Schweitzer Fachinformationen
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»Vielen Dank«, sagte Frank Forster und reichte Anja die Hand. Er räusperte sich. »Meine Frau hatte recht, als sie gesagt hatte, ich solle zu Ihnen in die Physiotherapie gehen. Sie haben Wunder vollbracht, und ich kann mich fast wieder normal bewegen, was ich nach diesem heftigen Hexenschuss von letzter Woche nicht geglaubt habe.«
»Das ist nicht nur mein Verdienst.«
»Den Start meines Rentnerdaseins habe ich mir definitiv anders vorgestellt.«
»Es ist wichtig, die Übungen weiterzumachen, wenn die Beschwerden verschwunden sind. So, wie Sie es bis anhin getan haben.«
»Das ist mir bewusst. Auf jeden Fall machen Sie und das übrige Team von dieser Arzt- und Physio-Gemeinschaftspraxis einen guten Job.«
Frank Forster war nicht der Einzige, der das sagte.
Eric Bieri und seine Frau Julia hatten sich vor zehn Jahren selbstständig gemacht. In der Praxis arbeiteten fünf Ärzte und fünf Physiotherapeuten.
»Die Kombination aus Hausarzt- und Physio-Praxis hat sich bewährt«, hatte Julia erklärt, als sie Anja vor drei Jahren eingestellt hatte.
Günstig erwies sich die zentrale Lage in der Bachstraße. Es war nicht weit bis in die Aarauer Innenstadt und dem Bahnhof. Die Praxis konnte gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht werden.
Frank Forster räusperte sich abermals, und Anja fiel das leicht gerötete Gesicht auf. »Möchten Sie etwas trinken?«
»Nein, danke, es geht. Es ist nur heiß hier drin.«
Womit er recht hatte. Obwohl das Lüftungssystem auf Hochtouren lief, war es heiß und stickig, und Anja war nass geschwitzt. Leider war es nur ein Lüftungssystem und keine Klimaanlage. Der Ventilator, den sie auf ein halbhohes Regal gestellt hatte, brachte keine wirkliche Erleichterung.
»Das ist eben Sommer«, sagte Frank Forster.
»Nächste Woche wieder wie heute am Mittwoch?«, fragte Anja und reichte ihm das Terminkärtchen.
»Für mich passt das gut, aber ich dachte, Sie hätten Ferien?«
»Nein, erst übernächste Woche und leider nur kurz. Ich hänge zwei Tage an das Maienzugwochenende an.«
In einer Woche ist schon Juli, dachte Anja. Das erste halbe Jahr war für sie wie im Fluge vergangen. Gefühlt hatten sie erst gestern Silvester gefeiert.
Anja freute sich auf nächste Woche, wenn der Maienzug stattfand, das traditionelle Kinder- und Jugendfest, das das Ende des Schuljahres und den Start in die Sommerferien einläutete. Immer am ersten Freitag im Juli gab es einen Umzug durch die Stadt.
»Fahren Sie weg?«, fragte Frank Forster.
»Nein, wir bleiben in Aarau. Mein Vater hat Geburtstag, und meine Schwester kommt aus Deutschland zu Besuch.«
»Stimmt, das hatten Sie letzte Woche erwähnt. Sie wohnt in Norddeutschland.«
»Genau.« Anja begleitete Frank Forster zur Rezeption der Praxis. Als sie den Empfangstresen erreicht hatten, stützte er sich darauf ab und wischte mit der Hand über die Stirn, auf der sich Schweißtropfen gesammelt hatten.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Anja besorgt. Er war im Gesicht immer röter geworden. »Soll ich einen unserer Ärzte holen?«
»Nein, es ist nur die Hitze. Meine Frau holt mich ab. Wenn ich im klimatisierten Auto sitze, wird es gleich besser.«
Frank Forster verließ die Praxis durch die Glastür und ging zum Lift. Sein Gang war unsicher. Als Anja ihn fragen wollte, ob sie ihn nach unten begleiten sollte, öffneten sich die Lifttüren. Frank Forster hob grüßend die Hand, bevor sich die Türen schlossen.
»Was ist?«, fragte Ricarda Gallo, die sich zu Anja gesellte.
»Irgendwas ist mit Herrn Forster nicht in Ordnung.«
»Wieso?« Die Tessinerin verstärkte seit Anfang Juni das Praxisassistentinnen-Team. Das hieß, im Moment war sie die Einzige, da die beiden Kolleginnen Ferien hatten.
»Kannst du bitte einen Termin für Frau Baumann ausmachen.« Ralf Mettler, der zum Ärzteteam gehörte, trat mit einer gedrungenen Frau zu ihnen, und Ricarda umrundete den Empfangstresen.
»Ist alles gut, Anja?«, fragte er. »Du siehst besorgt aus.«
»Nein, alles ist gut.« Anja wandte sich ab und nahm eine Praline aus der Schale, die auf dem Empfangstresen stand. Julia hatte sie am Morgen hingestellt. Zum zehnjährigen Praxisjubiläum hatten sie Pralinen gekauft, die sie als kleines Dankeschön zusammen mit einer Körperlotion an die Patienten verteilten. Aber auch die Mitarbeiter sollten in den Genuss kommen, hatte sie erklärt.
»Exquisit«, hatte Anjas Physiokollege Damian geschwärmt. »Die mit Nougat und Marzipan sind einzigartig, doch die mit der Füllung aus Kaffee mit einer Nuance Kirschschnaps stellen alles in den Schatten.«
Als Anja sich auf den Weg zu ihrem Behandlungsraum machte, hörte sie Gelächter aus Paulinas Behandlungsraum. Hatte sie heute Physiopatienten? Anja meinte sich zu erinnern, dass sie einen Tag freigenommen hatte. Die Tür öffnete sich, und Paulina kam gefolgt von Eric Bieri aus dem Raum. Eric runzelte die Stirn, als er Anja erblickte. Gleich darauf glätteten sich die Falten, und er setzte ein Lächeln auf.
»Also machen wir das so?«, fragte er Paulina.
»Ja, klar. Bis morgen.« Ihr Gesicht färbte sich rot.
»Hast du nichts zu tun?«
Anja zuckte bei dem harschen Tonfall zusammen. So kannte sie Eric nicht. Eben schien er beste Laune zu sein, und keine Sekunde später fuhr er sie an.
»Ich habe erst in einer halben Stunde die nächste Patientin.«
Verwirrt schaute sie dem hageren Mann, der ruhig drei oder vier Kilo mehr auf den Rippen vertragen konnte, nach. Die Hitze macht alle gereizt, dachte sie.
Sie ging zurück in ihr Behandlungszimmer und legte die Praline neben die Tastatur. Wenn sie es sich recht überlegte, hatte sie keine Lust auf Schokolade. Eine Glace wäre ihr lieber. Anja wusch sich die Hände und ließ das kalte Wasser über ihre Handgelenke und Unterarme laufen. Sie sah so aus, wie sie sich fühlte, wenn sie ihr Spiegelbild betrachtete. Müde mit Ringen unter den Augen. Ihre Wangen waren wie die von Frank Forster gerötet, wenn auch nicht so stark, aber genug, um die Sommersprossen voll zur Geltung zu bringen. Eine Strähne ihrer rotblonden Haare hatte sich aus dem Rossschwanz gelöst und klebte an der Wange. Sie strich sie hinter das Ohr und trank einen Schluck aus ihrer Wasserflasche.
Obwohl es nichts bringen würde, kippte sie das Fenster.
Anja nahm das Laken von der Behandlungsliege, faltete es zusammen und legte es in das Fach, das mit Frank Forsters Namen beschriftet war, als draußen jemand schrie.
»Hilfe!«, kreischte eine Frau. »Machen Sie etwas.«
Erschrocken schaute Anja aus dem Fenster. Unten vor dem Eingang hatten sich fünf Leute versammelt. Sie standen um einen Mann, der auf dem Boden lag. Neben ihm kniete eine Frau. Ein blonder Mann ging zögernd in die Hocke, starrte auf den am Boden Liegenden und wusste eindeutig nicht, was er tun sollte.
Anja löste sich aus ihrer Erstarrung. Sie rannte aus dem Zimmer und stieß mit Ralf zusammen.
»Hoppla, was ist in dich gefahren?«
»Draußen vor dem Eingang ist einer zusammengebrochen«, sagte Anja und hastete weiter.
»Ich komme mit.« Ralf eilte ihr hinterher. »Ricarda, verständige die Ambulanz.«
Der Aufzug war nicht da, also rannte Anja gefolgt von Ralf die Treppen nach unten.
Inzwischen waren drei Frauen und ein Mann hinzugekommen.
»Ich bin Arzt.« Ralf schob sich durch die Ansammlung. Anja bemerkte den Mann, der am Boden lag.
»Nein!«, stieß sie hervor, als sie Frank Forster erkannte.
Nicht mehr lange, und es war endlich Feierabend. Den gesamten Nachmittag hatte Anja sich so gut wie nicht konzentrieren können. Zwar hatte keiner der Patienten etwas gesagt, aber sie mussten gespürt haben, dass sie nicht bei der Sache war.
Anja sah deutlich vor sich, wie Ralf neben Frank Forster am Boden gekniet und Erste Hilfe geleistet hatte. Forsters Frau hatte danebengestanden, die Faust gegen den Mund gepresst. Tränen waren ihr über die Wangen gelaufen.
»Er ist einfach zusammengesackt, als er einsteigen wollte«, hatte sie die ganze Zeit wiederholt.
Zum Glück war das Kantonsspital keine zwei Fahrminuten entfernt. Trotzdem war es Anja wie eine Ewigkeit vorgekommen, bis die Ambulanz eingetroffen war. Frank Forsters Gesicht war aschgrau gewesen, als die Sanitäter ihn auf der Liege an Anja vorbeigetragen hatten, nachdem sie ihn stabilisiert hatten. Mit Blaulicht waren sie abgefahren.
Ralf hatte Forsters Frau zu seinem Wagen auf dem Ärzteparkplatz geführt und war kurz darauf der Ambulanz zum Kantonsspital Aarau gefolgt.
Als er zurückgekehrt war, war er mit einem »keine Ahnung« Anjas fragendem Blick ausgewichen und in seinem Behandlungszimmer verschwunden. Kurz darauf hatte sie gehört, wie er telefoniert hatte. Worum es ging, hatte sie nicht verstehen können. Sie hatte nur mehrmals Forsters Namen gehört.
»Ich denke, wir können auf einen zweiwöchigen Rhythmus umsteigen, wenn Sie einverstanden sind«, sagte sie zu Barbara Gisler.
»Das passt gut«, erwiderte die Fünfzigjährige, als Anja einen Terminvorschlag machte. »Danach bin ich für zwei Wochen verreist.«
Erleichtert schloss Anja die Tür und stellte sich ans Fenster. Ihre Gedanken schweiften zurück zu Frank Forster. Sie machte sich Vorwürfe. Zwar war sie keine Ärztin, aber das gerötete Gesicht und das offensichtliche Unwohlsein konnten Anzeichen für einen Herzinfarkt gewesen sein. Wenn sie hartnäckiger gewesen wäre, hätte sie es vielleicht verhindern können.
Barbara Gisler verließ das Gebäude, hielt sich rechts und ging zum Veloständer. Sie befestigte die Handtasche auf dem Gepäckträger und fuhr los. Genau über die Stelle, an der Frank...
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