Schweitzer Fachinformationen
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Auf der digitalen Tafel am Straßenrand war zu lesen: WILLKOMMEN IN FORT WILLIAM - 10 Grad Celsius.
DC Maria Khan, die auf dem Beifahrersitz neben Monica saß, spähte zum Seitenfenster hinaus und betrachtete die tristen kleinen Häuser entlang der Straße. Der Himmel über dem Vorort war düster und bedeckt. Jenseits der Siedlung, das wusste Monica von einem früheren Besuch, ragte der Ben Nevis empor, der höchste Berg des gesamten Vereinigten Königreichs. In der Gegenrichtung lagen der Loch Linnhe und noch mehr Berge, die sich dahinter steil in den Himmel reckten. Heute aber verlor sich all das im Grau der tief hängenden Wolken.
»Es kann unmöglich sein, oder? Das kann doch nicht wirklich sie sein?«, sprach Khan leise vor sich hin, mehr zu sich selbst als zu ihrer Chefin. Zumindest gewann Monica diesen Eindruck, denn während der Fahrt von Inverness hierher hatten sie sich bereits lang und breit über das Schiffsunglück unterhalten. Die Geschichte der Explorer war in ganz Schottland bekannt. Seit dem mysteriösen Verschwinden der Jacht hatte unter Internet-Schnüfflern und Fans von ungelösten Verbrechen und Unglücksfällen vor allem ein Detail das Interesse wachgehalten - nämlich der »Schrei der Passagierin«. Der geheimnisvolle Titel nahm Bezug auf ein Foto, das zum traurigen Symbol der Tragödie geworden war und sich zum meistdiskutierten Bestandteil der Story entwickelt hatte. Der Fokus der Aufnahme lag auf der sorgenvollen Miene einer Frau, die aus der Schar der strahlenden Passagiere ringsum hervorstach. Der Grund für ihre Besorgnis war ein Mysterium für sich, zumal niemand wusste, wer diese Frau, die in der Passagierliste als Emily Hurst gelistet wurde, eigentlich war. Es hatten sich nie Freunde oder Familienangehörige gemeldet, um sie offiziell zu identifizieren, weder Arbeitskolleginnen oder -kollegen noch Bekannte. Kein Mensch.
Monica nahm den Fuß vom Gaspedal, weil die Geschwindigkeit innerorts beschränkt war. Regen spritzte von dem vorausfahrenden Fahrzeug auf die Windschutzscheibe. Khan hatte vollkommen recht. Es konnte sich unmöglich um Emily Hurst handeln. Nicht nach ganzen fünf Jahren. Nicht auf halber Strecke einen abgeschiedenen Berg hinauf, mitten im Nirgendwo.
»Wir können nicht mit Sicherheit ausschließen, dass sie es ist«, gab Monica zögernd zurück. In erster Linie, um ihrer Rolle als Detective gerecht zu werden: Von nichts ausgehen, alles infrage stellen, so sollte ihr Grundsatz lauten, und der war ihr zur zweiten Natur geworden. »Bislang lässt sich nichts mit absoluter Gewissheit sagen.«
Erst als sie den Wagen auf dem Parkplatz vor dem Krankenhaus abgestellt hatten und ausgestiegen waren, registrierte Monica DC Maria Khans Kleidung: Sie trug einen langen Mantel aus Kunstpelz, dazu schwarze Jeans, schwarze Turnschuhe, eine schwarze Basecap und Make-up. Ein deutlicher Verstoß gegen die Verordnung der Polizei Schottland zu Uniformen und äußerer Erscheinung, Absatz 6.1.6: Beamten ist es gestattet, Businesskleidung zu tragen, sofern es den Aufgaben angemessen ist. Wer hätte gedacht, dass ein Pelzmantel aus Kunstfell und eine Baseballkappe als Businesskleidung durchgehen konnten? Alle anderen Kolleginnen und Kollegen in unangemessener Kleidung hätte Monica auf der Stelle zum Umziehen nach Hause geschickt. Aber bei Khan machte sie eine Ausnahme, warum, wusste sie selbst nicht so genau. In den Jahren, seit ihr Vorgesetzter DC Connor Crawford von ihrem Ermittlerteam abgezogen hatte, hatte Monica eng mit Khan zusammengearbeitet. Dabei hatte sie erfahren, dass ihre Kollegin in Stirling aufgewachsen war, siebenunddreißig Jahre alt war und damit zehn Jahre jünger als Monica selbst, einen angenehm schrägen Sinn für Humor hatte, gern ins Theater und ins Kino ging und früher irgendwas mit Medien gemacht hatte, bevor sie sich beruflich neu orientiert und umgeschult hatte. Das war mehr oder weniger die Faktenlage, und das reichte Monica vollkommen aus. Sie war nie die Sorte Vorgesetzte gewesen, die sich gern mit ihren Mitarbeitern anfreundete. Lieber wahrte sie eine gewisse Distanz.
»Sind die von der Presse?«, fragte Khan und deutete auf eine größere Schar von Menschen, die vor dem Eingang des Krankenhauses herumstanden. Das riesige Gebäude erinnerte an ein Hotel in den Alpen, wenngleich ein recht heruntergekommenes aus den Siebzigern. »Vielleicht ist das mit der Frau schon zu denen durchgedrungen.« Monica sah zu, wie Khan den Sitz ihrer Kappe korrigierte, wobei der Wind ein paar pechschwarze Haarsträhnen hochwehte; auch das Kunstfell aus Acryl zitterte im Wind. Dabei wurde ihr eines klar: Man sah, dass ihrer Kollegin das Thema Kleidung wichtig war, auch wenn man sonst nicht viel über sie wusste.
Monica schob den Gedanken beiseite und wechselte in den Detective-Modus. Sie kniff die Augen leicht zusammen und musterte die Wartenden, von denen mittlerweile einige zu ihnen herübersahen.
»Gute Nachrichten verbreiten sich schnell«, murmelte sie leise vor sich hin. Allerdings fiel ihr dann auf, dass die üblichen Paraphernalien der Pressemeute fehlten, keine Kameras, keine Mikros, keine Spur von der brodelnden Energie, die mit der wilden Jagd nach der nächsten heißen Story einherging. Stattdessen wirkten diese Menschen seltsam still, sodass sie Monica viel mehr an eine Gruppe Trauernder bei einer Beerdigung erinnerten.
Wie aufs Stichwort setzte ein heftiger Regenguss ein, der auf den bereits nassen Asphalt herunterprasselte, als Monica und Khan den Parkplatz überquerten. Eine kleine Gedächtnisauffrischung, wie nah das Meer war, als hätte es das noch gebraucht. Vor dem Eingang hatten sich bei näherer Betrachtung ungefähr zwanzig Personen versammelt, einige von ihnen mit Regenschirmen, andere, denen der Regen unerbittlich ins Gesicht klatschte, in Goretex- oder Wachsjacken.
»Hey, Sie sind doch diese Polizistin, stimmt's?«, rief jemand. In einer Sache konnte Monica sich sicher sein: Sie fiel auf. Und nachdem sie seit ihrer Rückkehr in den Norden nun schon in mehreren aufsehenerregenden Fällen im Gebiet der Highlands ermittelt hatte, war sie daran gewohnt, dass man sie erkannte. Der Mann, der sie angesprochen hatte, fuhr fort: »Ich bin Giles Forbes, das hier sind Caroline Handler und ihr Sohn Colm.« Dabei deutete er auf eine Frau mit kurz geschnittenen blonden Haaren und einen Jungen im Teenageralter, der direkt neben ihr stand. »Das sind Brian Corcoran und Douglas Mac Andrew«, sprach er weiter und wies auf zwei Männer, einer von ihnen in den Vierzigern und mit Bart, der andere mit einem Hut auf dem Kopf, von dessen breiter Krempe der Regen herabtropfte. Monica nickte und versuchte krampfhaft, sich die Namen einzuprägen, während sie die Gesichter musterte. »Wir sind Freunde und Familienangehörige von einigen der Vermissten der Explorer.« Monica war sich nicht sicher, was sie erwartet hatte, aber diese Menschen wirkten alle relativ normal. Es waren ganz gewöhnliche Leute, mit Ausnahme des Schicksals, das sie teilten. Forbes fuhr fort: »Wir müssen unbedingt wissen, ob sie es ist. Könnte es sich wirklich um diese Emily Hurst handeln?«
Monica räusperte sich. »Nun, ich verstehe gut, wie schwer das für Sie alle sein muss. Wir hoffen natürlich, die Frau möglichst schnell zu identifizieren. Mehr kann ich dazu im Moment nicht sagen.«
Als Giles Forbes nickte, sah Monica flüchtig etwas in seinen Augen aufblitzen. Es war Hoffnung, wie ihr nach kurzer Überlegung klar wurde. Etwas, das innerhalb einer Gruppe von Trauernden ihrer Erfahrung nach großes Konfliktpotenzial barg.
Im Innern des Gebäudes herrschte absolute Ruhe, in der Luft hing der Geruch von Reinigungsmitteln und Großküche. Monica und Khan setzten die vorgeschriebenen FFP2-Masken auf, und nach kurzem Warten wurden sie von einer Krankenschwester begrüßt. Diese hatte die Arme verschränkt und trat nervös von einem Bein aufs andere. Monica spähte verstohlen auf das Namensschild an ihrer Brust: Isbeal Chisholm. Die Stirn der Frau war in tiefe Falten gelegt: »Sie sind hier, um . sie zu sehen, stimmt's?« Monica bestätigte dies, worauf die Krankenschwester fortfuhr: »Sie ist gerade oben im Arztzimmer. Sie kommen besser mit rauf.« Allerdings machte sie keine Anstalten, sich von der Stelle zu bewegen, und Monica wurde das seltsame Gefühl nicht los, dass Isbeal Chisholm sie am liebsten wieder hinaus in den Regen gescheucht hätte, zu der Gruppe von Hinterbliebenen, die die Hoffnung hierhergetrieben hatte.
»Gibt es ein Problem?«
»Oh, nein, natürlich nicht. Davon hat diese Stadt ohnehin genug«, murmelte sie, als sie sich schließlich doch umdrehte und mit quietschenden Sohlen über das Linoleum vorauseilte. »Kaum kehrt man halbwegs zur Normalität zurück, dreht sich wieder alles um dieses verdammte Boot. Aber kein Problem, nein.« Vor dem Aufzug trat die Frau beiseite und bedeutete Monica und Khan, einzusteigen. »Zweiter Stock und dann links.«
»Es muss schwer gewesen sein für die Gemeinde«, sagte Monica, während Khan auf die Taste mit der Zwei drückte.
»Das kann man wohl sagen«, gab die Schwester zurück, die Arme wieder fest vor der Brust verschränkt. »Mein Ehemann hat früher kleine Spritztouren mit seinem kleinen Boot veranstaltet, jetzt fährt er wieder Taxi. War schlimm genug, mit dieser Pandemie und allem, aber wer macht schon gern eine lustige Rundfahrt übers Meer, nach allem, was passiert ist?« Bevor die Fahrstuhltür hinter ihnen zuglitt, schickte sie noch hinterher: »Abgesehen von einer Handvoll Spinner, die völlig besessen sind von dieser...
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