Schweitzer Fachinformationen
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Die Sonne sticht ihm in die Augen, er kann den Ball nicht sehen und schwingt blind den Schläger. Hoffentlich trifft er, hoffentlich blamiert er sich nicht, wenigstens diesmal. Also schwingt er den Schläger, mit geschlossenen Augen, wie im Gebet. Und wie vom Himmel diktiert, trifft er den Ball. Durch den Holzgriff, durch den zerschlissenen Gummibezug und die zerfasernde Wickelschnur hindurch fühlt er die Wucht. Er fühlt, wie der Schlag den schwammigen Ball flachdrückt und komprimiert, wie dieser sich wieder ausdehnt und im hohen Bogen davonfliegt. Und in diesem Moment des Aufpralls, in diesem Sekundenbruchteil, liegt Vollkommenheit. Er öffnet die Augen, lässt den Schläger los und beschattet sein Gesicht noch rechtzeitig, um dem Ball nachzusehen, ihn zu bestaunen, wie er über den Lattenzaun in den Nachbargarten fliegt. Eine Sechs. Sechs und aus. Abgewiesen, aber prachtvoll, nicht schändlich. Kein dumpfes Aufschlagen des Balls in der Mülltonne, kein höhnisches Gelächter über eine vergebene Chance. Eine Sechs. Über den Zaun. Ein Heldentod.
»Leck mich am Arsch, Martin. Was für ein Schlag«, sagt Onkel Vern.
»Aber Vern«, mahnt seine Mutter.
»Triffst du ihn, hast du ihn«, sagt der Bowler, ein Junge, der weiter unten an der Straße wohnt.
Martin sagt nichts, er tut nichts, er rührt sich nicht, ist gefangen im Augenblick. Im Augenblick seines Schlags. In diesem perfekten Augenblick. Gefangen in der Zeit.
Und dann.
Klingelt das Telefon. »Mumma, Mumma«, ruft Enid oder Amber, jedenfalls eine der beiden Zwillinge, der unzertrennlichen, nicht unterscheidbaren Schwestern. Und seine Mutter geht, bevor sie ihn zu seinem Schlag gratulieren, ihn so beglückwünschen kann, wie er es verdient. Geht zum Telefon, zu dem Anruf, der die Welt in zwei Hälften teilt, der eine messerscharfe Linie zwischen Vorher und Nachher zieht.
Dreiunddreißig Jahre später ist Martin Scarsden unterwegs, fährt in seine Erinnerung hinein, fährt hinunter nach Port Silver. Halb konzentriert er sich auf die Straße und steuert den Wagen durch die Haarnadelkurven den Steilhang hinunter, und halb hat er sich in der Vergangenheit verloren, in jenem vollkommenen Tag, als das Schicksal so hell und so kurz aufstrahlte, und gleich darauf der Vorhang fiel wie nach einem Theaterstück. Heute flimmert die Sonne durch das Laubdach des Regenwalds, flackert wie ein Stroboskop. Martin blinzelt, er kann das Meer nicht sehen, nur fühlen, und er weiß, wenn er an den Straßenrand fahren würde - wenn an dieser schmalsten aller Straßen Platz zum Anhalten wäre -, dann könnte er ihn sehen: den Pazifik. Er ist da, hinter den Bäumen, eine unendliche blaue Fläche. »Kannst du das Meer sehen?«, fragt sein Vater ihn, wie er ihn jedes Mal gefragt hat, wenn sie durch die Haarnadelkurven hinunterfuhren. »Siehst du das Meer, komm wieder her«, sagte er dann lachend. Martin sah es nie. Nie. Aber es kam der Moment, wo er es nicht mehr sehen musste.
Wo er wusste, dass es da war, jenseits des Escarpment, der Abbruchkante, jenseits der Milchfarmen, der Zuckerrohrfelder und der Flussebenen, hinter dem Fischereihafen, den Ferienhütten, den weißen Sandstränden. Sehen konnte er es nicht, aber fühlen.
Und so ist es auch an diesem Tag im Frühherbst, als der Wagen sich zwischen Gesprenkeltem Eukalyptus und Keulenlilien hinunterschlängelt, zwischen Palmen und Geweihfarnen, rankenbehängten Zedern und den Rufen der Glockenvögel hindurch auf den Ozean zu. Er fühlt ihn in der Luft; aus feucht und kühl wird feucht und warm, und es knackt in seinen Ohren, als er zum Ozean hinunterfährt und den Sog der Trockenheit des dürreverwüsteten Inlandes auf der anderen Seite des Küstengebirges zurücklässt. Und in der Ferne, immer noch unsichtbar, aber schon beeindruckend: Port Silver. Das Land seiner Jugend. Er ist zurück.
»Vern! Vern!«, ruft sie, und ihre Stimme klingt nie zuvor. »Martin! Mädels!« Er klettert wieder über den Zaun. Das graue Holz ist trocken und voller Splitter. In der Hand hat er den Ball, seine glorreiche, vom Hund zerkaute Trophäe. Die Mutter stürmt zur Fliegentür heraus, lachend und weinend zugleich. Ihre Emotionen sind wie eine Flutwelle. »Wir haben's geschafft. Herrgott noch mal. Wir haben den Scheiß gewonnen!«
Martin sieht seinen Onkel an, erkennt dort dieselbe Ratlosigkeit angesichts der noch nie dagewesenen Flucherei der Schwester.
»Hilary?«, fragt er.
»Die Lotterie, Vern. Die verdammte Lotterie! Division One!«
Martin springt vom Zaun in den plötzlich nicht mehr vertrauten Garten. Der Ball ist vergessen, der Schläger liegt am Boden. Die Lotterie. Sie haben im Lotto gewonnen. Im verdammten Lotto. Vern umarmt eine von Martins Schwestern, und sie erwidert die Umarmung, glücklich und verständnislos, und dann tanzen sie alle fünf: seine Mutter, die Zwillinge, er selbst und Onkel Vern, sie tanzen auf dem siegreich umgemähten Wicket, während der Junge, der weiter unten an der Straße wohnt, mit großen Augen und offenem Mund die Neuigkeit vor sich hertreibt wie der Südwind: Die Scarsdens haben Division One gewonnen. Die verdammte Lotterie.
Die Steilwand stößt auf die Ebene, der Regenwald endet, und die Milchfarmen kommen näher. PORT SILVER 30 KM steht auf dem Straßenschild. Martin Scarsden kehrt in die Gegenwart zurück. Himmel noch mal, warum hatte Mandy ausgerechnet diese Stadt, seine Heimatstadt, für den gemeinsamen Neuanfang ausgesucht? Er fährt auf der alten Brücke über den Battlefield Creek, der am Fuße des Escarpment entlangfließt, eine Grenzlinie zwischen der Natur der Steilwand und der aufgezwungenen Geometrie von Farmen und Zuckerrohrfeldern. Martin will den Gang wechseln, auf der schnellen Straße durch das Flachland beschleunigen, als er sie sieht: die Anhalterin.
Ihre Beine in der abgeschnittenen Jeans leuchten in der subtropischen Sonne. Ein bauchfreies Tanktop, ein lässig ausgestreckter Daumen. Eine Ausländerin also. Ihr Haar ist offen, ihr Lächeln ebenfalls, und es wird breiter, als er am Straßenrand hält, auf dem Kies, kurz vor dem Abzweig zur Zuckermühle. Schon bevor der Wagen steht, sieht Martin ihren Begleiter. Er hat dunkle, lange Haare und sitzt neben zwei Rucksäcken im Schatten, wo man ihn von der Straße aus nicht sehen kann. Martin lächelt; er erkennt den Trick, ist nicht beleidigt.
»Port Silver?«, fragt die junge Frau.
»Natürlich.« Es ist nicht so, dass man auf dieser Straße woanders hinkäme.
Martin muss den Schlüssel benutzen, um den Kofferraum aufzuschließen. Die Innenentriegelung in seinem alten Toyota Corolla ist seit langem kaputt. Der junge Mann wuchtet die Rucksäcke mühelos in den Kofferraum und klappt den Deckel zu. Martin sieht seine Arme und die Tattoos auf den definierten Muskeln, die Muskulatur der Jugend, umweht von Tabakduft und Sorglosigkeit. Die junge Frau setzt sich neben Martin, der Mann schiebt Martins spärliche Besitztümer zur Seite und nimmt auf dem Rücksitz Platz. Sie riecht gut nach irgendeinem Kräuterparfüm. Ihr Freund nimmt die Sonnenbrille ab und lächelt dankbar. »Danke, Mann. Nett von Ihnen.« Er langt über die Rückenlehne und begrüßt Martin mit einem ...
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