Der Gute König...
...und sein Hofnarr
Es war einmal . ein guter König, der herrschte im kleinen, beschaulichen Königreich Mittelland. Es lag weit abgelegen hinter hohen Bergen und tiefen, dunklen Wäldern. Als König war er bei seinen Untertanen beliebt und hoch angesehen. Alle verneigten sich vor ihm, denn er sorgte gut für sie. Stets gab es genug Arbeit, jeder hatte ein Dach über dem Kopf, niemand musste des Hungers leiden. Dem Königreich ging es sehr gut. Die Handwerker von Mittelland und ihre Töpfe und ihr Geschirr wurden von den benachbarten Königreichen gerühmt. Die Produkte waren überall geschätzt für ihre besondere Qualität. Alle wollten sie.
Eines schönen Tages wurde dem König gewahr, dass immer weniger Menschen aus den benachbarten Königreichen seine Töpfe und sein Geschirr kaufen wollten. Von Herolden erfuhr er, dass viele Könige inzwischen gestorben waren oder abgedankt haben. Ihre Prinzen kannten den Namen Mittelland nicht mehr. Sie kauften nun ihr Geschirr dort, wo es viel billiger war. Zu allem Überdruss: Immer weniger junge Handwerker wollten nach Mittelland ziehen, um dort zu leben und zu arbeiten. An das Land und sein edles Geschirr konnte sich niemand mehr erinnern. Die wenigen treuen Untertanen, die dem König noch blieben, wurden immer älter und zogen sich langsam auf ihr Altenteil zurück. Immer weniger Handwerker konnten die gerühmten Waren herstellen und Mittelland verkaufte immer weniger. Und so wurde Mittelland immer ärmer und die Menschen gerieten zusehends in große Not.
Da hatte der Hofnarr des Königs eine Idee: "Mein König, sendet unsere Herolde aus, lasst unser Königreich rühmen. Lasst in alle Welt verkünden: "Mittelland macht Euch glücklich!" "Ich soll billige Reklame machen? Das steht unter meiner königlichen Würde. Ein König tut so etwas nicht! Was sollen die anderen Könige von mir denken? Außerdem stimmt es nicht. Ich bin nicht mehr glücklich, und meine Untertanen sind es auch nicht." "Nein, oh Herr, ich meine ... macht Mittelland zu einem Begriff, gebt dem Namen "Mitteland" eine Bedeutung, eine Haltung, woran sich die Menschen erinnern." "Paperlapapp", entgegnete ihm der König, "dummer Narr." Mit diesen Worten versank der König in tiefe Verzweiflung. Er war voller Sorgen um sein kleines Königreich, das niemand mehr kannte und dessen Geschirr niemand mehr kaufen wollte.
Um seiner Trübsal zu entfliehen, beschloss der gute König, einen Ausflug. So zog er aus mit seinem königlichen Hofstaat und reiste durch Mittelland. Auf einem seiner Wege begegnete sein Tross einem ärmlichen, zerlumpten Bettler, der sich mühsam auf seinem Gehstock krümmte. "Aus dem Weg, hier kommt der König", rief der Heermeister stolz von seinem hohen Ross herab. Der Bettler trat wie ihm geheißen zur Seite und verneigte sich in Demut. Als die prächtige Königskutsche an ihm vorbeifuhr, rief er: "Haltet ein, Euer Gnaden!" Überrascht von der Courage des Bettelmannes, ließ der gute König die Kutsche anhalten, sehr zum Entsetzen des Heermeisters.
Der Bettler rief: "Ihr seid ein guter König. Eure Untertanen lieben Euch, darum will ich Euch helfen." Der Heermeister rief harsch: "Seid ihr des Wahnsinns? Wie sprecht ihr mit eurem König? Wie vermag ein zerlumpter Strolch wie du elendiger dem König zu helfen?" Der überraschte König sprach sodann: "Heermeister, gemach, lasst ihn reden. Ich will hören, was mir der Bettelmann zu sagen hat. "Herr König", begann der Bettler mit ruhiger, eindringlicher Stimme, "Ihr seid ein König, der sich stets um das Wohlergehen seines Volkes sorgt. Doch nun sehe ich, dass Eure Majestät den Mut verloren haben. Ihr sorgt Euch um das, was andere Könige über Euch denken, um den Wert Eurer Waren und um das Ansehen Eures Königreiches. Aber sagt mir, oh mein König, warum regiert Ihr? Was bewegt Euch im Innersten, das Schicksal Eures Volkes zu lenken?" Der König, überrascht von der Frage, dachte kurz nach. "Ich will, dass mein Volk glücklich ist. Ich will, dass mein Königreich gedeiht und bekannt ist, dass die Menschen wissen, dass es sie glücklich macht und wer wir sind und was wir gemeinsam schaffen."
Der Bettler lächelte weise. "Dann, mein König, müsst Ihr handeln. Nicht, weil es Euch vor den anderen Königen gut dastehen lässt, sondern weil Euer Volk dieses Glück verdient. Darum sage ich Euch: In Eurem Königreich liegt ein Schatz verborgen. Ich sage Euch, wo Ihr ihn findet. Dieser Schatz liegt nicht in Gold oder Reichtümern. Dieser Schatz liegt in der Überzeugung, "warum" Ihr regiert. Vertraut nicht darauf, was andere Könige denken. Hört lieber auf die Narren und Bettler in Eurem schönen Königreich. Denn sie sprechen die Wahrheit. Folgt Eurem Herzen. Wenn Ihr das 'Warum' in alles legt, was Ihr tut, dann werdet Ihr Euer Reich alsbald in eine goldene Ära führen."
Der gute König war überwältigt. Er ließ dem Bettler ein großzügiges Almosen überreichen und gab seinem Heermeister den Befehl zum Weiterfahren. Aber die Worte des Bettelmannes ließen ihn nicht los: Woher kannte er mein Ungemach? Woher wusste er von meinem Hofnarren? Da erinnerte er sich wieder an dessen Worte. Und so beschloss er, seinem Rat zu befolgen. Sogleich hatte er eine Idee. Zurück auf seinem Schloss erdachte er mit seinem Heermeister, einem erfahrenen Haudegen und Strategen, einen verwegenen Plan, den nie ein König je vor ihm erdachte.
Sein Königreich lebte in friedlichen Zeiten. Seine Armee war unnütz und verschlang viel Geld. Sogleich ließ der Heermeister alle seine Soldaten zu Herolden und Posaunisten umschulen. Ihre Schwerter und Rüstungen ließ er einschmelzen und in prächtige Fanfaren umschmieden. Diese glänzten silbrig in der Sonne und waren wunderschön anzusehen. Alsdann ritten tausende Herolde auf ihren schnellen Kriegspferden und unter der strategischen Führung des Heermeisters in alle Himmelsrichtungen und Länder hinaus und posaunten die frohe Botschaft in die Welt: "Mittelland macht Euch glücklich." Die Fanfaren des Königs aus Mittelland und seine ungewöhnliche Botschaft ließen die Menschen aufhorchen. Sie wurde überall gehört - und gerne gehört, denn sie brachte etwas Hoffnung und Glück in den mühseligen und harten Alltag der Menschen.
Bald freute man sich über die Herolde aus Mittelland, weil sie ein Land verhießen, in dem alle Menschen glücklich und zufrieden leben. Weil die Posaunen der prächtig gewandeten Herolde auf ihren herrlichen Schlachtrössern strahlend schön wie Silber in der Sonne glänzen, dachte alle, Mittelland müsse sagenhaft reich sein. Bald strömten die Menschen in das vermeintlich so glückliche Königreich. Von nah und fern eilten sie herbei. Es kamen nicht nur das einfache Volk, auch deren Könige und Fürsten interessierten sich nun für dieses Mittelland, das jetzt in aller Munde war.
Auf dem großen Marktplatz ließ der König seine Musikanten frohe Lieder spielen, seine Gaukler schlugen ihre Kapriolen und man verteilte kostenloses Bier und Brot. Die Menschen tanzten, lachten, tranken, aßen und alle waren sich einig: Es ist wirklich wahr, Mittelland macht uns alle glücklich! Die Könige und Prinzen aus den anderen Königreichen sahen das schöne Geschirr und die Töpfe aus Mittelland feilgeboten auf fröhlich bunten Marktständen. Ihre glücklichen Untertanen verlangten nach ihnen. Und die Könige kauften sie in großen Mengen. Sie waren sogar bereit, den dreifachen Preis zu bezahlen. Mittelland wurde immer reicher. Das sprach sich herum. Viele junge Menschen zogen nun nach Mittelland, um in diesem glücklichen Land zu leben und zu arbeiten. Der König hatte jetzt wieder genug gute Handwerker und die fertigten noch mehr schönes Geschirr und die überall gerühmten Töpfe.
Keiner der anderen Könige machte sich je lustig über die Reklame des guten Königs von Mittelland. Im Gegenteil, sie priesen seinen Mut und Einfallsreichtum und machten es ihm gleich. Und so kam es, dass auch die anderen Könige immer reicher wurden und noch mehr Töpfe und Geschirr aus Mittelland kaufen konnten. Doch weil Mittelland das allererste Land war, das Reklame für sich machte, stieg Mittelland unaufhaltsam zum mächtigsten und wohlhabendsten Königreich seiner Zeit auf.
Nie konnte ein anderes Königreich es je mit dem Reichtum von Mittelland aufnehmen. All das verdankte der gute König seinem schlauen Hofnarren mit seiner weisen Botschaft, die sehr, sehr viele Menschen sehr glücklich machte. Noch heute erinnern sich viele Menschen an Mittelland, ein Land, in dem alle Menschen glücklich und zufrieden lebten. Zum Dank gab der König dem Hofnarren seine...