1 ADOLPH DE MEYER. Gertrude Vanderbilt Whitney, American Vogue, 1917
Kapitel I
Der Beginn einer neuen Ära
Der erste Weltkrieg war ein einschneidendes Ereignis, welches auf soziokulturellem und künstlerischem Terrain die Moderne und somit eine neue Ära einleitete. Nicht nur die Mode veränderte sich revolutionär, auch auf photographischem Gebiet fanden wir neben Althergebrachtem neue Ausdrucksformen. Es war nicht weiter ungewöhnlich, dass am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts immer mehr Modephotographien erschienen, die in einschlägigen und berühmten Modemagazinen wie dem Harper's Bazar (USA seit 1867) oder der Les Modes (Paris, 1901-1937) veröffentlicht wurden. Es etablierten sich selbstständige Ateliers, die sich auf Modephotographie spezialisierten, hauptsächlich in den europäischen Hauptstädten. Diese kamen meist aus dem Bereich der Porträt- oder Theater-Photographie. 1909 wurde in New York City das bereits seit 1892 bestehende Magazin Vogue von dem amerikanischen Verleger Condé Montrose Nast übernommen. Als erster Photograph, der beruflich für Modemagazine tätig war, und daher heute als der erste Modephotograph par excellence bezeichnet wird, trat Adolph de Meyer in Erscheinung. Während dieser, wie auch andere Photographen, beispielsweise Arnold Genthe, dem Piktorialismus als Kunststil treu blieben, wandten sich die meisten modernen Photographen, stellvertretend sei Edward Steichen genannt, vom malerischen Stil ab. Avantgardistische Kunstrichtungen wie zum Beispiel der Dadaismus und die Neue Sachlichkeit traten an seine Stelle.
Der neue Berufsstand des
Modephotographen - Adolph de Meyer
Anfang des 20. Jahrhunderts gab es kaum Photographien in den Modemagazinen. Zwar wurde bereits 1881 das Halbtonverfahren patentiert, das es ermöglichte, diese zu drucken. Die Zeitschrift La Mode Practique nutzte es 1892 zum ersten Mal, um Mode zu zeigen. Hauptsächlich gab es aber Illustrationen in den Magazinen und Photographien waren die Ausnahme. 1911 bestellte Art et Décoration dreizehn Steichen-Photos von Poiret-Kleidern für einen Bericht mit dem Titel "The Art of the Dress". Nur sehr luxuriöse Magazine wie Les Modes konnten es sich leisten, Modephotos der größeren Ateliers zu veröffentlichen. Es gab einige berühmte, alteingesessene Photostudios wie das der Reutlingers in Paris, das von Madame d'Ora in Wien und später ebenfalls in Paris oder die von Alexander Binder und Maurus Wilhelm Willinger in Berlin. Sie photographierten die Damen und Herren der feinen Gesellschaft, die es sich leisten konnten zum Photographen zu gehen, sowie Schauspieler/-innen, Tänzer/-innen, etc. Vor allem blühte das Geschäft mit den Postkarten, insbesondere mit Bildern im Ansichtskartenformat. Die Photographen entwickelten eine Bildsprache, die vom Jugendstil beeinflusst war. Die Bilder wurden zum Teil koloriert und als Photomontagen gestaltet. Einige der Ateliers beziehungsweise Photographen sollen kurz behandelt werden.
Léopold-Émile Reutlinger (1863-1937), in Peru geboren, war der Sohn von Émile Reutlinger und Enkel von Charles Reutlinger. Er übernahm das historische Studio in Paris von seinem Vater bereits im Jahr 1890 (siehe Bd. I) und machte Aufnahmen von populären Schauspieler/-innen und Opernsänger/-innen sowie Mode- und Werbeaufnahmen. Auch photographierte er die Damen im Moulin Rouge und Les Folies Bergère. Unter den Prominenten, die er porträtierte, waren Mata Hari, Cléo de Mérode, Sarah Bernhardt, Léonie Yahne, Anna Held und Lina Cavalieri. 1930 verlor er bei einen Unfall mit einem Champagnerkorken ein Auge, was ihn bei seiner Arbeit erheblich beeinträchtigte. Doch er führte das Atelier bis zu seinem Tod 1937 weiter.
1907 eröffnete Dora Kallmus (1881-1963) zusammen mit dem Photographen Arthur Benda (1885- 1969) ein Atelier in Wien. Seit 1908 nannte sie sich Madame d'Ora. Sie inszenierte die Damen in weichen Stoffen, Pelzen, Abendmänteln, Schals und Hüten und orientierte sich, was Pose und Komposition anging, an Gemälden von Gustav Klimt. Seit 1915 gab es wieder eine größere Anzahl an Photographien von Schauspielern. 1913 machte sie in ihrem Berliner Studio Aufnahmen von Anna Pawlowa und begeisterte sich für die neue moderne Tanzbewegung. Im Jahr 1916 photographierte sie die Krönung von Karl I. zum König von Ungarn und stellte eine Porträtserie der gesamten kaiserlichen Familie her. 1927 gab sie das Atelier d'Ora an Arthur Benda ab und zog nach Paris, wo sie stilistisch die Mode der Zeit in ihren Bildern aufnahm. Ihre Modephotographien repräsentierten die großen Designhäuser einschließlich Patou, Rochas, Chanel, Lanvin, und Worth. Sie porträtierte in ihrem Freundeskreis Coco Chanel, den Schauspieler Maurice Chevalier und die Sängerin Mistinguett. Ihre Bilder von der Tänzerin Josephine Baker, der Malerin Tamara de Lempicka und der amerikanischen Schauspielerin Anna May Wong blieben unvergessen.
1913 eröffnete Alexander Binder sein erstes Photoatelier am Kurfürstendamm Nr. 225 in Berlin. Neben Porträts bekannter Berliner Persönlichkeiten machte er vor allem Star- und Modeaufnahmen. Während der Dreharbeiten zum Film "Die freudlose Gasse" porträtierte er Greta Garbo. Binder starb 1929. Nach Binders Tod befand sich das Atelier am Kurfürstendamm Nr. 205.
Maurus Wilhelm Willinger, geboren in Budapest, war seit 1902 in Berlin ansässig. Von 1909 bis 1918 betrieb er dort eine Photoagentur. Nach dem ersten Weltkrieg leitete er eine Agentur in Wien. 1940 emigrierte er nach Shanghai, wo er das Atelier Willinger & Co Shanghai betrieb.
1909 wurde in New York City das bereits seit 1892 bestehende Magazin Vogue von dem amerikanischen Verleger Condé Montrose Nast übernommen und umstrukturiert. Es war von vornherein mehr als nur ein Modemagazin und enthielt Artikel über Gesellschafts- und Sportnachrichten, Gesundheits- und Schönheitsratschläge, Reiseberichte und Leitartikel und richtete sich an eine gehobene Oberschicht. Nast gestand von Anfang an freimütig, dass er kein kreativer Mensch sei - dafür aber ein Verkaufsgenie. Er erfand mit dem wirkungsvoll gestalteten Cover ein völlig neues Verkaufskriterium und verhalf damit einem ganzen Berufszweig zu ungeahnter Blüte - den Modezeichnern.
2 MADAME D'ORA. Anna Pawlowa, 1913
3 MADAME D'ORA. Elsie Altmann-Loos, 1922
Die besten ihres Fachs wurden zu Stars. Diese Rolle wurde erst später von den Photographen übernommen. 1913 gründete Nast die Zeitschrift Vanity Fair, darüber hinaus publizierte er die House & Garden und die Jardin de Modes. 1916 folgte die britische Vogue. Somit hatte Nast das erste interkontinentale Verlagshaus weltweit gegründet. Ebenfalls 1916 ließ Nast das erste hauseigene Photolabor einrichten. Es war neu, dass Verlagshäuser eigene Photostudios betrieben.(1) Seit 1914 bekleidete Edna Woolman Chase die begehrte Position der Chefredakteurin und behielt diese bis 1951. Sie war die dritte von sieben Frauen, die seit 1892 an der Spitze der Vogue standen.(2) Im gleichen Jahr stellte Nast den Photographen Adolph de Meyer exklusiv für das Magazin ein. 1923 kam Edward Steichen hinzu, 1928 Cecil Beaton, in den frühen 30er Jahren Horst P. Horst und Toni Frissell und 1938 André Durst.(3) Seit 1925 wohnte Nast in der Park Avenue 1040, einer Luxuswohnung mit 30 Räumen. Für die luxuriöse Ausstattung hatte er Elsie de Wolfe (Lady Mandl) beauftragt, eine bekannte amerikanische Innenarchitektin. Sie liebte den französischen Stil, insbesondere Louis-quinze-Möbel; der Stil der Régence und des Rokoko inspirierten sie, aber auch Chinoiserien fanden reichhaltig Platz. Der Tanzsaal war mit Chieng Lung Tapeten ausgestattet. Ein Wintergarten beherbergte eine Blumenpracht, lud zum Verweilen ein und bot einen Ausblick über die Park Avenue. Schlaf- und Aufenthaltsräume im Untergeschoss waren über eine schmale Treppe erreichbar. Nast veranstaltete in seinem Luxus-Apartment zwei Partys pro Monat. Die High Society, die hier verkehrte, lieferte genug Stoff für seine Magazine, und die Räumlichkeiten dienten ebenfalls als Kulisse für photographische Events.(4)
Als Mitbewerber zur Vogue erschien das Magazin Harper's Bazar, welches bereits 1867 gegründet wurde. (Harper's Bazar schrieb sich noch immer ohne das zweite "a", welches erst 1929 dazukam) 1913 kaufte William Randolph Hearst die Zeitschrift.(5) Insbesondere seit dieser Übernahme bestand eine Rivalität zwischen den Magazinen auf allen Ebenen. 1915 wetteiferten sie um die 100000ste Auflage. Der Harper's Bazar hatte zwar schon früher Photographien neben Illustrationen verwendet, auch war der Stil der Illustrationen realistischer, allerdings kam der erste Photograph, der fest verpflichtet wurde, mit Martin Munkácsi erst in den 30er Jahren. 1932 wechselte Carmel Snow von der Vogue zum Harper's...