Schweitzer Fachinformationen
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Rosa hörte es als Erste. Es klang wie ein klägliches Maunzen. Eine Katze? Sie passierte die letzten drei Häuser vor ihrem, und das Geräusch wurde lauter und menschlicher; beängstigend menschlich. Katie stand vor der Haustür und trommelte mit beiden Fäusten fieberhaft und immer heftiger dagegen. Sobald sie Rosas Schritte hörte, drehte sie sich um. Ihr Gesicht war verschmiert mit Schlieren aus Schminke und Tränen und verzerrt vor unaussprechlichem Schmerz.
Rosa stürzte zu ihr und nahm sie in die Arme, und im selben Augenblick flog die Tür auf, und Liv stand da und glotzte blinzelnd hinaus in die Nacht. Es fing gerade an zu regnen; natürlich fing es an zu regnen.
»Tragisch, findet ihr nicht«, konstatierte Liv fünf Minuten später, nachdem sie Katie mit einer Tasse Tee auf die Couch gesetzt hatten, »da ist es gerade mal elf Uhr an einem Samstagabend, und ich liege schon brav im Bettchen.«
Rosa beäugte Katie, die zitternd vor ihnen hockte, und schaute dann wieder rüber zu Liv. »Ich weiß nicht, ob das hier momentan die wahre Tragödie ist.«
»Stimmt«, brummte Liv und setzte sich behutsam neben Katie. »Also, was ist passiert?«
Was hatte er noch mal gesagt? Das mit uns geht so nicht weiter? Hatte er das gesagt? Oder hatte sie das bloß geträumt? Es klang wie ein abgedroschener Satz aus einem Film. Es ging doch, oder nicht? Was sollte das überhaupt heißen, gehen? Wie ging eine Beziehung denn? Ich muss am Montag arbeiten. Jeden Montag, jede Woche, jeden Monat, und jetzt wird Chris einfach an keinem Montag und auch sonst nie mehr da sein.
Sie fasste die Tasse mit beiden Händen wie eine Boje auf stürmischer See. Schob die Finger ineinander, bis ihre Haut fast glühte. Festhalten. Nur nicht loslassen.
Sie wusste nicht, ob sie irgendwas davon laut gesagt hatte oder nicht.
»Was soll das heißen, es geht so nicht weiter?«, wollte Rosa wissen.
»Ich weiß es nicht. Er ist - die Arbeit war - er hatte Stress - ihr wisst ja, er ackert immer wie blöde - für die nächste Beförderung - und dann die ständige Sparerei wegen der Anzahlung für unsere eigene Wohnung - und trotzdem fühlt es sich an, als kämen wir überhaupt nicht voran - und dann dauernd dieser Druck, aber .«
Sie brach ab und zusammen und weinte schon wieder, versuchte, ihr Gespräch von vorhin wiederzugeben, wie er sie angesehen hatte, als sie so spät nach Hause gekommen war, nur ein bisschen was trinken mit meiner Freundin Suzy, vorher war ich shoppen, Klamotten für den Urlaub kaufen, den verdammten Scheiß-Urlaub, über Ostern nach Frankreich, gerade erst gebucht, wie kann das ausgerechnet jetzt sein, wie lange denkt er schon darüber nach, sicher, wir haben uns gelegentlich gestritten, aber streiten sich nicht alle mal? Warum hat er nicht mit mir geredet, er kann doch so was nicht einfach so entscheiden. Alles durcheinander, drunter und drüber, tränennass, es schrillte in ihrem Kopf wie viel zu spät noch unterwegs sein, Absturz, Übelkeit, Zähneknirschen, pelzige Zunge, alles verkehrt.
Rosa und Liv schlangen die Arme um sie und schauten einander über ihre triefenden Haare an, ein Blick wie ein wortloser Fragenkatalog. Hast du was geahnt? Ist das nur ein Fehlalarm? Ist das jetzt für immer? Sollen wir ihr sagen, morgen sieht die Welt schon wieder anders aus, und bestimmt fleht er dich an, ihm noch mal zu verzeihen, oder lieber, sie soll froh sein, dass sie ihn los ist?
»Und er ist in der Wohnung geblieben?«, fragte Rosa.
»Ja. Er hat gesagt, er kann auf dem Sofa schlafen, aber ich .« Sie schüttelte den Kopf und weinte schon wieder. »Ich konnte nicht dableiben. Und reden ging auch nicht mehr. Er war - es war, als wäre er .« Sie stand schwankend am Abgrund, bemüht, nicht kopfüber hineinzustürzen, brauchte einen Moment, bis sie zum ersten Mal laut aussprechen konnte, was sie nur ein paar Stunden zuvor von ihm gehört hatte.
»Ich glaube, er meint es ernst. Es ist aus und vorbei. Er hat gesagt, er ist so müde und dass er sich ganz sicher ist.«
»Das kannst du doch jetzt noch nicht sagen«, meinte Rosa. »Er kann das jetzt noch nicht sagen. Ein Abend. Gegen neun gemeinsame Jahre. Die macht man doch an einem einzigen Abend nicht ungeschehen.«
Liv machte den Mund auf, wollte protestieren und überlegte es sich noch mal anders. »Du brauchst jetzt gar nichts zu entscheiden. Du brauchst überhaupt nichts zu machen. Du bist hier. Hier bei uns.«
Ein Knacken und Klicken an der Haustür.
»Prima, ihr seid noch wach«, trompetete Dee mit weingeschwängerter Stimme, ihr Ton spitz nach dem miesen Date. »Wir haben hoffentlich Gin im Haus.«
Majestätisch erschien sie in der Tür, eine Erscheinung in kniehohen Stiefeln, schwarzem Lederrock, rotem Poloshirt und einem Lippenstiftstrich im selben Farbton. Ihr Mantel hing ihr feucht über eine Schulter.
»Noch so einer für die Snob-Chroniken«, verkündete sie, stolperte grazil in die Küche, um sich ein Glas zu holen, und schien Katie, die in sich zusammengesunken auf der Couch kauerte, gar nicht zu bemerken. »Hat ernsthaft zwanzig Minuten lang in allen Einzelheiten erzählt, wie er seinen ersten Lachs gefangen hat.«
Katie gluckste leise.
»Scheiße. Was machst du denn hier?«
Zitternd löste Katie sich abermals in Tränen und abgehacktem Atem auf.
»Chris«, versuchte Rosa, zu erklären. »Er hat. Sie haben.« Hilflos zuckte sie mit den Schultern.
Dees träger Blick streifte jede Einzelne ihrer drei Freundinnen. »Und da trinkt ihr Tee?«
Ihre gemeinsame Wohnung verfügte über einige recht spezielle Eigenheiten - die ihr Vermieter gerne beschönigend »Design-Elemente« nannte, obschon »Baumängel« eine treffendere Beschreibung wäre. Dazu gehörte auch das innen liegende fensterlose Wohnzimmer. Um irgendwie ein bisschen Licht in diese finstere Höhle zu bringen, war die Küche mit gläsernen Schiebetüren abgetrennt, wie sie sonst auf Terrasse oder Veranda hinausführten und hinter denen man eigentlich gut gekühlten Weißwein in eleganten Gläsern und gepflegte Grillabende vermuten würde. Dee schwang ihre Handtasche wie ein Lasso und schleuderte sie gegen die Wand, während sie auf die drei zusteuerte, und es klirrte und schepperte ganz gruselig.
»Schon okay.« Rosa stürzte hin und zog das Foto aus dem zerbrochenen Rahmen. »Wir sind noch da.«
Das Foto war in Manchester aufgenommen worden, wo die vier sich kennengelernt hatten, auf einer Kostümparty, die irgendwer zu seinem oder ihrem Geburtstag geschmissen hatte, und den oder die keine von ihnen seitdem je wiedergesehen hatte. »Zirkus« hatte das Motto des Abends gelautet. Liv und Rosa waren in grellbunten Balletttrikots als Akrobatinnen gekommen, mit Leggings und glitzernder Gesichtsbemalung; Katie hatte ellenweise billigen kratzigen Plüschstoff gekauft und sich damit in einen Löwen verwandelt, und Dee, in Zylinder und mit schnalzender Peitsche, war als Zirkusdirektorin gegangen.
»Scheiße, waren wir jung.«
Wie eigenartig es war, das eigene Gesicht zu sehen, härter und weicher zugleich.
»An dem Abend habe ich Chris getroffen«, meinte Katie unvermittelt.
»Nicht im Ernst?«
»Doch. Wisst ihr nicht mehr, er ist über Nacht geblieben, und wir haben uns alle kaputtgelacht, als er am nächsten Morgen in seinem Kostüm mit dem Bus nach Hause fahren musste?«
Wie einfach das doch damals war! Sich tief in die Augen schauen, tanzen und sich dann noch mal nach dem anderen umdrehen. Die nicht vieler Worte bedürfende Schlichtheit von Studentenpartys - du studierst auch hier? Kunst oder Naturwissenschaften? Ah, genau wie meine Mitbewohnerin, kennt ihr euch? Man wohnt irgendwo im Univiertel der Stadt, und das Haus, in dem man haust, sieht genauso aus wie das, in dem der andere wohnt. Ein Trainspotting-Poster, Fotos von zu Hause oder von Reisen, leere Weinflaschen auf dem Fensterbrett, Feuchte an den Wänden. Man zimmerte sich was zusammen, rückte zusammen, wuchs zusammen.
Am Ende ihres ersten gemeinsamen Jahres in Manchester bildeten Liv und Dee und Rosa und Katie längst eine unzertrennliche Einheit. Liv und Rosa hatten sich als Erste kennengelernt, beide studierten Literaturwissenschaften und versuchten, sich weit weg vom platten Land oder der Londoner Vorstadt, wo sie aufgewachsen waren, als Intellektuelle zu inszenieren. Beide hatten sich quer durch den Seminarraum hinweg irgendwie vage zueinander hingezogen gefühlt. Rosa schwärmte für Livs gekonnten Eyelinerstrich, den sie schon morgens um zehn perfekt gezogen hatte, und Liv für Rosas rote wallende Botticelli-Haare. Und beide vermuteten heimlich, dass, sosehr sie sich auch mochten, immer ein bisschen Neid in ihrer gegenseitigen Bewunderung mitschwingen würde. Rosa redete über Romantik, Liv über Leidenschaft, und Rosa war so fügsam wie Liv fordernd. Aber nach einer Lehrveranstaltung über Little Women, in der Liv ein leidenschaftliches Plädoyer für Amy als die wahre Heldin des Romans gehalten hatte, gingen sie in die nächstbeste Bar und teilten sich schwesterlich eine Flasche essigsauren Wein. Sie redeten über Bücher und Musik und Städte und Fluchten. Sie redeten über die Zeitungen und Webseiten, für die sie gerne schreiben wollten, und spöttelten höhnisch über das, was in der Studentenzeitung als sogenannter Journalismus...
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