Schweitzer Fachinformationen
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Gesine Schmitzmayer rekelte sich genüsslich auf ihrem Handtuch und blinzelte in die Sonne. Auf das, was sie jetzt tun würde, hatte sie sich schon den halben Tag gefreut. Sie drehte sich auf den Bauch, griff in ihre Strandtasche und holte eine kleine Ledermappe heraus. Während die meisten Leute inzwischen alles nur noch digital speicherten, bevorzugte die 38-Jährige noch immer den klassischen Terminplaner, mit Ringbuchtechnik und in schönes Leder gebunden. Okay - Kunstleder, zugegeben, aber Gesine fand, es sah aus wie echt. Der Druckknopf, der den schon ziemlich abgegriffenen Kalender zusammenhielt, hatte einiges auszuhalten und sprang ihr fröhlich entgegen, sobald sie mit einem ihrer langen bunt lackierten Fingernägel darunterfasste. In diesem Ringbuch war alles, was Gesine brauchte, und das waren weiß Gott nicht nur die Termine für ihre Jobs.
Auch jetzt wusste sie genau, in welches der zahlreichen Innenfächer sie greifen musste, um zu finden, wonach sie suchte. Mit zielsicherem Griff fischte sie eine glänzende Ansichtskarte hervor. Darauf zu sehen war ein paradiesischer Strand vor kristallklarem, grünlich schimmerndem Meer und unter einem azurblauen Himmel. Sogar die obligatorische Karibikpalme fehlte nicht. Kein Text - nur ein traumhaft schönes Urlaubsambiente. Mit einem Lächeln im Gesicht strich Gesine Schmitzmayer sich die langen schwarzen Haare aus dem Gesicht, legte die Karte auf den Timer und zog den bunten Kugelschreiber aus der Seitenlasche.
Liebe Annette, schrieb sie ganz oben auf die Karte. Wenn du das Bild auf der Karte angesehen hast, muss ich ja eigentlich nicht mehr viel dazu sagen. Nur so viel vielleicht: Mir geht es großartig!
Gesine schmunzelte und kaute dabei auf dem bereits strapazierten Ende ihres Kugelschreibers. Ich liege im warmen Sand, schaue aufs Wasser und freue mich des Lebens - was könnte schöner sein? Ich weiß noch nicht, wohin es mich als Nächstes treibt, aber im Moment möchte ich hier eigentlich gar nicht weg. Ich halte dich auf dem Laufenden und bis dahin grüße ich dich herzlichst, deine Gesine.
Nun kam der Umschlag an die Reihe. Die Adresse von Annette Siebert stand bereits drauf, ebenso klebte darüber eine schöne Briefmarke, die irgendein unbekanntes Kunstwerk zierte. Bevor Gesine die Karte in den Umschlag schob, streute sie wie zufällig ein paar Sandkörner mit hinein, was ihr erneut ein breites Grinsen ins Gesicht trieb. Schließlich verklebte sie den Umschlag und verstaute ihn mitsamt dem kunstledernen Ungetüm wieder in der großen Strandtasche. Sie war stolz auf sich, denn jedes Wort auf der Karte entsprach der Wahrheit. Und sie wusste genau, dass Annette Siebert, ihre missgünstige Cousine, grün vor Neid werden würde, wenn sie diese Karte las. Immer wieder, bei jeder seltenen Begegnung, hielt sie Gesine vor, ihr Leben nicht in den Griff zu bekommen. Sprüche wie »Na, Gesine - hast du denn endlich eine Arbeit gefunden, obwohl du nichts Anständiges gelernt hast?« oder »Ach, Gesine - wie alt bist du noch gleich? 38? Langsam müsstest du doch mal Ordnung in dein Leben bringen, meinst du nicht?« waren keine Seltenheit auf Familienfeiern, die Gesine ihren anderen Verwandten zuliebe nicht umgehen konnte. Da sie Annettes Worten nicht wirklich etwas entgegenzuhalten hatte, war Gesine auf eine andere Idee gekommen. Von jedem Ort, an den es sie trieb, schrieb sie ihrer Cousine Annette eine Ansichtskarte, in der sie von ihrem herrlichen Leben schwadronierte. Manchmal, zugegeben, musste sie ein kleines bisschen flunkern. Diesmal nicht. Sie lag tatsächlich im warmen Sand, schaute wirklich aufs Wasser und fühlte sich unbestritten wohl. Dass es nur der Sand vom Naturbad Bardowicker Strand 12 war und kein karibischer, spielte schließlich keine Rolle.
Über die Monate hatte Gesine ihr System, wie sie es nannte, verfeinert. Die Karten kamen immer in einen Briefumschlag. Das kostete zwar mehr Porto, aber in der Regel wanderte der Umschlag bei den Empfängern nach dem Aufreißen direkt in den Müll und das bestimmt auch bei Annette. So konnte sie später nicht mehr auf die Idee kommen, sich den Poststempel genauer anzusehen. Briefmarken wählte Gesine sorgfältig aus, damit sie nicht auf den ersten Blick die deutsche Absenderadresse verrieten, und kleine Details, wie etwas Sand im Umschlag, waren dann der Feinschliff. Sie schloss die Augen und stellte sich Annettes giftiges Gesicht vor, während sie die Karte las und sich fragte, wie um Himmels willen ihre nichtsnutzige Cousine Gesine sich wohl eine Weltreise leisten konnte .
Etwa zur selben Zeit saß Spargelbauer Knut Hansdorf in De Kaminstuuv 13, einem rustikalen und gemütlichen Restaurant mitten in Bardowick und wartete auf seinen Schweinebraten. Bekannt war das Gasthaus über die örtlichen Grenzen hinaus vor allem für seine hausgemachten Torten und Kuchen, doch damit konnte Hansdorf nichts anfangen. Außerdem fand er es nur nervig, wenn sich die Leute bis an die Tür schlängelten, um sich am Nachmittag eine frisch gebackene Kuchenauswahl für den heimischen Kaffeetisch zu holen. Er saß lieber zur Mittagszeit in einer ruhigen Nische, in der Woche, wo nicht ganz so viel los war, und genoss ein herzhaftes Essen. Praktischerweise lag das Restaurant in der gleichen Straße wie sein eigener Hof und er war zu Fuß in wenigen Minuten dort. Seit seine Frau vor einigen Jahren gestorben war, hatte er hier eine ähnlich gute - oder wenn er ehrlich war, eine deutlich bessere - Küche, als noch zu ihren Lebzeiten. Darüber hinaus konnte er es sich leisten, beinahe jeden Mittag essen zu gehen. Viel anderes blieb ihm aber auch nicht übrig. Er selbst hatte nie Kochen gelernt, er konnte nur Spargel zubereiten. Und seine Tochter Kerstin bekam es ebenfalls nicht auf die Reihe, ihm ein einigermaßen genießbares Essen auf den Tisch zu bringen.
Selbstzufrieden lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, griff in die beinahe DIN A5-große Geldtasche, und blätterte die Einnahmen des Vortages durch. Das hatte sich mal wieder gelohnt. Die Spargelsaison war in diesem Jahr früh gestartet, und er hatte dank seiner beheizten Felder als Erster in Bardowick mit dem Verkauf starten können. Die Leute waren immer heiß auf den jungen Spargel, und wer die erste Runde gewann, machte in der Regel auch für die gesamte Saison das Rennen.
»Heidi!«, rief er der Wirtin zu. »Einen Klaren für mich.« Schließlich war das ein Grund zum Feiern, da musste er heute nicht lang zögern. Er steckte die pralle Geldtasche zurück in seine Jacke und begann zu überlegen. Eine so gute Saison wie in diesem Jahr war nicht selbstverständlich. Er nahm das als Zeichen, endlich seine Pläne in die Tat umzusetzen, über denen er schon so lange brütete. Früher hatte er alles mit seiner Frau besprochen, doch seit sie nicht mehr war, musste - nein, konnte er allein entscheiden. Inzwischen genoss er diesen Umstand, dass niemand ihm reinreden konnte. Kerstin versuchte es zwar, doch das war ihm nicht wichtig. Sie hatte auf dem Hof noch nichts zu sagen. Solange er noch schaffen konnte, nahm er sich auch das Recht, allein zu entscheiden. Wenn sie, als einziges Kind der Hansdorfs, den Hof eines Tages übernehmen würde, konnte sie tun und lassen, was sie wollte. Doch Knut Hansdorf fühlte sich stärker denn je und hatte nicht vor, den Hof in den nächsten Jahren an seine Tochter zu übergeben. Ganz im Gegenteil - er würde die guten Erträge investieren und den Hof ausbauen. Er wusste auch schon genau wie, und bald würde es losgehen. Heute Abend würde er das Konzert im Dom zu Bardowick St. Peter und Paul 14 besuchen. Ihm gefielen bei Weitem nicht alle musikalischen Veranstaltungen, die dort stattfanden, doch zu ausgewählten fand er sich ein, seit Jahren schon. Außerdem würde er im Dom ganz bestimmt auf Manfred Lübbers treffen. Hansdorf grinste vor sich hin, während die Kellnerin ihm den Klaren und den Braten auf den Tisch stellte. Lübbers würde der Erste sein, der von seinen Plänen hören sollte . na, der würde Augen machen!
Gesine stand vor ihrem Wohnmobil, ihrem Mobilé, wie sie es so gern nannte, und schüttelte das sandige Badetuch aus. Sie hatte die Zeit im Naturbad genossen und fühlte sich enorm fit. Die soeben in den Briefkasten gesteckte Karte an ihre Cousine trug einen weiteren nicht unerheblichen Teil zu ihrer guten Laune bei. Außerdem hatte sie heute einen freien Tag, denn ihr Putzjob im Golf Resort Adendorf 15 begann erst morgen. Das neue Hotel am Golfplatz war ausgebucht und hatte kurzfristig zusätzliches Personal gebraucht, genau einer der Jobs, wie Gesine ihn liebte: Ein großes, recht neues Hotel, oft arrogante, aber teilweise auch dekadent großzügige Hotelgäste, die meist nur für ein paar Tage blieben und sich in den Zimmern verhältnismäßig gesittet benahmen. Da hatte sie nicht lange gezögert, als ein früherer Freund, der im Hotel als Kellner arbeitete, sie gefragt hatte, ob sie Interesse hätte, dort für vier Wochen auszuhelfen.
Den heutigen Tag würde sie noch voll auskosten. Hierfür hatte sie sich ein feines Abendprogramm überlegt, das bald losgehen würde: Sie wollte im Dom ein Konzert besuchen. Darum wühlte Gesine jetzt in ihrem Kleiderschrank, zog ein langes rotes Samtkleid hervor und ein fröhliches Halstuch in verschiedenen Blautönen. Sie zog beides an, dazu dann noch die blauen Schnürstiefel, und sie fühlte sich für einen feierlichen Konzertabend gewappnet. Um die langen schwarzen Haare band sie ein hellgelbes Tuch. Sie fand, das...
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