Schweitzer Fachinformationen
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Wie ich schon sagte, wir beginnen da, wo ich von dem Auto angefahren wurde.
Müssen wir sogar. Denn davor war ziemlich lange nichts. Nichts und nichts und nichts und dann -
Etwas.
Ich, dort, auf der »Straße«.
Kaum angekommen, hatte ich mehrere Reaktionen. Erstens, was war da bloß mit dem Wetter los? Zweitens, wo war der Computer? Es musste ein Computer da sein. Drittens, was war das für ein Geräusch, dieses gedämpfte Röhren? Und viertens: Es war Nacht. Ich war an Nacht nicht gewöhnt. Und selbst wenn, diese Nacht war keine normale Nacht. Es war eine Nacht, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Es war Nacht hoch Nacht hoch Nacht. Die dritte Potenz der Nacht. Ein Himmel von kompromissloser Finsternis, ohne Mond und ohne Sterne. Wo waren die Sonnen? Gab es hier überhaupt Sonnen? Nach der Kälte zu schließen vielleicht nicht. Die Kälte war ein Schock. Sie schmerzte in den Lungen, und ich schlotterte im eisigen Wind, der gegen meine Haut peitschte. Ich fragte mich, ob Menschen je aus dem Haus gingen. Sie mussten verrückt sein, wenn sie es taten.
Das Einatmen fiel mir zunächst schwer. Und das war ein Problem. Denn Atmen war eine der wesentlichen Anforderungen, die an einen Menschen gestellt wurden. Dann, nach einer Weile, hatte ich es raus.
Doch schon tauchte das nächste Problem auf. Ich war nicht an dem Ort, an dem ich sein sollte, wie mir immer klarer wurde. Ich sollte da sein, wo er gewesen war. Ich sollte in einem Büro sein. Aber das hier war kein Büro, das wusste sogar ich. Es sei denn, es gab Büros, in denen ein ganzer Himmel existierte, mit dunklen, sich hoch auftürmenden Wolken und diesem unsichtbaren Mond.
Es dauerte eine Weile - zu lange -, bis ich die Situation verstand. Ich wusste ja nicht, was eine Straße ist. Heute kann ich sagen, dass eine Straße die Verbindungsstrecke zwischen einem Abfahrtspunkt und einem Ankunftspunkt ist. Das ist wichtig. Auf der Erde mit ihrer bekanntermaßen rudimentären Technologie verbringt man viel Zeit auf der Strecke zwischen zwei Punkten - auf Straßen, auf Gleisen, in Karrieren oder in Beziehungen.
Die spezielle Art von Straße, auf der ich mich befand, war eine Autobahn. Autobahnen waren die fortschrittlichsten Straßen auf der Erde, was, wie bei den meisten fortschrittlichen Errungenschaften der Menschen, mehr oder weniger bedeutete, dass die Lebensgefahr hier größer war als anderswo. Meine nackten Füße standen auf einer Oberfläche aus Asphalt, dessen fremde, brutale Textur ich an den Fußsohlen spüren konnte. Ich betrachtete meine linke Hand. Sie wirkte krude und fremd, doch das Lachen verging mir, als ich mich erinnerte, dass dieses groteske Fingerding ein Teil von mir war. Ich war mir selbst fremd. Und das gedämpfte Röhren hörte ich immer noch, nur inzwischen nicht mehr gedämpft.
Etwas bewegte sich mit erheblicher Geschwindigkeit auf mich zu.
Lichter.
Weiß, breit und niedrig, wie die leuchtenden Augen eines auf mich zuschnellenden Raubtiers mit silbernem Rücken. Das jetzt ein schreckliches Kreischen ausstieß. Es versuchte langsamer zu werden und auszuweichen.
Ich hatte keine Zeit mehr, ihm aus dem Weg zu gehen. Ich hatte zu lange gewartet.
Es traf mich mit massiver, unnachgiebiger Kraft. Einer Kraft, die mich von den Füßen riss und durch die Luft fliegen ließ. Außer dass ich nicht wirklich flog, denn Menschen können nicht fliegen, egal wie sehr sie mit den Gliedern flattern. Die einzige Option war Schmerz. Ich spürte ihn, bis ich landete, und dann war da wieder nichts.
Nichts und nichts und -
Über mir stand ein Mensch in Kleidern. Die Nähe seines Gesichts war irritierend.
Nein, mehr als irritierend.
Widerlich, schockierend. Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Das Gesicht wirkte so fremd, voller unerklärlicher Öffnungen und Vorsprünge. Vor allem die Nase fiel mir unangenehm auf. In meinen unschuldigen Augen sah es aus, als steckte etwas in ihm, das sich nach außen kämpfen wollte. Ich richtete den Blick nach unten. Bemerkte seine Kleidung. Er trug etwas, das ich später als Hemd und Krawatte, Hose und Schuhe identifizieren konnte. Die passende Kleidung für den Anlass, und doch wirkte sie dermaßen ausgefallen auf mich, dass ich nicht wusste, ob ich lachen oder schreien sollte. Der Mensch sah sich meine Verletzungen an. Oder besser: Er suchte danach.
Ich musterte meine linke Hand. Sie war unversehrt. Das Auto hatte meine Beine getroffen, dann meinen Torso, doch meiner Hand ging es gut.
»Das ist ein Wunder«, sagte er leise, als würde er mir ein Geheimnis anvertrauen.
Doch die Wörter hatten keine Bedeutung für mich.
Er starrte mir ins Gesicht und hob die Stimme, um den Lärm der anderen Autos zu übertönen. »Was machen Sie hier draußen?«
Wieder nichts. Ich sah nur einen Mund, der sich bewegte und Geräusche von sich gab.
Es war klar, dass es sich um eine einfache Sprache handeln musste, aber ich war nicht besonders sprachbegabt. Ich brauchte mindestens hundert Worte einer neuen Sprache, bevor ich das ganze grammatikalische Puzzle zusammensetzen konnte. Ich weiß, manche von euch brauchen nur zehn Worte oder einen einzigen Konditionalsatz. Aber ich war nie gut in Sprachen gewesen. So wie ich auch eine Aversion gegen das Reisen hatte. Ich möchte es noch einmal sagen: Ich wollte nicht hierher. Es war ein Job, den irgendwer erledigen musste, und nach meiner blasphemischen Rede im Museum der quadratischen Gleichungen - meinem sogenannten Verbrechen gegen die mathematische Reinheit - hielten die Moderatoren die Mission für eine angemessene Strafe. Und sie wussten natürlich, dass niemand, der klar bei Verstand war, die Aufgabe freiwillig übernehmen würde.
»Ich kenne Sie doch von irgendwoher. Ich kenne Ihr Gesicht. Wer sind Sie?« Noch mehr unverständliche Wörter.
Ich war müde. Das war der Nachteil von Teleportation, Substanzverschiebung und Bio-Setting. Es schlauchte einen völlig. Auch wenn man am Ende wieder bei sich war, kostete es einen Haufen Energie.
Ich glitt in die Dunkelheit zurück und versank in Träume in Violett und Indigo, den Farben der Heimat. Ich träumte von Primzahlen und sich ständig verändernden Skylines.
Und dann wachte ich auf.
Ich befand mich in einem merkwürdigen Fahrzeug, an ein primitives Herzlesegerät geschnallt. Zwei Menschen, ein männlicher und ein weiblicher (das Äußere des weiblichen bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen: Die Hässlichkeit war in dieser Spezies nicht auf ein Geschlecht beschränkt), in grüner Kleidung. Sie redeten mit großer Aufregung auf mich ein. Vielleicht lag es daran, dass ich mir mit meinen neu erworbenen oberen Gliedmaßen die schlecht designte elektrokardiografische Ausrüstung vom Leib riss. Sie versuchten mich niederzuhalten, doch offensichtlich fehlte ihnen jedes mathematisch-physikalische Verständnis, und so gelang es mir mit relativer Leichtigkeit, die beiden grün gekleideten Menschen auf den Boden des Fahrzeugs zu befördern, wo sie, sich windend, liegen blieben.
Während ich aufstand und versuchte, die Schwerkraft auf diesem Planeten einzuschätzen, drehte sich der Fahrer zu mir um und redete ebenfalls mit großer Aufregung auf mich ein. Das Fahrzeug bewegte sich sehr schnell, und das heulende Geräusch der Sirene war ein unbestreitbarer Störfaktor, aber ich schaffte es, die Tür zu öffnen und in die weiche Vegetation am Straßenrand zu springen. Mein Körper überschlug sich. Ich versteckte mich. Sobald es sicher war, kam ich wieder auf die Füße. Im Vergleich zur menschlichen Hand ist der Fuß relativ harmlos, wenn man von den Zehen absieht.
Ich stand eine Weile da und starrte die seltsamen Autos an, die an der Horizontalen klebten, offensichtlich auf fossile Brennstoffe angewiesen, und jedes für sich mehr Lärm machten als ein Polygongenerator. Noch mehr wunderte ich mich über den Anblick der Menschen, die sogar in ihren Fahrzeugen Kleidung trugen, eine kreisförmige Steuereinheit umklammert hielten und manchmal mit externen, nicht biologischen Telekommunikationsgeräten hantierten.
Ich bin auf einem Planeten gelandet, wo die intelligenteste Lebensform immer noch selbst mit einem Auto fahren muss .
Nie zuvor hatte ich die einfachen Freuden, mit denen wir aufgewachsen sind, so zu schätzen gewusst. Das ewige Licht. Der elegant fließende Verkehr. Das hoch entwickelte Pflanzenleben. Die süße Luft. Das Nicht-Wetter. Oh, geneigte Leser, ihr wisst nicht, wie gut ihr es habt.
Hochfrequenzhupen plärrten, wenn Autos an mir vorbeischossen. Gesichter mit aufgerissenen Augen und offenen Mündern starrten mich durch die Scheiben an. Ich verstand nicht warum. Ich war genauso hässlich wie sie. Was war so auffällig an mir? Was machte ich falsch? Vielleicht lag es daran, dass ich nicht in einem Auto saß. Vielleicht lebten die Menschen dauerhaft in ihren Fahrzeugen? Oder daran, dass ich keine Kleidung trug. Es war eine kalte Nacht, aber konnte es wirklich an etwas so Trivialem wie dem Fehlen einer künstlichen Hautbedeckung liegen? Nein, so simpel konnte es nicht sein.
Ich blickte hinauf in den Himmel.
Inzwischen war hinter einer dünnen Wolkenschicht ein verschwommener Mond zu sehen. Auch er schien voller Entrüstung zu mir herabzustarren. Nur die Sterne ließen sich nicht blicken, dabei sehnte...
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