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Der kürzeste Witz, der im Frühjahr 2021 im politischen Berlin erzählt wurde, ging so:
"Olaf Scholz wird Bundeskanzler."
Im Winter des Jahres wurde er es tatsächlich.
Dies ist die Geschichte eines Politikers, der belächelt und als Scholzomat verspottet wurde, den die eigene Partei lange nicht geliebt hat und der trotzdem fest daran glaubte, eines Tages Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden. Die Scholz-Story hat auch deshalb etwas Unglaubliches, weil 2021 alles genauso gekommen ist, wie Olaf Scholz es vorhergesagt hat - und zwar schon 2018.
Lars Haider, Jahrgang 1969, ist Journalist und Autor. Er war in verschiedenen Chefredaktionen bei deutschen Zeitungen tätig, bevor er im Juli 2011 Chefredakteur des Hamburger Abendblatts wurde. Aus dieser Zeit kennt er Olaf Scholz, den er wahrscheinlich so oft wie wenige andere Journalisten in Deutschland getroffen hat, und dem er immer zugetraut hat, eines Tages Bundeskanzler zu werden.
"Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch"Das Prinzip Scholz
Als Olaf Scholz ein kleiner Junge war, hat er zwei Musikinstrumente gelernt: Blockflöte, wie das viele Schüler tun, und Oboe. Das passt an den Beginn eines Kapitels, in dem es um Scholz' Führungsstil gehen soll. Denn die Oboe gibt, wenn ich meinem Kollegen und allseits geschätzten Konzertkritiker Joachim Mischke glauben darf, dem Orchester das "A" vor "und damit die Stimmung".
Dass Olaf Scholz gern den Ton angibt, ist keine neue Erkenntnis. Wer ihn in seinen verschiedenen Rollen als Generalsekretär der SPD, Minister oder Bürgermeister beobachtet hat, erlebte einen Mann, der sehr macht- und selbstbewusst ist, der genau weiß, was er will, und, fast noch wichtiger, was er nicht will. Es klingt nicht selten Kritik mit an diesen Eigenschaften, etwa wenn die ZEIT davon schreibt, dass die Abkürzung OWD für "Olaf will das" ein geläufiger Begriff im Hamburger Rathaus gewesen sei. Scholz vorzuwerfen, ein Machtmensch zu sein, der sich durchsetzt, wäre aber in etwa so, wie FC Bayern Münchens Stürmerstar Robert Lewandowski dafür zu kritisieren, dass er jedes Mal eiskalt ein Tor schießt, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. Olaf Scholz wäre nicht Kanzler geworden, wenn er nicht den Willen und den Spaß hätte, anderen Menschen zu sagen, wie sie etwas zu machen haben, wenn er nicht die Richtlinien und Richtungen der Politik selbst bestimmten wollte. Die entscheidende Frage dabei ist, gerade im Blick auf die Stabilität und den Fortbestand der Koalition aus SPD, Grünen und FDP bis zur nächsten Bundestagswahl, ob er neben sich andere glänzen lassen kann.
Man muss wissen: Der neue Kanzler ist ein Besserwisser. Auch das klingt zunächst einmal nicht besonders nett, um nicht zu sagen böse, ist aber nicht so gemeint. Wer schreibt, dass Olaf Scholz ein Besserwisser ist, schreibt in den meisten Fällen nur die Wahrheit. Er kennt sich in den Tiefen der Politik, in Sach- und Detailfragen so gut aus wie wenige in Deutschland. Er ist einer dieser Aktenfresser, die andere Entscheidungsträger, die sich schnell und oberflächlich von Referenten informieren lassen, fürchten. Scholz will Informationen aus erster Hand, er liest viel, und, auch das, er hört gern und lange zu, wenn er glaubt, dass andere Menschen etwas zu sagen haben und er von ihnen lernen kann.
Wer mit Olaf Scholz in Verhandlungen geht, muss wissen, dass er maximal vorbereitet ist und jede inhaltliche Schwäche des Gegenübers erkennt und für die eigene Sache nutzt. "Man muss extrem ausgeschlafen sein, idealerweise auch bis ins letzte Detail gut vorbereitet, wenn man mit ihm verhandelt", sagte Katharina Fegebank. "Und man muss eine Idee davon haben, wo man hinwill." Fegebank ist 2015 unter Scholz Zweite Bürgermeisterin und Hamburger Wissenschaftssenatorin geworden, sie hat damals unter anderem mit ihm die rot-grüne Koalition verhandelt. Und sie hatte es nicht leicht, weil Scholz bei der Bürgerschaftswahl zuvor nur knapp erneut die absolute Mehrheit verpasst hatte. 45,6 Prozent der Stimmen für seine SPD bedeuteten eine deutlich andere Verhandlungsposition, als es die 25,7 Prozent nach der Bundestagswahl 2021 waren. Entsprechend liefen die Gespräche zwischen Sozialdemokraten und Grünen ab, die in Hamburg knapp über zwölf Prozent kamen. Am Ende bezeichnete Scholz in einem für ihn auch nicht unüblichen Anflug von Überheblichkeit den neuen Senat als Fortsetzung der Alleinregierung mit "grünem Anbau". Das war so falsch nicht, siehe oben, ärgerte Katharina Fegebank trotzdem. Als sie ihn aufforderte, das Anbau-Zitat nicht zu wiederholen, soll Scholz nur genickt und gesagt haben: "Das muss ich jetzt ja gar nicht mehr." Auch das ist typisch für ihn. Er weiß, dass er bestimmte Sätze nur einmal sagen muss, weil sie sich danach verselbstständigen. Der Spruch "Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch" ist aus dieser Reihe der bekannteste.
Und, da dürfen sich seine politischen Gegner wie Verbündeten keine Illusionen machen: Er ist genau so gemeint. Es war kein Zufall, dass ausgerechnet Katharina Fegebank ihre Grünen 2021 vor den Koalitionsgesprächen mit Olaf Scholz warnte und dazu riet, die Alternative einer Jamaika-Regierung lange offenzuhalten. "Olaf Scholz ist ein harter Verhandler", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. "Er hat den Anspruch, der Platzhirsch zu sein, Gespräche auch dominieren zu wollen und relativ wenig Spielraum zu lassen." Das ist wohl so, aber das heißt nicht, dass die Menschen in seinem Umfeld, Senatoren oder Minister, nichts zu sagen hätten und nur im Schatten des Allmächtigen stehen würden. Von Markus Söder erzählt man sich, dass er sich bei der Vergabe der wöchentlichen Pressetermine jeweils jene aussucht, die am vielversprechendsten klingen, den Rest teilen seine Minister dann unter sich auf. So hat sich Olaf Scholz als Hamburger Bürgermeister nicht verhalten, im Gegenteil: In seiner Zeit entwickelte sich etwa Ties Rabe, ehemaliger Redaktionsleiter eines Anzeigenblatts und gelernter Lehrer, zu einem der angesehensten Bildungspolitiker Deutschlands. Kultursenator Carsten Brosda gilt, nicht nur wegen seiner zahlreichen klugen (und selbstgeschriebenen!) Bücher als einer der neuen, intellektuellen Politikköpfe der Republik. Und Peter Tschentscher, unter Scholz Finanzsenator und nach dessen Wechsel nach Berlin überraschend Nachfolger im Amt des Bürgermeisters, wurde in und durch die Corona-Zeit zu einem der beliebtesten Ministerpräsidenten der Republik.
Überhaupt sagt es viel über Scholz, der aufgrund seiner Wahlergebnisse und der damit verbundenen Machtfülle oft als "König Olaf" bezeichnet wurde, dass es nach seinem Rücktritt gleich vier Kandidaten innerhalb der Hamburger SPD gab, denen die Öffentlichkeit zutraute, Bürgermeister zu werden. Neben Tschentscher, in den das Vertrauen zu Beginn am wenigsten ausgeprägt war, und Brosda galt das noch für den damaligen Fraktionsvorsitzenden der Partei in der Bürgerschaft, Andreas Dressel, der heute Finanzsenator ist. Und für Melanie Leonhard, Landesvorsitzende der Hamburger SPD und Sozialsenatorin. Ihr Vorgänger in diesem Amt, Detlef Scheele, ist inzwischen übrigens Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit .
Soll heißen: Es schadet der eigenen Karriere nicht, wenn man Mitglied einer Regierung unter Olaf Scholz war, auch wenn man durch eine harte Schule und nach den Regeln der Nummer eins spielen muss. Die wichtigste lautet: Scholz versucht alles, was intern zu klären ist, intern zu klären, er verabscheut Durchstechereien und öffentliche Schuldzuweisungen. In seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister wird er sicher den einen oder anderen Senator in der wöchentlichen Besprechung oder unter vier Augen zur Rede gestellt haben, über die Medien hat er das so gut wie nie getan. Ein ehernes Prinzip, das selbst der Mann gut findet, der in Hamburg am ehesten gegen Olaf Scholz aufbegehrt hat, vielleicht auch, weil das seine nassforsche Art so mit sich brachte. Umweltsenator Jens Kerstan von den Grünen regelte die Dinge nach eigenen Angaben zwar auch am liebsten hinter den Kulissen und in gemeinsamen Sitzungen. Aber wenn ein öffentlicher Streit nötig sei, dann gäbe es den halt, sagte er einmal der WELT, und dass Olaf Scholz schlau genug gewesen sei, Konflikte, die bekannt geworden seien, schnell aus der Welt zu schaffen. Merke: Das könnte für Christian Lindner und Robert Habeck eine Methode sein, den Kanzler aus der Ruhe zu bringen.
Sonst ist das, und das bestätigen alle, die mit Olaf Scholz zusammengearbeitet haben, gar nicht so leicht. Er weiß, dass die scheinbar nicht enden wollende Gelassenheit, Beharrlichkeit und Sturheit zu seinen großen Stärken zählen, und er ist stolz darauf. "Ich verhandele oft und viel", sagte er einmal, "manchmal auch bis 3:30 Uhr morgens, zum Beispiel über die Neugestaltung der Bund-Länder-Finanzen. Da ging es um viele Milliarden und ich glaube, ich bin trotzdem ruhig geblieben." In solchen Situationen ist er seiner Vorgängerin Angela Merkel sehr ähnlich, Scholz' Belastbarkeit und Ausdauer sind mindestens so enorm wie seine Sachkenntnis. Er braucht sie aber auch, weil er andere Eigenschaften eben nicht besitzt, mit denen man Gesprächs- und Verhandlungspartner auf seine Seite ziehen könnte. Scholz ist nicht in der Lage, so etwas wie Leidenschaft zu entfachen, rhetorisch spielt er im Vergleich zu Politikern wie Söder, Habeck und Lindner in einer anderen Liga, ein Menschenfänger ist er bekanntermaßen auch nicht. Scholz muss mit Argumenten überzeugen, sonst hat er verloren und er braucht möglichst ernste Situationen, in denen es um viel geht. Deshalb war er besonders in schwierigen Zeiten gut, etwa als Arbeitsminister in der Finanzkrise, als Finanzminister in der Corona-Pandemie oder bei der Vollendung der Elbphilharmonie. Und deshalb wirkt er bei allen Terminen und Veranstaltungen, zu denen ein roter Teppich führt, irgendwie fehl am Platz. Das ist nicht seine Welt, so wie es nicht die Welt von Angela...
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