Schweitzer Fachinformationen
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Sie haben uns aus dem Nest genommen.
Vertrieben aus der Kindheit, aus der Natur ganz
einfach, aus dem Unsichtbaren, das in uns ist.
Haufen- und scharenweise sind Tiere, sind Vögel
krank geworden, schweigen. Winziger Gaumen-
freuden erinnern wir uns wieder, als wären sie
die Kommunion unter Kumpanen der Poesie ...
Die eine und die andere. Wenn die Erste stirbt, kommen viele andere nach. Maria Scherer, nennen wir sie die Ahnin oder die Alte, wird im Jahre 1817 zu Niedervintl im Pustertal geboren. Sie ist zufällig dort geboren worden. Auf der Durchreise aus Nordtirol, über den Brenner kommend, ist sie einem Geschirrhändlerehepaar außerhalb des Dorfes in einem Schuppen neben der Straße geboren worden. Ihr Vater Martin Scherer ist der Sohn eines abgehausten Bauern zu Sankt Martin im Passeiertal gewesen und hat sich einer im Mötzer Klammwald hausenden und immer wieder weit herumziehenden Geschirrhändlerin aus der Monz-Sippe angeschlossen. Zusammen sind sie jahrelang durch die halbe Monarchie gezogen, ausgestattet mit einem Ausweis für Geschirrhandel und den Handel mit allerlei Kurzwaren. Landauf und landab. Immer sind die unterwegs gewesen. Ausgestoßene Tiroler. Echte Tiroler nach alter Herkunft. In Niedervintl ist es dann passiert. Maria, wie sie später heißen soll, wird in den kalten Dreck der Hütte hineingeworfen. Direkt aus der Mutter heraus. Ohne Beihilfe und Geschrei, ohne saubere Tücher und später dann ohne Taufe oder kirchlichen Beistand oder gar Segen. Wie es bei den Landgehern üblich gewesen ist. Aber der Pfarrer des Herkunftsortes hat nachträglich eine genaue Aufzeichnung machen müssen über die Sippe, ihre Größe, ihre Namen, ihre Geburts- und Sterbedaten, manchmal auch Angaben über Verehelichungen und Einweisungen ins Zuchthaus. In letzterem Fall haben sie der Gemeinde in den kalten Wintermonaten nicht mehr zur Last fallen können. In den Sippen der Landgeher, dieser ausgestoßenen Tiroler alter Art, gehört es zum wichtigen Teil ihrer Tradition, dass sie über ihre Geschichte und ihre Sippen genau Bescheid wissen.
Maria Scherer, die Alte oder die Ahnin, übernimmt von ihren Eltern den Handel mit Geschirr und mit Kurzwaren aller Art. Die kranken und bald elendiglich verreckenden Eltern sind der Gemeinde Sankt Martin eine große Last gewesen. Maria Scherer verbindet sich mit einem herumziehenden Mann aus der bekannten Landgehersippe Glatz aus dem Tiroler Oberland. Allesamt wieder ausgestoßene Tiroler nach alter Herkunft.
Im Jahre 1838 wird ihnen eine Tochter geboren, der sie den Namen Katharina, abgekürzt Kathl, geben. Diese wiederum zieht mit einem Landgeher aus dem oberen Vinschgau, nach alter Art Geschirr und allerlei Kurzwaren verhausierend, durch große Teile der alten k.u.k. Monarchie bis nach Ungarn.
Im Jahre 1865 wird ihnen eine Tochter geboren, der sie den Namen Maria geben. Es ist unsere Landgehermama. Es folgt noch ein Dutzend weiterer Kinder, die später zumeist als die ersten Fabriks- und Ziegelarbeiter tätig sind. Mehrere Mädchen dieser und anderer Sippen sind in den Aufzeichnungen der jeweils zuständigen Pfarrer auch als Prostituierte erwähnt.
Maria verbindet sich mit einem Sohn eines weiteren abgehausten Bauern aus dem Passeiertal, wiederum einem Mann namens Martin, der immer nur der "Landgehertatte", also der Landgehervater, genannt sein soll. Zur Schonung der Sippe am Herkunftsort und soferne er der Herkunftsgemeinde später zur Last fallen sollte. Hier endet die Aufzeichnung der Pfarre. Alle Frauen haben in sehr jungen Jahren ihre Kinder zur Welt gebracht; zumeist ein ganzes "Rudel" oder eine "Kutta", so heißt es; mit zehn und noch mehr Kindern, die aber fast alle sehr früh sterben.
Alle von den Sippen haben so dahingelebt, haben gehandelt, gestohlen, musiziert, geheilt, haben Durst, Hunger und Kälte erlitten. Wir folgen ihrem Weg durch Teile der alten Monarchie. Eine davon ist eine Heilerin und Zaubererin.
Dann gibt es die andere. Es ist die um 1885 geborene, in den Schmutz einer aufgelassenen Heuhütte hineingeborene, hineingeworfene Tochter Anna, die Erstgeborene dieser neuen Landgehersippe, die später nur mehr ANA heißen soll.
Weit droben bei den Gletschern, die sie dort Ferner nennen, leben und herrschen mächtige Frauen aus der Vergangenheit, aus längst zurückliegenden Jahrhunderten und Jahrtausenden, und sie leben immer noch dort. Das sind wieder die anderen. Aber sie gehören zusammen. Sie bleiben dort, bis sie von Raupenfahrzeugen, Pistengeräten, vom schrecklichen Weiß aus neuen Kanonen und Sprengladungen verjagt werden; bis sie allesamt getötet sind. Dann ist das Ende der "verheißnen Zeit" gekommen. Oder sie sind allesamt unter einer mächtigen, einer riesigen Lawine verschwunden. Einzelne von ihnen haben Namen bekommen. Eine ist die Rusilana. Dann hat sie zwei "E" und nennt sich wie die Lawine im Dialekt der dortigen Bergler Rusileena. Die Lawine ist die "Leena". Eine andere ist die wilde Wally. Die schrecklichste und wildeste und schönste von allen ist die Langtüttin. Alle stammen aus den Geschlechtern der SALIGEN oder kehren dorthin zurück.
Abgehauste und also verarmte Bauern, vor allem aus den hinteren Bergtälern, haben sich immer wieder den nomadisch lebenden Landgehern angeschlossen. Auch wenn sie es gewollt hätten, wäre ihnen das Eingehen einer kirchlich legitimierten Ehe versagt geblieben. Mehr aus Gründen eines nicht nachweisbaren Vermögens, der nicht lebens-fähigen Erträge etwa eines kleinen bergbäuerlichen Anwesens, eines "Hoamatle". Junge Paare haben, wenn sie offiziell kirchlich heiraten wollten, den mehrere Wochen dauernden Weg nach Rom nicht scheuen dürfen, um dort die sogenannte "Rom-Ehe" auch ohne Besitznachweis eingehen zu können. Dafür hat es einen extra ausgewählten Geistlichen gegeben. Das neue Paar kehrt nach dem langen Weg von Rom zurück in den zuständigen Herkunftsort, den des Vaters, legt dort die Rom-Papiere vor und erwirkt sich damit das Recht, im Falle von Krankheit und auch in den Wintermonaten von der "Herkunftsgemeinde" versorgt zu werden. So schnell wie möglich muss das Paar, muss die Sippe, inzwischen erheblich angewachsen, diese Gemeinde verlassen. Verjagt, vertrieben, zum Teufel geschickt. Die Sippe zieht wieder durch alle Täler des Landes und der umliegenden Länder, handelt mit Früchten und Geschirr, zeitlebens mit Früchten und Geschirr. Später dann auch der Handel mit jungen Mädchen und mit trockenen Zitronen. Irgendwann stirbt der Vater, der Tatte, im Spitale zu Bozen.
Die eine und die andere kommen zusammen. Bei Gericht und im Himmel treffen sie sich.
Wenn sie nicht versehentlich heiliggesprochen werden, kommen sie in das sogenannte Fegefeuer. In das sogenannte Fegefeuer, weil es dort weder heiß noch fußfrei ist, weil dort die erfrornen Füße aufgewärmt werden. Dort treffen sich Büßende im kalten Eis der Ferner. Und treffen sich dort mit Kräuterweibern, Heuträgern, Quacksalbern und Hirtinnen.
In der KALTEN PEIN, verschone uns, o Herr, büßen wir unsere Sünden, eigentlich keine Sünden, eigentlich nur Versäumnisse, ein paar Schlägereien um der Gerechtigkeit willen, eigentlich solche Geschehnisse wie das Abschneiden der Zöpfe bei heranwachsenden Mädchen, der erste Rauch aus der Pfeife, der erste lüsterne Blick auf die andere Kirchenbankseite am Sonntag oder wann auch immer die Kirchenbänke voll sind von Sündern, von Rosenkranzbetweibern, von stinkenden Misthosen und dreckigen Patzen unter den Fingernägeln. Es kommen die seligen Zeiten der Feste und der Buße, der Wallfahrten und der anderen geheimen Gelüste.
In der kalten Pein treffen sie ihresgleichen: die anderen Sippen vom Dörcherpack, die streitbare und unwiderstehliche Wally und auch die dunkle Helene mit dem Schüppel Kinder hinter sich.
Jetzt kann das Leben, jetzt kann das Spiel beginnen.
Schaust du verträumt vom Turme nieder,
Du hochlandwilde scheue Maid
Im knappgeschnürten Purpurmieder,
In keuscher Herzensherrlichkeit,
So denk' ich einer Alpenrose,
Die einsam auf der Klippe steht,
Unsorgsam, ob bei Stein und Moose
Ein Menschenauge sie erspäht.
Du hochlandwilde scheue Maid, du lebst in keuscher Herrlichkeit? Droben auf der Klippe stehst du und wartest? Auf wen wartest du?
Drunten im Tal lebt die Maria vom Dörcherpack. Man nennt und kennt sie als die Maria vom Dörcherpack. Sie gehört zu den Dörchern. Sie können auch Karner oder Laniger heißen oder auch Landgeher oder alpenländische Vaganten. Sie haben zu den Dörfern und den Dorfbildern gehört, zu den Rändern, zu den spannendsten Außenseitern himmlisch-katholischer Gebetsdörfer in sogenannten Heiligen Landen.
Jetzt ist sie unterwegs in den Bergen. Sie ist eine Heilerin. Sie lebt vom Steineklauben und vom Suchen heilkräftiger Blumen und Kräuter. Sie kommt mit den Buschen und Büscheln zu den Bauern in den Dörfern, zu den leidenden Menschen, und sie geht am liebsten in die Ställe zum kranken Vieh. Dort heilt sie und dort betet und schwindelt sie. Wenn der Arzt vom Nachbardorf nicht mehr heilen und helfen kann, dann wird nach der Maria gerufen. Sie kommt und lässt sich bezahlen. Sie will alte Kalender dafür haben. Zauberbüchlein sind ihr am liebsten. Auch alte Bibeln. Die mit den Sprüchen und Prophezeiungen. Vom Jüngsten Gericht. Von den Todesstrafen. Von der...
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