Schweitzer Fachinformationen
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13.02 Uhr
Oberkommissarin Katharina von Hagemann steuerte mit schweren Schritten auf die Kantine im Lüneburger Behördenzentrum zu, in dem die Fäden der Lüneburger Verwaltung zusammenliefen. Hier, im Haupthaus, waren nicht nur diverse Einheiten der Polizei ansässig, sondern ebenso weitere Verwaltungsfachbereiche, wie die Landesschulbehörde, das Niedersächsische Landesamt für Bezüge und Versorgung oder auch die Heilfürsorgestelle. Sie selbst arbeitete im keine zehn Meter entfernten Gebäude gegenüber, in welchem neben dem Zentralen Kriminaldienst, wozu auch ihr Fachkommissariat »Mord/Totschlag, Brand und Sexualdelikte« zählte, ebenso der Einsatz- und Streifendienst angesiedelt war.
Eigentlich aß die Kommissarin mittags, wenn überhaupt, lieber außerhalb. Dann machte sie entweder gleich noch ein paar andere Besorgungen oder ging mit mindestens einem ihrer Teampartner essen - mit ihrem Vorgesetzten Hauptkommissar Benjamin Rehder in irgendeines der vielen kleinen Lüneburger Bistros zum Mittagstisch, mit der jüngeren Kommissarin Vivien Rimkus zu einem der Bäcker, um beim Schlendern durch die Innenstadt ein Brötchen zu verdrücken oder mit Kommissar Tobias Schneider, der seit seiner Rückkehr nach einem langen Krankenhausaufenthalt aufgrund eines schweren Unfalls bei ihnen im Team den Innendienst schob, mittwochs auf den Wochenmarkt vor dem Rathaus auf eine Currywurst mit Pommes. Gerade zu diesem Marktimbiss gingen sie auch häufig alle vier gemeinsam. Als Tobi nach seiner unfreiwilligen Auszeit wieder halbtags bei ihnen anfing, hatte er zunächst nichts mehr vom Imbiss wissen wollen. Das war nun bereits über ein Jahr her. Bevor er verunglückt war, war Junk-Food seine Leib- und Magenspeise gewesen. Während seiner Genesung, und auch danach, hatte er hingegen sehr auf gute Ernährung geachtet. Einige Monate nach seiner Rückkehr in ihr Team für Mord und weitere Kapitalverbrechen hatte er jedoch irgendwann vorgeschlagen, dem Imbiss mal wieder einen Besuch abzustatten. Er hatte gemeint, er vermisse ihr Ritual, gemeinsam am Stand zu stehen und zwischen dem Geruch von Frittierfett und einem kräftigen Happen Currywurst mit seinen Kollegen über alles Mögliche zu plaudern. Seitdem war Tobi an Markttagen wieder regelmäßig dort anzutreffen. Gestern war er grad wieder dort gewesen, und Ben und Katharina hatten ihn begleitet. Vivien war die ganze Woche bereits bei einer Fortbildung in Lüchow, die aufgrund der leichten Lockdown-Lockerungen zu deren großer Freude stattfand, und würde erst am Montag wiederkommen. Tobi hatte heute Morgen einen Kontrolltermin beim Arzt gehabt und sich deswegen gleich den Rest des Tages freigenommen, und Ben hatte eine private Mittagessenverabredung. Mit wem, wusste Katharina nicht. Sie nahm an, mit irgendeiner Frau, da er ihr ausgewichen war, als sie ihn gefragt hatte. Wenn sie es genau nahm, hatte er ihr gar keine richtige Antwort gegeben, nur gemurmelt »kennst du nicht« und dann das Thema gewechselt. Genau diese Reaktion zeigte ihr merkwürdiges Verhältnis zueinander, denn im Grunde erzählten sie sich alles. Außer wenn es um ihre privaten Beziehungen zum anderen Geschlecht ging. Katharina wusste, dass das nicht daran lag, weil sie am Ende Kollegen waren, die eine gewisse Distanz zueinander wahrten. Und es lag auch nicht daran, dass sie seit einigen Jahren mit seinem Zwillingsbruder Bene zusammen war. Gerade das würde dafürsprechen, sich auch das Privateste vom Privatesten zu erzählen, da sie alle ein herzliches Verhältnis zueinander hatten. Es lag schlicht und ergreifend daran, dass es zwischen Ben und ihr Schwingungen gab, wie sie manchmal zwischen einer Frau und einem Mann vorkamen, sie sich diese aber verboten. Zumindest Katharina tat dies, seit es ihr überhaupt bewusst war. Und Ben auch, da war sie sich nahezu sicher. Im Stillen fragte sich Katharina manchmal, was zwischen ihnen beiden sein würde, wenn sie nicht mit seinem Bruder zusammen wäre. Allerdings bliebe Benjamin Rehder dann immer noch ihr Vorgesetzter und Kollege. Sie war einmal, vor Jahren, eine Beziehung mit einem Kollegen eingegangen. Das war noch während ihrer Zeit in München. Maximilian war Staatsanwalt gewesen und sie hatten bei diversen Fällen zusammengearbeitet, sich verliebt, und dann waren sie sogar zusammengezogen. Bei ihrem letzten gemeinsamen Fall hatten sie es mit einem Serienmörder zu tun bekommen, der Prostituierte regelrecht abschlachtete. Katharina konnte den Täter gemeinsam mit ihrer damaligen Teampartnerin und zugleich besten Freundin Helena überführen - es war kein anderer gewesen als Maximilian selbst. Allein der Gedanke, dass sie mit diesem Monster freiwillig Haus und Bett geteilt hatte, ja, sich sogar in es verliebt und fast geheiratet hatte, ließ sie auch jetzt wieder erschauern. Wie hatte sie sich nur so in einem Menschen irren können? Sie, die sonst bekannt war für ihr gutes Bauchgefühl. Schnell schob sie die Erinnerung an Maximilian weg. Und auch ihre Gedanken an ihre widersprüchlichen Gefühle zu Ben. Seit letztem Jahr hatten diese deutlich zugenommen, was sicherlich auch daran lag, dass es mit dessen Bruder nicht mehr so gut lief. Sie vertraute ihrem Freund einfach nicht mehr, und deswegen war der Wurm in ihrer Beziehung eingezogen, von dem sie jedoch hoffte, er würde sich in Nichts auflösen. Auf jeden Fall konnte es so, wie es aktuell war, nicht weitergehen, und sie musste dringend aus dieser verfahrenen Situation herausfinden. Bene tat so, als sei nichts. Im Gegenteil war er sogar ihr gegenüber aufmerksamer als je zuvor, und gerade das machte sie noch argwöhnischer. Schon seit Monaten nahm sie sich vor, mit ihm über ihre Beziehung zu sprechen, doch immer wieder verschob sie es auf morgen. Ähnlich, wie Scarlett O'Hara in Vom Winde verweht. Sie hatte den Roman von Margaret Mitchell als junges Mädchen verschlungen und auch den Film zum Buch stets geguckt, wenn er im Fernsehen lief. Meist um die Weihnachtszeit herum. Sie hatte sich stark mit der 16-jährigen Scarlett, die ihr auf der einen Seite verletzlich und auf der anderen so stark erschien, identifiziert, und anscheinend war von Scarletts Motto etwas in ihr hängen geblieben. Katharina schüttelte innerlich den Kopf über sich: Sie war keine 16 mehr und sah die Romanfigur mit ihren 44 Jahren nicht mehr mit einem verklärten Blick. Heute war Freitag. Sie würde früh aus dem Büro kommen und dann ins Wochenende gehen. Bene war heute etwas länger unterwegs. Das hatte er ihr am Morgen erzählt, allerdings hatte er ihr nicht gesagt, was er vorhatte. Aber sie hatte auch nicht gefragt. Da sie also vor ihm zu Hause sein würde, wollte sie es dort noch ein bisschen nett herrichten, vielleicht ein paar Kerzen anzünden wie er es gern mochte, schöne Musik auflegen und etwas Fingerfood parat stellen. Und dann würde sie endlich mit ihm reden. Hoffentlich ohne in einen Streit zu geraten, sondern wie sie es früher regelmäßig getan hatten: vernünftig, reflektiert und auch liebevoll. Wobei Katharina vor sich selbst zugeben musste, dass dies eher auf Bene als auf sie zugetroffen hatte. Sie würde sich heute Abend zusammenreißen und ihre Gefühle unter Kontrolle haben müssen, wenn sie Antworten von ihm haben wollte. Selbst wenn diese ihr nicht gefallen sollten. Sie würde es einfach wie in einer Vernehmung machen, professionell, neutral, und den Grundsatz »im Zweifel für den Angeklagten« beherzigen.
Katharina war bei der Kantine angekommen. Sie drückte die Tür auf und sah sich um. Es war kein einzelner Tisch mehr frei. Sie würde sich irgendwo dazusetzen müssen. Das hatte sie schon geahnt, war jedoch dennoch nicht nach draußen zum Mittag gegangen, weil sie allein keine Lust dazu verspürt hatte und einfach nur schnell was in den Magen bekommen wollte. Wenn sie hier drinnen keinen Platz mehr fand, würde sie in den Außenbereich ausweichen. Hierfür hatte sie sich sicherheitshalber ihre Jacke übergezogen, da die Temperaturen für Ende April in diesem Jahr ziemlich niedrig waren und zudem ein unangenehmer Wind ging. Aber es regnete nicht und richtig angezogen konnte man es draußen gut aushalten.
Während die Kommissarin durch den Raum ging, grüßte sie hier und da die ihr bekannten Gesichter und stellte sich in der Reihe zur Essensausgabe an. Die warmen Gerichte waren heute allesamt nicht nach ihrem Geschmack, und so nahm sie sich aus dem gekühlten Regal einen fertig angerichteten Caesar Salad. Nachdem sie gezahlt hatte, suchte sie sich mit den Augen einen Platz. An einem der hinteren, unter normalen Umständen für acht Personen ausreichenden, unter Corona-Bedingungen aber nur für vier Personen zugelassenen Tische machte sie noch einen freien Stuhl aus. Sie ging dorthin, fragte die drei bereits essenden uniformierten Kollegen: »Ist der Platz noch frei?«, und setzte sich, nachdem der älteste von ihnen meinte: »Na klar, für eine hübsche Kollegin doch immer.«
Katharina zog ihre Mund-Nasen-Maske ab und hob dabei eine Augenbraue hoch. Natürlich wusste sie, dass es nett und zugleich auch scherzhaft von dem Kollegen gemeint war, aber sie war gerade nicht in der Stimmung, charmant auf seinen Spruch einzugehen. Gerade nervte es sie einfach nur, in dieser Art auf ihre Weiblichkeit reduziert zu werden. Ein wenig wunderte sie sich über ihre Reaktion, denn sonst hatte sie sich nicht so, doch die drei Sitzenden schienen diese gar nicht bemerkt zu haben. Alle drei lächelten ihr freundlich zu, und so rang sie sich jetzt ebenfalls ein Lächeln ab. Nur weil sie schlechte Laune hatte, musste sie diese schließlich nicht an den Männern auslassen.
Sie setzte sich und begann zu essen.
»Und, wie ist es bei euch so, ich hoffe, alles ruhig?«, sprach der ältere sie an.
Katharina...
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