaltsscheck samt einem kleinen Extra enthielt.
»Ich wünschte, du könntest mit uns kommen. Aber das neue Haus am Strand ist nicht so groß, dass wir eine Haushälterin bräuchten. Ich werde wohl lernen müssen, alles selbst zu erledigen.« Julie lachte traurig. Dies war wirklich das Ende einer Ära.
»Das Haus wird bestimmt ein wundervolles Heim für eine andere Familie.« Agnes sah sich um. Julie hoffte, dass die ältere Frau sich nun endlich zur Ruhe setzen würde, auch wenn diese immer sagte, Putzen sei ihr Hobby und dafür könne sie sich genauso gut bezahlen lassen.
Jeder Winkel hier steckte voller Erinnerungen, von der Stelle, an der sie immer den Weihnachtsbaum aufstellten, bis zu der Macke in der Tapete, wo ihre Deutsche Dogge auf der Jagd nach einem Ball über den Parkettboden geschlittert und gegen die Wand gekracht war.
Erinnerungen hatten ihre guten und schlechten Seiten. Julie schämte sich für die Tränen, die ihr in die Augen stiegen, und sie wechselte schnell das Thema.
»Danke, dass du hier so gründlich sauber gemacht hast. Unsere Maklerin hat schon drei Interessenten, ich glaube, wir müssen nicht mal ein Schild im Vorgarten aufstellen. Einer hat sogar schon ein Angebot gemacht.«
Agnes lächelte. »Sie werden mir fehlen. Sagen Sie den Mädchen bitte, dass ich sie lieb habe, und sie sollen mir mal eine Postkarte schreiben, ja?«
Julie umarmte sie. »Du weißt, dass sie dich lieben wie eine Großmutter, Aggie. Sie werden in Kontakt bleiben, versprochen.«
Julie war so stolz auf ihre Töchter. Die beiden waren inzwischen erwachsen und eroberten die Welt im Sturm. Meg war neunzehn und verbrachte ein Studienjahr in Frankreich, und Colleen mit ihren zwanzig Jahren studierte am anderen Ende Nordamerikas in Kalifornien und absolvierte gerade ein hochkarätiges Praktikum in einer Anwaltskanzlei, weshalb sie nur selten zu Besuch kam.
Blieben also nur noch Julie und ihr Mann Michael, mit dem sie seit einundzwanzig Jahren verheiratet war. Solange sie zurückdenken konnte, hatte sie davon geträumt, ein Haus an der Küste von South Carolina zu kaufen und das Leben zu genießen, wenn die Kinder aus dem Haus waren, sie selbst aber noch jung.
Mit gerade mal dreiundvierzig fühlte Julie sich noch nicht reif für den Ruhestand. Ganz im Gegenteil. Sie führte eine erfolgreiche Online-Boutique, die sie auch von ihrem neuen Strandhaus aus betreiben wollte. Tatsächlich hatten Michael und sie vor einem Monat den Kaufvertrag für ein Haus unterschrieben, und die wunderbaren Verkäufer waren bereit gewesen, abzuwarten, bis das alte Haus verkauft und ihre anderen Angelegenheiten geregelt waren. Der Vertragsabschluss stand in wenigen Wochen bevor, und Michael blieb gerade noch genug Zeit für eine letzte Geschäftsreise, bevor er seine Arbeit im Vertrieb offiziell aufgab.
Nach dem Umzug würde auch er sich selbstständig machen, und endlich sollte sich ihr Traum erfüllen, in ihren Vierzigern in einem Haus am Strand zu leben. Sie konnte es kaum erwarten.
Am Meer hatte sie stets ihr größtes Glück gefunden. Das stetige Auf und Ab der Wellen vermittelte ihr eine Ruhe, die sie nicht in Worte fassen konnte. Und das Haus, das sie kauften, stand direkt am Strand. Wie oft hatte sie sich ausgemalt, beim Morgenkaffee die vorbeiziehenden Delfine zu beobachten. Und schon bald würde dieser Traum wahr werden. Sie konnte ihre Vorfreude kaum noch bremsen.
Michael war kein so großer Strandfan wie sie, hatte ihr aber immer ihre Träume gelassen und war ihren Wünschen gefolgt. Sie war es, die nach den Sternen griff, während er eher eine Arbeitsbiene war und seine Träume kaum je über den gegenwärtigen Augenblick hinausreichten. Trotzdem war er so erfolgreich in seinem Job, dass sie ein ziemlich luxuriöses Leben führen konnten, und dafür war Julie dankbar. Denn ihre Boutique brachte zwar Geld ein, doch ohne Michaels Einkommen hätten sie nicht davon leben können.
Das erste Jahr nach dem Auszug der Töchter war ein richtiger Schock für sie gewesen. Mit einem Mal war es so still im Haus. Vorbei die Zeiten, in denen sich an den Wochenenden Dutzende Kinder in ihr Wohnzimmer quetschten, lautstark Pyjamapartys feierten oder bis drei Uhr früh tanzten.
Damals hatten sie über den Lärm geklagt, doch als er nicht mehr da war, kam ihnen die Stille ohrenbetäubend laut vor. Es dauerte mehrere Monate, bis sie sich daran gewöhnt hatten, vor allem für Michael. Sie legten sich neue Gewohnheiten zu, zum Beispiel frühstückten sie morgens nun immer gemeinsam auf der Terrasse, bevor Michael zur Arbeit fuhr. Und die ganze Zeit über hatte Agnes weiterhin das Haus sauber gehalten, obwohl kaum noch jemand da war, der es hätte schmutzig machen können.
Nun blickte Julie durch das große Fenster in die Auffahrt und sah Agnes nach, die ihren Kleinwagen zurücksetzte und die Tore ihres wohlhabenden Wohnviertels passierte. Ja, in den vergangenen Jahren war es ihnen finanziell sehr gut gegangen, aber nun waren sie auf andere Art gesegnet: mit Liebe. Mit einer starken Ehe, die den Prüfungen der Zeit standgehalten hatte. Mit einem Neuanfang an einem neuen Ort, fernab vom hektischen Treiben der Vororte Atlantas.
Bei diesem Gedanken lächelte Julie. Jetzt würden all ihre Träume in Erfüllung gehen.
Es war fast sieben Uhr, und Michael war noch nicht zu Hause. Sein Flugzeug war um vier angekommen, sie hatte sogar im Internet nachgeschaut, ob er auch sicher gelandet war. Dann hatte sie seinen Kollegen angerufen, der zusammen mit ihm auf dieser Geschäftsreise gewesen war, aber Marc war trotz des furchtbar dichten Verkehrs in der Stadt schon seit über einer Stunde zu Hause.
Wo war Michael?
Sie hatte ihm geschrieben, aber keine Antwort bekommen. Anrufe landeten direkt auf der Mailbox. Von Minute zu Minute wurde sie unruhiger. Sollte sie die Polizei einschalten? Oder reagierte sie über?
Als sie gerade den Notruf wählen wollte, hörte sie, wie das Garagentor geöffnet wurde. Durchs Fenster sah sie das Heck seines schwarzen BMW in die Garage rollen. Eine Mischung aus Erleichterung und Wut durchflutete sie. Warum kam er so spät, und warum hatte er auf keine ihrer Nachrichten und Anrufe reagiert?
»Gott sei Dank, dir geht's gut!«, sagte sie, als er endlich zur Tür hereinkam. Er trug keinen seiner üblichen Anzüge, sondern Khaki-Shorts, ein rosa Poloshirt und Segelschuhe. So etwas trug er auf Geschäftsreisen nie, nicht einmal auf dem Rückflug.
»Warum sollte es mir nicht gut gehen?«, fragte er, sein Ton eine Spur gereizt. Ohne sie anzusehen, trat er in den Flur und stellte seinen Rollkoffer in der Ecke ab.
»Dein Flugzeug ist schon vor Stunden gelandet, und ich habe dir geschrieben. Und dich angerufen. Warum hast du dich nicht gemeldet?«
»Du übertreibst, Julie. Ich war im Auto. Du weißt, dass ich nicht ans Handy gehe, wenn ich fahre. Denk doch an Kit.«
Er erinnerte in solchen Situationen gern an seinen alten Freund Kit, der vor vielen Jahren wegen eines abgelenkten Teenagers bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Trotzdem brauchte Michael normalerweise keine drei Stunden vom Flughafen nach Hause.
»War viel Verkehr auf den Straßen? Marc war nämlich schon vor einer Stunde zu Hause.« Seine Antworten kamen ihr immer dubioser vor, und noch immer wich er ihrem Blick aus.
Jetzt sah er sie an, sein Gesicht zornesrot. »Du hast ernsthaft Marc angerufen? Willst du mich bei der Arbeit als Idioten dastehen lassen?«
»Michael, ich habe mir Sorgen gemacht! Ich war kurz davor, die Polizei zu rufen.«
»Meine Güte, reiß dich mal zusammen, Julie. Ich bin ein bisschen spät dran, davon geht doch die Welt nicht unter, okay?« Er stürmte ins Schlafzimmer, setzte sich auf einen Stuhl und zog seine Schuhe aus.
Irgendetwas stimmte nicht. So hatte er sich noch nie aufgeführt. Michael wurde sonst nicht mal laut, weshalb die Rolle der strengen Erzieherin immer Julie zugefallen war. Sie war die »Böse«, während er den »lieben Daddy« spielen durfte.
»Und warum interessiert es dich, was Marc oder deine Kollegen denken? Das war doch deine letzte Geschäftsreise, oder? In ein paar Wochen ziehen wir an den Strand .«
Er verharrte mitten in der Bewegung. Die Stille im Raum war überwältigend, und für einen Moment glaubte sie, ihre Ohren hätten den Dienst quittiert. Er sah sie nicht an.
»Michael? Ist etwas passiert?«
»Bitte nicht heute Abend, Julie. Ich bin müde und habe einen langen Flug hinter mir.« Er stand auf, trat vor den Kleiderschrank und betrachtete sich eine Weile von der Seite, bevor er sich wieder Julie zuwandte.
»Was ist? Du machst mir Angst. Sag mir doch, was los ist, Schatz. Ich kann dir helfen.« Sie berührte ihn an der Schulter. Er wich zurück.
»Ich ziehe aus.«
»Ja. Wir ziehen in unser neues Haus am Strand. Alles wird wunderbar werden.«
»Nein, Julie. Du...
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