Schweitzer Fachinformationen
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Beispiel Postoperatives Delir
Ein Bauingenieur (61 Jahre) scheint nach einer Dickdarmoperation auf dem Weg der Besserung zu sein. Doch leider stellen sich Komplikationen ein, und es wird ein erneuter Eingriff notwendig. Da alles schnell gehen muss, kommt der Patient ohne Prämedikation in den OP-Bereich.
Nach der Narkose reagiert er zwar auf Ansprache, nimmt aber keinerlei Kontakt zu den Personen in seiner Umgebung auf, auch nicht zu seiner Ehefrau. Er schaut sozusagen durch die Personen »hindurch«. Er spricht auch nicht, obwohl er alle motorischen Anforderungen erfüllt (er setzt sich hin, trinkt, isst etc.). Wenn er schläft, nestelt er an der Bettdecke und ist extrem unruhig. Ist seine Frau zugegen, verhält er sich ein wenig ruhiger, nimmt aber auch zu ihr keinen Kontakt auf. Dieser Zustand dauert 14 Tage an, die Ärzte sprechen vom »hirnorganischen Psychosyndrom«.
Als der Patient nach zwei Wochen wieder den Kontakt zu anderen Menschen aufnehmen kann, weiß er nichts von den Besuchen, Ansprachen an ihn etc. Er erinnert sich lediglich an den Weg zum OP und berichtet seiner Frau von quälenden Alpträumen und großer Angst um seine Familie.
Im Nachhinein wird nun ein Postoperatives Delirium diagnostiziert, das aufgrund der Stressfaktoren zur Überforderung des Gehirns geführt hat. Außerdem gibt die Nahtinsuffizienz nach der ersten Operation einen Hinweis auf eine Sepsis, die auch ohne die üblichen Entzündungszeichen wie z. B. Fieber vorliegen kann.
Die kognitive Leistungsfähigkeit des Patienten ist anschließend wieder vollständig vorhanden.
Beispiel Delir wegen Exsikkose
Ein 82-jähriger Mann kommt als Notfall in die Klinik, nachdem seine Tochter ihn in seinem Haus, in dem er allein lebt, v öllig verwirrt vorgefunden hat. Sie war am Vortag bei ihm und da ging es ihm, trotz hochsommerlicher Temperaturen, gut. Der 82-Jährige ist bisher real orientiert und versorgt sich selbst. Als ehemaliger Sportler ist er in gutem körperlichen Zustand, fährt Fahrrad und Auto.
Nach der Notfallaufnahme verschlechtert sich sein Zustand im Rahmen der Untersuchungen, sodass er kaum noch ansprechbar ist. Eine E xsikkose wird festgestellt. Über Infusionen soll der Flüssigkeitsmangel ausgeglichen werden, da das selbstständige Trinken nicht mehr möglich ist.
Aber das Auffüllen des Volumens als Ausgleich des Elektrolytmangels ist problematisch, da der Patient aufgrund seiner Verwirrtheit die Behandlung ablehnt und versucht, die Infusionskanüle herauszureißen. (Zum Glück gibt es eine Vorsorgevollmacht, sodass die Tochter für ihn entscheiden kann).
Der Zustand des 82-Jährigen bleibt zunächst ernst, da er immer wieder in eine Schocksymptomatik gerät. In der Nacht nach der Aufnahme wird er schließlich ruhiger und wehrt sich nicht mehr gegen die Behandl ung. Am nächsten Vormittag ist der Patient, zur großen Überraschung des Behandlungsteams, wieder vollkommen orientiert, weiß, wo er ist, kooperiert und lässt sich auf die Behandlung ein. Es dauert allerdings etliche Wochen und eine mehrwöchige Kurzzeitpflege, bis der 82-Jährige wieder so leistungsfähig ist, dass er sich im eigenen Haus versorgen kann.
Im Nachhinein wird ein Delir aufgrund von Exsikkose diagnostiziert, das durch die Schocksymptomatik tödlich verlaufen wäre, wenn die Tochter den Vater nicht rechtzeitig gefunden hätte. Auch nach der Rehydratation ist der vorherige gute geistige und körperliche Zustand erst nach Wochen wieder hergestellt.
Das Delir ist ein akuter Verwirrtheitszustand, der häufig - wenn es sich um einen älteren Menschen handelt - mit einer Demenz verwechselt wird. »Der Begriff Delir kommt von dem lateinischen Wort »delirare«, und dies bedeutet wörtlich übersetzt ?aus der Spur geraten?.«24
Das Delir ist eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung mit einer Letalität von über 30 % und tritt mit zunehmenden Lebensalter immer häufiger auf. Ein Delir bedarf umgehender Diagnostik und Therapie zur Vermeidung sekundär verbleibender kognitiver Einschränkungen.25
Bei einem Delir handelt sich somit um ein noch häufig unterschätztes Phänomen, das sich innerhalb weniger Stunden entwickeln kann, das heißt: Der Beginn ist gewöhnlich akut.
Wo wir heute »Delir« sagen, sprach man früher vom »Durchgangssyndrom« und wertete es als Begleiterscheinung anderer Krankheitsbildern. Doch mittlerweile wird das Delir als eine eigenständige Krankheit bewertet und im ICD-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Disorders) aufgeführt. 12/2020 wurde von der deutschen Gesellschaft für Neurologie - federführend durch Prof. Matthias Maschke, Trier die Leitlinie »Delir und Verwirrtheitszustände inklusive Alkoholentzugsdelir« überarbeitet. Sie hat Gültigkeit bis zum 4. Dezember 2025. Diese Überarbeitung wurde notwendig, da im kurz vorher publizierten Diagnostic and Statistical Manual of Mental Discorders (DSM-5) die Kriterien für das Delir revidiert wurden. Danach müssen Regulationsstörungen der Aufmerksamkeit vorhanden sein, die gemeinsam mit Bewusstseinsstörungen quantitativer Art (Vigilanz) oder qualitativer Art (betreffend Denken, Wahrnehmung, andere kognitive und emotionale Leistungen) auftreten.
Der Fachkrankenpfleger Anästhesie und Intensivpflege, Pflegewissenschaftler (M.SC.), Sprecher der Sektion Pflege des DBfK Nordwest und Vorstandsmitglied in der Deutschen Gesellschaft für internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) Carsten Hermes schreibt im Newsletter des DBfK Nordwest/Gezielt informiert/03/2023 von den weithin unterschätzten Gefahren eines Delirs. Er spricht den Pflegefachpersonen gerade in der Prävention und Überwachung eines Delirs eine im wahrsten Sinn lebenswichtige Rolle zu. Er schreibt: »Zu einem katastrophalen Rückgang bei der Vorbeugung, Überwachung und Behandlung eines Delirs, verbunden mit einem verstärkten Einsatz von Benzodiazepinen kam es während der COVID-19-Pandemie, zumal Personal knapp und Familienbesuche stark eingeschränkt waren. Deshalb empfiehlt sich die Durchführung einer interprofessionellen und nichtpharmakologischen Delir-Prävention bei allen Patient:innen, mit aktivierenden Maßnahmen tagsüber und schlaffördernden nachts.
Bei allen Maßnahmen zur Prävention und Überwachung geht es nicht nur um das Überleben einer Intensivtherapie sondern auch um die anschließende Lebensqualität. Das Ziel sind wache, aufmerksame, aktive, schmerz- und angstfreie Patient:innen die - ebenso wie ihre Angehörigen - an der Behandlung partizipieren können.«
Um die Diagnose »Delir« sicher stellen zu können, gibt der ICD Kriterien vor. Von einem (nicht durch Alkohol oder andere psychotrope Substanzen verursachten) Delir ist dann auszugehen, wenn zum einen das Bewusstsein gestört ist und zum anderen mindestens zwei weitere Störungen auftreten wie
Störungen der Aufmerksamkeit,
Störungen der Wahrnehmung,
Störungen des Denkens,
Störungen des Gedächtnisses,
Störungen der Psychomotorik,
Störungen der Emotionalität,
Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus.26
Für eine endgültige Diagnose müssen leichte oder schwere Symptome aus fünf Bereichen vorhanden sein.
Dilling & Freyberger gehen etwas detaillierter auf die Störungen ein, die ein Delir vermuten lassen:
Störung des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit: Die Aufmerksamkeit kann nicht fokussiert oder aufrechterhalten werden, das Bewusstsein bewegt sich zwischen dem Zustand der leichten Bewusstseinsminderung und Koma.
Globale Störungen der Kognition sowie Wahrnehmungsstörungen mit zeitlicher Desorientierung, manchmal auch zu Ort und Person, Störungen abstrakten Denkens und der Auffassung, teilweise werden Wahnideen geäußert, die typischerweise recht zusammenhanglos sind, das Kurzzeitgedächtnis ist beeinträchtigt, das Langzeitgedächtnis ist aber intakt.
Psychomotorische Störungen wie verlängerte Reaktionszeit, aber verstärkte Schreckreaktion, vermehrter oder verminderter Redefluss, Hyperaktivität oder auch Hypoaktivität, mit evt. Wechsel dieser Phasen.
Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, wie Alpträume, die beispielsweise nach dem Erwachen als Sinnestäuschung weiter bestehen können, Verschlimmerung der Symptomatik, in schlimmen Fällen völlige Schlaflosigkeit.
Affektive Störungen, wie staunende Ratlosigkeit, Apathie, Reizbarkeit, Angst oder Furcht, depressive...
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