Schweitzer Fachinformationen
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Hazel bedient das Empire
Hazel weiß besser als irgendjemand sonst, dass die Rolle der Teedame eine ganze Bandbreite von Fertigkeiten verlangt. Starken Tee zu brühen und die Kekse knusprig zu halten, ist kein Kunststück; doch eine wahrhaft begnadete Teedame verfügt noch über viele andere Eigenschaften: Diskretion, Empathie und eine gehörige Portion gesunden Menschenverstands, um nur einige zu nennen.
Hazel hat eine klare Strategie, Komplimente weiterzugeben, nie jedoch Kritik. Wann immer sie kann, bringt sie Menschen zusammen und vermittelt zwischen den Abteilungen. Sie betrachtet es als Ehre, diesen noblen Beruf auszuüben, denn von allen Mitarbeitern ist die Teedame die beliebteste. Sie genießt Diplomatenstatus und ist auf allen Ebenen willkommen, von der Chefetage bis zur Fabrikhalle. Der Klang von Hazels Wagen mit dem klappernden Geschirr zaubert ein Lächeln auf alle Gesichter, wenn sie durch das Gebäude zieht. (Natürlich hält Irene die Dinge ein wenig anders. Wie sie selbst zugibt, bleibt sie nur bei Silhouette Knitwear beschäftigt, weil die sich nicht trauen, ihr zu kündigen.)
Empire Fashionwear belegt vier Etagen eines soliden Backsteinbaus mitten im Textilbezirk von Sydneys Surry Hills, und jede Etage hat ihre ganz eigene Kultur und ihren eigenen Charakter; vier kleine Imperien in einem großen. Hazels Teerunde beginnt stets in der Fabrikhalle, wo sich die fünfzehn Näherinnen, zwei Büglerinnen, eine Musterschneiderin und der Lagerleiter Mr Butterby um sieben Uhr morgens ein- und um drei Uhr nachmittags ausstempeln. Daher haben sie morgens und nachmittags als Erste eine Teepause verdient. Hazels Ansicht nach arbeiten die Näherinnen am schwersten von allen und unter den schlimmsten Bedingungen. In der Fabrikhalle ist es im Winter kalt und feucht, im Sommer unerträglich heiß und stickig; obendrein braucht es lange, bis man sich an den Lärm gewöhnt hat. Laufen die Nähmaschinen auf vollen Touren, erbebt selbst die Luft.
Einige hier sind schon länger bei Empire als Hazel. Gloria Nuttell hat gleich nach der Schule als Näherin angefangen und es im Laufe der letzten zehn Jahre zur Produktionsleiterin gebracht. In letzter Zeit haben sich mehr Griechinnen und Italienerinnen um Stellen hier beworben. Anfangs war Gloria vehement dagegen gewesen, Neuaustralierinnen einzustellen, die so gut wie kein Englisch sprechen, sich aber nach und nach von ihrem Fleiß und ihren Nähkünsten überzeugen lassen.
Als Hazel durch die Tür tritt, während der Summer für die Teepause ertönt, kommen die Nähmaschinen scheppernd zum Stillstand, und die Näherinnen beenden die Arbeit an einem Saum oder schneiden einen Faden ab. Solange sie arbeiten, laufen im Radio die Top 40 in voller Lautstärke, doch sobald die Maschinen verstummen, dreht Gloria leise, und die Frauen scharen sich um den Teewagen, um sich zu unterhalten, während Hazel Tee, Kaffee und Kekse serviert.
Wie immer kommt Mr Butterby fröhlich pfeifend aus dem Lager, um sich seinen Tee zu holen. »Guten Morgen, Mrs Bates, Sie sehen heute sehr wohl aus.«
Mr Butterby ist Ende vierzig und ein ziemlich hübscher Bursche, dessen allzeit freundliches Lächeln und exzellente Organisation des Lagers von allen bewundert wird. Der vorherige Lagerist war mit den Jahren vergesslich und tattrig geworden, und als er vor sechs Monaten in den Ruhestand ging, fühlte sich Butterbys Ankunft wie ein erfrischender Südwind an. Schnell sorgte er für Ordnung und effiziente Abfertigung im Lager.
»Sie sehen auch wohl aus, Mr Butterby«, antwortet Hazel und gibt ihm seinen Tee (ein Löffel Zucker und ein Tropfen Milch).
Neuerdings bringt Hazel Glorias Kaffee (schwarz mit zwei) zu ihr ins Büro. Bei Letzterem handelt es sich eher um einen Alkoven in der Fabrikhallenwand, weniger um einen richtigen Raum. Auf einem alten Bürostuhl mit quietschenden Rädern rollt Gloria an dem langen Tisch entlang, der stets voller Papiere, Stofffetzen, Garnknäuel aus den Maschinen, großer Garnspulen und Sonstigem liegt - alles eingestaubt mit Asche aus den überquellenden Aschenbechern. An der Wand über dem Tisch hängen Lieferscheine und handgeschriebene Listen an Briefklemmen. Stoffmuster und ausgerissene Seiten aus Modezeitschriften sind mit Klebestreifen übereinander befestigt.
Hazel findet, dass diese Nische dringend aufgeräumt werden sollte, doch Gloria fühlt sich wohl in ihrem Nest und hat Hazel einmal anvertraut, dass sie nirgends auf der Welt so glücklich sei wie bei der Arbeit (was nicht unbedingt für ihren Ehemann spricht).
»Was ist eigentlich mit dem neuen Buchhalter los, Hazel?«, fragt Gloria und lehnt sich dabei auf ihrem Stuhl bedenklich weit nach hinten, um die Füße auf den Tisch zu legen.
»Mr McCracken«, erinnert Hazel sie und macht ein Stück Tischplatte frei, um die Tasse abzustellen.
»Ich verstehe nicht, was in ihm vorgeht. Heute Morgen hatte ich schon zwei Anrufe wegen unbezahlter Rechnungen.« Gloria nimmt einen Dorn voller Lieferscheine auf und blättert sie durch. »Die Knopflochnäherinnen warten schon über einen Monat auf ihr Geld . keine Ahnung, warum die nicht früher was gesagt haben.«
»Soweit ich sehen kann, scheint er fleißig zu arbeiten«, antwortet Hazel, fragt sich jedoch, ob es ein Geldproblem gibt. Laut würde sie solch eine Vermutung niemals äußern. Eine beiläufige Bemerkung kann schnell zur Folge haben, dass sie als Tatsache im ganzen Gebäude verbreitet wird.
»Man kann aussehen, als würde man fleißig arbeiten - das heißt gar nichts.« Gloria seufzt. »Ich werde nach oben gehen und nachfragen müssen, und dann kassiere ich wieder hochnäsige Blicke von den eingebildeten Puten da.«
»Sie könnten mal mit den Mädchen in der Buchhaltung plaudern, Gloria. Womöglich wären Sie überrascht. Ich denke, dass sie ein bisschen eingeschüchtert sind von Ihnen.«
»Sollen sie auch sein«, entgegnet Gloria mit einem rauen Lachen und steckt sich eine neue Zigarette an der Glut der alten an. »Sonst bilden die sich noch mehr ein.«
Als der Summer für das Ende der Pause ertönt, ist Hazel bereits auf dem Weg zu den Büros der Chefetage. Dort sitzen der Geschäftsführer, Mr Karp senior, sein Sohn, Frankie Karp, und ihre Sekretärin, Mrs Edith Stern. Auf diesem Stockwerk gibt es auch einen vornehmen Schauraum mit Sesseln und einer gut gefüllten Getränkevitrine (deren Schlüssel Edith Stern sorgfältig bewacht); hier werden die Einkäufer empfangen, die sich die Kollektion der nächsten Saison ansehen. Hinterher werden die Bestellungen in einem Konferenzraum nebenan besprochen, der mit einem Axminster-Teppich ausgelegt und mit einem großen Mahagonitisch möbliert ist.
In der Küche oben gibt es einen Ofen, den Hazel oft nutzt, um einen Kuchen oder ein Blech Scones für eine Sitzung zu backen. In den Schränken lagern Royal-Doulton-Geschirr und Dosen mit feinen Keksen wie Peppermint Slices, Iced VoVos und Montes. Die sind ausschließlich für die Geschäftsleitung, obgleich allgemein bekannt ist, dass Hazel hin und wieder heimlich einen von den »Oben«-Keksen auf die Untertasse von jemandem schmuggelt, der dringend eine süße Überraschung braucht.
Die beiden Geschäftsführer sind sehr unterschiedlich. Der ältere Mr Karp, der eine Vorliebe für Scotch Fingers hat, ist stets makellos gekleidet in einem dunklen Anzug mit seiner typischen roten Krawatte. Er ist ein emsiger Arbeiter, der mit einer Nähmaschine an seinem Küchentisch anfing und es zu einer Firma mit über dreißig Angestellten gebracht hat, die Damenblusen, Röcke und Kleider an alle Kaufhäuser im Land liefert.
Sein Sohn Frankie hat eine Schwäche für Iced VoVos und die Angewohnheit, die rosa Glasur abzulecken, bevor er den Keks knabbert. Er ist mittleren Alters, frisiert sein Haar mit viel Brylcreem zu einer Stirntolle und trägt maßgeschneiderte Dreiteiler, die seine rundliche Statur kaschieren. Frankie hält sich für einen modernen Mann und besteht darauf, dass die Angestellten ihn mit Vornamen anreden. Und er hat die merkwürdige Angewohnheit, von sich in der dritten Person zu sprechen, was Hazel jungenhaft niedlich vorkommt. Frankie selbst hält sich für ein bewundertes Vorbild für alle, dabei ist er berüchtigt wegen seiner Faulheit und seiner sagenhaften Wutausbrüche, wenn er seinen Willen nicht durchsetzen kann.
Frankie ist für die Entwürfe verantwortlich, was der Grund sein dürfte, warum Empire Fashion heute noch den gleichen Kleidungsstil anbietet wie vor zehn Jahren. Er und seine Frau Dottie genießen ein Leben im Luxus; möglicherweise nimmt sich die Arbeit in der Firma daneben langweilig aus. Dottie mit ihrer durch Haarspray zementierten Frisur scheint über eine unerschöpfliche Garderobe aus farblich aufeinander abgestimmten Kostümen, Hüten, Handschuhen, Handtaschen, Schuhen und Lippenstiften zu verfügen. Sie betritt die Fabrik nur, wenn sie einen Scheck für den Friseur, die Modistin oder Schneiderin braucht, und würde nicht einmal tot in einem Empirekleid gesehen werden wollen.
Im Stockwerk unter der Chefetage befindet sich die Buchhaltung. Der Prokurist, Mr McCracken, hat sechs junge Frauen unter sich (die eingebildeten Puten, wie Gloria sie nennt), die Rechnungen tippen, Bestellungen und Löhne verarbeiten, Ein- und Ausgänge buchen und die Bestandslisten mithilfe ratternder Registermaschinen auf dem Laufenden halten. Normalerweise kommen sie direkt von der Sekretärinnenschule, und so herrscht in dieser Abteilung stete Aufregung wegen Verlobungs-...
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