Schweitzer Fachinformationen
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Auf da Gaudi.
Zwecks Vergnügung unterwegs.
Liachtbratlmontag.
Ausnahmezustand in Bad Ischl.
Alle, die einen runden Geburtstag feierten, zogen nach dem Gottesdienst am Morgen durch den Ort und wurden von ihren Freunden und Bekannten mit Gaben behängt, von Herzen bis zu kleinen Schnapsflascherln. Danach fuhr man zusammen ins Land hinein oder auf eine der umliegenden Berghütten, um ein wohlverdientes Liachtbratl zu verzehren, einen Schweinsbraten mit Knödeln und Kraut, und es dabei so richtig krachen zu lassen. Am Abend im Ort ging es ungebremst weiter. Vorsichtshalber blieben die Geschäfte an diesem Tag geschlossen. Wenn die Bad Ischler feierten, dann g'scheit.
Um bei diesem traditionellen Brauchtum so richtig auf den Putz zu hauen, musste man allerdings kein Jubilar sein. Das stellte Marie Giesinger soeben fest, als sie sich in der gesteckt vollen Almhütte umsah, in der die etwa 80 rotwangigen Gäste den Paschern am Stammtisch zujubelten. Sie hatten sich um einen Älteren mit Gamsbarthut und Quätschn gruppiert und begleiteten ihre frechen gesungenen Gstanzln mit rhythmischem Händeklatschen.
Ein Bierglas schob sich in Maries Sichtfeld. Umklammert von Hubert Holzinger, dem schönen Hubert, ihrem Sitznachbarn, dessen glasiger Blick Resultat der fünf davor war.
»Prost, Frau Doktor, sche, dass du da bist! Owi damit!«
Marie griff nach ihrem eigenen noch bis an den Rand gefüllten Glas, stieß bemüht lächelnd mit ihm an und stellte es, ohne davon zu trinken, zurück auf den Tisch.
Erst vor zwei Stunden hatte sie ihre Ordination geschlossen, sich ihre Sprechstundenhilfe Filomena geschnappt und war in die romantische Katrin-Seilbahn mit ihren urigen Gondeln gestiegen. Der authentische Charme der Bahn war für viele ein Grund mehr, den Ischler Hausberg zu stürmen und die grandiose Aussicht auf die Umgebung zu genießen, insbesondere auf das Goiserer Tal und den imposanten Dachsteingletscher.
Heute allerdings war nichts davon zu sehen.
Es schüttete an diesem ersten Oktobermontag, dem traditionellen Datum des Festes. Der Nebel hing schwer und die Sicht lag bei null. Was der brodelnden Stimmung in der Almhütte keinen Abbruch tat. Im Gegenteil. Man rückte einfach etwas enger zusammen und kümmerte sich nicht um das Wetter.
Sehnsuchtsvoll warf Marie einen Blick auf die prall gefüllten Teller, die Rudi Zoidl, der Hüttenwirt, ohne Unterbrechung aus der kleinen Küche hervorzauberte. Liachtbratln war seit ihrer Jugend ein Fixpunkt im Kalender gewesen, genauso wie die Dienstage danach, die man mit pelziger Zunge und jede Menge Kopfweh zu überstehen hatte. Was selbstverständlich niemanden daran hinderte, die ganze Gaudi im nächsten Jahr nicht minder ausgelassen zu wiederholen.
Endlich landete einer der Teller auch vor ihr. Mit einem Seitenblick auf ihren alkoholseligen Nachbarn, der gerade lauthals ein Gstanzl mitsang, machte sie sich dankbar, und vor allem ungestört, darüber her. Außer einem Weckerl hatte sie heute noch nichts im Magen, denn den vielen Wehwehchen ihrer Patienten war das Liachtbratln egal gewesen.
Zwischen zwei gierigen Bissen sah sie Filo amüsiert die Augen verdrehen. Mit beiden Händen hielt sich ihre Sprechstundenhilfe einen der anderen Gäste vom Leib, der sie umarmen und auf die Wange küssen wollte. Filo war eine stattliche Frau und trug ein Dirndl, das ihren wogenden Busen perfekt zur Geltung brachte, eine Tatsache, die es ihrem Verehrer sichtlich angetan hatte.
Filo verdrehte die Augen. »Ferdinaaaaand, aus jetzt. Dein Niveau lässt grüßen. Es weiß nicht, wo du bist!«
»Mensch Filo, du brauchst mal wieder einen richtigen Mann!«, schmollte der Angesprochene.
Maries Freundin nahm den blöden Spruch mit Humor. »Stimmt. Siehst du hier irgendwo einen?«
Ein Hauch Bierdunst nahm Marie fast den Atem und ließ keinen Zweifel aufkommen: Hubert war wieder da. Der Mittfünfziger war Kulturmanager und hatte ihr vorhin ohne Pause von den intensiven Vorbereitungen für das in drei Monaten beginnende Jahr 2024 erzählt, in dem Bad Ischl europäische Kulturhauptstadt sein würde. Er galt als Frauenschwarm. Maries Fall war er aber nicht. Heute schon gar nicht. Sein grünlich blasses Gesicht samt rotgeäderter Nase sprach Bände. »Ich brauch mal frische Luft vorm Kaiserschmarren. Den musst du nachher unbedingt noch kosten, Mädl. Rudi macht den allerbesten, und dazu g'hört natürlich ein Schnapserl.«
Nichts anderes hatte Marie vorgehabt, vorzugsweise aber ohne den Hochprozentigen.
Dankbar für die Pause, aber auch leicht besorgt, sah sie ihm nach, als er zur Tür wankte. Draußen ging gerade die Welt unter.
Sie nutzte die Gelegenheit, um in die Gegenrichtung auf die Toilette zu verschwinden. Wie immer zog sich die Schlange vor der Tür mit der aufgemalten Frau in die Länge. »Das sind die einzigen Momente, in denen ich gern ein Mann wär«, seufzte eine junge Brünette und kniff die Beine zusammen.
Auf dem Rückweg wurde Marie von zwei jungen Blondinen am Nebentisch abgefangen, beides Patientinnen. Sie hatten, wie viele, keine Skrupel, sie auch in ihrer Freizeit mit medizinischen Fragen zu löchern.
Danach legte ihr Ignaz Grallinger die Pranke auf die Schulter, der Chef einer großen Baufirma und ebenfalls Teil ihrer Patientenkartei, allerdings im Augenblick zum Glück ohne ärztliche Bedürfnisse. Vielmehr drückte er ihr einen Klaren in die Hand und bestand darauf, dass sie ihn vor seinen Augen hinunterkippte, um auf das Du anzustoßen. Keine Chance zu entkommen. Mit brennendem Hals kehrte sie zu ihrem Tisch zurück.
Sofort fiel ihr auf, dass Hubert immer noch fehlte.
Oje, den armen Kerl hatte es wohl ziemlich erwischt.
Die Ärztin in ihr übernahm.
Es goss Bindfäden, der Boden war schlüpfrig und fiel insbesondere direkt vor der Hütte steil ab. Besser, sie sah nach, wo er blieb. Seufzend schnappte sie sich ihre Regenjacke mit der großen Kapuze und machte sich auf den Weg.
Im Zelt vor dem Eingang hockte ein Raucher. Sie fragte ihn nach Hubert. »Hab niemanden gesehen, bin aber auch gerade erst raus, für an schnellen Tschick. Die Sucht, weißt eh!«, schnaufte der Mann. Marie besah sich kurz sein aufgeschürftes Knie. Er zuckte mit den Schultern. »Ausg'rutscht.« Sein Blick war verhangen und die kurze Lederhose hatte große Mühe, unter seinem stattlichen Bauch an Ort und Stelle zu bleiben. Außerdem roch er streng.
»Geh bitte wieder rein, damit dir nicht noch mehr passiert«, sagte sie fürsorglich, richtete sich auf und umrundete die Vorderseite der Berghütte. Die hatte weit über hundert Jahre auf dem Buckel und besaß eine ausgeprägte Patina. Schon seit sie denken konnte, hatte diese Hütte Marie fasziniert.
Kurz schoss ihr das Bild einer anderen, ebenso reizenden Hütte in Bad Goisern durch den Kopf. Bei gutem Wetter würde man sie mit dem Fernglas von hier aus vielleicht sogar sehen können, dort drüben auf der anderen Talseite, am Fuß der Ewigen Wand. Dieses Refugium, das Ben gehörte. Ihrer Jugendliebe.
Wie es ihm wohl gerade ging? Seit über zehn Monaten hatte sie ihn vollkommen aus den Augen verloren. Er war Ermittler beim LKA in Linz und letzten Herbst im Zuge eines Mordfalles an einer bekannten Influencerin am Wolfgangsee wieder in ihr Leben geschneit. Dabei waren sie sich erneut nähergekommen. Ohne Happy End allerdings. Es war endgültig vorbei. Was zählte, war das Hier und Jetzt.
Noch mehr Pascher-Gstanzln drangen an ihr Ohr. Die Stimmung kochte. Da die Bahn nur bis 17 Uhr fuhr, würden bald alle die zum Glück nur wenigen hundert Meter hinüber zur Bergstation in Angriff nehmen und hoffentlich heil ins Tal gelangen.
Vorsichtig überquerte sie die glitschige Terrasse, auf der sich an schönen Tagen die Ausflügler drängten. »Hubert«, rief sie leise. »Bist du hier irgendwo?«
Als Antwort gab's nur Stille.
Okay, dann halt anders. Mit aller Kraft schrie Marie in den Regen. »Huuubert! Wo bist du?«
Das ungute Gefühl in der Magengrube wuchs. Unschlüssig hielt sie noch einen Moment lang inne und beschloss dann, lieber noch einmal im Inneren der Hütte nachzusehen.
Wenn auch vergeblich.
Resolut trat sie an den Tresen und fing Rudi ab. Der stämmige Glatzkopf mit dem grauen Ziegenbart stemmte gerade eine dampfende Pfanne in die Höhe. »Die Liachtbratln sind aus!«, brüllte er. »Aber Schmarren gibt's!«
»Rudi, kommst du bitte kurz nach draußen? Ich weiß, du hast Stress, aber lass mal trotzdem für einen Moment deine Leute ran!« Rudis zwei Angestellte arbeiteten im Akkord, ließen das Chaos aber dennoch mit einem breiten Lächeln an sich abprallen.
Nachdenklich musterte Rudi ihren ernsten Gesichtsausdruck, stellte die Pfanne auf einen der großen Holztische und nickte zustimmend. »Kimm!«
Im Freien nahm er einen tiefen Atemzug und wischte sich mit seinem Fetzerl, einem Schweißtuch, über die Stirn. Er wirkte angeschlagen. Kein Wunder bei den Strapazen heute. »Also, was ist los?«
»Ich kann den Hubert Holzinger nicht finden. Vor etwa einer halben Stunde ist er raus, weil er frische Luft schnappen wollte. Glaubst du, er hat, ohne Bescheid zu sagen, die Gondel genommen?«
Rudis Blick verschattete sich. »Wart kurz.«
Einen Anruf später war klar: Keiner vom Seilbahn-Personal hatte den Mann gesehen.
Der Abstieg ins Tal war lang und gefährlich. Niemand bei Verstand würde ihn bei diesem Wetter wagen. Genau das sprach der Wirt gerade auch laut aus.
»Vernunft und Huberts sechs Halbe Bier schließen sich allerdings aus«, folgerte...
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