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In den vergangenen Tagen habe ich gleich zweimal Männer erblickt, die aussahen wie Bruno, große, behäbige Männer mit dunklen Haaren und einem dunklen Schnauzbart, und mit dieser heiteren, soliden, zuverlässigen Ausstrahlung, die Bruno für mich hatte. Das klingt ein wenig seltsam, denn ich kann nicht erklären, wie es kam, dass zwei wildfremde Menschen einen solchen Eindruck auf mich machten, aber es war so.
Schnauzbärte haben ja leicht etwas Lächerliches und auch an Bruno hat das dicke Büschel schwarzer Haare unter seiner Hakennase ein wenig komisch gewirkt, aber irgendwie passte es zu ihm, zu seiner liebenswerten, kauzigen Art und seinem offenkundigen Mangel an schnöselhafter Eitelkeit.
Beide Male, als die Männer, die mich an Bruno erinnerten, zufällig in mein Blickfeld gerieten, zuckte ich kurz zusammen, obwohl keiner der Männer wirklich Bruno sein konnte, denn Bruno ist tot. Ich weiß das, weil ich auf seine Todesanzeige gestoßen bin, zufällig, nachdem ich viele Jahre nichts von ihm gehört und nicht an ihn gedacht hatte. Seine Todesanzeige in der Zeitung, für die er jahrelang gearbeitet hatte, sprang mir in die Augen, und ich spürte einen sehr persönlichen Schmerz. Ich ertappte mich sogar bei dem Gedanken: Wenn damals etwas geworden wäre aus uns beiden, dann wäre ich jetzt Witwe. Dann hätte dieser Tod mein Leben gerade schlagartig verändert, ich säße nicht gelassen bei meinem Frühstückskaffee, mit heiteren (na ja, vergleichsweise heiteren) Plänen für den Abend, sondern tränenblind, betäubt vom Kummer. Und dennoch tat es mir leid, dass nichts aus uns geworden war; mit ihm gelebt zu haben, wäre wahrscheinlich schön gewesen, dachte ich mir.
Nicht, dass zwischen uns jemals etwas vorgefallen wäre, das Anlass zu solchen Fantasien geboten hätte. Bruno war ein Kollege, mehr nicht, älter als ich und ranghöher, er imponierte mir durch sein Können und durch die Gelassenheit, mit der den Überblick behielt, auch wenn wieder einmal der Hut brannte. In den Redaktionskonferenzen lobte er meine Arbeit und hörte mit offenkundigem Wohlwollen meinen Diskussionsbeiträgen zu.
Privat gab es keine Annäherung, und doch dachte ich, dass ich ihm gefiele und dass er Interesse an mir hätte. Sagen wir so: Ich wartete nicht direkt darauf, dass er die Initiative ergriff, aber ich hätte mich nicht gewundert, wenn er es getan hätte. Unsere Beziehung (sofern dieses Wort überhaupt dafür passt) war in einem allenfalls andeutungsweisen Stadium, das alles offen ließ, ich ging spielerisch durchs Leben damals und hatte viele Eisen im Feuer, Bruno war vielleicht eine Option unter mehreren, vielleicht auch nicht. Dass ich selber initiativ geworden wäre, war undenkbar, das wurden Mädchen zu jener Zeit nicht, schon gar nicht, wenn sie hübsch und umschwärmt waren. Außerdem war ich schüchtern.
Bruno war, vermute ich, auch schüchtern. Vielleicht dachte er, er hätte keine Chancen bei mir. Vielleicht kam ich ihm zu flatterhaft vor. Vielleicht war ich ihm zu glamourös.
Das klingt jetzt eingebildet, aber so ist es nicht gemeint, denn ich selber empfand mich nie als glamourös. Doch ich habe später von etlichen Männern, mit denen ich Jahre zuvor studiert oder gearbeitet hatte, zu hören bekommen: Du hast mir gut gefallen damals, aber ich habe mich nicht an dich herangetraut. Du bist mir so unerreichbar erschienen.
Das lag an meiner Schüchternheit, die ich angestrengt zu tarnen versuchte. Ich gab viel Geld für Kleidung aus (zu viel Geld, gemessen an meinem Einkommen) und bemühte mich, unbefangen und lässig zu wirken. Ich spielte die Tochter aus gutem Haus, perfekt gestylt, eloquent, sarkastisch, selbstsicher, und offenbar spielte ich diese Rolle überzeugend, obwohl ich mich ständig im Verdacht hatte, durchschaubar zu sein.
Meine Kindheit und meine Schulzeit waren alles andere als glamourös gewesen, ich trug die abgelegte Kleidung meiner älteren Schwester auf und musste, wenn ich aus dem Haus ging, meine kleine Schwester und meine Pflegebrüder mit mir schleppen. (Nicht immer dieselben, denn die Pflegebrüder - aus unerfindlichen Gründen landeten stets Jungen bei uns - wechselten.) In unserer ordentlichen, an christlichen Werten orientierten Familie ging es streng und karg zu. Meine Eltern sahen es nicht gern, dass ich mich, kaum erwachsen, einem Milieu zuwandte, das in ihren Augen fragwürdig war - Kunstschaffende, Zeitungsmenschen, Filmleute -, aber sie legten mir keine Steine in den Weg. Das hielt ich ihnen zugute.
Von Bruno hörte man dann auf einmal, dass er mit einer Reporterin verbandelt sei, die für eine regionale Tageszeitung arbeitete. (Wir von der überregionalen Presse schauten immer mit einer Spur Herablassung auf solche Blätter.) Ich fand sie mäßig hübsch und ein bisschen langweilig, aber vielleicht war das der Grund, warum er ihr gegenüber nicht schüchtern war. Ich gebe mich natürlich nicht dem Wahn hin, dass Bruno in Wahrheit mich liebte und sie zweite Wahl für ihn war, aber ich halte es für möglich, dass sich Bruno in mich verliebt hätte, wenn es mir eingefallen wäre, ihn zu ermutigen, bevor er sich in sie verliebte.
Ehe man sich's versah, waren die zwei verheiratet. Brunos Frau hängte ihren Beruf an den Nagel und schenkte dem Gatten drei Söhne. Ich hätte nicht mit ihr tauschen mögen. Aber vielleicht wäre es, denke ich heute, gar nicht nötig gewesen, dass sie ihren Beruf aufgab, Bruno hätte sich bestimmt auch für eine andere Lösung gewinnen lassen.
Für mich blieben die Draufgänger, die Glücksritter, die Eroberer. Die ließen sich von meinem vermeintlichen Glamour nicht abschrecken, im Gegenteil. Solche wie Bruno machten einen Bogen um mich, solche wie Frank blieben an mir dran und kriegten mich herum. Ich wollte mich ja hingeben, ich wollte ja nicht allein bleiben, ich war ja gar nicht unerreichbar.
Es hätte mit einer einfachen Antwort auf eine einfache Frage abgetan sein können.
Warst du schon bei der Zeckenimpfung?
Ja, war ich.
Oder: Nein, aber ich gehe nächste Woche.
Stattdessen sagt Frank: Nein, das brauch ich nicht.
Was soll das heißen?
Nicht notwendig.
Sagt wer?
Sage ich. Alles nur Panikmache. Alle diese Impfungen und was weiß ich. Reine Abzockerei. Ich mache da nicht mit.
Du hast plötzlich ideologische Bedenken gegen die Zeckenschutzimpfung?
Und keine Zeit.
Ich schaue ihn verblüfft an. Frank hat sich mit seiner Arbeitgeberin, der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, vor zwei Jahren auf eine Art Teilpensionierung geeinigt, was ihn in die Lage versetzt, bei ausreichenden Bezügen ausgiebig Golf zu spielen. Dass ein Impftermin seine Agenda sprengt, ist schwer vorstellbar.
Du bist so sehr mit wichtigen Verpflichtungen zugepflastert, dass du keine Zeit für eine Zeckenimpfung hast?, frage ich.
Wir sitzen in einem griechischen Lokal, der Abend hat entspannt begonnen, wenn man davon absieht, dass Frank säuerlich angemerkt hat, ich hätte nicht unbedingt bei einem Griechen reservieren müssen, wo wir uns doch beide nichts aus Souvlaki machen.
Jetzt seufzt er ungeduldig. Geh mir nicht auf den Sack. Ich habe mich erkundigt. Es gibt keine wirksame Impfung gegen Borreliose.
Richtig. Die Zeckenimpfung schützt ja auch vor FSME.
Ist das nicht dasselbe?
Nein. FSME ist die Abkürzung für Frühsommer-Meningo-Enzephalitis.
Machst du jetzt auf Medizinerin?
Nein, aber du hast .
Er unterbricht mich. Ist doch egal, wie das Zeug heißt. Wer kriegt das schon? Die Borreliose ist das Gefährliche, das weiß ich, die hat meinem Cousin fast das Kniegelenk zerstört. Aber davor schützt deine wunderbare ABC-Impfung ja leider nicht.
Ich höre, wie sich meine Stimme ein wenig in die Höhe schraubt. Es ist mir unangenehm, doch ich kann nichts dagegen machen. Meningo-Enzephalitis bedeutet Hirnhautenzündung, sage ich. Wenn du Pech hast, bist du danach gelähmt und ein Pflegefall.
Frank lacht auf. Mein Gott, das wird ja immer ärger mit dir. Du bist eine professionelle Schwarzseherin, weißt du das? Sei doch einmal ein bisschen locker. Freu dich zur Abwechslung am Leben. Geht das nicht?
Unsere alte Rollenverteilung. Ich vorsichtig, korrekt, informiert. Er der sorglose große Junge, der Sprunghafte, der Kreative. Jedenfalls seiner Selbstdefinition nach.
Die Draufgänger erobern Terrain. Sie belegen dich mit Beschlag. Sie machen dir deinen Glamour streitig. Sie wollen im Vordergrund stehen. Sie wollen die Glamourösen sein. Ich hätte mich von Frank trennen sollen, als ich merkte, wie mein Lack abblätterte an seiner Seite. Aber meiner Erfahrung nach wäre Frank ohnehin nur von...
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