Schweitzer Fachinformationen
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Unsere Sackgasse ist voll davon. Gegenüber wohnt Ron, der beim Film ist. Er ist Kameramann, aber nicht für die üblichen Filme. Er dreht Pornos. Den Nachbarn erzählt er, er dreht Spielfilme, weshalb sie ständig fragen, welche Stars er diesmal vor der Kamera hatte, und dann sagt er, ach, keine A-Promis, ihr würdet sie nicht kennen.
Daneben wohnt Craig, der Junge, in den ich mich verlieben werde. Sein Vater hat gelogen. Und zwar so: Früher hat die ganze Familie in Chicago gelebt - Craig, seine Schwester, sein Bruder und ihre Eltern. Eines Morgens kam Craig zum Frühstück runter und sah, wie sein Vater mit einem Koffer in der Hand auf Zehenspitzen aus der Haustür schlich.
»Dad«, sagte er. »Wo gehst du hin?«
»Nach Kalifornien«, antwortete sein Vater. »Ich hole euch bald nach.«
Ein Jahr später wohnten Craig und sein Bruder bei seinem Vater und dessen neuer Frau in unserer Sackgasse, mit einem cremefarbenen Cadillac und einem riesigen Wohnmobil in der Einfahrt, während seine Schwester und seine Mutter noch in Chicago sind und den Männern der Familie nachtrauern. Als Craigs Bruder ums Leben kam, sagte Craigs Dad den einzig wahren Satz, den er je gesagt hat. Er hat zu Craig gesagt: »Ich wünschte, es hätte dich getroffen.«
Zwei Häuser weiter wohnt eine Baptistenfamilie. Mach bloß kein Babysitting dort, denn kaum schaut die Baptistenmutter weg, will der Baptistenvater dir die Hand unter dein jüdisches T-Shirt schieben, um deine kleinen jüdischen Brüste zu begrapschen. Danach gehst du nie wieder hin, und dir wird jedes Mal schlecht, wenn du den Haarspray-Helm in dem puderblauen Chevrolet Impala die Sackgasse herunterrollen siehst, in dessen Heckscheibe dich die Sonne blendet.
Drei Häuser weiter, am Ende der Sackgasse, wohnt Michaela. Michaela hat einen Schnurrbart und einen schwarzen Zahn. Ihr Körper quillt in erstaunlichen Wulsten aus ihren Kleidern. Sie schielt und sieht aus wie die Doppelgängerin von Meat Loaf. Sie ist um die zwanzig, aber sie hat immer noch keinen Führerschein, was auch egal ist, weil ihre Eltern kein Auto haben, das fährt. Dafür haben sie Hunderte von Vogelkäfigen im ganzen Haus, und alles stinkt nach Vogelkacke. Ihre Lüge kommt noch. Sie wird mich ins Mark treffen. Wenn ich mich in den Jungen von gegenüber verliebe, wird Michaela mich beiseite nehmen und mir sagen, dass Craig in Wirklichkeit sie liebt, was aber nicht stimmt, weil Craig mich liebt. Sie wird mich mit ihren schielenden Augen ansehen und mir erzählen, sie hätte Craig entjungfert, bevor ich in die Wish Avenue zog, und er hätte ihr gesagt, dass er sie liebt. Craig wird schwören, dass es nicht wahr ist, was heißt, dass einer von beiden lügt. Man wird sehen.
Am Ende der Sackgasse zwischen Michaela und den Baptisten wohnt Sheri Baby. Sheri Baby ist siebzehn, hat spindeldürre Beine und langes, glattes, blondes Haar. Sie bewegt sich auf ihren schmalen, schlingernden Hüften wie eine Viper. Ihre Jeans ist so eng, dass sie an Schritt, Po und Knie weiß ist wie eine zweite Haut. Sheri Baby ist verrückt nach der Band Rush und findet Männer mit Falsettstimme sexy. (Auf welchem Planeten Falsett sexy ist? Auf keinem Planeten.)
Wenn Sheri Baby die sechsjährige Tochter des Kameramanns auf dem Bürgersteig spielen sieht, geht sie mit schlingernden und schwingenden Hüften auf sie zu und singt mit ihrem von Rush abgeschauten Falsett: »Ab die Post ins Hosenlaaaand!«
Wie auf Knopfdruck fängt Rons Tochter zu heulen an und rennt schluchzend ins Haus, unfähig, ihrer besorgten Mutter zu erklären, was passiert ist. Dann, und du kannst deine Swatch danach stellen, stürmt die Mutter auf die Straße und brüllt: »Hör auf zu sagen, dass sie ins Hosenland muss!« Doch Sheri Baby hat sich inzwischen im Gebüsch versteckt und lacht sich schief, dass ihre strichförmigen Augenbrauen hüpfen, und die Fransen an ihrer handgenähten Ledertasche flattern vergnügt. Oder sie ist schon an der Ecke Balboa und Rinaldi und hält den Daumen raus, unterwegs irgendwohin, wo es cool ist, während Mom mich zwingt, das Laub zu rechen, den Rasen zu mähen und das Auto zu waschen, falls ich am Wochenende rauswill.
Wenn ich also gerade bei uns in der Einfahrt stehe, brüllt Rons Frau mich an. Dass ich es nicht war und dass ich keine Ahnung habe, was das Hosenland ist, ist ihr völlig egal. Sie hat ein traumatisiertes Kind, um das sie sich kümmern muss, also geht sie wieder rein und erzählt ihrem Kind Lügen, um es zu trösten. Sheri Baby schlängelt sich davon, die Hand vor dem Mund, die Augenbrauen wie schwarze McDonald's-Bögen. Ich lächle ihr zu, als wäre ich in ihren Hosenland-Streich eingeweiht, weil sie mir vermutlich sonst eine reinhauen würde. Also lüge ich auch, mit einem Lächeln.
Drei Häuser von Michaela entfernt, was nicht weit genug ist, wohnen wir. Die Lügen der Nachbarn sind nichts im Vergleich zu der Lüge, die mir meine Mutter heute Abend erzählen wird. Mom und das Glas Chablis aus dem Fünf?literkarton haben beschlossen, dass ich alt genug bin. Was ich bezweif?le. Die neue Art von Lüge ist vielleicht noch schlimmer als die anderen, weil du danach alles, was du zu wissen glaubtest, nach außen stülpen und mit Spiegeln, Raumspray und Nachtsichtgeräten auf den Kopf stellen musst.
Mom beginnt die Lüge, indem sie von der Zeit erzählt, als meine Eltern verheiratet waren. Darüber redet sie fast nie, außer um zu erklären, dass sie mich bekamen, um ihre Ehe zu retten, und sich scheiden ließen, als ich drei war. Im Gegensatz zu meinem Vater (der mir alles erzählt - abwarten) ist sie eine sparsame Geschichtenerzählerin. Aber heute Abend will sie reden. Ich schätze, sie ist einsam, weil ihr Freund verreist ist, und dank meines wattierten BHs sehe ich neuerdings fast alt genug für eine Unterhaltung aus. Als Kind wusste ich immer, wann sie gerade keinen Mann hatte. Dann schickte sie mich ins Bett, legte die ganze Nacht Nina-Simone-Platten auf und klimperte am Klavier mit. Meine kleine Nachtmusik. Aber heute Abend hatte sie ein anderes Spätprogramm für mich: die Swinger-Story. Hier die Kurzfassung.
Mom hat diese Freunde vom College, Ike und Judy. Ich kenne sie mein ganzes Leben. Judy sagt, an dem Tag, als Mom mit mir aus dem Krankenhaus kam, hätte sie mich ihr an die Brust gelegt. Mom mochte das Konzept des Stillens nicht, und ich schätze, ich musste nehmen, was ich kriegen konnte. Ike und Judy haben drei wilde Söhne, die mir eine Menge Schmerzen zufügten (mich vom Baumhaus schubsten, mir ein Brett auf den Kopf fallen ließen, mir einen Stock zwischen die Speichen steckten, sodass ich vom Rad fiel etc.). Deswegen freute es mich riesig, als Ike und Judy eine Tochter adoptierten. Erst recht, weil sie kein Baby mehr war. Sie war schon acht, und man konnte richtig mit ihr spielen. Irgendwann beschlossen Ike und Judy, eine offene Ehe zu führen, was hieß, wie mir meine Mutter erklärte, dass sie ins Bett gehen konnten, mit wem sie wollten, solange beide einverstanden waren. Offensichtlich waren häufig beide einverstanden. Sie erzählten meinen Eltern: »Es macht Spaß«, und: »Ihr solltet es mal ausprobieren.« Also probierten es meine Eltern aus. Mit Ike und Judy.
Okay. Das ist eine Überraschung. Aber es erklärt auch manches. Als ich klein war, haben Moms Freunde nie nach meinem Vater gefragt. Nach acht Jahren Ehe kehrten Moms und Dads Freunde in ihre jeweilige Ecke zurück, als hätten Mom und Dad sich nie geliebt. Nur ein paarmal, als ich klein war, berührten sich ihre Welten wieder, wenn Judy fragte: »Wie geht's deinem Dad?« Und dann hörte sie zu, wenn ich von ihm erzählte wie von dem Bewohner eines anderen (aus meiner Sicht parallelen) Universums. Am Ende lächelte Judy und sagte: »Richte ihm bitte liebe Grüße von mir aus.« Bei meinem nächsten Besuch überbrachte ich die Botschaft gewissenhaft, und sie löste bei meinem Vater einen Regenbogen an Emotionen aus, von Überraschung (Was, von Judy?) zu Freude (Wie nett von ihr. Die meisten Freunde deiner Mutter haben ja nie . Aber Judy war immer schon anders. Süß irgendwie . Sehr süß, um genau zu sein .) zu gebauchpinselter Männlichkeit (Und sie hat ja auch immer mit mir geflirtet).
Jetzt weiß ich, warum. Weil Dad und Judy sich laut meiner Mutter prächtig amüsierten, im Schlafzimmer kicherten und am Esstisch heimliche Blicke tauschten. Natürlich hatte meine Mutter auch etwas mit Ike, was, wie sie berichtet, »nur okay« war. Sie war im College schon mal mit ihm zusammen gewesen und stand einfach nicht besonders auf ihn. Sie hatte das Gefühl, sie hätte den Kürzeren gezogen.
Meine Mutter holt Luft. Über uns scharren die Palmen an den Stromleitungen. Eigentlich habe ich den Schock schnell verdaut, weil in der Schule alle, die ich kenne, es mit irgendwem machen oder kurz davor sind oder es gerade hinter sich haben - lange, bevor mir klar wurde, dass es überhaupt schon jemand macht. Neuerdings ist Sex überall, späht um die Ecke oder schleicht sich von hinten an, wenn ich am wenigsten damit rechne. Mehr als das Swinger-Ding schockiert mich, dass meine Mutter mit mir rumhängen will.
Normalerweise ist abends »ihre Zeit«, in der sie Wein trinken, zeichnen und auf ihren alten Heilsarmee-Lautsprechern Reggae-Platten hören will. Mein Leben lang hat sie mich bei Sonnenuntergang mit dem Satz ins Bett geschickt: »Zisch ab und träum süß.« Aber heute hat sie den Arm auf die Lehne des Korbstuhls drapiert, der sich langsam auf?löst, die Beine hochgelegt, Füße nackt, Zigarette zwischen den Fingern baumelnd, als würde Zeit keine Rolle spielen. Als hätte sich ihr Vollzeitjob, der...
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