Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Hauptkommissar Konrad Simonsen war früh an seinem Arbeitsplatz im Polizeipräsidium in Kopenhagen, um sich einen Überblick über den Inhalt der drei Stapel Akten auf seinem Schreibtisch zu verschaffen, die den frisch aufgezwungenen Fall ausmachten. Er ließ seinen Vorsatz der Akteneinsicht aber fallen, als eine Mail des Staatspolizeichefs ihn in äußerst nebulösen Formulierungen aufforderte, sämtliche Mitarbeiter der Mordkommission bezüglich der Sprachregelung im Mordfall Totenmoor zu instruieren. Gegen neun Uhr, als Konrad Simonsen mit seiner Order von oben noch keinen Deut weitergekommen war, betrat Arne Pedersen das Büro. Pedersen war sein engster Mitarbeiter, ein Mann Anfang vierzig, kompetent und in der Regel gut gelaunt. Heute war keine Ausnahme.
»Hallo, Konrad. Was für ein schöner Tag, wenn das so bleibt, kriegen wir einen schönen Ausflug.«
»Für den Nachmittag sind Schauer vorhergesagt, freu dich also nicht zu früh.«
»Höre ich da einen gewissen Widerwillen gegen die Gratisfreuden dieses schönen Morgens heraus?«
»Halt die Klappe und hilf mir lieber bei dieser Angelegenheit hier.«
Arne Pedersen warf seine Jacke auf den Tisch und stellte sich hinter seinen Chef.
»Ich dachte, du wolltest früher kommen, um dich in den Nuggiwaua-Fall einzuarbeiten?«
»Sag das bitte nie wieder. Ich habe dazu gerade eine reichlich kryptische Mail vom obersten Chef bekommen. Lauter leere Phrasen, noch mehr als üblich, aber wenn ich das richtig interpretiere, erwartet er von uns in unserem neuen Fall keine allzu großen Anstrengungen, solange wir nach außen hin kommunizieren, dass wir hart und zielstrebig daran arbeiten. Und wir haben strikte Anweisung - komme was wolle -, keine abwertenden Bezeichnungen mit rassistischen Unter- oder Übertönen zu benutzen, weder intern, extern, mündlich, schriftlich noch in Gedanken oder im Traum. Und ich soll das jetzt sämtlichen Mitarbeitern und am besten noch ihren Familien umgehend und unmissverständlich mitteilen.«
»Dann ist Nuggi.«
»Hüte deine Zunge!«
»Sorry, Boss. Du wirst aber ordentlich zu tun haben, dieses Wort auszurotten. Es reden doch alle über den Fall, und dabei fällt immer der Name, den ich nicht aussprechen darf. Der ist geradezu ein Synonym für den ganzen Fall. Du wirst ihn nicht ausrotten können, egal was du tust.«
»Falsch. Ich werde ihn nicht ausrotten können, egal was du tust.«
Arne breitete genervt die Arme aus.
»Nicht dein Ernst.«
»Ich bin dein Chef und meine das sehr ernst. Übernimm einfach ein paar Formulierungen aus dieser wunderbaren Mail, dann freut unser Chef sich, aber bring sie möglichst in einen sinnvollen Kontext. Das Resultat schickst du dann an alle Uniformträger des Königreiches. Ich vertraue dir und muss nicht absegnen, was du fabrizierst, außer du willst das so. Lass dir Zeit, Deadline ist erst in ein paar Stunden. Ich verzieh mich so lange in dein Büro. Könntest du mir die Tür aufmachen?«
Konrad Simonsen stand mit dem Stapel Akten im Arm da.
»Nein, mach ich nicht. Komm selbst klar.«
Arne Pedersen brauchte etwa eine Stunde für die Ausführung seiner neuen Mission. Das Resultat war, unter Berücksichtigung der Umstände, okay. Nach mehreren Durchgängen mit kleineren Korrekturen beschloss er, dass es so reichen musste, und verschickte die Rundmail wie beauftragt in Konrad Simonsens Namen. Danach trank er den Rest seines inzwischen kalten Kaffees und loggte sich in einem Zeitungsportal ein, um sich einen Überblick über die Nachrichten des Tages zu verschaffen. Etwas anderes fiel ihm nicht ein, da sein eigenes Büro ja besetzt war. Er scannte die Leitartikel der drei überregionalen Tageszeitungen, als er von der Comtesse unterbrochen wurde, die das Büro ihres Chefs betrat. Sie war Mitte vierzig, kompetent und respektiert und seit gut einem Jahr die Lebensgefährtin von Konrad Simonsen, der in ihre Villa in Søllerød eingezogen war.
»Hallo, Arne, hast du zu tun?«, fragte sie, ohne sich zu wundern, dass er im Büro des Chefs saß.
»Nö, kann man nicht so sagen. Die Finanzkrise und die Sportnachrichten können gerne warten, aber wenn du Konrad suchst, der sitzt in meinem Büro und liest Akten.«
»Mit dir wollte ich auch reden. Wieso habt ihr eigentlich getauscht?«
Arne Pedersen erklärte es ihr und nutzte die Gelegenheit, sich über die Auftragsarbeit zu beschweren, traf aber nur auf taube Ohren. Die Comtesse war ganz auf der Linie des Staatspolizeichefs.
»So eine Ermahnung ist doch wichtig, und du kannst solche Sachen um Längen besser formulieren als Konrad, das steht fest.«
Das Lob perlte an ihm ab.
»Ist doch albern. Man kann den Kollegen nicht vorschreiben, wie sie zu reden haben. Es geht mir auf den Senkel, dass alles immer so korrekt sein muss. Man kann heutzutage ja kaum noch den Mund aufmachen, ohne dass die Sprachpolizei sich im Namen irgendeiner gekränkten Gruppe echauffiert.«
»Quatsch, Arne - und das weißt du auch. Du kannst respektvoll über andere Menschen reden, ohne dass deine persönliche Haltung eingeschränkt wird.«
»Mag sein, aber ich fände es wichtiger, dass wir uns anstrengen und alles tun, um diesen Fall zu lösen und nicht über irgendeine Sprachregelung streiten.«
»Das eine schließt das andere ja nicht aus. Und im Übrigen, wieso sollten wir uns nicht anstrengen?«
Arne Pedersen erklärte ihr die Zusammenhänge, und wieder nahm die Comtesse die Position des Staatspolizeichefs ein, was längst nicht immer der Fall war. Sie war dafür bekannt, ihr Fähnchen niemals in den Wind zu hängen, was ihr Respekt von allen Seiten einbrachte.
»Vermutlich will er damit sagen, dass wir unsere Ressourcen realistisch einsetzen sollen. Hillerød hat hervorragende Ermittlungsarbeit geleistet, weshalb es keinen Grund gibt, den Fall ganz von vorne aufzurollen, solange wir keine neuen Erkenntnisse haben. Es geht nicht darum, dass die Ermordete Afrikanerin ist. Aber alle Spekulationen darüber räumen wir nur aus dem Weg, wenn wir den- oder diejenigen finden, die sie umgebracht haben«, sagte sie und schloss mit einem Lächeln.
Arne Pedersen erwiderte das Lächeln, nutzte die Gelegenheit aber zu einem Themenwechsel, um seine Neugier zu befriedigen. Das ganze Präsidium wusste, dass die Comtesse an diesem Morgen bei ihrem Finanzberater gewesen war, und es liefen Wetten, ob der Einbruch der Finanzmärkte nun auch sie ans Hungertuch brachte. Auch wenn es ihn nichts anging, fragte er sie ganz direkt, das war die Art, mit der sie am besten zurechtkam.
»Und, Comtesse - ist dein Vermögen verpufft? Oder bist du nach wie vor stinkreich?«
»Mein Fondsverwalter ist ein erzkonservativer, professioneller Schwarzseher, der nie ans schnelle Geld geglaubt hat. Das scheint mir jetzt zugutezukommen. Aber genug davon. Ich wollte mit dir über Pauline sprechen - sie kommt auf keinen Fall mit.«
»Weil?«, fragte er vorsichtig. Er wusste, wie emotional besetzt dieses Thema war.
»Weil sie sich im Wald nicht sicher fühlt. Sie würde gerne mitkommen, schrecklich gerne, aber das geht nicht.«
Arne Pedersen nickte kommentarlos. Es war, wie es war.
Pauline Berg war Kriminalkommissarin Anfang dreißig und gehörte zu Konrad Simonsens engstem Mitarbeiterkreis. Vor etwa zwei Jahren hatte sie ihr persönliches Trauma erlebt. Sie war entführt, in einem Schutzbunker festgehalten worden und hätte um ein Haar ihr Leben verloren. Seitdem bereiteten ihr alle möglichen Dinge Probleme, nun also, einen Wald zu betreten. Im Winter hatte sie die Diagnose bekommen: posttraumatisches Stresssyndrom oder PTSD, wie der Arzt, der die Mordkommission über die Umstände informierte, es konsequent nannte. Brauchbare Vorschläge, wie sie sich der Kollegin gegenüber verhalten sollten, lieferte er nicht. Pauline Bergs Auftreten war häufig unvorhersehbar und nervig. Sie arbeitete nicht mehr zuverlässig. Genauso wenig funktionierte ihr Privatleben. Dazu kam, dass sie manisch besessen war von einem nichtexistenten Fall, in dem eine junge Frau in Melby Overdrev zwischen Asserbo und Hundested in Nordseeland unter tragischen, aber natürlichen Umständen zu Tode gekommen war. Zwischendurch war dieser Fall - den Pauline Berg konsequent als Mordfall bezeichnete - das Einzige, wofür sie bei der Arbeit noch Interesse aufbrachte.
»Was sagt Konrad dazu?«, fragt Arne leise.
Die Comtesse antwortete nicht gleich, stattdessen senkte sie den Kopf und betrachtete mit unergründlichem Blick den Bodenbelag. Dann richtete sie sich unvermittelt auf.
»Das Gleiche wie du, nichts, aber das ist schlicht und ergreifend nicht okay. Fakt ist, dass wir ein Riesenproblem mit Pauline haben, und zwar seit sie zurück ist. Aber jedes Mal, wenn ich das mit dir oder Konrad besprechen will, kriege ich nichts anderes als Ausweichmanöver und unbrauchbare Antworten.«
Sie zeigte anklagend auf ihn, um ihrer Irritation Nachdruck zu verleihen. Er konzentrierte sich auf ihre kurzgeschnittenen Fingernägel, deren klarer Nagellack das Licht reflektierte, das durch das Fenster hereinfiel.
»Wie lange, glaubt ihr, kann das noch so weitergehen? Drei Jahre? Vier, fünf?«
Arne Pedersen hatte keine Antwort darauf. Vor einigen Jahren hatte er ein Verhältnis mit Pauline Berg gehabt, eine Zeitlang war er regelrecht verliebt in sie gewesen, aber weil er nicht bereit gewesen war, seine Kinder zu verlassen, hatte sie die Affäre beendet. Heute vermisste er die Pauline, die sie einmal gewesen war. Er ging ihr aus dem Weg, wenn sich das unauffällig machen ließ.
»Was willst du machen? Sie feuern?«, fragte er und unterdrückte einen Seufzer. »Das ist im Übrigen...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.