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Yasmin blickte auf das folgenschwere Abendessen bei Jalabert's zurück, und ihr wurde klar, dass sie vor allem deshalb so zornig geworden war, weil sie keine Ahnung hatte, was im Kopf von U vor sich ging. Sonst hätte sie ganz sicher nicht das neue dunkelviolette Samtkleid nur mit einem lila Satin-Tanga und passenden Netzstrümpfen darunter getragen. Zwar hatten die Kleidungsstücke sich bei anderen Gelegenheiten als nützlich erwiesen, aber an dem Abend hatte sie sie für U angezogen - für den leidenschaftlichen Sex, den sie nach dem Essen und dem einen oder anderen Drink bei Juicy Lucy erwartet hatte. Vorzugsweise auf dem riesigen Diwan in dem schummrig beleuchteten Meditationsraum im obersten Stock ihrer Wohnung. Von dort hatte man einen atemberaubenden Blick auf Clapham Common, war aber vor fremden Blicken geschützt. Yasmin hatte die Farbe ihres Tangas sogar so gewählt, dass sie zum Überwurf des Diwans passte. U mochte solch stilvolle Details, und normalerweise passte sie sich seinem Geschmack an.
Doch der Abend verlief nicht wie geplant, denn U nutzte genau den Moment, an dem die Teller abgeräumt, der Pudding abgelehnt und der Kaffee bestellt war - für ihn natürlich entkoffeiniert - für den nahtlosen Übergang in ein Gespräch über die Abwertung der Weltmusik zugunsten der modernen Musik bis hin zu der Tatsache, dass er eine Affäre mit Amelia hatte.
«Wer ist Amelia?» Yasmin war so daran gewöhnt, jeden zu kennen, dass der unbekannte Name sie mehr überraschte als die Tatsache, dass ihr Partner untreu war.
«Wenn ich Affäre sage, meine ich nicht, dass ich sie richtig gefickt habe.»
Wie fickt man wohl jemanden unrichtig? Oder auch richtig?, fragte sich Yasmin. «Pandoras Nichte», ergänzte er, der Konversation ein wenig hinterherhinkend. «Du hast sie schon mal getroffen. Die Violinistin. Sie ist gerade nach einem Jahr aus New York zurückgekommen.»
«Oh, die Amelia. Als ich sie das letzte Mal sah, war sie ungefähr zwölf. Soll das ein Witz sein?» Dass er eine geigende Lolita bumste und Avantgardeklassik bald total im Trend liegen würde, war natürlich reiner Zufall.
«Ich bin wie besessen von ihr. Ich kann nicht mal mehr arbeiten, bin völlig unaufmerksam. Ich denke nur noch an sie.»
Er sieht nicht einmal reumütig aus, dachte Yasmin. Als ob er sagen würde, er hätte wegen einer Erkältung keine Lust mehr auf einen Club.
«Es ist natürlich nur eine Phase, aber ich dachte, ich sage es dir fairerweise», fuhr er in vernünftigem Ton fort.
«Sie ist ein Kind, und du bist zweiundvierzig Jahre alt.»
«Was spielt das Alter für eine Rolle? Sie ist neunzehn. Und sie hat sich verändert.»
«Das muss sie wohl, wenn sich Männer für sie interessieren, die bei Verstand sind. Ich fand, sie sah immer wie George von den aus.»
«Wie bitte?»
Yasmin musste zugeben, dass wohl selbst ein Engländer nicht gewusst hätte, was sie mit der Anspielung auf die uralten Enid-Blyton-Bücher ihrer Mutter meinte, die sie als Kind so geliebt hatte. Ein Deutscher hatte da nicht die geringste Chance.
«Ein Wildfang mit zerzausten Haaren.»
«Ja, vielleicht. Aber jetzt sieht sie eher aus wie . Ich wollte eigentlich Courtney Love sagen, aber das stimmt nicht. Na ja, vergiss es. Sie hat einen völlig eigenen Stil. Und was für einen. New York hat sie erwachsen gemacht.»
Wie Courtney Love? Stil? Also wirklich. Amelia - was für ein blöder Name! - hatte also mit anderen Worten Sex und Make-up entdeckt und angefangen, sich die Haare zu färben. Als der Kellner erneut an den Tisch kam, bestellte Yasmin einen großen Armagnac. Pur. Den brauchte sie jetzt.
«U, wir haben doch bisher nie über unsere kleinen Verhältnisse gesprochen, oder? Was ist los? Wenn du nicht gerade vorhast, mit ihr zusammenzuziehen - was ich bezweifle -, hättest du sie einfach ficken können, richtig oder sonstwie, und ich hätte nie was erfahren. Wieso erzählst du mir also davon?»
Er seufzte und nahm einen Schluck von seinem entkoffeinierten Kaffee. «Weil ich nicht arbeiten kann. Weil ich dieses Geheimnis nicht für mich behalten kann. Und weil ich es nur fair finde, dir davon zu erzählen. Die anderen Geschichten waren nur was Vorübergehendes, aber das hier könnte ernst werden.»
Die Tatsache, dass sie drei Monate lang wie verrückt mit Rory O'Hagan gefickt hatte, während sie im letzten Jahr an Tinker's Curse arbeitete, behielt sie für sich. Schade, er war irgendwann nach Hollywood gezogen, und sie musste weiter Drehbücher für 49 Madison Avenue schreiben, eine sensationelle Soap, die bald anlaufen sollte. Die Story spielte in einem hypercoolen Hochglanzhotel in der Innenstadt, dessen Angestellte es genau so eifrig miteinander trieben, wie sie es mit Rory getan hatte. Aber darum ging es jetzt nicht. Wie definierte U «vorübergehend» überhaupt?»
«Und weiter? Willst du dich etwa trennen?
U entrüstete sich aufgeblasen. «Nein, natürlich nicht! Ich könnte mir niemals vorstellen, dich zu verlassen, Yasmin. Die Sache ist zwar ernst, aber nicht ernster als das mit uns. Du denkst vielleicht, ich sollte einfach Schluss machen. Aber das kann und werde ich nicht tun.»
Die Drinks kamen. Gott sei Dank. Abgesehen davon, dass sie dringend etwas Alkoholisches brauchte, gab ihr die Unterbrechung Gelegenheit, die Situation kurz von außen zu betrachten. Ihre Arbeit für das Fernsehen hatte eine Menge Vorteile, aber was ihr in dieser Lage am meisten nützte, war der Umgang mit den dramatischen Momenten des eigenen Lebens - von denen es im Vergleich zu denen, die die Charaktere einer gewöhnlichen Soap erleben, überraschend wenige gab. Man konnte einfach innehalten und die Szene so bewerten, als würde man sie selbst schreiben.
Was sah sie also? Die Soap: hochwertig, angesiedelt in der glamourösen Welt der Trend-Magazine und -Fernsehsendungen. Die Hauptfiguren sind ein eleganter Zeitschriftenredakteur, Anfang vierzig, und seine etwas jüngere, wunderschöne Frau. Trotz der Tatsache, dass ihr leiblicher Vater, der die DNA gespendet und nach ein paar Jahren das Weite gesucht hatte, Türke war, ist sie durch und durch englisch. Die Szene: Das Paar hat gerade sein Abendessen in dem neu eröffneten Londoner Restaurant - helles Holz und gelbe Wände, das Übliche in diesem Jahr - beendet. Sie trägt ein wirkungsvolles Samtkleid, er seine gewöhnlichen weißen, oder eher gebrochen weißen Hosen und ein kragenloses Hemd, handgenäht in Devon aus ungebleichter Baumwolle aus organischem Anbau. Der Plot: Er hat ihr gerade eine Affäre mit einer weitaus jüngeren Frau eröffnet. Sie reagiert. Nur wie?
Sollte sie ihn anschreien, aufstehen und rausstürmen? Es vernünftig besprechen? Yasmin wägte die Möglichkeiten ab. Vielleicht sollte sie den ihr bekannten Schauspieler am Nebentisch zu einem Rachefick auf die Damentoilette abkommandieren? Doch das hier war nicht Sex and the City, und der Mann, mit dem er bei Tisch saß, war wohl mehr als nur ein Freund. Abgesehen davon hatten sie und U nie allzu viel Wert auf Treue gelegt. Das hatte der vorangegangene Dialog bereits angedeutet, und die Zuschauer würden es ohnehin wissen, wenn sie die Serie von Anfang an verfolgt hatten.
Yasmin entschloss sich, besser wieder in ihr eigenes Leben zurückzukehren und es nicht mehr objektiv von außen zu betrachten. Vernunft war der einzige Weg. U hasste Szenen, und sie war auch nicht sehr erpicht darauf. Soll das Drama doch auf dem Fernsehschirm bleiben.
«Lass uns mal praktisch an die Sache rangehen. Du musst wieder arbeitsfähig werden. Meinst du, es wird besser laufen, jetzt, wo du es mir gesagt hast?»
«Hoffentlich. Das Problem ist, dass ich die letzten zwei Wochen andauernd an sie gedacht habe. Es ist schwer, offen für die Gedanken anderer Menschen zu sein, wenn man von den eigenen so besessen ist.»
U war in der Lifestyle-Welt für seine Fähigkeit bekannt, Trends vorherzusagen, indem er die unbewussten Gedanken und Wünsche anderer Menschen aufnahm. Nicht unbedingt die kollektiven unbewussten Wünsche, sagte er immer, sondern eher die unausgesprochenen. Vorwürfe, dass er sich der Telepathie bediente, wies er von sich und beteuerte vielmehr, dass er lediglich ein Talent dafür hätte, sich in die Ideen und Möglichkeiten einzuklinken, die im Reich der Gedankenwellen vibrierten. Auf diese Art sagte er erfolgreich Trends voraus, erahnte den nächsten großen Hype und hielt das einflussreichste Lifestyle-Magazin aller Zeiten am Laufen. Slice war durch und durch sein Baby. Die Autoren, die Fotografen und das Produktionsteam waren vollständig austauschbar. Nicht aber U. Niemand sonst hatte eine solche Gabe. Es war ein Wunder, ein Rätsel, ein Phänomen.
Im Grunde war auch U selbst ein Phänomen. Geboren in einer Stadt, die in den sechziger Jahren noch West-Berlin hieß, besaß Urs Steinmann schon in jungen Jahren das Talent, Dinge vorherzusagen. Natürlich nicht wie ein Wahrsager - so extrem nicht. Aber er war in der Lage, sich in den Zeitgeist einzufühlen. Er spürte, dass die Studenten noch vor dem Ende seiner Kindergartenzeit eine Revolte beginnen würden. Und diese Revolte wiederum zum Sommer der Liebe führen würde, und Liebe und Frieden der nächste Trend werden würden. Er wusste, dass die Weisen der Sitar der elektronischen Musik Platz machen würden, noch bevor Tangerine Dream aufhörte, Kinderreime vorzutragen.
Im Alter von zehn Jahren fing er an, Buch über seine Vorhersagen für Musik und Mode zu führen. Er merkte schnell, dass er in achtzig Prozent der Fälle richtig lag. U ging zur Universität, um Journalismus und Design zu studieren, arbeitete...
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