Schweitzer Fachinformationen
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Girls just wanna have fun(damental rights)!
GIRLHOOD vereint in ergreifenden Erzählungen die Gemeinsamkeiten sowie Herausforderungen, denen sich Mädchen und junge Frauen beim Aufwachsen stellen müssen. Rassismus, Bodyshaming, Mobbing, Social Media und das Recht auf Selbstbestimmung - Themen, die uns entweder selbst betreffen oder aber einen Perspektivwechsel ermöglichen. Doch ganz gleich, welche Probleme und Schwierigkeiten unsere Heldinnen bewältigen müssen, schlussendlich bleibt eine gemeinsame Botschaft: Wir sind stark, wir sind selbstbestimmt, wir sind mehr als die Hindernisse, die uns begegnen. Ein kraftvolles Plädoyer für Zusammenhalt und gegen Ungerechtigkeiten - und damit genau das, was junge Leser:innen in der heutigen Zeit brauchen.
Die Jungs in der Schule hatten damals ein 15-Punkte-System eingeführt, um uns Mädchen zu bewerten. Es gab fünf mögliche Punkte fürs Gesicht, fünf Punkte für den Körper und fünf Punkte für den Charakter. Die erreichte Punktzahl bestimmte nicht nur unseren sozialen Status, sondern auch unseren Spitznamen. Meine Freundin Chrissi war zum Beispiel die Zwölf und ich die Zehn.
»Dein Gesicht und dein Charakter sind beide eine fünf von fünf«, hatte mir der Klassenclown Max damals gütig mitgeteilt. Dass er meinen Körper mit genau null Punkten bewertet hatte, sagte er mir nicht direkt. »Kopf hoch«, meinte er stattdessen. »Dafür haben Models keinen Humor.«
Ich unterdrückte die Wut, die sofort in mir aufstieg, und tat amüsiert: »Echt? Wie viele Models kennst du so?«
Max schwieg. Seine Theorie, dass dünne, hübsche Frauen nicht gleichzeitig witzig sein konnten, war unbegründet. Er dachte, er hätte mir ein Kompliment gemacht: Ich war vielleicht nicht dünn genug, aber dafür konnte ich mit meinen inneren Werten punkten. Was für ein Glück, dass die Jungs in meinem Alter gar nicht oberflächlich waren. Ha-Ha!
Im Nachhinein wünsche ich mir, ich hätte mich dagegen gewehrt. Im Nachhinein hätte ich Max gerne gesagt, dass mich die Meinung eines verwöhnten Rich Kid, dessen Celebrity-Doppelgänger der Esel von »Shrek« ist, überhaupt nicht interessiert. Dafür fehlte mir in der achten Klasse aber einfach der Mut.
Außerdem wäre das gelogen gewesen. Natürlich hat mich seine Meinung interessiert. Natürlich habe ich mich geschämt, dass meine Oberschenkel doppelt so breit waren wie die meines Sitznachbarn. Natürlich fand ich's schade, dass ich die Pullis meiner Kumpels nie ausleihen konnte, weil sie bei mir nicht oversized, sondern klein aussahen. Aber wenigstens hatte ich genug Stolz, um so zu tun, als wäre mir meine Punktzahl egal.
Ich habe nicht versucht abzunehmen. Im Gegenteil: Ich habe umso mehr Süßigkeiten gegessen. Einerseits, weil ich den Jungs aus der Klasse überhaupt nicht gefallen wollte. Andererseits, weil das Essen ein gähnendes Loch in meiner Seele füllte, das im Laufe der Jahre immer größer geworden war.
Doch egal, wie taff ich nach außen wirkte, innerlich war mir eins klar: Max hatte recht. Mein Körper war eine Null. Und manchmal wünschte ich mir, er wäre einfach unsichtbar.
So war's damals.
So ist es auch jetzt.
Wenn meine Freunde gestellte Fotos bei Sonnenuntergang machen, melde ich mich sofort als Fotografin. Schon vor Jahren wurde mir beigebracht, die Bilder aus einem ganz bestimmten Winkel zu knipsen, damit die anderen möglichst gut aussehen. Weil der Winkel bei mir keinen Unterschied macht, bleibe ich lieber hinter der Kamera.
Außerdem vermeide ich Spiegel. Ich bestelle Klamotten nur noch online, damit ich mich nicht in der schlecht beleuchteten Umkleidekabine sehen muss, und ich nehme inzwischen immer die Treppen, um dem Spiegel im Aufzug auszuweichen. (Ja, das ist mit Abstand der krasseste Teil meines Alltags. Ich hasse Treppen.)
Dass ich mich nicht mehr wiege, sollte auch keine Überraschung sein. Schon seit ich ein Kind bin, zeigt die verdammte Waage eine größere Zahl an als die, die meine Eltern sehen wollen. Dementsprechend versteckt meine Mom die Süßigkeiten vor mir, während mein Dad mich beim Essen genau beobachtet und dann Dinge sagt wie »Echt? Hast du immer noch Hunger?« oder »Bist du sicher, dass du das noch essen willst?«. Das führt schließlich dazu, dass meine Oma mir heimlich Snacks ins Zimmer bringt und ich noch mehr davon esse, als wenn ich mir einen kleinen Nachtisch gegönnt hätte. Aber hey: Wenn ich sie in fünf Jahren auf dieses Trauma anspreche, werden meine Eltern sowieso so tun, als könnten sie sich nicht daran erinnern. Was für ein gemeiner Boomer-Trick.
Wenn ich mich mit Freunden treffe, verabreden wir uns »zum Reden«. Würde ich mit ihnen tanzen gehen, müsste ich meinen Körper spüren. Bei Deeptalks kann ich wiederum meine besten Eigenschaften zur Schau stellen: mein Gesicht (5/5) und meinen Charakter (5/5). Danke, Max!
Doch sogar bei solchen Treffen werde ich früher oder später daran erinnert, dass ich auch einen Körper habe.
»Dessi? Ist dir kalt?«
Chrissi, die mir im Restaurant gegenüber sitzt, beäugt mich skeptisch. Ich blicke an mir herunter und stelle fest, dass ich leicht zittere.
»Ähm, ja, ein bisschen«, gebe ich zu und lege meine Hände automatisch unter meine Oberschenkel, um sie zu wärmen. Obwohl schon Oktober ist, habe ich heute nur eine Ripped Jeans und einen dünnen Pulli angezogen. Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe.
»Hier, nimm meine Jacke«, bietet Chrissi großzügig an und beginnt, ihre neonpinke Bomberjacke auszuziehen. Sie besitzt kein einziges Kleidungsstück, das schwarz oder weiß ist. Alles an ihr ist bunt. Inklusive ihrer blauen Haare.
»Nein! Alles gut!«, grätsche ich panisch dazwischen. Ich will ganz bestimmt nicht ihre Jacke anprobieren. »Die wär mir eh zu klein.«
»Ach, jetzt tu nicht so! Wir haben doch die gleiche Größe.« Chrissi hat sich bereits ausgezogen und drückt mir das pinke Teil in die Hand. Ich seufze.
Chrissi doesn't see size. Oder zumindest tut sie gerne so, um ja nicht meine Gefühle zu verletzen. Was sie nicht versteht: Ich habe funktionierende Augen. Ich sehe, dass sie deutlich dünner ist als ich (ihr Körper wurde nicht umsonst mit vier von fünf Punkten bewertet).
Ich wäre überhaupt nicht sauer, wenn sie einfach zugeben würde, dass mir ihre Kleidung nicht passt. Das ist ein Fakt. Aber solche Fakten übersieht Chrissi lieber.
»Jetzt komm schon! Probier sie zumindest an!«, fordert sie mich ungeduldig auf.
»Na gut«, gebe ich nach.
Ich sollte Nein sagen. Ich sollte bei meiner Meinung bleiben und die anstehende Demütigung vermeiden. Doch dann meldet sich diese eine kleine Stimme zu Wort. Die Stimme, die mich dazu verleitet, Chrissi zu glauben.
Vielleicht hat sie recht, sagt sie verlockend. Vielleicht bist du dünner als du denkst.
Hoffnungsvoll stecke ich meinen linken Arm in den pinken Ärmel und versuche das Gleiche auf der anderen Seite. Doch dann wird wahr, was ich befürchtet hatte: Meine Schultern sind zu breit und die Jacke zu eng. Sie passt mir nicht mal annähernd.
»Hab ich doch gesagt«, kommentiere ich und achte extra drauf, nicht frustriert zu klingen. Ich will den Anschein wahren, dass ich im Gegensatz zu Chrissi nicht delusional bin. »Viel zu klein.«
Meine Freundin sieht mich verdutzt an. »Sicher? Versuch mal -«
»Chrissi«, unterbreche ich sie so ruhig wie möglich. »Sie passt nicht.«
Ich gebe ihr die Jacke zurück und öffne die Speisekarte. Je trauriger ich bin, desto hungriger werde ich. Wir haben zwar schon eine Vor- und eine Hauptspeise gegessen, doch mein Körper schreit plötzlich nach Zucker.
»Zwei Schokokuchen«, bestelle ich, als der Kellner bei uns vorbeischaut und fragt, ob es noch was sein darf.
Er notiert sich meine Bestellung und grinst mich an. »Kommt sofort.«
Während wir warten, räuspert sich Chrissi nervös. »Ähm, ich hab eigentlich keinen Hunger mehr.«
»Schon klar«, entgegne ich. »Ist beides für mich.«
Als der Kellner mit den zwei Schokokuchen zurückkehrt, stellt er einen vor mich, den anderen vor Chrissi.
»Guten Appetit!«
Er sieht noch, wie Chrissi ihren Teller automatisch zu mir schiebt und mich freundlich anlächelt. So, als würde ihre Geste den Jacken-Fail wiedergutmachen.
Stattdessen erreicht sie damit genau das Gegenteil.
Der Kellner sieht überrascht zwischen mir und den zwei Schokokuchen hin und her, bevor er schließlich die dünne Chrissi auscheckt und belustigt schnaubt. »War ja klar.«
Ich schlucke.
Innerlich würde ich am liebsten losheulen. Nach außen lasse ich mir aber nichts anmerken und mache stattdessen einen Witz.
»Warum war das klar?«, kontere ich. »Steht's meiner Freundin ins Gesicht geschrieben, dass sie laktoseintolerant ist?«
Der Kellner läuft rot an. Natürlich würde er jetzt nicht laut zugeben, dass er mich in Wahrheit gefatshamt hat. »Äh, ja, genau«, stammelt er nervös. »Du hast es.«
Mit diesen Worten dreht er uns den Rücken zu und flieht in die Küche. Lol. Ich verwette meine rechte Hand, dass er zum Abkassieren einen Kollegen vorschickt.
Feigling.
»Dessi«, flüstert Chrissi, während ich mir energisch den ersten Schokokuchen in den Mund stopfe. »Es tut mir leid. Ich -«
»Ich weiß«, unterbreche ich sie, bevor sie eine große Sache draus machen kann. Es ist auch eine große Sache - aber ich kann und will nicht mit ihr darüber reden.
Chrissi ist eins dieser Mädchen, die in Klamottenläden sofort ihre Größe finden und zur U-Bahn sprinten können, ohne dabei ihre Brüste festhalten zu müssen. Sie gehört zu den Menschen, die sich easy-peasy auf den Schoß ihres Crushes setzen können, ohne sich Sorgen über ihr Gewicht zu machen. Sie isst nur, wenn sie Hunger hat, und das auch immer in Maßen. Wie man sich nur eine...
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